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Tom Bresemann: „Berlin muss aufpassen, dass KünstlerInnen und AutorInnen nicht die Lebensgrundlage entzogen wird“

Tom Bresemann: „Berlin muss aufpassen, dass KünstlerInnen und AutorInnen nicht die Lebensgrundlage entzogen wird“
Foto: © Lettrétage
Schreibtisch, Stift, Bart: Tom Besemann im Gespräch mit Creative City Berlin.

Wer die Berliner Literaturszene kennt, kennt Tom Bresemann – Autor (zuletzt: Arbeiten und Wohnen im Denkmal, Gedichte luxbooks 2014) und Mitbegründer der Lettrétage in Kreuzberg, eines der führenden Literaturhäuser und Veranstaltungsort für Autoren in der Stadt. Was kann ein Ort wie die Lettrétage für die Berliner Literaturszene leisten? Vor welchen Herausforderungen stehen die Literaturszene und eine Stadt wie Berlin? Ein Gespräch über Lesen und Lesen-lassen, die Lettrétage-Villa in der Methfesselstraße 23-25 und die Zukunft der Literatur.

 

INTERVIEW Jens Thomas

 

CCB Magazin: Hallo Tom, euch, also die Lettrétage, gibt es seit 11 Jahren. Was ist die Lettrétage und was macht ihr?

Tom Bresemann: Die kurze Variante ist: Wir sind ein nicht institutionell gefördertes Literaturhaus, das seit 2006 existiert. Wir organisieren 60 bis 80 literarische Veranstaltungen pro Jahr, von internationalen Festivals zu neuen Wegen der literarischen Präsentation wie SOUNDOUT! bis hin zu kleinen Lesereihen und Konferenzen, unter anderem das Literaturlabor 2014 - 2016, die Internationale Konferenz zu digitaler Literatur 2016 oder die Internationale Konferenz literarischer AktivistInnen 2015. Im Vordergrund steht die Suche nach neuen Ausdrucksformen der literarischen Produktion und Veranstaltung, wobei wir gern mit KünstlerInnen und AutorInnen zusammenarbeiten, die sich mit dem Thema in ihrer jeweiligen ästhetischen Praxis auseinandersetzen. Wir wollen diesen KünstlerInnen sowie ganz allgemein literarischen UrheberInnen der Stadt einen Raum für ihre Ideen bieten.
 


CCB Magazin:Du bist einer der Mitbegründer der Lettrétage. Wie fing das alles an?

Tom Bresemann:Gelegenheit macht Liebe, so sagt man das doch: 2006 erhielt der Lektor und Übersetzer Moritz Malsch die Möglichkeit, eine Etage in einer alten Villa direkt am Kreuzberg anzumieten, in der sich ein schönes, größeres Erkerzimmer befand, das sich schlecht untervermieten ließ. Moritz und ich kannten uns über die Uni und Verlagspraktika. Moritz hatte dann die Idee, regelmäßig Lesungen in besagtem Erkerzimmer zu organisieren. Das stieß bei mir gleich auf offene Ohren. Kurze Zeit später kam die Literaturwissenschaftlerin Katharina Deloglu dazu. Das war der Anfang: Die Lettrétage war geboren.

Wir wollen KünstlerInnen und UrheberInnen der Stadt einen Raum für ihre Ideen bieten

CCB Magazin:Es gibt in Berlin mehrere Literaturhäuser wie das LCB, Brecht-Forum oder LesArt, das Berliner Zentrum für Kinder- und Jugendliteratur. Was ist das Besondere an der Lettrétage?

Tom Bresemann:Ohne hier für meine KollegInnen sprechen zu können, denke ich, dass das Besondere an der Lettrétage ist, dass für uns von Anfang an die Lust am Gastgeben und am Zusammenbringen von Menschen im Mittelpunkt stand. Wir verstehen Literatur als Kommunikationsmittel, als einen der besten Anlässe zu offenen Begegnungen. Jede und jeder entwickelte bei uns in den Anfängen 2007 und 2008 eigene Themenschwerpunkte, daraus wurden dann die ersten größeren Projekte. Anfänglich probierten wir uns nur aus, das tun wir zwar auch heute noch, aber spätestens seit 2012 fand eine deutliche Professionalisierung statt: Mittlerweile ist die Lettrétage für uns drei, und auch für diverse freie MitarbeiterInnen, PraktikantInnen und EhrenamtlerInnen, zu einem gewichtigen Lebens- und Arbeitsinhalt gewachsen. 
 

Veranstaltungen in der Lettrétage. Foto: © Lettrétage
 

CCB Magazin:Ihr habt zwei Zweigstellen: Eure ‚Villa‘ mit den Büros und seit 2013 euren Veranstaltungsort am Mehringdamm 61. Wie finanziert ihr die Lettrétage?

Tom Bresemann:Wir haben eine Mischfinanzierung: Zum einen beantragen wir Gelder für kleine und große Projekte, die wir dann entwickeln und organisieren. Zum anderen gibt es den kommerziellen Bereich: Das meint die Vermietung unserer Räume, die wir literarischen UrheberInnen und MultiplikatorInnen für Produktion oder Redaktionssitzungen zur Verfügung stellen. Und darüber hinaus steckt viel ehrenamtliches Herzblut in der Lettrétage. Ohne die vielen Menschen, die mit ihrem Hirn- und Herzblut und ihren Händen und Füßen zum Gelingen unserer Abenteuer beitragen, wäre die Lettrétage gar nicht möglich! 

