Nachhaltigkeit, Crowdfunding, Räume Zurück

Mit Kleinem groß werden

Mit Kleinem groß werden
Foto: © Morethanshelters

Morethanshelters entwickelt Architektur- und Designkonzepte für humanitäre Zwecke. Ihr aktuelles Projekt DOMO ist ein mobiles Raumsystem für Flüchtlinge in Krisenregionen und soll nun erstmals als Notunterkunft in Jordanien zum Einsatz kommen. DOMO wird über Crowdfunding finanziert. Wir sprachen mit Initiator und Gründer von Morethanshelters, Daniel Kerber, über humanitäre Selbsthilfe und Grenzen zunehmender Eigenverantwortung. 
 

Interview Jens Thomas  



CCB Magazin: Herr Kerber, Sie waren gerade in Jordanien und sind nun wieder zurückgekehrt. Was sind ihre Eindrücke?

Daniel Kerber:Ich bin immer noch überwältigt von den Bildern aus dem Flüchtlingslager Za’atari. Nur 15 Kilometer von der syrischen Grenze entfernt kämpften die Menschen und die Hilfsorganisationen unter dramatischen Umständen mit den Auswirkungen einer der größten Katastrophen unserer Zeit. Seit Beginn des syrischen Bürgerkrieges 2011 sind bereits mehr als 2,5 Millionen Menschen vor der Gewalt aus dem Land geflohen. Über 500.000 von ihnen retteten sich in den Nachbarstaat Jordanien. Dort entstand mitten in der Wüste, in Zata’ari, eines der weltweit größten Flüchtlingslager für mehr als 120.000 Menschen. Dort herrscht viel Trauer, Wut und Hilflosigkeit unter den Flüchtlingen. Sie fühlen sich im Stich gelassen. 

CCB Magazin:Wie helfen sich die Betroffenen vor Ort?

Daniel Kerber: Ich durfte im Flüchtlingslager hautnah erleben, wie Menschen in der größten Not bei alledem nicht aufgeben, wie sie anpacken, Gemeinschaft entwickeln, improvisieren, arbeiten und zusammenhalten. Mehr als 100.000 Menschen in Zelten und Hütten in der Wüste, die versuchen, aktiv etwas für ihre Zukunft zu tun. Es gibt Behelfsschulen, kleine zusammengezimmerte Läden, Gemeinderäte und Gemeinschaftsküchen. Die Bewohner verbessern mit kleinsten Mitteln ihre Notunterkünfte, Zelte und Container, damit sie den Sandstürmen und der Kälte jetzt im Winter etwas besser standhalten. Die internationalen Hilfsorganisationen sind Tag und Nacht vor Ort und versuchen die Situation zu verbessern.

CCB Magazin:Sie entwickeln mit ihrem Sozialunternehmen Architektur- und Designkonzepte ausschließlich für humanitäre Zwecke. Ihr aktuelles Projekt DOMO ist ein mobiles Raumsystem für Flüchtlinge in Krisenregionen weltweit, das nun erstmals in Jordanien als Notunterkunft zum Einsatz kommt. Welche konkrete Hilfe bietet DOMO?

Daniel Kerber:DOMO sind Zelte zur Unterkunft, die wie eine Art flexibler Baukasten funktionieren. Es ist in der Basisvariante leicht zu transportieren und so einfach aufzubauen wie ein Zelt. So kann die tragende Struktur nicht nur Stoffe halten, sondern auch problemlos über lange Zeiträume schwere Lasten tragen; sie bildet die Basis für immer neue und bessere Unterkünfte für ein individuell und soziokulturell anpassbares Zuhause. Die Materialauswahl ist zudem an verschiedene klimatische, geografische und kulturelle Kontexte angepasst. DOMO überlebt Wind und Wetter. Es kann immer wieder an Familiengrößen und unterschiedliche Raumgrößen angepasst werden. Auch die Anpassung an Lagerhallen oder Versammlungsstätten ist möglich. 

