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„Kultur kostet Geld“

„Kultur kostet Geld“
Foto: © Startnext

Seit bald zwei Jahren erleben wir einen Boom über Crowdfunding-Plattformen wie kickstarter, startnext oder inkubato – Fans und Internetnutzer werden an kreativen Projekten beteiligt, teilweise finanzieren sie ihre Projekte selbst. Am 4. Mai fand Deutschlands größte Konferenz zur Kofinanzierung im Kulturbereich statt, die co:funding Konferenz. Creative City Berlin sprach mit Kuratorin Anna Theil von Startnext über neue Chancen und Risiken durch das Crowdfunding, warum der Kulturinfarkt nichts mit Crowdfunding zu tun hat und die Piraten vermutlich die erste Partei Deutschlands wären, die sich crowdfunden könnten.

 

Interview Jens Thomas  

 

CCB Magazin: Hallo Anna, du hast die co:funding Konferenz zum Thema Crowdfunding am 4. Mai in Berlin kuratiert. Welches Fazit ziehst du? 

Anna Theil: Auf unserer co:funding Konferenz haben wir erneut Crowdfunding-Experten, Plattformbetreiber sowie Gründer und Kreative in Berlin zusammen gebracht, um den Status Quo und das Potenzial von Crowdfunding zur Finanzierung von Projekt- und Geschäftsideen zu diskutieren. In diesem Jahr hat die co:funding, die erneut als Subkonferenz der re:publica stattfand, mit rund 700 Teilnehmern doppelt so viele angezogen wie bei der ersten co:funding Konferenz im letzten Jahr. Die hohe Besucherzahl belegt das Diskussionspotenzial rund um die Themen Crowdfunding und Crowdinvesting sowie den fälligen Diskurs zu Förderprinzipien und damit verbundenen Cofunding-Modellen.

CCB Magazin:Seit der Stromberg-Film von den eigenen Fans finanziert wurde, ist das Crowdfunding in aller Munde. Die kreative Gemeinde sammelte hierzulande seit Bestehen der fünf großen Crowdfunding-Plattformen Startnext, inkubato, mysherpas, pling und visionbakery rund eine Million Euro über das Netz ein. Sind das gute Zeichen?

Anna Theil:Ja, das ist sehr wichtig. Vor allem in den letzten Monaten ist der Anteil der Crowdfunding-Projekte stark gestiegen. Beispielsweise wurden auf der größten deutschen Plattform Startnext im letzten Monat allein 100.000 Euro für Projekte eingesammelt, die Kurve zeigt steil nach oben.

CCB Magazin:Die öffentliche Hand finanziert jährlich rund 8,5 Milliarden Euro für die Kultur, allein für Berlin wird jährlich fast eine Milliarde Euro aufgebracht. Ist das Crowdfunding da nicht nur ein Tropfen auf den heißen Stein?

Anna Theil:So würde ich das nicht sehen. Das Crowdfunding ist kein Ersatz zur öffentlichen Kulturförderung, es ist eine Alternative. Beim Crowdfunding geht es auch nicht nur ums Geld: Es geht um den Austausch, um Kommunikation und die Einbindung des Publikums oder der Konsumenten in ein Projekt.

CCB Magazin:Es ist aber auch ein neues Finanzierungsinstrument.

Anna Theil:Crowdfunding macht den Finanzierungsaspekt bei der Realisierung eines Projektes sehr transparent. Beim Crowdfunding unterstütze ich ein Projekt mit einem finanziellen Beitrag und erhalte dafür eine Gegenleistung in Form von Produkten oder ideellen Dankeschöns. Das unterscheidet das Crowdfunding auch vom Crowdinvesting, bei dem ich ein Projekt oder Startup unterstütze und damit einen monetären Anreiz habe, da ich an möglichen Gewinnausschüttungen beteiligt werde. Über Crowdinvesting wurden in Deutschland bisher Startups und kreative Projekte mit rund zwei Millionen Euro finanziert. Dieses Instrument wurde unter anderem auch beim Stromberg Film eingesetzt.

