Finanzierung, Crowdfunding Zurück

Kevin Mertens: „Die Fotografie zwingt uns dazu, sich emotional mit einem Thema auseinanderzusetzen“

Kevin Mertens: „Die Fotografie zwingt uns dazu, sich emotional mit einem Thema auseinanderzusetzen“
Foto: © Dmitrij Leltschuk

Foto aus der Serie “Gastarbeiter in St. Petersburg" der ersten Print-Ausgabe von emerge zum Thema "Migration"

Weltweit sind derzeit über 50 Millionen Menschen auf der Flucht - so viele wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr.  Und schon lange nicht mehr wurde so hitzig über "Migration" diskutiert wie derzeit: Während die einen unter dem Banner Pegida jeden Montag in Dresden gegen eine vermeintliche "Überfremdung" durch die Straßen marschieren, regt sich auf deer anderen Seite immer mehr Widerstand gegen eine zunehmende "Islamfeindlichkeit" in Deutschland. Das Fotografie-Online-Magazin emerge widmet sich in seiner neuen Ausgabe dem Thema „Migration“ – erstmals in Print-Form und finanziert über Crowdfunding. Wie lässt sich das Thema „Migration“ fotografisch umsetzen? Was kann die Fotografie zeigen, was sich nicht in Worte fassen lässt? Wir sprachen mit emerge-Herausgeber und Chefredakteur Kevin Mertens.


INTERVIEW   JENS THOMAS


CCB Magazin: Hallo Kevin, emerge gibt es als Online-Magazin bereits seit 2010, nun erscheint eure erste Print-Ausgabe mit Schwerpunkt „Migration“. Was berührt euch an dieser Thematik?

Kevin Mertens: Migration ist ein wichtiges und hoch aktuelles Thema, das sehen wir ja nicht nur am Terroranschlag in Paris der vergangenen Tage oder den regelmäßigen Pegida-Demonstrationen hierzulande. Migration betrifft uns alle. Und es ist auch gut, dass darüber derzeit so ausführlich berichtet wird. Was uns aber fehlt, ist die menschliche und persönliche Seite der Berichterstattung. Die Debatten sind überladen mit volkswirtschaftlichen Betrachtungsweisen und durchzogen von politischer Panikmache. Wir dürfen hier eines nicht vergessen: Es geht immer auch um menschliche Schicksale, wenn wir über Migration reden. Genau das wollen wir in unserer ersten Ausgabe zum Ausdruck bringen.

CCB Magazin:Wie und in welcher Form?

Kevin Mertens:Es wird insgesamt fünf bis sechs Hauptstorys geben, die jeweils über Doppelseiten präsentiert werden. Hinzu kommt eine Sektion im Magazin, in der wir von verschiedenen Fotografen jeweils ein Bild zum Thema Migration auf einer Doppelseite zeigen, zusätzlich bringen wir eine Kolumne und kleinere Features, dazu jede Menge Interviews mit Fotografen über ihre Arbeit und die Umsetzung ihrer Projekte, auch Texte von Spezialisten zum Thema Migration und allgemeinere Texte zur Entwicklung des Fotojournalismus. Bei alledem steht eines im Fokus: Das Medium Fotografie soll zum Nachdenken anregen und die Leser dazu bewegen, sich mehr mit den menschlichen Aspekten der Migrationsthematik auseinanderzusetzen. Dem nähern wir uns aus fotografischer Sicht über klassische Reportagen, dokumentarische Strecken oder auch die künstlerische Fotografie.

Jeder Flüchtling hat eine Geschichte, die vermutlich schon ein ganzes Heft füllen könnte

CCB Magazin:Die aktuellen Ereignisse in Paris und in Deutschland durch Pegida haben die Migrationsdebatte neu entfacht.  Diskutiert wird, wer unter welchen Umständen nach Deutschland kommen und bleiben darf, viele Muslime stehen unter Generalverdacht. Beunruhigt euch diese Entwicklung?

