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Was wollen wir?

Was wollen wir?
Foto: © Stefanie Martini

Bankenkrise? Es gibt ja auch noch Stühle, einfach mal in der Mitte Platz nehmen (Thomas Martini, erster von links, erster von rechts).

Thomas Martini hat keinen Fernseher, kein Handy, aber er hat ein Buch geschrieben: „Der Clown ohne Ort“, so der Titel seines ersten Romans über eine heutige Generation, die vieles will, aber weniges schafft. Er sagt: „Wir befinden uns in einer Art mentalen Ortlosigkeit, der dauernden Krisenhaftigkeit. Wir leben zwar im Zeitalter voller Alternativen, zum Kapitalismus aber meinen wir keine zu haben“. 
 

Interview Jens Thomas

 

CCB Magazin: Thomas Martini, du hast kein Fernseher und kein Handy, würdest du sagen, dass du noch von dieser Welt bist?

Thomas Martini: Ja, ich bin von dieser Welt, ganz gewiss. Einen Fernseher brauche ich nicht und das Handy habe ich erst vor einem knappen Jahr abgeschafft. Ich war Ende der 90er einer der ersten in meinem Freundeskreis, der ein Handy besaß. Ich wollte einfach mal sehen, wie das so ist ohne Handy.

CCB Magazin: Und, wie ist es?

Thomas Martini: Befreiend. Ich brauche es scheinbar nicht.

CCB Magazin: Du hast gerade deinen ersten Roman geschrieben: "Der Clown ohne Ort". Darin beschreibst du eine ortlose Generation am Beispiel deines Protagonisten Naïn, der als Regie- und Produktionsassistent in Berlin arbeitet und üblicherweise erst am späten Nachmittag aufwacht. Sind wir ortlos, weil wir dauerhaft mobil sind?

Thomas Martini: Das mag zwar ein Grund sein, aber mir ging es in meinem Roman eher um eine Form der mentalen Ortlosigkeit, der dauernden Krisenhaftigkeit, in der wir uns befinden. Die Krise dominiert unser ganzes Leben, seit mindestens 20 Jahren nimmt sie kein Ende. Und gerade dazu gäbe es keine Alternative, wird uns erzählt. Wir wissen nicht, wohin mit uns. Das vielleicht meine ich mit „ortlos“. 

Es gibt keine wirkliche Alternative zum Kapitalismus, das alles sind Stürme im Wasserglas

CCB Magazin: Woran liegt das deiner Meinung nach?

Thomas Martini: Wenn Du nicht weißt, wo Du stehst, weißt du auch nicht wohin Du willst, es fehlen Bezugspunkte und damit Alternativen.

CCB Magazin: Aber es gibt doch Alternativen. Neben der Krise reden wir dauerhaft von Revolutionierungen durch Digitalisierung, neuer Mitbestimmung, sogar der Wutbürger durfte im letzten Jahr mal durchs Land.

Thomas Martini: Ja, aber es gibt keine wirkliche Alternative zum Kapitalismus, das alles sind Stürme im Wasserglas. Selbst die Piraten haben ihre Parameter jüngst wieder in den Sand gesetzt, weil sie in der jetzigen Form nicht entscheidungsfähig sind.

CCB Magazin: Wladimir Kaminer hat einmal gesagt, die Bürger seien reif für diese Zeit, nicht die Politik.

Thomas Martini: Da ist was dran, ja, auch mir scheint die demokratische Politik derzeit überfordert zu sein. Aber auch wir 'Jungen' schaffen es nicht, uns zusammenzuschließen. Wir wissen nicht wohin mit all unseren Ideen. Durch unsere dauerhafte Informiertheit wissen wir anscheinend immer alles ganz genau, zu genau vielleicht, woher sonst kommt diese Apathie? Auf Altgriechisch bedeutet Krise ja so etwas wie „die Meinung, Beurteilung, Entscheidung, Zuspitzung“. Unser Dilemma ist, dass wir uns nicht entscheiden können. Entscheiden bedeutet immer auch Dinge zu ignorieren, außen vor zu lassen, wozu wir offensichtlich nicht fähig sind. Überinformation führt zu Entscheidungsschwäche führt zur Dauerkrise.  

Die Krise dominiert unser ganzes Leben, seit mindestens 20 Jahren nimmt sie kein Ende

CCB Magazin: Das klingt so, als bräuchten wir wieder Schranken oder zumindest Strukturen, um uns orientieren zu können.

Thomas Martini: Strukturen ja, Schranken nein, wir müssen uns einfach bewusst werden, was wir wollen. Ich bin nun wirklich kein Fan von Führungsforderungen, das macht mir sogar Angst. Realistisch betrachtet braucht es aber ein Mindestmaß an Struktur, um Dinge auch entscheiden zu können.

CCB Magazin: Wie viel Eigenerfahrung steckt in deiner Geschichte, die du beschreibst?

