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Ich sehe nicht, was Du jetzt siehst

Schwerpunkt blinde Fotografie

Ich sehe nicht, was Du jetzt siehst
Foto: © Leo Schmidt

Die blinde Fotografin Rosita McKanzie: "People explain to me more about the things that are around me when I have my camera.“

Wie fotografieren Blinde? Wie nutzen sie die analoge und digitale Fotografie? Und wie geht die Gesellschaft mit blinden Fotografen um? Diese Fragen will der Dokumentarfilm „Blind Photographers“ thematisieren. Finanziert werden soll er über Crowdfunding. Wir sprachen mit dem Regisseur Leo Schmidt. 

 

INTERVIEW   JENS THOMAS

 

CCB Magazin:Hallo Leo, euer Dokumentarfilm „Blind Photographers“ soll eine Langzeitbeobachtung blinder Fotografen verschiedenen Alters werden. Was können blinde Fotografen beobachten, was Fotografen mit den Augen nicht beobachten können?

Leo Schmidt: Blinde Fotografen orientieren sich an Geräuschen und ihrem Tastsinn. Darum nehmen sie die Welt ganz anders wahr als Fotografen mit Augenlicht. Und sie haben einen ganz besonderen Blickwinkel zum abgelichteten Motiv. Welcher sehende Fotograf würde zum Beispiel auf die Idee kommen, seine Motive nach Geräuschen auszuwählen? Die Beziehung zwischen Fotograf und Objekt ist beim „portrait shoot“ eine ganz besondere. Wenn sich Menschen nicht beobachtet fühlen, kann eine viel intimere Situation entstehen. Das Resultat sind oftmals viel natürlichere und ausdrucksstärkere Fotos. 

Blinde Fotografen haben einen ganz besonderen Blickwinkel zum abgelichteten Motiv

CCB Magazin:Aber wie fokussieren Blinde ihr Objekt, das sie ablichten wollen? Und wie werden Bilder im Anschluss (nach)bearbeitet?

Leo Schmidt: Jeder blinde Fotograf hat – wie sehende Fotografen auch – eine ganz individuelle Herangehensweise, um seine gewünschten Ergebnisse zu erzielen. Der blinde, 68-jährige Fotograf Evgen Bavcar aus Paris beispielsweise nutzt eine analoge Kamera mit speziellen Markierungen am Fokusring und der Blende, um die Technik beherrschen zu können. Bei Objekten, die Geräusche verursachen –  Lebewesen oder Maschinen – hilft ihm ein ausgeprägter Gehörsinn, um eine genaue Entfernung abzuschätzen. Evgen ist im Alter von 13 Jahren erblindet. Seine Erinnerung an die visuelle Welt ist die eines Jugendlichen. Deshalb arbeitet er oft mit Jugendlichen zusammen und profitiert von deren Blick auf die Welt, die ihm vertraut ist. Andere blinde Fotografen arbeiten mit Langzeitbelichtungen in völlig abgedunkelten Räumen und belichten das Objekt manuell. Wiederum andere greifen auf die Hilfe von Assistenten und 3D-Druckern zurück, um ein im Vorhinein konzeptionell entwickeltes Bild umzusetzen. Bei der Nachbearbeitung nutzen viele auch einen visuellen Dolmetscher.

Im Gespräch mit Creative City Berlin: Regisseur und Fotograf Leo Schmidt.

CCB Magazin:Wie seid ihr auf die Idee gekommen, einen Film über blinde Fotografen zu drehen?  Und was wollt ihr aufzeigen?

Leo Schmidt:Auf die Idee kam ich, als ich zu experimentieren begann – ich fotografierte den Geräuschen nach. Ich fragte mich: Gibt es Blinde, die fotografieren? Und wenn ja, wie machen die das? Also fing ich an zu recherchieren. Zuerst bin ich auf Rosita Mckanzie gestoßen, eine blinde Fotografin aus Schottland, die ich wenig später in ihrer Heimstadt Edinburgh persönlich kennenlernte. Über Rosita lernte ich weitere blinde Fotografen kennen. Was mich von Anfang an fasziniert hat war, dass jeder dieser Fotografen einen ganz anderen Zugang zur Fotografie und einen individuellen Umgang mit der Kamera hatte. Jeder von ihnen musste das Fotografieren und den Umgang mit der Kamera für sich erst entdecken und neu erfinden. Darum wollen wir mit „Blind Photographers“ auch ganz individuelle Portraits verschiedener blinder Künstler zeigen; wir wollen sie im Alltag begleiten und in ruhigen, stimmungsvollen Bildern darstellen. Drehen wollen wir unter anderem in Mexico, Tibet, Großbritannien und den USA. 

