Nachhaltigkeit, New Work Zurück

Annika Niemann und Andrea Hense: Durch und durch

Annika Niemann und Andrea Hense: Durch und durch
Foto: © KING TMD / www.pixelio.de

Seit Jahren melden die Krankenkassen in Deutschland steigende Burnout-Zahlen. Was kann Kunst dem entgegensetzen? Die Ausstellung „A Burnt-Out Case?“ im Kreuzberger NGBK sucht nach Antworten: Wie können Künstler mit zunehmenden Arbeitsstress umgehen? Was muss sich in der Arbeitswelt ändern? Gibt es Alternativen? Fragen über Fragen. Rede und Antwort stand uns Annika Niemann und Andrea Hense vom NGBK-Kuratorinnen-Team.

 

Interview Jens Thomas

 

CCB Magazin:Frau Hense, Frau Niemann, sie organisieren die Ausstellung „A Burnt-Out Case?“.  Immer mehr Angestellte in Deutschland leiden unter Burnout. Viele sagen, es wird in diesem Land einfach zu viel gejammert. Stimmen sie zu? 

Andrea Hense & Annika Niemann: Nein, überhaupt nicht, man jammert ganz gewiss nicht zu viel. Viele sind mit den Arbeitsbedingungen einfach überfordert.

CCB Magazin: Was überfordert die Menschen?

Andrea Hense & Annika Niemann:Zum einen haben sich Arbeitsbedingungen verdichtet, die Produktionszyklen sind kürzer, die Anforderungen höher, Jobstabilität und Einkommenssicherheit haben sich verschlechtert, mangelnde Zuversicht und geringere Planbarkeit sind die Folgen. Zum anderen hat Stress aber immer auch etwas mit einem selbst zu tun, indem ich bestimmte Bewertungskriterien für mich selbst anlege. Es spielen also immer mehrere Faktoren eine Rolle: der gesellschaftliche Druck wächst, aber auch der individuelle Druck durch den Anspruch mich selbst im Erwerbsleben zu behaupten, der von außen an einen herangetragen wird.

CCB Magazin:Sie thematisieren Burnout in ihrer Ausstellung aus künstlerischer Perspektive. Auch andere Ausstellungen wie „Kraftwerk Kunst“ in Nürnberg haben sich zuvor mit dem Thema Kunst und Burnout beschäftigt, indem Objekte von Künstlern gezeigt wurden, die in der Vergangenheit am Burnout-Syndrom litten. Ihre Ausstellung bringt die Sicht des Künstlers auf das Thema Burnout zum Ausdruck. Was kann Kunst der Tendenz des Ausgebranntseins entgegensetzen?

Andrea Hense & Annika Niemann:Erst einmal wollen wir mit der Ausstellung keine einfachen Lösungsansätze bieten, sondern zum Diskurs anregen. Einfache Lösungen gibt es auch nicht, was den einen stresst, muss für den anderen keinen Stress bedeuten. Insgesamt wollen wir über Kunst aber einen Raum schaffen, der neue Perspektiven zulässt. 

Wir wollen mit der Ausstellung keine einfachen Lösungsansätze anbieten, denn einfache Lösungen gibt es nicht - was den einen stresst, muss für den anderen keinen Stress bedeuten

CCB Magazin:Die Positionen der Künstler in ihrer Ausstellung sind hochgradig unterschiedlich: Peter Behrbohm und Markus Bühl thematisieren eine „Grauzone zwischen Aufforderung zur Arbeit und Einladung zur Entspannung“. Cathleen Schuster und Marcel Dickhage fordern „Burnout akzeptieren“, indem sie einen Schuh abbilden, der nicht neu ist, dafür aber für Schnelligkeit steht. Sind das denn ernst gemeinte Lösungsansätze?

Andrea Hense & Annika Niemann:Es geht hier nicht um Lösungen, sondern darum, Burnout als Phänomen unter Künstlern zu thematisieren. Derzeit wird viel über prekäre Arbeitsbedingungen geredet, jedoch nicht über Konsequenzen wie Burnout. Unter Künstlern wird Burnout häufig noch als Schaffenskrise verbucht, dazu braucht es eine Debatte.

