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Wie entstehen Jobs in der Berliner Techno-Szene? Jan-Michael Kühn ist DJ alias Fresh Meat, betreibt einen Blog für Techno und Clubkultur und forscht als Wissenschaftler zum Thema „Arbeiten in der Berliner Techno-Szene“. Jetzt ist sein Buch erschienen. Er sagt: In der Szene verdienen viele wenig und wenige viel, für einen Großteil der Szene ist das aber legitim. Es geht um subkulturelle Anerkennung, Ästhetik und aktives Szenedasein, wirtschaftlicher Ertrag ist zweitrangig.
CCB Magazin: Hallo Jan, du betreibst deinen Blog, das „Berlin Mitte Institut“, wie ein Institut siehst du nicht gerade aus.
Jan-Michael Kühn: Ja, ich bin eher so ein Projekt, so fühle ich mich auch (lacht).
CCB Magazin:Über deinen Blog vernetzt du die Szene und informierst über aktuelle Entwicklungen. Zugleich bist du DJ, Wissenschaftler und forschst zum Thema „Arbeiten in der Berliner Technoszene“ – Vergemeinschaftsformen, Szenenstruktur, Erwerbsarbeit“. Wie lauten deine Ergebnisse?
Jan-Michael Kühn:Die Arbeit in der Techno-Szene wird szeneförmig nach eigenen ästhetischen Kriterien in eigener Infrastruktur und Wertschöpfungskette kleinwirtschaftlich organisiert. Dabei geht es in erster Linie nicht um ökonomische Verwertung, sondern um Szene-Ästhetik und darum, Teil der Szene zu sein. Subkulturelle Anerkennung, soziales Prestige und Reputation spielen für die Szene eine entscheidende Rolle. Die Kulturökonomie der Techno-Szene hat ganz spezifische Eigenschaften, die sie auch von massenkulturellen Szenen und der klassischen Musikindustrie unterscheiden.
CCB Magazin:Gerade die Techno-Szene war aber lange Zeit als kommerzielle Spielwiese und Teil der Massenware verschrien.
Jan-Michael Kühn:Ja, das schon, aber die Techno-Szene besitzt ganz eigene Märkte mit eigener Logik, die sich aus ihren Kulturproduktionsformen ergeben. Zum einen gab es in den 1990er Jahren den großen kommerziellen Markt um Interpreten wie Marusha oder Westbam, der im Anschluss kurzzeitig eingebrochen war, nun aber wieder in den Charts angekommen ist. Zum anderen gab und gibt es die clubbasierte Musikkultur, die sich vom Massenmarkt unterscheidet. Es geht bei Techno aber immer um elektronische Tanzmusik, egal ob kommerziell oder nicht-kommerziell, das ist der Fokus. Die Märkte erschließen sich direkt aus der Szene heraus.
CCB Magazin:Das klingt so, als ginge man jahrelang feiern, bis sich daraus irgendwann vielleicht einmal ein Job ergibt.
Jan-Michael Kühn:So in etwa, aus der Szene heraus entstehen Arbeitsplätze, die Leute kommen aus einem Szenekontext und das heißt: Man macht keine Uni-Ausbildung, sondern bewegt sich solange in der Szene bis man selbst Teil des Ganzen wird. Die Akteure fragen sich: Was gibt es eigentlich für Jobs in meinem Umfeld, die man ausüben kann? Leute gehen vom Ausgehen zur aktiven Kulturproduktion über.
CCB Magazin:Das hört sich nach einem elektronischen Traum der Marke Paul Kalkbrenner an, der mitten in der Musikindustrie-Krise 2001 sein erstes Album herausbrachte und einfach so lange weitermachte, bis er über den Film „Berlin Calling“ entdeckt wurde. Das gelingt ja nicht jedem.
Jan-Michael Kühn:Ja, dieses Glück hat natürlich nicht jeder, ganz im Gegenteil. Viele wollen aber auch gar nicht an seiner Stelle stehen, in der Berliner Szene hat er durch seine Massenorientierung stark an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Er bewegt sich jenseits subkultureller Hierarchien, die um Musik und Clubs entstehen.
CCB Magazin:Du plädierst in deiner Studie für den Begriff der „Szenewirtschaft“. Warum?
Jan-Michael Kühn:Die Musikindustrie orientiert sich heute wesentlich an den Prinzipien der Massenkultur und die Kreativwirtschaft versucht neuerdings jede Form wirtschaftlich-ästhetischen Handelns als Kreativität zu deuten. Bei Techno geht es aber primär nicht um eine ökonomische Ausrichtung, sondern um Ästhetik und Teilnahme in den Netzwerken der Szene. Es geht um einen aktiven Clubkontext.
Bei Techno geht es primär nicht um eine ökonomische Ausrichtung, sondern um Ästhetik und Teilnahme in den Netzwerken der Szene
CCB Magazin:Du erforschst die Berliner Techno-Szene. Was ist das Besondere an ihr?