Crowdfunding für humanitäre Zwecke ist noch ein neues und unentdecktes Feld

CCB Magazin:Das heißt, DOMO passt sich an die Bedingungen und die Bedürfnisse des Menschen an?

Daniel Kerber:Genau, denn wir haben gemerkt, dass die herkömmlichen, in Massenfertigung produzierten Unterkünfte für Flüchtlinge kaum Flexibilität zulassen, um auf die Gegebenheiten vor Ort zu reagieren. Viele geraten durch standardisierte Versorgungseinrichtungen sogar in Konflikt, wenn beispielsweise Massentoiletten oder Sammelduschräume errichtet werden. Solche Einrichtungen wurden sogar wieder von den Flüchtlingen abgerissen. Gerade im arabischen Raum ist der Bereich Hygiene ein sehr persönlicher. Aus solchen Gründen wollen wir gemeinsam mit den Betroffenen Veränderungen ihrer Lebenssituation durch einen Gestaltungsprozess schaffen.

CCB Magazin:Sie finanzieren das Projekt DOMO über Crowdfunding. Sie haben 50.000 Euro als Zielsumme veranschlagt. Auch andere Sozialprojekte wie KhadiBag konnten in der Vergangenheit über Crowdfunding Summen für die Entwicklungszusammenarbeit sammeln. Welche Rolle kann Crowdfunding im Prozess der humanitären Soforthilfe spielen?

Daniel Kerber:Crowdfunding für humanitäre Zwecke ist noch ein unentdecktes Feld. Aber es entwickelt sich. Und man kann darüber die Community erreichen. Wir merken das auch in unserer Arbeit. Immer mehr Menschen können über Crowdfunding mobilisiert werden, auch für soziale und humanitäre Zwecke. Im Grunde gibt es zwei Effekte: Auf der einen Seite sammelt man Geld ein. Auf der anderen Seite ergeben sich Kontakte und das Netzwerk wächst, zugleich bringt man das Thema in die Öffentlichkeit und schafft so ein Bewusstsein für die gegenwärtig größte humanitäre Katastrophe.

CCB Magazin:Die Flüchtlingsthematik ist derzeit kaum ein Thema im Bereich der Kreativwirtschaft. Sehen Sie Projekte wie ihres als Chance, um für diesen Bereich zu sensibilisieren?

Daniel Kerber:Das ist ja unser Ziel. Ich würde unseren Einfluss aber nicht nur auf die kreativen Branchen begrenzen. Es geht uns generell um eine breite Öffentlichkeit. Und Crowdfunding ist dazu eine Chance, da sich Menschen an einem Projekt beteiligen und sogar mit ihrem Namen dafür einstehen. Das ist auch bei unserer Kampagne so: Der weitaus größte Teil der Unterstützer nennt bislang seinen realen Namen und gibt Geld. Nur ein kleiner Teil will anonym bleiben.

CCB Magazin:Wer sind die Unterstützer? Sind das überwiegend Personen aus Deutschland oder von vor Ort aus Jordanien?

Daniel Kerber:Die meisten Unterstützer kommen tatsächlich aus Deutschland. Das liegt daran, dass unsere Kampagne auf der deutschen Plattform Startnext stattfindet. Crowdfunding ist in der arabischen Welt noch recht unbekannt, wenngleich die Leute dort mittlerweile genauso netzaffin sind wie hier. Das wird sich alles noch entwickeln.

Foto © morethanshelters.

CCB Magazin:Beim Crowdfunding kommen die Supporter häufig aus dem eigenen Umfeld. Ist das nun gut, dass ihre Supporter überwiegend aus Deutschland stammen? Oder versagt die Unterstützung vor Ort? 