CCB Magazin:Welche besonderen Geschichten habt ihr bisher erlebt? Welche Menschen mit welchen Zugängen zur Fotografie habt ihr kennengelernt?

Leo Schmidt:Ein sehr spannender Moment war für mich, als ich den sehbeeintächtigten Fotografen Jan Bölsche vergangenes Jahr während einer Fotoreise nach Istanbul begleiten durfte. Unsere Unterkunft war in der Nähe des Taksim-Platzes, der das Zentrum der regierungskritischen Proteste in Istanbul war. Am Tag unserer Ankunft wurde der Taksim-Platz gewaltsam geräumt. In den nächsten Tagen sind wir mehrfach über den Platz gelaufen und Jan hat den beginnenden friedlichen Protest, der als „duran adam“ (stehender Mann) in den Medien bekannt wurde, dokumentiert. Seine Arbeiten sind mehr als sehenswert.

Der sehbeeinträchtigte Fotograf Jan Bölsche: geboren 1973, arbeitet als Fotograf und Autor in Berlin. Seine Bilder wurden in Zeitungen, Zeitschrifen, Magazinen, Reiseführern, Katalogen und als CD Cover veröffentlicht. Foto: Leo Schmidt.

CCB Magazin:Jan Bölsche sagte einmal: “Meine Augen funktionieren eher wie eine Filmkamera aus den 1930er Jahren, als wie meine digitale Spiegelreflexkamera. Manchmal bin ich wirklich überrascht über das, was ich festhalte.” Welche fotografischen Ergebnisse erzielen blinde Fotografen im Vergleich zu Nicht-Blinden? Gibt es qualitative Unterschiede?

Leo Schmidt:Pauschal würde ich sagen, nein. Viele Arbeiten blinder Fotografen unterscheiden sich gar nicht von denen sehender Fotografen – weder stilistisch noch im Aufbau und der Struktur. Natürlich gehen Blinde anders vor. Sie konzentrieren sich auf das Auditive und ihren Tastsinn. Gelegentlich brauchen sie auch Dolmetscher, um das Auditive ins Visuelle zu übersetzen. Gerade die digitale Fotografie ermöglicht heute aber vieles. Sie schafft Zugang und Platz zum Ausprobieren.  

Jan Bölsche: “Meine Augen funktionieren eher wie eine Filmkamera aus den 1930er Jahren"

CCB Magazin:In Deutschland wird derzeit intensiv über Inklusion und Barrierefreiheit diskutiert. An welchem Punkt stehen wir im Bereich der blinden Fotografie? Wie nimmt die Gesellschaft blinde Fotografen wahr und wie geht sie mit ihnen um?

Leo Schmidt:Blinde Fotografen müssen im alltäglichen Leben noch immer viele Hürden nehmen, sie stoßen auch vielfach auf Unverständnis in ihrer Umwelt. Ich bin mir aber sicher, dass sich in den nächsten Jahren daran etwas ändern wird. Bereits 2009 zeigte das Museum für Fotografie in Kalifornien die Arbeiten von 10 renommierten blinden Fotografen in der Ausstellung „Sight Unseen“ – es war die erste große Ausstellung blinder Fotografen in diesem Rahmen. Geplant ist, dass die  Ausstellung nach Europa kommt. Und in Berlin geben mittlerweile Fotografen wie Jan Bölsche Workshops zur blinden Fotografie. Ich sehe blinde Fotografen hier als Vermittler zwischen der optischen und der audiovisuellen Welt. Ich denke, dass durch den Dialog, der durch die Arbeit sehbeeintächtigter Fotografen angestoßen wird, auch ein wichtiger Beitrag zur Inklusionsdebatte geleistet wird, selbst wenn wir hier noch einen weiten Weg vor uns haben. Ein gutes Beispiel, wie Inklusion gelingen kann, ist die mexikanischen Stadt Puebla. Dort sind die Straßenschilder an jeder Kreuzung auf Brusthöhe montiert und mit Brailleschrift versehen, damit sich auch Blinde orientieren können. An solchen Entwicklungen müssen wir ansetzen. Wichtig ist, dass das Thema an die Öffentlichkeit kommt.  

CCB Magazin:Auch ihr schafft eine Öffentlichkeit für diese Thematik und habt zur Finanzierung des Films ein Crowdfunding auf Indiegogo gewählt. Warum habt ihr euch für ein Crowdfunding entschieden? Und warum für Indiegogo?

Leo Schmidt:Crowdfunding gibt uns die Möglichkeit, unsere Dokumentation einem internationalen Publikum vorzustellen. Und gerade Indiegogo ist eine der größten internationalen Plattformen mit klarem Fokus auch auf den amerikanischen Markt. Das war uns wichtig, weil unser Thema nicht nur für ein deutsches Publikum interessant ist.

