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Can Sungu und Malve Lippmann: "Wir haben bei Null angefangen"

Can Sungu und Malve Lippmann: "Wir haben bei Null angefangen"
Foto: © Felix Kayser

Wie finanziert man einen Projektraum und unterstützt die Community vor Ort? bi’bak e.V ist ein gemeinnütziger Verein und betreibt einen Projektraum im Soldiner Kiez in Berlin-Wedding. Malve Lippmann und Can Sungu sind die Gründer und künstlerischen Leiter von bi’bak. Wir stellen sie und ihre Arbeit heute im Profil der Woche vor. 



CCB Magazin: Ihr beschäftigt euch mit gesellschaftspolitisch relevanten Themen wie Migration, Mobilitätsdiskursen oder Identitätskonstruktionen. Der Schwerpunkt eurer Arbeit liegt dabei auf „ästhetischen Dimensionen“. Das klingt komplex. Welche ästhetischen Dimensionen haben gesellschaftspolitisch relevante Themen?

Can: Ich formuliere es mal so: Wenn die Menschen sich auf der Welt bewegen und freiwillige oder gezwungene Veränderungen des Lebensmittelpunktes Begegnungen unterschiedlicher Kulturen und Hybriditäten zur Folge haben, dann lösen neue Räume Identitäten und Lebensstile aus. Migration sowie Tourismus formen also den urbanen Alltag um. Und sie lassen eine eigene Kultur und so auch Ästhetik entstehen.

CCB Magazin: Das klingt immer noch komplex. Kannst du Beispiele bringen?

Can:Ja, so benutzen Deutsch-Türken zum Beispiel bestimmte Ausdrücke, die weder der deutschen noch der türkischen Sprache zugeordnet werden können. Döner, wie man ihn hier in Deutschland sagt, hat, was die Zubereitung, den Geschmack und das Aussehen betrifft, mit dem Döner in der Türkei wenig zu tun. Döner ist aber tatsächlich die beliebteste Fast-Food-Spezialität in Deutschland, nicht aber in der Türkei. In der Küche von bi’bak steht darum unser Lieblingsobjekt aus einem Kreuzberger Laden, ein blinkendes Schild in Form einer Moschee mit der Schrift „Willkommen Ramadan“, hergestellt in oder für Berlin. Speziell diese Schnittstellen von Migration und Alltags- bzw. Pop-Kultur, an denen neue Formen, Adaptionen und Umwandlungen sichtbar werden, interessieren uns. 

CCB Magazin: Ihr seid ein eingetragener Verein, auch ein Projektraum. Was macht ihr hier?

Can:  Wir setzen Projekte um. An den Schnittstellen zwischen Kunst, Wissenschaft und Nachbarschaft entstehen bei uns Ausstellungen, Filmvorführungen, Seminare, Vorträge, Workshops oder Community-Dinners. Dabei steht die Entwicklung von innovativen ortsbezogenen Vermittlungskonzepten genauso im Vordergrund wie die internationale Ausrichtung unserer Arbeit. Ein Fokus liegt zum Beispiel auf Kooperationsprojekten zwischen Berlin und Istanbul.

Bei unserer Arbeit steht die Entwicklung von innovativen ortsbezogenen Vermittlungskonzepten genauso im Vordergrund wie die internationale Ausrichtung 

CCB Magazin: Was ist euer Ziel?

Malve: Unser Ziel ist die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit Kulturakteuren, Projekträumen und Initiativen. Und uns interessiert vor allem die dezentrale, rhizomhafte Verbindung von Kunst, Design, Wissenschaft, Partizipation, Stadtraum und lokalem Engagement. Die Gründung von bi‘bak hatte aber erst einmal einen ganz praktischen Grund: Wir hatten ein Atelier in Mitte und wurden da gewissermaßen „weg-gentrifiziert“ - die Miete wurde um das Fünffache erhöht. Wir mussten ausziehen.

CCB Magazin:Und dann?

Malve:Wir waren auf der Suche nach einem neuen Atelier. So kamen wir zum Soldiner Kiez: Zufällig kannten wir die Vormieterin unseres jetzigen Projektraums - so haben wir den Raum problemlos als Nachmieter übernehmen können. Als wir hier ankamen, wurde uns klar, dass dieser Raum durch die Scheibe fast so etwas ist wie ein Teil des öffentlichen Raumes.

