Förderung, Räume Zurück

Simone Willeit: Grenzen nach unten, Luft nach oben

Simone Willeit: Grenzen nach unten, Luft nach oben

Die Situation von freien Kulturschaffenden in Berlin muss sich verbessern – das fordert die "Koalition Freie Szene Berlin", die sich vor wenigen Monaten gegründet hat: 95 Prozent aller Ausgaben sind für die etablierten kulturellen Institutionen eingeplant, nur fünf Prozent stehen der freien Kulturszene zur Verfügung. Rund 70 Berliner Institutionen, Verbände und Einzelpersonen haben sich darum zusammengeschlossen, jetzt hat das Bündnis sogar mit der IHK Berlin gemeinsame politische Ziele formuliert. Creative City Berlin sprach mit Simone Willeit, eine Sprecherinnen der Koalition, über neue Forderungen durch alte Strukturen und darüber, warum Kunst und Kreativwirtschaft nicht das gleiche sind, Berlin aber trotzdem spartenübergreifende Zusammenschlüsse nötig hat.

 

Interview Jens Thomas

 

CCB Magazin: Frau Willeit, die Koalition Freie Szene will die verschiedensten Kreativbereiche zusammenbringen, um die dringlichsten Probleme darzustellen. Die verschiedensten  Kreativbereiche zusammenzubringen, das klingt nach einem ziemlich schwierigen Unterfangen.

Simone Willeit: Natürlich ist das nicht einfach, jeder Bereich ist schließlich anders und hat seine eigenen Probleme. Es mangelt aber an Unterstützung für freischaffende Strukturen insgesamt. Dies braucht einen gemeinsamen Nenner.

CCB Magazin:Was soll dieser „gemeinsame Nenner“ sein?

Simone Willeit:Es braucht mehr Freiräume für Kulturschaffende in der Stadt. Es braucht wirklich Räume zum Arbeiten, und es braucht eine stärkere finanzielle Unterstützung. Letztlich sind alle an der Koalition der Freien Szene beteiligten nicht damit einverstanden, wie das Land Berlin mit freischaffenden Akteuren seit Jahren umgeht - in finanzieller Hinsicht und bezogen auf Räumlichkeiten. Das beinhaltet auch die Änderung der derzeitigen Liegenschaftspolitik in der Stadt.

CCB Magazin:Was meinen Sie?

Simone Willeit:Die Nutzung von landeseigenen Immobilien und die Zwischennutzung von Räumen sind für Kulturschaffende zu einem erschwinglichen Preis kaum mehr möglich. Die Koalition der Freien Szene fordert darum ein Moratorium zum Verkauf von Landesimmobilien. Ich spreche hier z.B. für den Bereich Tanz, in dem ich arbeite. Für Tänzer sind Spielstätten und Produktionsräume notwendig, die bezahlbar sind. Zwar wurden in den letzten Jahren mit den Uferstudios und dem Eden***** Produktionsräume in der Stadt errichtet, die finanziellen Hürden für einzelne Künstler sind dort aber relativ hoch.

CCB Magazin:Die Koalition kritisiert auch die Vergabe der Mittel durch den Hauptstadtkulturfonds.

Simone Willeit:Ja, aus dem Hauptstadtkulturfonds dürften keine Regelförderungen finanziert werden, damit die Fördermittel in vollem Umfang freien Projekten zur Verfügung stehen. Nur noch 60 Prozent des Hauptstadtkulturfonds kommen der freien Projektförderung zu Gute. Anträge von institutionell geförderten Kultureinrichtungen sollen nur berücksichtigt werden, wenn das Projekt maßgeblich mit Künstlern und Kulturschaffenden freier Strukturen realisiert wird.

CCB Magazin:Zirka 450.000 Euro hat der Berliner Senat nun für freie Projektförderung 2012/2013 zusätzlich eingestellt. Wie viel müsste es nach Meinung der Koalition sein?

Simone Willeit:Nötig ist unserer Ansicht nach eine substanzielle Aufstockung der Förderetats für freie Projekte auf 20 Millionen Euro. Sehen Sie, bislang sind 95 Prozent aller Ausgaben für die etablierten kulturellen Institutionen eingeplant, nur fünf Prozent stehen der freien Kulturszene zur Verfügung. Wir begrüßen darum die Einführung einer Citytax, wobei mindestens die Hälfte dieser Einnahmen aus der Citytax in die Förderung der Freien Szene fließen soll.

