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Shai Hoffmann: Lächle und mach was draus!

Shai Hoffmann: Lächle und mach was draus!
Foto: © Shai Hoffmann

Wie sieht die Ökonomie der Zukunft aus und was hat das mit Bildung zu tun? Darum geht es auf der #dClass Conference am 21./22. Februar 2015 im Heimathafen Neukölln: Old Economy trifft auf New Generation, Jugendliche auf Start-Ups, Investoren auf Menschen aus der Bildungsszene. Wir haben hinter die Kulissen geschaut und uns mit Shai Hoffmann und Amira Jehia vom #dClass-Team unterhalten.

 

INTERVIEW   JENS THOMAS

 

CCB Magazin: Hallo Shai und Amira, ihr wollt mit der #dclass conference „die inspirierendsten Köpfe aus der New Economy mit Vordenkern aus der Bildungsszene zusammenbringen“. Was hat die New Economy von der Bildungsszene und die Bildungsszene von der New Economy?

Shai: Beide Seiten haben eine Menge voneinander, denn von einem Wissensaustausch profitieren immer alle. Darum wollen wir auf der #dclass conference auch die unterschiedlichsten Leute zusammenbringen: Generation Y Jugendliche mit Start-Ups, Investoren mit Menschen aus der Schul- und Universitätsbranche. Forscher wie der 64-jährige Neurobiologe Gerald Hüther von der Akademie für Potentialentfaltung werden beispielsweise auf ganz „gewöhnliche“ Schülerinnen wie Sidney Sysomnhot, 12 Jahre, von der Grundschule Wedding treffen. Es geht um neue Wege für eine neu zu überdenkende Wirtschaft.

CCB Magazin: Welche Wege für eine neu zu überdenkende Wirtschaft meint ihr?

Amira: Die Wirtschaft von morgen muss Verantwortung übernehmen. Auf unsere Konferenz werden darum gezielt Startups sein, die Wirtschaft schon jetzt anders und zeitgemäßer denken: Zum Beispiel den Supermarkt ohne Verpackungen ‚Original Unverpackt‘ aus Berlin-Kreuzberg, der über eine Crowdfunding-Kampagne 108.000,00 Euro eingesammelt hat, um den weltweit ersten verpackungsfreien Supermarkt in Berlin zu eröffnen. Oder das Projekt Cucula, das erste Flüchtlingsunternehmen von Flüchtlingen für Flüchtlinge, das Flüchtlinge in den ersten Arbeitsmarkt integrieren will. Uns geht es in erster Linie um ein neues und anderes Streben, nämlich dem, ein großes Umweltproblem auf der einen Seite anzugehen, auf der anderen Seite Wirtschaft menschlicher zu denken und zu gestalten. Wir nennen das Social Entrepreneurship. Es geht um den Mensch als solchen mit all seinen Fähigkeiten und seiner Kreativität, nicht um Profitmaximierung.

CCB Magazin:Kreativität ist aber auch eine wirtschaftliche Ressource zur Profitmaximierung. Und in der Kreativwirtschaft finden Bildungskonzepte bislang wenig Platz. Es geht vor allem um das Neue, Erfinderische. Kommt der Bildungsaspekt zu kurz in der Kreativwirtschaft? 

Shai: Ja, darum machen wir auch eine solche Veranstaltung. Ich will aber betonen, dass das Neue und Erfinderische partout nichts Schlechtes ist, im Gegenteil: Wirtschaftlichkeit muss nur mit Bildungskonzepten so zusammengedacht werden, dass Wirtschaft anders funktionieren kann. Wir dürfen nicht immer die Frage stellen, wie die Wirtschaft immer weiter wachsen kann und was die Wirtschaft antreibt, sondern was uns, den Menschen, antreibt. Zu all diesen Fragen wird es Panels auf der Veranstaltung geben, auch ein Barcamp am zweiten Tag der Konferenz an neun Stationen und vieles mehr.

Wir dürfen nicht immer die Frage stellen, was die Wirtschaft antreibt, sondern was uns, den Menschen, antreibt

CCB Magazin: Reden wir aber mal über Geld, denn Bildung kostet gewöhnlich Geld. Der Bildungsetat in Deutschland hat sich zwischen 1995 und 2010 um 47,0 Milliarden Euro beziehungsweise 37,5 Prozent erhöht. Diese Erhöhung folgte aber nicht analog zur wirtschaftlichen Entwicklung. Heißt: die Wirtschaft wächst dynamischer als Bildungsausgaben getätigt werden. Muss mehr für Bildung ausgeben werden? 

Shai: Ja, vor allem muss Wirtschaftlichkeit mit Bildungsaspekten so zusammengebracht werden, dass eine Ökonomie ressourcenschonend, nachhaltig und menschengerecht zugleich sein kann. Es geht einfach um andere Investitionsentscheidungen für die Zukunft. Und dazu sehe ich alle, Dich, mich und auch die Unternehmen in der Pflicht. Auch Unternehmen sollten zum Beispiel für die Bildung ihrer Mitarbeiter aufkommen.