CCB Magazin:Viele Filmemacher wählen das Crowdfunding, weil sie die derzeitige Filmförderung als unzureichend empfinden. Wie ist das bei euch?

Leo Schmidt:Das sehen wir auch so. Viele gute Filmprojekte können heute einfach nicht realisiert werden, weil sie oft an den zu hohen und formalen Anforderungen der staatlichen Filmförderungen scheitern. Das ist schade. Crowdfunding demokratisiert hier gewissermaßen die Filmfinanzierungslandschaft: es können Filme finanziert werden, die schon im Vorhinein ihr Publikum finden.  Zugleich nimmt natürlich der Druck zu, Filme selbst finanzieren zu müssen. Beim Crowdfunding geht es aber nicht nur ums Geld. Es ist auch eine gute Möglichkeit, um auf eine bestimmte Thematik aufmerksam zu machen. So haben wir bereits im Vorfeld von blinden Fotografen positive Reaktionen erhalten. Inzwischen bekommen wir sogar Zuschriften von Blinden, die gerne beim Film dabei wären. Und wir konnten durch die Kampagne verschiedene Kontakte – vor allem zu US-Unternehmen – knüpfen. Derzeit sind wir in noch Gesprächen. Wir hoffen aber, dass wir bald Unterstützung erhalten.

Rosita McKenzie blinde Fotografin aus Edinburgh, ‎Schottland‬, Foto: Leo Schmidt.

CCB Magazin:Ihr habt 50.000 Euro für das Funding veranschlagt. Das ist sehr viel. Der Durchschnittswert im Bereich reward-based-Crowdfunding liegt in Deutschland derzeit bei 8.479 Euro. Was könnt ihr über diese Summe finanzieren? Habt ihr noch andere Finanzierungsquellen?

Leo Schmidt:Die Finanzierung wird ein Zusammenspiel aus Privatfinanziers und der Unterstützung von kulturellen/sozialen Vereinen und Organisationen sein. Teil des Finanzierungsplans ist eine Crowdfunding-Kampagne mit der Zielsumme von 50.000 Euro. Bereits im vergangenen Jahr wurde so ein fiktionaler Spielfilm erfolgreich mit 10.000 Euro schlussfinanziert. Ein Großteil des Budgets soll in die Reisekosten fließen, da wir international drehen und unsere Protagonisten mehrfach besuchen wollen.

CCB Magazin:Ihr hättet auf Indiegogo auch einen „flexiblen Zielbetrag“ wählen können, damit ihr einen Teilbetrag behalten könnt, falls ihr die Zielsumme von 50.000 Euro nicht erreicht. Ihr habt einen fixen Zielbetrag gewählt. Was macht ihr, wenn ihr das Fundingziel nicht erreicht?

Leo Schmidt:Das absolute Minimalbudget für unser Filmvorhaben beläuft sich auf 50.000 Euro. Das heißt, dass wir diese Summe unbedingt brauchen, um das Projekt realisieren zu können. Wenn wir das Geld nicht einnehmen, werden wir den Film nicht machen. Damit alles klappt, arbeiten wir in einem Team von vier Personen Vollzeit an der Kampagne.  

Ich sehe blinde Fotografen als Vermittler zwischen der optischen und der audiovisuellen Welt

CCB Magazin:Wer sind eure Unterstützer? Und wie erreicht ihr Eure Supporter?

Leo Schmidt:Wir befinden uns noch ganz am Anfang der Kampagne. Demnach sind unsere Unterstützer vor allem welche aus unseren eigenen Netzwerken. Im Laufe der Kampagne, mit zunehmender öffentlicher Aufmerksamkeit, sollten dann aber auch viel größere Gruppen auf uns aufmerksam werden.

CCB Magazin:Wie und in welcher Form geht es für euch nach dem Projekt weiter? Wo soll der Film laufen, wenn ihr das Fundingziel erreicht?

Leo Schmidt:Sobald die Kampagne erfolgreich beendet ist, beginnen die Dreharbeiten. Der erste Stopp wird Mexiko sein, wo wir weitere Protagonisten kennenlernen werden. Wir rechnen mit einer Drehdauer von zirka zwei Jahren. Danach soll der Film in die Festivalauswertung gehen und auf internationalen Dokumentarfilm Festivals laufen. Und natürlich hoffen wir, einen Verleiher zu finden, der den Film auch ins Kino bringt. Wir freuen uns jetzt schon darauf den fertigen Film vorstellen zu können!

CCB Magazin:Leo, vielen Dank für dieses Gespräch und viel Erfolg!


Die aktuelle Crowdfunding-Kampagne von Blind Photographers.

Portfolio von Blind Photographers auf Creative City Berlin

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