CCB Magazin:Bisher werden in Deutschland nur ungefähr 10 Prozent der Kultur privat gefördert, vor allem durch Stiftungen oder Sponsoren. 90 Prozent der Kulturförderung übernimmt die öffentliche Hand. In den USA ist dieses Verhältnis genau umgedreht, das haben Sie selbst in einem Artikel betont. Die weltweit größte Crowdfunding-Plattform Kickstarter könnte dieses Jahr in den USA nach Meinung ihres Gründers Yancey Strickler erstmals mehr kulturelle Projekte fördern als die staatliche Kulturförderung. Heißt gute Kulturförderung dann, von Amerika lernen?

Anna Theil:Die Schieflage bei der Kulturförderung in den USA hat nebenbei auch dazu geführt, dass alternative Wege schneller erkannt und genutzt werden als in Deutschland. Sich auf den Auftrag der öffentlichen Förderung in Deutschland zu verlassen, führt auch dazu, dass sich Dinge einschleifen und neue Strömungen, auch auf Förderebene, zu spät erkannt werden. Crowdfunding bietet viele neue partizipative Möglichkeiten, um den Kulturkonsumenten schon in der Ideenentwicklung mit einzubinden. Das funktioniert in den USA aus genannten Gründen hervorragend und ist in Deutschland ebenso eine Chance.

CCB Magazin:Jüngst kam hierzulande die Debatte um den „Kulturinfarkt“ auf. Die Autoren des gleichnamigen Buches fordern eine radikale Umverteilung der deutschen Kultursubvention. Kurz gesprochen: Die Hälfte der staatlichen Kulturförderung fließt in den Bereich der Kultur-Szene und Kulturproduktion, die seit Jahren zu wenig bekommt. Inwiefern ist das Crowdfunding Ausdruck einer staatlichen Kulturfinanzierung, die für das Große Heer an Kreativen heute schlicht nicht mehr reicht?

Anna Theil:Das würde ich nicht in einen Topf werfen. Durch das Crowdfunding kommt ein neuer Spieler in der Kulturfinanzierung hinzu. Durch das Crowdfunding wird die öffentliche Kulturförderung auch nicht minimiert. Unsere Erfahrungen mit Förderinstitutionen und Förderämtern sind ganz andere: Das Crowdfunding wird als positive Entwicklung in den Institutionen wahrgenommen und es besteht nicht die Absicht, im Gegenzug Kulturleistungen zu beschneiden. Man überlegt vielmehr, wie man private Förderung künftig stärker unterstützen kann.

CCB Magazin:Das Crowdfunding wird jüngst als basisdemokratisches Beteiligungsinstrument hoch umjubelt. Ist das Crowdfunding deiner Meinung nach ein Zeichen für mehr Basisdemokratie?

Anna Theil:Ja, denn das Crowdfunding basiert auf dem Prinzip des Gebens und Nehmens. Dabei geht es nicht nur darum, eine Idee finanziell zu unterstützen, sondern es geht auch ums Mitmachen und Mitentscheiden an kreativen Prozessen und Produkten. Das Crowdfunding gewährleistet einen Blick hinter die Kulissen, wie ein kreatives Produkt entsteht. Viele empfinden es als ein besonders schönes Gefühl sagen zu können: An diesem Produkt habe ich mitgewirkt, das ist auch mein Produkt. Es ist eine der wichtigen Motivationsgründe beim Crowdfunding.

CCB Magazin:Das Crowdfunding steht also für eine neue Art des Konsums? Ansgar Warner, Autor des Buches „Krautfunding. Deutschland entdeckt die Dankeschön-Ökonomie“ schreibt, dass Geschäftsmodelle über das Crowdfunding nicht mehr von der Zahl der Konsumenten abhängig seien, sondern von der Zahl der Prosumenten, die sich aktiv für eine Sache einsetzen.