CCB Magazin: Ihr habt diesen Raum dann für die Nachbarschaft zugänglich gemacht?

Malve:Genau, denn ständig kamen Leute rein und fragten uns, was wir hier machen. Man sitzt hier ja fast auf der Straße. Nach einem halben Jahr, Anfang 2014, ist bei uns dann die Idee entstanden, diesen Raum zu öffnen, hier also ein breites Programm anzubieten und in den Austausch mit der Nachbarschaft zu kommen. Relativ schnell haben wir dann den Verein gegründet, was als Organisationsform in Bezug auf öffentliche Förderungen einfach günstiger ist. In unserem Projektraum präsentieren wir seitdem unsere künstlerische Arbeit über Filme, die Community trifft sich zum Essen und Geflüchtete finden hier eine Anlaufstelle in der Nachbarschaft.

CCB Magazin: Was bedeutet bi'bak eigentlich?

Can: bi'bak bedeutet „Schau mal“ auf Türkisch.

CCB Magazin: Das passt ja zum öffentlichen Raum.

Can: Genau, es war uns einfach wichtig, die Durchsichtigkeit unserer Scheibe im Namen zu skizzieren, auch, dass der Name wie eine Einladung verstanden wird.

CCB Magazin: In Berlin gibt es bis zu 150 Projekträume. Viele davon leben prekär. Welche Hürden musstet ihr bei der Gründung nehmen?

Malve:Die Gründung des Vereins und auch die Bewilligung der Gemeinnützigkeit verliefen eigentlich relativ problemlos. Unsere Gründungsmitglieder sind ja alles enge Freunde, die unsere Arbeit gut kennen und unsere Ideen, Pläne und Bestrebungen verstehen, und sie auch gut finden. Die  geben uns - je nach zeitlichen Kapazitäten - produktives Feedback. Und es kommt auch immer wieder vor, dass Vereinsmitglieder in einzelnen Projekten mitgestalten und mitarbeiten. Wir haben im Grunde bei Null angefangen und dann nach und nach einzelne Projekte erdacht und beantragt. Am Anfang haben wir die Miete auch komplett selbst finanziert.

CCB Magazin: Wie finanziert ihr bi’bak heute?

Malve:bi'bak finanziert sich über einzelne Projekte, die immer wieder neu erdacht, verhandelt und bei verschiedenen Förderstellen beantragt werden. Die Projekte innerhalb bi'bakwerk werden oft vom Berliner Projektfonds Kulturelle Bildung gefördert. Unser letztes Ausstellungsprojekt "SILA YOLU“ wurde vom Fonds Soziokultur unterstützt. bi’bakino hatte eine Förderung von der Landeszentrale für politische Bildung und dem LEZ. Weitere Förderer sind auch das Quartiersmanagement Soldiner Strasse, die Stiftung DKLB, Aktion Mensch und Tandem Turkey. Für das Projekt "Was ist ein Vormund? - Ein Film-Projekt mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen und ihren Vormünder_innen", wurde wir mit dem 1. Preis vom Berliner Ratschlag für Demokratie "Respekt gewinnt!" 2016 ausgezeichnet.

Wir sind permanent auf Förderungen angewiesen, nur so können wir unsere Projekte umsetzen

CCB Magazin: Ihr seid also permanent auf Förderungen angewiesen?

Can:Im Grunde ja, nur so können wir unsere Projekte umsetzen.

CCB Magazin: Ihr seid mittlerweile ein buntes Team: Malve, du hast an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart und am Institut für Kunst im Kontext an UdK studiert und unter anderem als freie Bühnen- und Kostümbildnerin gearbeitet. Can, du bist in Istanbul geboren, hast Film (BA) und Visuelle Kommunikationsdesign (MFA) an der Bilgi University in Istanbul und an der UdK studiert und im Bereich Film/Videoproduktion unterrichtet und Workshops geleitet. Zu Eurem Team gehören aber auch Soziologen, Ethnologen oder Historiker. Wie organisiert man diese Fülle an Wissensdisziplinen in einem Projekt?