Thomas Mader, Gewächs/Haus, 2012, Multimedia-Installation.

CCB Magazin:Lange Zeit galten Lehrer oder Manager als von Burnout bedrohte Berufsgruppen. In den letzten Jahren sind immer weitere Berufsgruppen erfasst worden, auch zahlreiche Künstler und Kulturschaffende wie Ricky Martin, Mariah Carey, Eminem oder Jennifer Nitsch mussten ihre Karriere bereits aufgrund von Burnout unterbrechen oder gar vorzeitig beenden. Sind Künstler eine neue Risikogruppe?

Andrea Hense & Annika Niemann:Es ist sicher schwierig genau zu sagen, welche Berufsgruppe in welchem Maße wie betroffen ist, wenngleich es Gruppen gibt, die stärker Burnout-gefährdet sind, und es auch Gruppen gibt, die sich schneller zum Burnout bekennen. Für Künstler gilt dann sicher, dass sie zum einen in stärkerem Maße prekären Arbeitsbedingungen ausgesetzt sind, zum anderen aber einen gewissen Künstlerethos haben, mit dem es sich unter prekären Bedingungen auch ganz gut einrichten lässt. Unsicherheiten werden unter Künstlern in stärkerem Maße akzeptiert als in anderen Berufsgruppen, das nimmt in gewisser Weise den Druck. Zugleich nehmen wir in den letzten Jahren verstärkt wahr, dass Erschöpfungserscheinungen unter Künstlern zunehmen. 

Künstler müssen sich zunehmend aus eigenem Antrieb heraus ins Spiel bringen, um auf dem Markt gehört zu werden. Das überfordert viele

CCB Magazin:Was sind die Gründe dafür?

Andrea Hense & Annika Niemann:Gründe sind der gesellschaftliche Druck, der gerade im Selbstständigenbereich zunimmt und dazu führt, sich selbst disziplinieren zu müssen. Künstler müssen sich immer mehr aus eigenem Antrieb heraus ins Spiel bringen, um auf dem Markt gehört zu werden. Das überfordert viele.

CCB Magazin:Der Sozialwissenschaftler und Mentaltrainer Albert Decker erachtet „Kunst, Muße und Spiritualität“ als wichtige Faktoren in der Burnout-Prävention. Ist Kunst aufgrund des ökonomischen Drucks überhaupt noch imstande, dem gesellschaftlichen Druck Muße und Spiritualität entgegenzustellen?

Andrea Hense & Annika Niemann:Freie Kunst wird es bestimmt immer geben, auch unter dem ökonomischen Druck. Zugleich wird es immer schwieriger, sich dem Druck zu entziehen, das thematisieren wir auch in unserer Ausstellung. So fokussiert Sabrina Schiecke zum Beispiel den Moment, indem sie an die Wand sprüht: „Dasein, wenn Magie passiert“. Die Aufmerksamkeit ist gerichtet auf den Augenblick. Diese Momente muss man sich erschaffen, man muss sie zulassen.

CCB Magazin:An anderer Stelle wird der Streik unter Kunstschaffenden als Maßnahme erachtet. Glauben Sie, dass sich das in der Realität umsetzen ließe? 

Andrea Hense & Annika Niemann:Das mit dem Streik ist natürlich sehr provokant formuliert, wir wollen einfach neue Perspektiven eröffnen. Die Frage ist ja immer: Was würde wirklich passieren, wenn Künstler einfach nicht mehr mitmachten würden und ihre Arbeit niederlegten?

CCB Magazin:…die Gewerkschaften würden sich freuen, verkaufsfördernde Kunst machen die, die nicht streiken.

Andrea Hense & Annika Niemann:Vermutlich ist das so, aber zu dieser Diskussion wollen wir in der Ausstellung anregen. Eine Arbeit in der Ausstellung ist auch die Burnout-Box von Gesa Glück, die die Möglichkeit der Verweigerung schafft, um sich außerhalb der Gesellschaft zu positionieren, um sich Freiräume zu schaffen. 

