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„Man braucht die Stadt nicht notwendigerweise, um kreativ zu sein“

„Man braucht die Stadt nicht notwendigerweise, um kreativ zu sein“
Foto: © 39Null/Alexander Gehring

5 Freunde und ein Magazin: Die Redaktion von 39Null. v.l. Lukas Marsoner, Barbara Weithaler, Martina Wunderer, Julia Egger, Martin Santner

Reden wir über Kreativität, reden wir über Städte. Reden wir über Städte, sind wir schnell bei Berlin. Aber lasst uns heute aber mal über Südtirol sprechen. Denn 39Null ist ein neues Magazin von Neu-Berlinern aus Südtirol, die den Schwerpunkt auf den Südtiroler Raum legen. Ihre erste Ausgabe handelt von „Landflucht der Kreativen“, die zweite von „Fremdheit“. Warum und mit welchen Zielen verlässt man Südtirol und geht nach Berlin? Warum gründet man ein eigenes Magazin und lässt die Ausgaben über Crowdfunding finanzieren? Creative City Berlin sprach mit zwei der Machern von 39Null, mit Lukas Marsoner und Martin Santner. 

Interview Jens Thomas 
 

CCB Magazin: Hallo Lukas, hallo Martin. Ihr habt ein neues Magazin namens 39Null gegründet, das von Südtirolern in Berlin gestaltet wird und den Schwerpunkt auf Südtirol legt. Eure erste Ausgabe hatte den Titel „Kommen, bleiben, gehen: Landflucht der Kreativen?“ Wer kommt, bleibt und geht aus Südtirol?

Lukas: Es gehen vor allem die, die neue Herausforderungen und Perspektiven suchen und denen der ländliche Raum zu eng ist. So erging es ja auch uns, darum sind auch wir weggezogen. Vielleicht kann man das, an uns einmal exemplifizieren: Das Kleinteilige und Ländliche engt schnell ein, die soziale Kontrolle ist hoch, das kann auch belastend sein. Wir wollten uns das aber mal aus einer anderen Perspektive anschauen: Ist es wirklich so, dass es in Südtirol kaum Kulturelles und Kreatives gibt und man weggehen muss? Bei unserer Recherche haben wir schnell gemerkt, wie radikal und eng unser Blick war. Anfänglich wollten wir die Finger in die Wunde legen und zeigen, welches "kreative" Potenzial in der Region noch fehlt. Dann haben wir gemerkt, dass es durchaus Kreatives gibt, wenn man nur die Nischen sucht.

CCB Magazin: Welche Nischen?

Martin: Zunächst einmal gibt es in Südtirol durchaus Kunst und Kultur, so belebt zum Beispiel die Schriftstellerin und Dramaturgin Selma Mahlknecht mit ihren Theaterstücken die lokalen Volksbühnen, um einmal ein Beispiel zu nennen. Sie ist auch Autorin unserer ersten Ausgabe und hatte Südtirol verlassen, dann ist sie zurückgekehrt. Zudem gibt es aber auch – und das vor allem im ländlichen Raum – Kultur und kreatives Potenzial, das man so erst mal gar nicht vermutet. So erzählt beispielsweise eine Frau in unserem Heft über ihr Projekt, nämlich einen alten Bauernhof so umzugestalten, dass er seinen eigentlichen Zweck verliert und ihm eine neue Funktion zugeteilt wird. Er wurde zu einem Ort der Kreativität, an dem sich Menschen zusammenfinden können, sich austauschen, Abstand von der an Kreativität übersatten Stadt zu bekommen. Für diesen Traum hatte die ehemalige Erzieherin ihren alten Beruf aufgegeben und ihr Leben völlig umgekrempelt. Ist das "kreativ"? In der klassischen Vorstellung von kreativer Produktion und Wertschöpfungskette vielleicht nicht. Für mich ist diese Frau deshalb kreativ, weil sie mutig war, eine Idee hatte, von der vielleicht anfänglich nicht alle überzeugt waren, und sie dennoch umsetzte. Dafür ist sie ein Risiko eingegangen und hat ihr altes Leben dafür aufgegeben, ihre Heimat verlassen, um in einem anderen Land, in einem anderen Kontext, neu anzufangen. Es war nicht der Marktgedanken, der sie antrieb, sondern die Idee, etwas in ihrem Leben zu verändern, indem sie selbst etwas völlig Neues schuf. Nun können wiederum andere Menschen an ihrem Projekt teilnehmen, die sie auf ihrem Bauernhof besuchen, um dort kreativ zu arbeiten.