Kevin Mertens:In gewisser Weise ja, denn sie zeigt, wie uninformiert und verunsichert viele Menschen in diesem Land derzeit sind und wie sie mit Ressentiments auf Verunsicherungen und völlig unbegründeten Generalisierungen gegenüber Migranten reagieren. Das Thema „Migration“ wird in den Medien oft auch rein negativ behandelt und unter Nützlichkeitsaspekten diskutiert, das ist immer gefährlich, weil so die menschliche Seite außer Acht gelassen wird. Jeder Flüchtling hat schließlich eine Geschichte, die vermutlich schon allein ein ganzes Heft füllen könnte. Diese Flüchtlinge lassen ihr ganzes Leben hinter sich, sie verlassen ihre Heimat, sie geben ihr ganzes Geld für die Flucht aus, die sie zugleich das Leben kosten kann. Sie steuern auf einem schrottreifen Schiff in eine ungewisse Zukunft und landen am Ende doch in einem Auffanglager und müssen dann noch mit ansehen, wie Pegida Tausende gegen sie auf die Straße bringt. Darum wollen wir das Thema Migration so menschennah wie möglich präsentieren. Es gibt auch wunderschöne Geschichten von Migration und Neuanfang, die wir zeigen wollen.

Die EU-Außengrenze vor einem Golfplatz in Melilla, Foto: © Piero Chiussi.

CCB Magazin:Was kann man zum Thema „Migration“ in Bildern zeigen, was man nicht in Worte fassen kann?

Kevin Mertens:Der klassische Journalismus setzt auf Fakten, das ist auch gut so. Wenn ein Wirtschaftsprofessor das Thema Migration aber in Zahlen fasst, bekommen wir klare Bilanzen und Statistiken. Die Fotografie dagegen zwingt uns, sich emotionaler und nicht nur inhaltlich über Fakten mit einer Thematik auseinanderzusetzen. Schließlich kann ein gutes Bild immer in irgendeiner Art und Weise berühren. Ohne Bilder wäre es vermutlich auch leichter, Probleme und Missstände zu verdrängen. Ich will aber betonen, dass guter Journalismus beides braucht: gute Texte und gute Bilder – oftmals müssen Bilder auch erst in einen Kontext gebracht werden, um sie verstehen zu können. Das gilt umgekehrt genauso. Nur so kann ein guter Dialog mit dem Publikum entstehen.

CCB Magazin:Die Pegida-Bewegung verweigert seit Wochen jedweden Dialog mit den Journalisten und geißelt die Presse als „System- und Lügenpresse“. Welchen Zugang kann die Fotografie an dieser Stelle schaffen? 

Die Fotografie kann eine gewisse Distanz überbrücken

Kevin Mertens:Ich tue mich mit dieser Frage etwas schwer, denn ich will nicht behaupten, dass die Fotografie mehr leisten kann als das Wort, sie schafft nur einen anderen Zugang. Vielleicht ist es im speziellen Fall von Pegida aber tatsächlich so, dass die Fotografie zunächst einfach nur dokumentiert: Die Fotografie kann eine gewisse Distanz überbrücken, wenn sich Pegida-Anhänger weigern mit der Presse zu sprechen. Gegenüber einem Fotografen müssen sich die Leute auch nicht erklären. Sie werden nicht zitiert, gerade das macht den Leuten ja derzeit Angst.

CCB Magazin:Werdet ihr das Thema Pegida auch in eurem Heft behandeln?
 
Kevin Mertens:Das Thema werden wir so leider nicht im Heft haben. Dafür war die Zeit einfach zu knapp. Wenn, hätten wir das Thema ausführlich behandelt.

Die emerge-Redaktion bei der Arbeit: Themen finden und gute Geschichten auf den Weg bringen. Die Redaktion v.l.n.r: Claudia Lenz, Nadine Bunge, Kevin Mertens. Foto: © emerge.

CCB Magazin:Eure erste Print-Ausgabe soll über Crowdfunding finanziert werden. Crowdfunding lebt von der Unterstützung im Netz. Wollt ihr über die Kampagne vor allem die erreichen, die dem Thema Migration bereits aufgeschlossen gegenüber sind oder die, denen das Thema Angst macht?

Kevin Mertens:Wir erreichen natürlich gerne so viele wie möglich. Aber wir wissen auch, dass wir eine Auflage von nur 500 Stück haben. Unsere Reichweite ist demnach begrenzt. Und unsere Unterstützer sind natürlich vor allem Fotografie-Interessierte, die dem Thema Migration vermutlich sehr offen gegenüber sind. Wenn wir aber mittels Fotografie auch die erreichen, die sonst kaum Zugang zum Thema Migration haben und über die Sprache des Bildes gar Vorurteile abbauen können, umso besser.