CCB Magazin:Aber ist das sinnvoll, sich außerhalb der Gesellschaft zu verorten?

Andrea Hense & Annika Niemann:Für manche mag der Rückzug und das Schaffen eigener Räume eine Lösung sein. Doch kollektive und politische Veränderung stellt eine andere Möglichkeit dar. Die Videoarbeit von Ann Cvetkovich thematisiert zum Beispiel Gefühle, die immer politisch sind und lädt zur Politisierung von Gefühlszuständen ein. Kunst bietet viele Blickwinkel, wie man das Thema Burnout verhandeln kann, ohne jedoch konkret sagen zu wollen, wie es funktionieren muss.

Kaoru Hirano, “untitled -dress-“, 2007. Ausstellungsansicht NGBK, 2012. Foto: Karen Weinert.

CCB Magazin:Ihre Ausstellung thematisiert auch neue Burnout-Präventionsmaßnahmen wie Yoga, Sport oder Coachings. Mittlerweile gibt es sogar Artist-Coachings speziell für Künstler, so zum Beispiel vom Hamburger Unternehmen LifeB Consultin. Sehen sie das als Fortschritt oder als korrigierende Maßnahme im System, um leistungsfähig zu bleiben?

Andrea Hense & Annika Niemann:Einerseits bauen wir Stress ab, in dem wir solche Methoden wählen, andererseits wird die Verantwortung darüber wieder an den Einzelnen abgegeben, sich über solche Maßnahmen beruflich in Stellung zu bringen. Mittlerweile gibt es eine funktionierende Gesundheitsindustrie, die den Leistungsimperativ zum Verkaufsschlager macht. Zugleich muss man aber sagen, dass die Sensibilität gegenüber Burnout gestiegen ist, die Krankenkassen befassen sich seit den letzten Jahren verstärkt damit. Und doch wird es  schwierig bleiben, dass sich an der Arbeitswelt künftig Grundlegendes ändert.

CCB Magazin:Was müsste sich denn grundlegend ändern?

Andrea Hense & Annika Niemann:Arbeit muss angemessen bezahlt werden, und wir müssen über den Leistungsimperativ in unserer Gesellschaft nachdenken. Dazu müssen wir schon in den Schulen ansetzen. Was die Entlohnung betrifft finden wir die Idee der Grundsicherung attraktiv, gerade im Zuge zunehmender Freiberuflichkeit. Insgesamt müssen wir lernen, uns den Ausbeutungsverhältnissen zu entziehen.

Wir müssen lernen, Nein zu sagen

CCB Magazin:Wir müssen lernen, Nein zu sagen?

Andrea Hense & Annika Niemann:Ja, und das hätte vermutlich auch einen Künstlerstreik zur Folge, man muss sich immer fragen: Was sind meine Eigenanteile, wo mache ich mit und folge dem Leistungsimperativ? Was kann ich anders machen?

CCB Magazin:Sie haben im Vorfeld der Ausstellung die Frage aufgeworfen, ob wir im Jahr 2062 Burnout als Krankheit noch kennen und ob man sich an die „erschöpfte Gesellschaft von 2012“ noch erinnern kann. Wie lautet Ihre Prognose?

Andrea Hense & Annika Niemann:Vermutlich können wir uns irgendwann nicht mehr an die erschöpfte Gesellschaft von 2012 erinnern, die Probleme werden nicht gelöst sein, die Fragen werden nur unter neuen Arbeitsbedingungen anders gestellt. Wenn man künftig über wirkliche Alternativen nachdenken will, muss man unseres Wirtschafts- und Gesellschaftssystem komplett in Frage stellen. Das halte ich für utopisch. Aber Utopien sind immer auch machbare Möglichkeiten. Und das ist doch das Schöne.
 


A Burnt-Out Case? Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) e.V. Ausstellung bis 14.10.2012, Öffnungszeiten Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) e.V.: Mo - Mi: 12 - 19 Uhr, Do – Sa 12 - 20 Uhr .

 

Rubrik: Wissen & Analyse

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