Vielleicht ist es schon ein Fehler, Kreativität definieren zu wollen. Es sollte kein geschlossener Begriff sein, Kreativität ist einfach alles, das im eigenschöpferischen Bereich geschieht

CCB Magazin: Haben wir dann vielleicht eine zu klare Vorstellung von Kreativität? Der Kreativitätsbegriff ist in der Forschung in etwa ein halbes Jahrhundert alt, er rekurriert auf Reproduktion und ist somit eine Chiffre für ökonomische Verwertung. Brauchen wir einen anderen Blick auf die Dinge?

Martin: Vermutlich ja, denn wenn wir über Kreativität reden, haben wir meist eine Vorstellung von kreativer Produktion im städtisch urbanen Raum. Wir sollten Kreativität aber weder rein ökonomisch, noch nur städtisch urban betrachten. Kreativität ist eine Ressource, die vermutlich jeder hat. Der Soziologe Ulrich Bröckling hat das einmal schön formuliert: "Kreativ ist man von Geburt an, und wird doch sein Leben lang nicht damit fertig, es zu werden".

Lukas: Vielleicht ist es schon ein Fehler, Kreativität definieren zu wollen. Kreativität sollte kein geschlossener Begriff sein, Kreativität ist einfach alles, das im eigenschöpferischen Bereich geschieht, sowohl beruflich als auch nicht-beruflich. Darum haben wir in unserer Ausgabe auch bewusst Personen zu Wort kommen lassen, die sowohl einen beruflichen als auch privaten Hintergrund haben. 

CCB Magazin: Ihr thematisiert in eurer ersten Ausgabe den ländlichen Raum. An den Diskurs um Kreativität ist auch die Debatte um Verdrängung geknüpft, Stichwort Verteuerung von Wohnraum, wenn sich Kreative in Stadteilen ansiedeln und Zentren durch ihren Zuzug eine Aufwertung erfahren. Inwiefern müssen wir den ländlichen Raum (wieder) entdecken, um ein neues Gleichgewicht zwischen dem Ländlichen und Urbanen zu finden?

Martin: Das ist eine interessante Frage, der wir auch in unserer ersten Ausgabe nachgehen. Das Leben in bestimmten Stadtteilen verteuert sich deshalb, weil Kreative eine gewisse Anziehungskraft auf Menschen ausstrahlen, die nicht im Kreativbereich arbeiten. Es vollzieht sich der klassische Aufwertungsprozess: Zuerst kommen die Kreativen in preisgünstige Stadtteile, bis sie am Ende ihre eigenen Mieten nicht mehr bezahlen können. So schreibt die Wiener Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Mayerhofer in unserer ersten Ausgabe: „Haltet die Kreativen auf dem Land!“. Zugleich appelliert sie an die Politik, das kreative Potenzial ländlicher Regionen ernst zu nehmen und zu nutzen. Ihrer Meinung nach müssten Strukturen so vorbereitet werden, dass der ländliche Raum interessant bleibt oder erst interessant wird. Das zielt dann aber weniger auf tourismusrelevante Kulturinstitutionen ab, vielmehr auf Ausbildungsstätten und produktionsorientierte Räume. Es geht letztendlich um die Schaffung und Erhaltung von Freiräumen.