Malve:Das ist ein spannender Prozess, denn wir arbeiten wirklich gerne interdisziplinär. Das sieht man auch in vielen Projekten von bi'bak. Man kann sie zwar nicht unbedingt in eine bestimmte Schublade packen, aber wir sind davon überzeugt, dass Interdisziplinarität immer einen komplexeren Ablauf an Themen ermöglicht, ohne dass daraus ein „Gemischtwarenladen“ werden muss. Bei uns hat jeder seine Kompetenzen und Schwerpunkte, inhaltlich, aber auch was die Fähigkeiten und die Ausbildung betrifft. 

CCB Magazin: Ihr habt euren Sitz im Wedding. Der Wedding verändert sich sehr. Derzeit stehen zum Beispiel die Gerichtshöfe auf dem Prüfstand: Das Areal wurde 2009 vom Liegenschaftsfonds Berlin für 270.000 Euro verkauft, hat dieses Jahr aber über fünf Millionen Euro durch den Weiterverkauf erzielt. Wie schätzt ihr die gegenwärtige Situation für Kulturschaffende im Wedding ein?

Can:Mit der Kolonie Wedding wurde speziell im Soldiner Kiez von der Degewo systematisch ein Stadtteil-Aufwertungsprojekt betrieben, indem sie Künster*innen Räume und Ladenlokale zum Nebenkostenpreis angeboten haben. Daher gibt es gerade hier im Soldiner Kiez eine große Dichte von relativ erfolgreichen Projekträumen. Lange Zeit hat das nicht so richtig Wirkung gezeigt, aber in den letzten Jahren - auch seit wir hier sind - haben wir natürlich schon eine Veränderung beobachtet - viele Studenten und in letzter Zeit auch junge Familien sind her gezogen. Wir denken schon, dass Kulturangebote dazu beitragen, einen Stadtteil attraktiver zu machen, aber es gibt einfach zu wenig bezahlbaren Wohnraum in Berlin, und so werden eben die früheren unattraktiven „Randgebiete“ plötzlich Teil der Innenstadt. So wie wir aber aus Mitte „weg-gentrifiziert“ wurden, könnte es uns hier auch passieren, da wir trotz aller „Erfolge“ bestimmt nicht die Finanzkraft eines kommerziellen Business oder einer Edel-Gastronomie haben werden.

CCB Magazin: Wie geht’s mit euch weiter? Was plant ihr in der Zukunft?

Malve:Wir wollen das laufende Programm und Programmschwerpunkte weiterführen und mit unterschiedlichen Kurator*innen weiter ausbauen. Die mobile Ausstellung „SILA YOLU - Der Ferientransit in die Türkei und die Erzählungen der Autobahn“ wird im März im Ford Transit nach Istanbul reisen und dort im Depo einen Monat lang zu Gast sein. 2017 würden wir gerne eine NRW-Tour machen, da gerade im Ruhrgebiet ein großer Teil der türkischstämmigen Community lebt. Dafür brauchen wir allerdings eine Förderung. Unter bi’baxchange laden wir immer wieder andere Künstler*innen und Projektinitiativen ein, die sich in ihren Arbeiten mit dem Thema Migration befassen, unter bi’bakwerk haben wir weitere Workshops geplant. Zwei weitere internationale Kooperationsprojekte sind gerade in der Entwicklungsphase. Gerade stehen wir vor der Frage, inwiefern wir weiter wachsen können und wie wir unser Team besser aufstellen können, um die vielen Aufgaben und immer größer werdenden Herausforderungen zu bewältigen. Da wir im Moment auch immer mehr Publikum anziehen und unser Raum bei manchen Veranstaltungen aus allen Nähten platzt, stellt sich natürlich die Frage nach einer Vergrößerung des Raums. Eigentlich fühlen wir uns aber in unserem kleinen Raum mit Kaminfeuerbeheizung und gerade in dieser Nachbarschaft sehr wohl.

CCB Magazin: Malve und Can, vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg. 


Profil von bi’bak auf Creative City Berlin 

bi’bak wurde aktuell mit dem Berlins Best-Siegel von Kreativ Kultur Berlin ausgezeichnet

Rubrik: Im Profil

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