CCB Magazin: Für Bildung kommt gewöhnlich aber der Staat auf: rund vier Fünftel der gesamten Bildungsausgaben wurden 2010 in Deutschland von Bund, Ländern und Gemeinden aufgebracht, zusammen sind das 79,5 Prozent. Nur das restliche Fünftel – 20 Prozent – wird vom privaten Bereich und teilweise auch vom Ausland aufgebracht. Heißt das, dass Bildung stärker privatisiert werden sollte?

Shai: Nein, auf gar keinen Fall! Das wäre ja schlimm. Der Staat sollte nicht weniger ausgeben, sondern die Unternehmen sollten zusätzlich in Bildung investieren. Auch Unternehmen sollten sich als Teil der Zivil- und Wissensgesellschaft begreifen. Es geht darum, Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft als Ganzes zu denken.

Auch im Team: Amira Jehia, organisiert mit Shai die #dClass Conference mit: "Man kann heute immer länger lernen und der Zugang wird immer leichter und demokratischer". Foto: © Admira Jehia.

CCB Magazin:Euer Ziel ist es auch, Jung und Alt auf der Konferenz zusammenzubringen. Eure Redner sind zwischen 12 und 92 Jahren. Was kann ein 12-Jähriger von einem 92-Jährigen lernen und umgekehrt?

Shai: Eine Menge! Ein 12-Jähriger oder eine 12-Jährige kann sich zum Beispiel von der Neugierde einer 92-Jährigen inspirieren und hinreißen lassen. Der Blick auf ein bewegendes, packendes und spannendes Leben voller Höhen und Tiefen, das ist doch was Tolles. Überlegt mal, was dieser Mensch alles zu erzählen hat, was er erlebt hat. Ich war zum Beispiel im Oktober 2014 in Israel und habe einen 84-jährigen Mann in einem Falafelladen in Tel-Aviv kennengelernt. Nachdem er mich über meine Heimatstadt ausgefragt hatte, erzählte er mir, dass er Israel eigenhändig mit aufgebaut hat und verriet mir im gleichen Atemzug, dass er, wenn er nochmal jung wäre, ebenfalls gerne in Berlin leben würde. Wenn man bedenkt, dass dieser Mann den Holocaust überlebt hat, ist das doch bemerkens- und bewundernswert, dass er nach all diesen Geschehnissen einen solchen Gedanken äußert, dass er noch positiv denkt und aufgeschlossen ist. Das hat mich sehr bewegt. 

CCB Magazin:Kommt der Aspekt des gegenseitigen Lernens in unserer Gesellschaft bislang zu kurz?

Amira: Ich denke, es gibt bereits viele gute Ansätze, die diesem Gedanken bereits folgen. So beispielsweise Think Tanks, in denen sich u.a. kreative Köpfe treffen, um ihre Ideen und Gedanken auszutauschen. Aber generationsübergreifendes Lernen greift zu kurz. Dabei können Erwachsene von Kindern so viel lernen und umgekehrt. Die Leichtigkeit beispielsweise, die Naivität und Dinge, mit denen sich Kids beschäftigen, können ganze Denkweisen verändern. So ist unsere jüngste Speakerin auf der Konferenz erst 12 Jahre alt. Sie heißt Sidney. Sie wird uns anhand eines Computerspiels erklären, warum man darüber mehr lernen kann als in jedem Matheunterricht der Welt.

CCB Magazin:Ist das nicht auch eine Gefahr, dass Bildung immer früher ansetzt und Kinder immer früher auf den Berufsweg vorbereitet werden?

Shai: Ich denke ja, wenn den Kindern dadurch die Kindheit abhandenkommt. Es geht uns aber nicht um die Ökonomisierung der Ressource Mensch, sondern um die Aspekte des gegenseitigen und auch Lebenslangen Lernens, dass wir alle immer voneinander lernen können und auch sollten. Ich persönlich freue mich zum Beispiel sehr darauf, mehr von der Initiative unseres Speakers Prof. Dr. Gerald Hüther zu erfahren, der sich mit Schule im Aufbruch für das Entdecken von Talenten und der Potentialentfaltung bei Kindern einsetzt.

CCB Magazin:Das Konzept des Lebenslangen Lernens gilt in unserer Gesellschaft gemeinhin als hohes Gut, hat aber auch Schattenseiten - man kann nicht nur länger lernen, man muss es auch, weil das der Arbeitsmarkt abverlangt. Auch gelten über 50-Jährige heute schon vielfach als zu alt auf dem Arbeitsmarkt. Helga Dill und Heiner Keupp sprechen in ihrem neuen Buch vom Alterskraftunternehmer. Gibt es Grenzen des Lebenslangen Lernens? 