Lukas:Geht es aber um Kulturproduktion und um einen kreativen Markt, sind die Möglichkeiten auf dem Land natürlich beschränkter. Will man beispielsweise Kunst in der Galerie oder anderswo verkaufen, braucht man Kundschaft und die hat man in der Regel nicht auf dem Land. Zugleich lassen sich in ländlichen Regionen aber viel kleinere Produktionszyklen nutzen; man ist mehr oder minder zwangsweise vernetzt, man lebt nicht einfach nebeneinander her: der Raum ist enger, das Soziale überschaubarer, auch das Ehrenamt hat eine ganz andere Bedeutung, sie ist nahezu selbstverständlich. In Punkto Nachhaltigkeit sind die ländlichen Regionen sogar teils vorbildlicher, wenn sich beispielsweise Energiegenossenschaften aus kleinteiligen Sozialgefügen bilden. Man braucht die Stadt nicht notwendigerweise, um kreativ zu sein. Man braucht den Austausch und die Aufbauarbeit.

CCB Magazin: Ländlicher Raum ist aber nicht gleich ländlicher Raum. In Regionen Ostdeutschlands könnten sich Kreative durchaus ansiedeln, weil der Wohnraum dort vergleichsweise preiswert ist. In Südtirol ist die Situation eine andere, Südtirol ist teuer.

Martin: Das ist richtig. Doch Südtirol ist nicht vergleichbar mit Regionen Ostdeutschlands, denn hier handelt es sich nicht um einen abgeschiedenen ländlichen Raum mit schwacher Infrastruktur. Südtirol ist seit 40 Jahren eine beliebte Tourismusregion, wovon das Land wirtschaftlich stark profitierte. Prozesse der Aufwertung und Verteuerung können in Südtirol gar nicht einsetzen, weil hier alles schon dermaßen überteuert ist. Hier wäre eher die Frage: Wie kann die Stadt den Raum so gestalten, damit Künstler und Kreative ihn sich überhaupt leisten können? Und das hieße, es müsste kostengünstiger Wohn- und Lebensraum geschaffen werden. Aktuell ist es aber eher so, dass viele junge Leute aus Südtirol wegziehen, weil sie ein anderes, billigeres Leben führen wollen.

Redaktionsarbeit bei 39Null: Kaffee, Löffel, Schokolade und ein paar klare Köpfe.

CCB Magazin: Auch ihr seid vor einiger Zeit gegangen. Heute seid ihr Magazin-Gestalter aus Berlin mit Südtiroler Migrationshintergrund. Was macht Berlin für euch als Standort aus?

Martin:Berlin als Großstadt bietet einfach mehr Raum für Ideen, mehr Möglichkeiten, diese umzusetzen. Die Stadt ist in Bewegung und, anders als in London oder New York, ist das Leben (noch) relativ erschwinglich. Man kann sich ausprobieren, lernt immer wieder neue Leute aus der ganzen Welt kennen, die aus ähnlichen Gründen nach Berlin gekommen sind, mit denen man sich austauschen kann und wodurch sich wieder tolle kreative Synergien ergeben. Aber Berlin hat sich stark verändert in den letzten Jahren, man merkt, wie viele Kreative es hier versuchen möchten.

CCB Magazin: Auch der Zeitungs- und Pressemarkt ist mittlerweile heißumkämpft und hat große Wandlungsprozesse in den letzten Jahren durchlaufen, vor allem der Printmarkt verliert weiter an Auflage. Eure ersten beiden Ausgaben habt ihr über das Crowdfunding finanziert. Warum das Crowdfunding?

Lukas: Das Crowdfunding war für uns ein guter Weg, um unsere Idee einmal zu testen: Will ein solches Heft überhaupt jemand lesen? Wer sind unsere potenziellen Abnehmer? Dazu haben wir uns zunächst drei Plattformen angeschaut – Startnext, Inkubato und Krautreporter. Zum Schluss haben wir uns dann für Krautreporter entschieden, weil sich die Plattform speziell an journalistische Projekte richtet und die Anzahl der Projekte überschaubar ist - so geht man nicht in der Masse unter. Zu Beginn hatten wir 1.500 Euro veranschlagt, dann rund 3.600 Euro eingenommen. Die 1.500 Euro hatten wir bereits nach drei Tagen. Wir waren das am höchsten und schnellsten überfinanzierte Projekt auf Krautreporter.