Jan-Michael Kühn:Das Besondere an Berlin ist zunächst die historische Grundlage. Die Stadt war einmal zweigeteilt, in Westberlin musste lange Zeit kein Wehrdienst geleistet werden und es gab keine Sperrstunde, in Ostberlin sammelten sich in Prenzlauer Berg und Mitte subkulturelle Szenen und Regimekritiker. Diese Entwicklungen waren zugleich ein Einfallstor für sämtliche Subszenen und hatten auch Einfluss auf die Berliner Techno-Szene. Schon nach dem 2. Weltkrieg gab es in Berlin eine breite alternative Szene und dieses Anderssein-Wollen, dieses Denken von einem „Weg aus der Provinz“. Diese Historie wirkt bis heute, sie macht Berlin bis heute weltweit interessant.
CCB Magazin:Viele sehen diese Kultur in Berlin in Gefahr. Die Angst vor Verdrängung wächst.
Jan-Michael Kühn:Ja, es ist die Angst, dass alternative kulturelle Räume verschwinden, und diese Entwicklung zeichnet sich im Zuge der Gentrifizierung ab. Einerseits wird die Szene heute als Wirtschaftsfaktor verstanden, anderseits sieht man, dass im Kampf um urbane Ressourcen die Szene wirtschaftlich benachteiligt bleibt und verdrängt wird, gegenwärtig wandert sie zunehmend in die Bezirke außerhalb der Innenstadt ab. Die Szene kann ökonomisch gar nicht mithalten.
CCB Magazin:Die Berliner Musikindustrie produziert jährlich zwischen 700 Mio. und einer Milliarde Euro Umsatz mit 10.000 Beschäftigten, wobei der Veranstaltungsmarkt wächst, die Erlöse des Tonträgermarktes sinken. Gerade für kleine Labels, Musikproduzenten und Verleger bleibt dieser Markt weiterhin prekär. Siehst du diese Entwicklung als Gefahr?
Jan-Michael Kühn:Die Schere zwischen Gut- und Schlechtverdienenden in der Szene ist heute immens, und diese Entwicklung ist eine Gefahr, zugleich gehört Prekarität aber grundsätzlich zu Musikszenen dazu. Das liegt schon in ihrer Sozialform „Szene“ und ihren ästhetischen Abgrenzungen begründet. Indem sich Szenen vom Massen-Markt abgrenzen, reguliert die szenespezifische Ästhetik die marktradikalen Arbeitsbedingungen. Der Spruch bringt‘s auf den Punkt: „Good music I dance to – no good music I not dance“. Gewerkschaftliche Tarife zum Beispiel, etwa für DJs, würden in der Techno-Szene auf große Proteste stoßen und tief in subkulturelle Selektionsprozesse eingreifen. Unsichere, flexible Lebens- und Arbeitsbedingungen werden also durch die Akteure legitimiert.
Die Techno-Szene kann ökonomisch gar nicht mithalten
CCB Magazin:Zugleich beklagt man schlechte Rahmenbedingungen und möchte von der Arbeit leben können. Ist das ein Widerspruch?
Jan-Michael Kühn:Nein, denn es geht darum, die Rahmenbedingungen politisch zu verändern.
CCB Magazin:Was meinst du?
Jan-Michael Kühn:Vor allem subkulturell orientierte Szenen sollten heute politisch klar bevorteilt werden, damit die Stadt von ihren Effekten profitieren kann. Aktuell diskutieren wir zum Beispiel darüber, wie man die ‚freie‘ Kultur in Berlin aufgrund der gestiegenen Touristenzahlen über eine Hotelabgabe, über die City-Tax, stärken kann. Künftig sollten vor allem Hotels und kommerzielle Hostels Abgaben zahlen, über die wiederum Flächen und Räume gekauft werden, die günstig für subkulturelles Wohnen und Arbeiten bereitgestellt werden. Finanzielle Förderung kann in solche Infrastrukturkonzepte fließen. Es muss bezahlbare Mieten und genug Räume und Flächen für junge Leute und Künstler geben. Konzeptuell steht da die Stadtplanung ganz vorne.
CCB Magazin:Inwiefern trägt auch die Digitalisierung des Tonträgermarktes dazu bei, dass viele Kulturproduzenten der Techno-Szene heute zu wenig verdienen?
Jan-Michael Kühn:Die Zugangsbarrieren zur Kulturproduktion sinken, damit können immer mehr Menschen Musik machen. Wenn die Gesamtmärkte der Szenewirtschaft nicht gleichzeitig enorm mitwachsen, bedeutet das für etablierte Musikproduzenten jedoch Einnahmeeinbußen durch wegfallende Musikverkäufe und möglicherweise auch Gigs. Viele der nachkommenden Produzenten schaffen es gleichzeitig nicht in die Szene-Netzwerke, da sich viele schlicht nicht für ihre Musik interessieren, da es heute einen Überfluss an Produktion gibt. Die Musikkultur erlebt derzeit eine Amateurisierungswelle. Im Internet entsteht ein großer Friedhof von Musik-Spam. Der Club wird darum immer zentraler, um die ganze Szenewirtschaft zu finanzieren.
CCB Magazin:Jan, vielen Dank für dieses Gespräch.
Musik, Texte und weitere Infos: www.berlin-mitte-institut.de/freshmeatdj/
Bloglinnk: www.berlin-mitte-institut.de
Profil von Jan-Michael Kühn auf Creative City Berlin.
Portfolio des Berlin Mitte Instituts auf Creative City Berlin.
Rubrik: Wissen & Analyse
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