Anna Theil:Das ist ein ganz wichtiger Punkt: Beim Crowdfunding geht es um die Veränderung des Konsumverhaltens. Als Unterstützer eines Projektes trete ich schon vor der Fertigstellung des Kulturgutes in Erscheinung und kann den Entstehungsprozess begleiten. Oft liegt der künstlerische Wert ja auch im Entstehungsprozess. Für viele ist es aber auch sehr unterhaltsam, echte Inhalte zu erfahren, also dem Kreativen über die Schulter zu schauen. Beim Crowdfunding werden also weit mehr Bedürfnisse befriedigt, als man zunächst vermutet.

CCB Magazin:Diese „Dankeschön-Ökonomie“ ist seit langem aber auch eine Umsonstkultur, durch die viele Künstler von ihren Werken nicht leben können. Inwiefern ist der Anfang von Crowdfunding das Ende einer jahrelangen Gratistkultur im Netz, die prekäre Existenzen unter Kulturschaffenden erst festschrieb?

Anna Theil:Es ist ein sehr nützlicher Nebeneffekt, dass Crowdfunding sichtbar macht, dass Kultur auch Geld kostet und einer Wertschätzung bedarf. Und diese Wertschätzung ist zweifelsfrei höher, wenn ich partizipieren kann. Es geht beim Crowdfunding deshalb vor allem um Kollaboration, um das Mitwirken oder die Zusammenarbeit von mehreren Personen oder Gruppen an Projekten und Produkten. Man sieht auch, dass Projekte, die besonders kollaborativ arbeiten, besonders erfolgreich sind, weil sie es schaffen, ihr Publikum so einzubinden, dass sie das Projekt auch nach außen tragen können und demnach mittragen.

CCB Magazin:Wie viel Prozent der Crowdfunding-Projekte, die über eine der Plattformen starten, haben aber letztendlich Erfolg und werden realisiert?

Anna Theil:Die Förderquote liegt derzeit zwischen 40 und 45 Prozent. Diese Quote lässt sich sicher noch steigern. Das Entscheidende ist aber: Die Crowd entscheidet, was sie für qualitativ wichtig hält und was gefördert werden soll. Das Crowdfunding ist wie eine Art Test auf dem freien Markt, durch den ich weiß, ob meine Projektidee überhaupt Anklang findet.

CCB Magazin:Inwiefern beeinflusst das Crowdfunding die Entscheidung von Verlagen oder Unternehmen, die gezielt nach Projekten suchen, die bereits erfolgsversprechend sind?

Anna Theil:In gewisser Weise dreht das Crowdfunding die Ökonomie im Kreativbereich um, weil Verlage oder Produktionsfirmen gezielt auf Crowdfunding-Plattformen schauen, welche Ideen auf dem Markt zu funktionieren scheinen. Das ist aber nichts Schlechtes. Für Unternehmen kann das Crowdfunding vielmehr ein spannendes Instrument sein, um neue Produkte zu entdecken oder zu entwickeln. Letztlich werden auf solchen Plattformen in Zukunft Innovationen frühzeitig sichtbar oder überhaupt möglich - kleine Teams lösen Probleme der Zukunft und suchen nach Finanzierungsmöglichkeiten, so könnte man das Ziel von Crowdfunding auch beschreiben. Sehr erfolgreich passiert das bereits im Bereich Produktdesign und ist maßgeblich für den Erfolg von Kickstarter in den USA. Insgesamt mindert Crowdfunding dann auch das Risiko für alle Beteiligten, die ins Projekt einsteigen.

CCB Magazin:Aber nicht alle können einsteigen. Das Crowdfunding ist ein Beteiligungsinstrument für Netzversierte und Leute mit der 'Crowd' im Hintergrund. Inwiefern schließt das Crowdfunding bestimmte Gruppen aus?