CCB Magazin:Welche Chancen seht ihr speziell  im Crowdfunding zur Umsetzung einer solchen Ausgabe mit dem Schwerpunkt „Migration“?

Kevin Mertens:Das lässt sich nur schwer beurteilen. Denn unsere Unterstützer hätten unser erstes Heft vermutlich auch dann unterstützt, wenn wir uns für ein anderes gesellschaftspolitisches Thema entschieden hätten. Dass es ein journalistisches Thema sein wird, war uns klar, dafür steht der Name emerge genauso wie unsere Arbeiten, die wir in den letzten vier Jahren immer wieder gezeigt haben. Nichtsdestotrotz haben wir sehr viel positive Resonanz für unser erstes Thema bekommen. Wir waren selbst überrascht, wie sehr das Thema „Migration“ derzeit die Leute berührt.

CCB Magazin:Warum habt ihr euch für ein Crowdfunding entschieden?

Kevin Mertens:Uns gibt es jetzt seit über vier Jahren. So gesehen haben wir uns in der Zeit schon eine kleine Crowd aufgebaut. Da lag es nahe, diese Leute nun auch stärker einzubinden, die uns nahe stehen und zu fragen, ob sie uns auf dem nächsten Schritt des emerge-Projektes unterstützen wollen. Denn es geht uns hier auch um die Finanzierung dieser Ausgabe. Wir hoffen natürlich, dass wir von Ausgabe zu Ausgabe unsere Auflage steigern können, erst einmal ist uns aber die Produktionsqualität des einzelnen Heftes wichtig. Wir wollen die Fotografie optimal präsentieren, wir wollen etwas Langlebiges schaffen. Sonst hätten wir uns auch für den Zeitungsdruck entscheiden können.

CCB Magazin:Ihr habt 6.710 Euro über die Kampagne eingenommen, damit liegt ihr knapp unter dem Durchschnittswert erfolgreicher Crowdfunding-Kampagnen von derzeit 7.000 Euro. Für was wird das Geld im Anschluss eingesetzt?

Kevin Mertens:Zunächst haben wir mit den 6.710 Euro deutlich unsere Fundingschwelle von 5.000 Euro überschritten und werten die Kampagne damit als sehr erfolgreich, selbst wenn wir unter dem Durchschnittswert geblieben sind. Ein großer Teil des Geldes wird für die Druck- und Vertriebskosten verwendet. Alles was darüber hinaus übrig bleibt, ist unser Budget für Honorare für die beteiligten Fotografen, Autoren, Grafiker usw. Das wird leider nicht sehr viel sein. Aber wir freuen uns, dass wir erstmals überhaupt Honorare zahlen können. Bislang hatten wir noch keine finanzielle Unterstützung von „Außen“, wir haben alles aus eigener Tasche bezahlt. Wir selbst - also das feste emerge-Team, die Redaktion - arbeiten ehrenamtlich.

CCB Magazin:Wie werden eure Supporter an der ersten Ausgabe beteiligt?

Kevin Mertens:Jeder Supporter wird auf einer speziellen Danke-Seite im Magazin genannt und in den nächsten Wochen regelmäßig über die Entwicklung und Fertigstellung des Magazins informiert. Die Dankeschöns werden zum Teil schon bald verschickt beziehungsweise später zusammen mit der dann bald fertigen ersten Ausgabe.

CCB Magazin:Wie geht es mit emerge nach der ersten Print-Ausgabe weiter?

Kevin Mertens:Wenn wir das Magazin in den Händen halten, werden wir das erstmal feiern und eine Release-Party in Berlin organisieren, zu der selbstverständlich alle Supporter eingeladen sind. Nach der Ausgabe ist dann vor der Ausgabe. Im Optimalfall werden wir danach gleich an der nächsten Ausgabe weiterarbeiten und es hoffentlich schaffen, so wie geplant, zwei Mal im Jahr ein monothematisches Magazin zu veröffentlichen.

CCB Magazin:Kevin, ich wünsch dir und deinem Team viel Erfolg!

Rubrik: Innovation & Vision

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