CCB Magazin:Die Koalition der Freien Szene hat ihre politischen Ziele jetzt sogar gemeinsam mit der IHK Berlin formuliert. Warum?

Simone Willeit:Mit dem Zusammenschluss erhofft sich die „Koalition“ eine stärkere Anerkennung ihrer Ziele und eine größere Reichweite. Jan Eder, der Hauptgeschäftsführer der IHK Berlin, hat großes Interesse, die Freie Szene zu stärken, weil sich Kreative und Touristen gegenseitig in der Stadt anziehen und mitverantwortlich sind für die gute Entwicklung der Übernachtungszahlen in Berlin. Da ziehen wir gemeinsam an einem Strang.

CCB Magazin:Warum hat sich die Koalition der Freien Szene nicht auch mit ver.di zusammengetan?

Simone Willeit:Da gab es früher erste Gespräche, in puncto Honoraruntergrenze kamen die Vertreter des Tanzes und des Theaters mit ver.di bislang aber nicht ganz auf einen Nenner, auch weil in der jetzigen Förderlage eine bindende Untergrenze nicht festgesetzt werden kann. Aber in der Sache sind wir uns einig, nämlich dass es bei entsprechendem Förderetat eine Honoraruntergrenze geben muss.

CCB Magazin:Wo soll diese Untergrenze liegen?

Simone Willeit:Für den Bereich Tanz/Theater bei 2.000 Euro brutto monatlich für Freischaffende. Das ist bei einer Vollzeitproduktion, bei einer 40 bis 60 Stunden Woche, angelehnt an den NV Bühne, im Grunde nur der Einstiegstarif an den Theaterhäusern – plus AG-Kosten. Im Schnitt verdienen Freischaffende im Bereich Tanz-Theater heute 2,5 Euro pro Stunde, das ist eine Katastrophe. Auch die in Gastverträgen eingestellten Gagen an Häusern werden immer geringer. Das Argument ist darum: Die gleiche Qualität, die gleiche Professionalität, der gleiche Verdienst.

CCB Magazin:Auch Zusammenschlüsse wie „Stadt Neudenken“ oder „Haben und Brauchen“ hatten zuvor schon auf prekäre Existenzen unter Kulturschaffenden in Berlin aufmerksam gemacht. Was ist das Neue an der Koalition?

Simone Willeit:Initiativen wie „Stadt Neudenken“ oder „Haben und Brauchen“ haben viel geleistet. „Haben und Brauchen“ steht stark für den Bereich Bildende Kunst, „Stadt Neudenken“ kommt eher aus einer stadtsoziologischen Ecke, soweit ich das einschätzen kann. Die Koalition der Freien Szene will diese Aktivitäten weiter bündeln und zusammenführen: als eine Art Sammelpunkt an Wissen, Forderungen, Know-how, ein Zusammenschluss für die einzelnen Kunstgattungen und Sparten, der notwendig ist. 

Ich trenne Kunst und Kreativwirtschaft durch den gemeinnützigen und gesellschaftskritischen Anspruch, den die Kunst hat, den die Kreativwirtschaft aber nicht haben muss

CCB Magazin:Sie schlagen eine Brücke zwischen den verschiedensten Kunstsparten und der Kreativwirtschaft? Für viele passt das nicht zusammen. Wie vereinen Sie das?

Simone Willeit:Natürlich ist Kunst nicht gleich Kreativwirtschaft und umgekehrt. Ich trenne Kunst und Kreativwirtschaft durch den gemeinnützigen und gesellschaftskritischen Anspruch, den die Kunst hat, den die Kreativwirtschaft aber nicht haben muss. Im Gegensatz zur Kunst ist die Kreativwirtschaft immer am Markt orientiert. Letztendlich geht es um die Produktionsbedingungen und die Frage nach dem Raum, der der Freien Szene bleibt: finanziell, existenziell und ideell.