Anna Theil:Es stimmt, dass auf Crowdfunding-Plattformen aktuell insbesondere internetaffine Nutzer fördern. Damit wir beim Crowdfunding keine Zielgruppen ausschließen, muss Crowdfunding so selbstverständlich und einfach sein wie ein Online-Einkauf und in der Crowd als Finanzierungsinstrument noch bekannter werden. In der aktuellen Situation übernehmen die Projektinitiatoren einen Großteil der Aufbauarbeit. Abgesehen davon entwickeln einige Plattformen bereits Funktionen, die analoges Crowdfunding zulassen, eben das Sammeln von Geld auf Konzerten, in Ausstellungen oder bei Aufführungen, welches dann wieder auf die Plattformen zurückfließt, wie es zum Beispiel bei Startnext passiert. Insgesamt unterschätzen viele aber den Aufwand einer Crowdfunding-Kampagne: Man muss seine Idee nicht nur im Netz vorstellen und bekannt machen, man muss auch Mitstreiter finden. Das ist ein enormer Arbeits- und Zeitaufwand.

CCB Magazin:Der Blogger Christian Henner-Fehr vom Kulturmanagement Blog warf kürzlich die Frage auf, ob es nicht leichter sei, einen Förderantrag zu stellen als eine Crowdfunding-Kampagne erfolgreich auf die Bühne zu bringen?

Anna Theil:Das sind zwei ganz unterschiedliche Mechanismen. Wenn ich ein Crowdfunding-Projekt habe, stelle ich meine Projektidee ganz früh ins Netz und habe Effekte, die ich gar nicht vorhersehen kann - man bekommt Feedback und baut sich seine Community erst auf, das alles ist ein Prozess. Diesen Weg der Kommunikation hat man bei einem öffentlichen Förderantrag nicht. Der Förderantrag erlaubt ein ja oder nein, das Crowdfunding eröffnet andere und neue Möglichkeiten.

CCB Magazin:Beides spiegelt aber den Zeitgeist wider, dass sich Künstler heute verstärkt selbst vermarkten müssen. Sind das neue Anforderungen, denen viele nicht gewachsen sind?

Anna Theil:Künstler sind heute in hohem Maße neuen Herausforderungen ausgesetzt, die es so vor vielen Jahren nicht gab. Der Künstler ist nicht nur Produzent, sondern auch Vermarkter seiner Selbst. Das kann sicherlich viele überfordern.

CCB Magazin:In der Kunstsoziologie und Kulturwissenschaft wird der Künstler immer wieder als distinkter Persönlichkeitstyp beschrieben, der mit gesellschaftlichen Normen bricht. Der Kulturhistoriker Wolfgang Ruppert spricht etwa vom gesellschaftlichen Verständnis über den Künstler als „Gegenpol einer von bürgerlichen Normen geordneten Lebensführung und zum kalkulierenden Zweckhandeln“. Inwiefern widerspricht diese zunehmende Tendenz zur Selbstvermarktung dem Persönlichkeitstyp des Künstlers?

Anna Theil:Auch Künstler sind heute Wandlungen unterworfen und müssen sich neuen Herausforderungen stellen. Das muss aber nicht immer schlecht sein, dadurch ergeben sich auch neue Möglichkeiten und das ist auch beim Crowdfunding der Fall. Das Crowdfunding ist eine Chance, es ist aber als Finanzierungsmodell nicht immer und nicht für alle sinnvoll. Beim Crowdfunding geht es stark um Netzreputation, um netzaffine Leute, die die Spielregeln im Internet auch beherrschen. Wenn sich in Zukunft Mäzene und Stiftungen auch auf Crowdfunding-Plattformen tummeln, wird sich zeigen, ob dieser Typ Künstler dort zumindest ein Profil und eine Werkschau haben sollte.

CCB Magazin:Falls die Piraten an der Debatte um die Umsonstkultur zerbrechen sollten und ihre Wählerklientel verlieren, wären sie vermutlich die erste Partei, die sich 'crowdfunden' könnte?

Anna Theil:(Lacht) Ja, vermutlich, zumindest könnten sie es versuchen. Crowdfunding passt ja hervorragend zur Grundintention der Piraten. Daher besteht kein Grund, erst beim Scheitern auf Crowdfunding zu setzen. Anna, ich danke Dir für dieses Gespräch.
 


Der Beitrag ist eine leicht überarbeitete Version des Interviews in der Telepolis, dem Magazin für Netzkultur vom Zeitschriftenverlag heise.

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