Amira: Ich glaube, dass 50-Jährige zukünftig keinesfalls zu alt für den Arbeitsmarkt sein werden, ganz im Gegenteil werden wir ganz viel von ihnen lernen. Schließlich kann man heute immer länger lernen und der Zugang wird auch immer leichter und demokratischer. Das zeigen Beispiele wie die Plattform www.iversity.org, auf der man sich kostenlos sogenannten Moocs - Massive Open Online Course - ansehen kann. Das bedeutet, du kannst mit 50 Jahren noch Physik studieren, wenn du motiviert bist und das schon immer dein Traum war. Ist das nicht wunderbar? Auch die Erfolge der Grey Entrepreneurs zeigen, dass ältere Gründer sehr wohl eine Berechtigung in der New Economy haben und in diesem Rahmen sehr erfolgreiche Modelle aufbauen. Davon profitieren in der neuen Wirtschaft alle.

CCB Magazin:Ihr sprecht auch von einer neuen „Karma-Ökonomie“ und bietet zwei Währungen auf der Veranstaltung zum Bezahlen an: Euro oder Karma. Könnt ihr mal erklären, was es damit auf sich hat?

Amira: Unsere Tickets kosten 490 Euro. Diejenigen, die sich ein 490 Euro teures Sponsorenticket aber nicht leisten können, können mit Karma bezahlen. Das heißt: Sie bezahlen nicht mit Geld, sondern sie helfen uns. Dazu fertigen wir eine sogenannte ‚Helperslist‘ an, auf der wir alle zu erledigenden Aufgaben festhalten. Falls jemand eine Aufgabe findet, die einem Spaß macht, trägt er oder sie sich dafür ein und ist von nun an Karma-Vorsitzender dieser Aufgabe. Wichtig hierbei ist, dass wir der Crowd vertrauen, denn wir prüfen nicht nach, ob auch alle Karma-Ticket-Besitzer tatsächlich Aufgaben übernehmen. Die Motivation ist intrinsisch und es wird auch niemand dafür verurteilt, wenn er oder sie nichts macht. Mit dem restlichen Geld finanzieren wir die Konferenz – sie kostet uns 9.800 Euro für Raummiete im Heimathafen Neukölln, den Transport, Werbung, Catering und die Erstellung des Filmmaterials, das im Anschluss der Veranstaltung zur Verfügung steht. Diese Kosten decken die „Sponsoren“, also diejenigen, die ein Sponsorenticket für 490 Euro kaufen.

CCB Magazin:490 Euro, das klingt viel für eine Veranstaltung. Wir leben in Berlin.

Shai: Ja, das war auch innerhalb unseres Kernteams mit dem Heimathafen Neukölln und Startnext ein großes Diskussionsthema. Unser großer Wunsch oder Traum wäre es gewesen, das alles auf Karma-Basis funktioniert. Somit hätte niemand Geld zahlen müssen. Schnell wurde uns aber klar, dass die Veranstaltung Geld kosten wird, weil wir Übernachtungen, Fahrtkosten und Verpflegung zahlen müssen. Darum haben wir uns bewusst dafür entschieden, die Eintrittskarte auf 490 Euro zu taxieren, in dem Wissen, dass dieses Geld von denen aufgebracht wird, die es sich leisten können, und zugleich viele Freiberufler, Studenten und Angestellte gezwungen sind, sich ein Karma-Ticket zu ziehen.

CCB Magazin:Shai und Amira, wenn ihr einen Wunsch hättet: Wie sollen wir in 10 Jahren arbeiten und leben? Und wenn ihr berufsnüchtern bleibt: wie werden wir in 10 Jahren arbeiten und leben?

Shai: Wie toll wäre es, wenn wir uns von diesem finanziellen Druck freimachen könnten? Jede und jeder macht nur noch das, was einen erfüllt und das, wofür man brennt. Dann würden sicherlich auch die Burnout-Raten zurückgehen. Mehr Menschen wären viel glücklicher. Und wenn ich mir die Entwicklung anschaue, wie wir heute arbeiten und leben, tut sich auch bereits sehr viel: Neue, flexiblere Arbeitsmodelle, neue Bildungsmöglichkeiten und eine voranschreitende Sharing Economy, in der wir viel mehr miteinander teilen, entwickeln sich. Zugleich wird es leider aber weiterhin die stark profitgetriebenen Unternehmen geben, die noch immer die Weltherrschaft an sich reißen wollen. Doch ich glaube, und hoffe, dass wir durch leichteren Zugang zu Bildung eine noch besser informierte Crowd haben werden, die immer mehr Einfluss und Macht auf die großen Unternehmen ausüben kann. Ich nenne das mal Crowdpower 4.0. 

Wie toll wäre es, wenn wir uns von diesem finanziellen Druck freimachen könnten

Amira: Ich wünsche mir, dass wir umsichtiger werden, auch im Umgang miteinander und mit der Natur. Die Menschen sollen wieder für die Menschen leben und arbeiten und nicht mehr für das Kapital, das sie eher von den Menschen entfernt.

CCB Magazin:Shai und Amira, vielen Dank für dieses Gespräch und viel Erfolg mit eurer Konferenz. 

Shau und Amira: Sehr gerne. Vielen Dank auch an dich und die Redaktion von Creative City Berlin!


Dieses Interview haben Shai Hoffmann und Amira Jehia stellvertretend für ca. 15 Personen des Kernteams der #dClass Conference und etwa 400 Konferenzteilnehmer*innen gegeben.

 


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Rubrik: Innovation & Vision

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