Daniel Kerber:Ganz klar ersteres. Menschen aus einem reichen Land helfen Betroffenen aus einer Krisenregion, das ist etwas Gutes. Auch die Unterstützung vor Ort ist immens. Eines ist sicher: dieses Lager wird lange bestehen bleiben, wie die meisten Flüchtlingslager unserer Zeit. Aus Not- und Soforthilfe wird immer öfter ein dauerhafter Zustand. Durchschnittlich mittlerweile für 17 Jahre. Was wir brauchen, ist unbürokratische Starthilfe.

CCB Magazin:Aber übernehmen Sie mit ihrer Arbeit nicht Aufgaben, die per se im Bereich des Staates liegen oder liegen sollten?

Daniel Kerber:Das ist eine schwierige Frage. Auf der einen Seite gehen wir Wege, die neu und flexibel sind.  Es ist gut, wenn sich Menschen über ein Projekt wie unseres für eine Sache stark machen und dafür mit ihrem Namen einstehen. Auf der anderen Seite haben Staat und staatliche Organisationen die Pflicht, Hilfe zu leisten. Im Grunde muss Unterstützung von allen Seiten kommen, von sämtlichen Gruppen, von Menschen und Organisationen, dem Staat. Anders geht es nicht.

Foto © morethanshelters

 

CCB Magazin:Inwiefern sehen Sie die Gefahr, dass durch ihre Arbeit ein Problem verlagert wird? In Deutschland wurden im vergangenen Jahr laut dem UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) mehr als 65.000 Erstanträge gestellt. Mehr als zwei Drittel (71 Prozent) aller bearbeiteten Anträge wurden abgelehnt.

Die Selbsthilfe auf der einen Seite darf nicht dazu führen, dass Hilfe auf der anderen Seite zu kurz kommt

Daniel Kerber:Wichtig ist, dass das eine nicht gegen das andere ausgespielt wird. Wenn Organisationen oder Unternehmen Gelder zur Soforthilfe aufbringen, darf das nicht dazu führen, dass auf der anderen Seite Hilfe eingestrichen wird. Und die derzeitige Flüchtlingspolitik ist bereits brutal und menschenverachtend. Wenn Millionen von Menschen auf der Flucht sind und sich die reichen Nationen dieser Erde verschanzen, ist das beschämend. Die Vereinten Nationen zählen aktuell 45 Millionen Menschen, die infolge von Konflikten oder Naturkatastrophen gezwungen wurden, ihre Heimat zu verlassen. Die reichen Nationen haben darum die Pflicht, Hilfe zu leisten und Menschen aufzunehmen. Das ist auch ein Grundelement unseres Antriebs, um nach neuen Wegen und Lösungsansätzen zu suchen, damit noch Schlimmeres verhindert werden kann. 

CCB Magazin:Wie und in welcher Form wollen Sie ihre Arbeit in Jordanien fortsetzen?

Daniel Kerber:Wir wollen mit unserem Projekt DOMO eine Art mobiles Design-Zentrum schaffen, das von einem Camp zum nächsten wandern kann. Und wir wollen in den Camps Workshop-Formate entwickeln, die sich an den Bedürfnissen der Menschen vor Ort orientieren. Unsere Erfahrungen sind bislang durchweg positiv: Es entwickelt sich eine Community vor Ort, die an einem Strang zieht. Und wir haben bereits erste Erfolge erzielt. So sind wir gerade von den anderen Organisationen wie von Kilian Kleinschmidt von UNHCR eingeladen worden, in mittel- bis langfristige Planung des Lagers miteinzusteigen. Es kommt jetzt darauf an, dass wir uns alle gegenseitig unterstützen. Und ich habe die Hoffnung, dass man Dinge auch im Kleinen mit viel positiver und kreativer Intelligenz beeinflussen und ein stückweit verändern kann.

CCB Magazin:Herr Kerber, haben Sie vielen Dank für dieses Gespräch. 


Profil von Morethanshelters auf Creative City Berlin

Rubrik: Innovation & Vision

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