CCB Magazin:Ihre Koalition ist aber auch marktorientiert, es geht um Marktforderungen…

Simone Willeit:Das stimmt, aber es gibt ganz unterschiedliche Rahmenbedingungen und auch unterschiedliche Märkte, da können wir auch von einer Ökonomie der Aufmerksamkeit sprechen oder von mehr Freiräumen, die wir ebenso einfordern. Und der Anspruch auf mehr Freiräume, die speziell für die Künste wichtig sind, ist nicht mit einem klassisch-ökonomisch wirtschaftlichen Markt gleichzusetzen.

CCB Magazin:Sehen Sie das als Chance, die unterschiedlichsten Sparten und Branchen zusammenzuführen?

Simone Willeit:Es geht nicht um die Zusammenführung der verschiedenen Künste in ihrer künstlerischen Tätigkeit. Vielmehr geht es um das gemeinsame Darstellen der existentiellen Bedrohung aller Künste in ihren Produktionsbedingungen. Bisher konnte eine Sparte gegen die andere ausgespielt werden. Nun tauschen wir uns aus, stehen zusammen und erreichen damit eine größere Aufmerksamkeit.

CCB Magazin:Ist das auch mit der „Solidarität der Großen“ gemeint, wie es auf einem ihrer letzten Treffen hieß?

Simone Willeit:Die Solidarität der Großen meint, dass alle Akteure zusammengeführt werden und nicht gegeneinander arbeiten: Stadt- und Staatstheater, aber auch Museen und Bibliotheken, die als Strukturförderung existieren. Gemeint sind aber auch die Großen innerhalb der freischaffenden Szene, so zum Beispiel das Hebbel am Ufer. Es geht darum, dass man die großen Häuser und Institutionen überzeugen kann, dass wir eigentlich gemeinsam für die Kunst und Kultur in Berlin eintreten und es kein Spaltungsverhältnis gibt. In Zusammenarbeit mit dem Rat für die Künste wird es im Herbst diesbezüglich auch ein Treffen von Vertretern der Freien Szene mit dem Deutschen  Bühnenverein geben.

CCB Magazin:Da kommen wir auf den Kulturinfarkt zu sprechen. Die Autoren des gleichnamigen Buches fordern u.a. eine klare Umverteilung der Kulturausgaben von den staatlich geförderten Etablierten hin zu den Freischaffenden. Das müsste Ihnen doch eigentlich entgegenkommen.

Simone Willeit:Ich habe das Buch nicht gelesen.

CCB Magazin:Aber bei einem Treffen der Koalition der Freien Szene war das ein Thema.

Simone Willeit:Die Debatte um den Kulturinfarkt war nur am Rande ein Thema und man sieht auch, dass sie keine Substanz hatte.

CCB Magazin:Also reden wir indirekt über den Kulturinfarkt: Sollte man den etablierten und staatstragenden Kulturinstitutionen etwas wegnehmen, die vergleichsweise viel bekommen, oder gemeinsame Forderungen nach besseren Rahmenbedingungen für alle stellen?

Simone Willeit:Es geht hier nicht um Umverteilung. Es geht um gemeinsames Einstehen für Kunst in der Stadt. Und diese Diskussionsebene um den Kulturinfarkt schwächt die gesamte Kulturproduktion. Die Koalition der Freien Szene ist da schon einen Schritt weiter. Wir müssen uns den Hybriden unseres Berufes stellen: Sehen Sie, viele Tänzer arbeiten zeitweise auch an Stadt- und Staatstheatern, viele Angestellte aus den Ensembles sind temporär freischaffend tätig. Da ist wenig geholfen, wenn man sich gegenseitig die Gelder wegnimmt oder sich gegeneinander aufhetzen lässt. 

Es geht hier nicht um Umverteilung. Es geht um gemeinsames Einstehen für Kunst in der Stadt

CCB Magazin:Eine klare Trennung zwischen staatsorganisiert, staatsgefördert und völlig freischaffend trifft also gar nicht zu?

Simone Willeit:In vielerlei Hinsicht nicht. Es braucht einfach unterschiedliche Formate, es braucht unterschiedliche Größen, unterschiedliche Stoßrichtungen und Ästhetiken, ein allgemeines Innovationspotential, experimentell, wie auch immer. Es kann hier nicht das Eine gegen das Andere stehen.

CCB Magazin:Frau Willeit, vielen Dank für dieses Gespräch.

Rubrik: Wissen & Analyse

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