CCB Magazin: Wer hat euch unterstützt und wie würdet ihr die Möglichkeiten des Fundings im Nachhinein bewerten?

Lukas: Zunächst gab es kaum Fundings von unseren Freunden und Bekannten, was uns verwundert hat. Viele der Supporter kamen natürlich aus Südtirol. Viele kannten wir aber gar nicht und einige haben auch hohe Summen eingezahlt - viele haben auch ohne Namen mitfinanziert. Im Nachhinein bewerten wir das Crowdfunding als durchweg positiv, denn es ist nicht nur Werbung für das eigene Projekt, es ist ja auch Werbung für die jeweiligen Supporter, weil sie sich mit einem Produkt wie unserem in Verbindung bringen können.

Warum begegnen uns Dinge im Leben als fremd, und brauchen wir das? Ist es vielleicht nicht etwas zutiefst Menschliches, Dinge als fremd oder befremdlich zu empfinden?

CCB Magazin: Welche Kosten konntet ihr über das Crowdfunding abdecken?

Lukas: Das Crowdfunding war für uns im Grunde eine Anschubs- oder Teilfinanzierung. Damit konnten wir unsere Druckkosten decken, mehr nicht. Insgesamt haben wir unsere Ausgaben über Crowdfunding und über Anzeigen finanziert. Dadurch konnten wir 1.000 Exemplare in sehr guter Qualität produzieren. Wir können uns davon aber weder eigene Löhne auszahlen noch unsere Autoren bezahlen. Wenn alles gut läuft, kommen wir bei Null raus.

CCB Magazin: Aber kann das ein langfristiges Ziel sein, mit 39Null immer bei Null rauszukommen?

Lukas: Nein, das kann kein Ziel sein. Darum eignet sich das Crowdfunding auch eher in der Anfangsphase, um zu wissen, wie das Produkt funktioniert. Wenn wir das Crowdfunding irgendwann aus finanziellen Gründen nicht mehr bräuchten, hätten wir es vermutlich geschafft. 

CCB Magazin: Würde sich dann ein Crowdinvesting im Anschluss anbieten?

Lukas: Das wäre zumindest eine Option. Es gäbe sicher auch in Südtirol Menschen mit genügend Kapital, die investieren könnten. So weit sind wir aber noch nicht. Das Crowdinvesting bietet sich für uns erst an, wenn man als Projekt oder Unternehmen gefestigt ist, wir sind noch in der Findungsphase und wollen unsere Marke entwickeln.

CCB Magazin: Auch eure neueste Ausgabe habt ihr über das Crowdfunding auf Krautreporter finanziert. Ihr habt auch diesmal über 3.000 Euro eingenommen. Die Ausgabe handelt vom „Fremden“. Was hat es damit auf sich?

Martin: Wir haben uns diesmal gefragt: Warum begegnen uns Dinge im Leben als fremd, und brauchen wir das? Ist es vielleicht nicht etwas zutiefst Menschliches, Dinge als fremd oder befremdlich zu empfinden? Schließlich sucht der Mensch permanent nach Grenzen und Unterschieden, auch um sich zu definieren und um Komplexität zu reduzieren. Zum einen verstehen wir uns heute aber als Demokraten zum anderen erleben wir einen Rechtsruck in vielen europäischen Ländern und eine Abschottung gegenüber Flüchtlingen. Wie passt das zusammen? Dazu haben wir 30 Beiträge aus den unterschiedlichsten Bereichen zusammengetragen: Literatur, Kunst, Soziologie, Anthropologie, Linguistik u.v.m.  Dabei ging es uns in erster Linie nicht darum, Antworten auf all diese großen Fragen zu geben, sondern vielmehr Denkanstöße zu formulieren, nachzudenken und zu diskutieren. Denn erst wenn unsere Leser im Anschluss Anregungen haben und die Auseinandersetzung suchen, haben wir unser Ziel erreicht.

CCB Magazin: Lukas, Martin, vielen Dank für dieses Gespräch.                    

Rubrik: Specials

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