Ich bin schon sehr leidensfähig (lacht), sonst hätte ich es gar nicht geschafft, ein solches Buch zu schreiben. Ich habe ja über sieben Jahre daran gearbeitet, da bringe ich natürlich Persönliches in meine Geschichte mit ein. Die Geschichte der ‚Ortlosigkeit‘ ist auch mein Erfahrungsraum.

CCB Magazin: Du schreibst über den Clown, der Clown ist derzeit hochaktuell. Erst kürzlich bezeichnete Kanzlerkandidat Peer Steinbrück die italienische Regierung als Clowns und löste damit eine übernationale Debatte aus. Welche Funktion hat der Clown in deinem Roman?

Thomas Martini: Ich sehe uns im Grunde alle als Clowns: Zum einen haben wir dieses wunderbar aufgemalte Lächeln des Lebens im Kokon der überlegenen Gesellschaft, zum anderen geht so vieles schief, da ist diese philosophische Leere. Ein Clown ist nach außen hin lustig, kann aber gleichzeitig tieftraurig sein. Er kann uns zum Lachen und zum Weinen bringen, uns aber auch das Fürchten lehren.

Thomas Martini liest aus "Der Clown ohne Ort", © Thomas Martini.

CCB Magazin: Die Medienlandschaft ist derzeit durchsetzt von humoristischen TV-Formaten. Der Sozialwissenschaftler Marcus Hoinle hat einmal gesagt, gelacht wird immer dann am meisten, wenn die "vertraute Welt in Unordnung geraten ist und keine andere Reaktion mehr möglich scheint". Lachen wir so viel, weil wir im Grunde einen Konflikt in der Krise überspielen?

Thomas Martini: Genau! Es ist ein äußer- und innerlicher Konflikt. Der Clown ist immer auch eine tragische Figur, selbst wenn er lacht. Das erst macht ihn ja lustig. Er macht gute Miene zum bösen Spiel, egal wie es ihm geht. Das machen wir auch. 

CCB Magazin: Die Figur in deinem Roman heißt Naïn. Er arbeitet im Bundestag. Er dreht durch.

Thomas Martini: Ja, Naïn ist Mitte Zwanzig, macht ein Praktikum im Bundestag und hat sogar die Chance, während seines Studiums ins Europaparlament zu wechseln. Aber er ist all den Widersprüchen der heutigen Zeit ausgesetzt: Er sieht seine schizoide Generation, die auf Bio macht, dann aber mal kurz für ein Wochenende nach Paris oder London fliegt. Auch deshalb wirft er alles hin, arbeitet praktisch umsonst am Theater und gründet später mit Freunden eine politische Organisation. Sie wollen die Welt retten, weil sie meinen das zu müssen, scheitern aber an ihren Widersprüchen. Es ist der Widerstand einer Generation ohne Utopie.

Der Clown macht immer gute Miene zum bösen Spiel, egal wie es ihm geht. Das machen wir auch

CCB Magazin: Naïn ist der einzige in deinem Buch, der sich wundert.

Thomas Martini: Ja, fast. Die Frage, die mich beschäftigte, war: Gilt man als verrückt, wenn man als einziger sich wundert? Naïn setzt sich mehr mit den Dingen auseinander als andere, leidet darum aber auch mehr - er kommt dem Wahnsinn nahe, weil er im Grunde gesund ist. Um diese „Klarsicht“ zu betäuben, nimmt er haufenweise Drogen. Hier sehe ich auch eine Parallele zum derzeitigen Finanzmarkt: Es feiert sich ja am besten vor dem Fall. Kürzlich erst hat der vor ein paar Jahren mit Steuergeldern gerettete Hypothekenfinanzierer Fannie Mae den größten Gewinn seiner Geschichte eingefahren. Diesen Irrsinn nehmen wir inzwischen mit einem Schulterzucken hin.

CCB Magazin: Es mehren sich aber doch Debatten um eine Eindämmung von Steuerflucht oder die Regulierung der Banken. Siehst du keinen Ausweg aus dieser Situation? Du lässt das Ende in deinem Buch ja bewusst offen.

Thomas Martini: Derzeit sehe ich nicht, wohin das alles steuert. Nur, dass die Krise wesentlich tiefgreifender ist, als wir meinen. Es geht ja eigentlich nicht um Bankenregulierung und eine gerechte Verteilung von Löhnen und Gehältern, oder dass wir den achsofaulen Süden durchfüttern. Das alles bleibt Oberfläche, vor allem Letzteres ist ja nichts als ein interessengeleitetes Scheingefecht. Es geht hier um grundlegendes Vertrauen. Wie immer in großen Krisen. Du hast Dich vorhin gewundert, dass ich kein Handy habe. Alles, was wir heute machen, ist ökonomisch, nicht menschlich ausgerichtet. Selbst für soziale Beziehungen meinen wir technische, letztendlich ökonomische Hilfsmittel zu brauchen. Auch deshalb stellt Naïn ganz einfache Fragen, wie: „Wozu das Ganze?“ und „Was tun?“

CCB Magazin: Thomas, vielen Dank für dieses Gespräch.


Portfolio von Thomas Martini auf Creative City Berlin

Rubrik: Specials

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