Wir verstehen Literatur als Kommunikationsmittel, als einen der besten Anlässe zu offenen Begegnungen

CCB Magazin:In Berlin leben Schätzungen zufolge rund 10.000 freie Autoren und Übersetzer. Das Durchschnittseinkommen bewegt sich um die 20.000 Euro brutto jährlich. Ein wichtiges Thema ist immer wieder: Wie lebe und überlebe ich als Autor? Auch ihr beschäftigt euch mit solchen Fragen. Welche Antwort hast du?

Tom Bresemann:Ich denke, man tut als Autor gut daran, sich Gedanken über ein Mischmodell zu machen. Als Autor muss man in der Regel mehrere Dinge tun, um überleben zu können: eigene Texte publizieren, Lesungen halten, Veranstaltungen organisieren, Workshops leiten oder eben auch anders jobben. 
 

Tom Bresemann. Foto: © Lisa Borries


CCB Magazin:Der Soziologe Jan-Michael Kühn hat gerade in seiner Studie über die Berliner Techno-Szene herausgefunden, dass Prekarität zur Techno-Szene dazugehört und, zumindest in weiten Teilen, akzeptiert wird: Man erwartet gar nicht, dass man vom Auflegen etc. leben kann. In der Literaturszene, und auch im Bereich Bildende Kunst, gibt es immer wieder Debatten ums Überleben als Künstler*in. Woran liegt das?

Tom Bresemann:Jede Sparte hat ihre eigenen Mythen. Und im Bereich der Literatur begegnet einem recht oft die Meinung, die Gesellschaft schulde dem Autor/der Autorin etwas, weil man für sie schreibt. Die humanistische Bildung wird hier eine entscheidende Rolle spielen: Techno ist kein schulischer Lerninhalt, Literatur schon. Mir ist diese Erwartungshaltung, das Einfordern, eher fremd.

CCB Magazin:Das heißt, die Szene sollte sich nicht beschweren?

Tom Bresemann:Das habe ich nicht gesagt. Es geht um die Ebene, auf der das geschieht. Geht es nur darum, dass „meine“ Literatur nicht angemessen bezahlt wird, oder geht es darum, das generelle Verhältnis von Leistung und Entlohnung in Frage zu stellen? Wichtig ist zum Beispiel schon, sich etwa mit dem Problem steigender Mieten auseinanderzusetzen. Das ist aber ein gesamtgesellschaftliches Problem. Wir haben hier in Berlin eh eine historisch seltene Situation: West Berlin war jahrelang wirtschaftlich eine Sackgasse. Berlin war günstiges Terrain. Und das ist auch der Grund dafür, dass Berlin heute so ist wie es ist. Der Markt hat eben nur 20 Jahre gebraucht, um diese Situation nach der ihm eigenen Logik zu korrigieren. Die Mieten steigen, der Druck nimmt zu. Und hierfür braucht es Lösungen.

CCB Magazin:Die da wären?

Tom Bresemann:Wichtig ist, dass die Strukturen stimmen, und damit meine ich die Wohnsituation und die Möglichkeit zur Entfaltung in der Stadt. Berlin muss aufpassen, dass KünstlerInnen und AutorInnen nicht die Lebensgrundlage entzogen wird, und übrigens auch HandwerkerInnen, Müllmännern und EinzelhändlerInnen nicht. Ich denke aber auch, dass sich allmählich das Bewusstsein dafür in der Stadt verändert, Dinge gemeinsam anzugehen, gerade von Seiten der Kulturpolitik.

Allmählich entwickelt sich ein Bewusstsein in der Stadt, Dinge gemeinsam anzugehen

CCB Magazin:Inwiefern?

Tom Bresemann:Die letzten Jahre haben gezeigt, dass es sinnvoll ist, in Zusammenarbeit mit den Playern über Förderprogramme, Stipendien und Module nachzudenken. Vor allem die spartenübergreifenden Aktionen der Freien Szene haben dazu in hohem Maße beigetragen - die freie Literaturszene hat sich in den letzten Jahren zu gemeinsamen Aktivitäten entschließen können. Berlin, und vor allem die Literaturszene der Stadt, ist ein Pflaster für EinzelkämpferInnen, die vielen EinzelkämpferInnen reden nun aber regelmäßiger und in festerem Rahmen miteinander und mit politischen Entscheidungsträgern, das halte ich für gut und richtig.
 

Lesungen in der Lettrétage. Foto: © gezett.de 
 

CCB Magazin:Du bist selbst gebürtiger Berliner und kommst aus Hohenschönhausen. Du hast den Wandel der Stadt in den letzten Jahren hautnah miterlebt. Wie hat sich Berlin als Ort für die freie Literaturszene verändert?

Tom Bresemann:Die Szene ist mittlerweile sehr international und offen, vielgestaltig, so dass man eigentlich kaum mehr von einer Szene sprechen kann. Berlin hat sich zur heimlichen europäischen Literaturhauptstadt gemausert, davon profitieren natürlich auch wir Veranstalter und das Publikum. Zu beobachten ist zudem, dass sich die Verbindungen zu den großen, institutionell geförderten Häusern in den letzten Jahren verbessert haben, auch finden regelmäßiger als früher Treffen und gemeinsame Aktionen statt. Wir können mittlerweile hochkarätige internationale Events veranstalten, ohne Nicht-Berliner einladen und einfliegen zu müssen - eine Situation, die in keiner anderen deutschen Stadt so möglich wäre, denke ich. Die Berliner freie Szene ist lebendig, vielfältig und voller Impulse. Es macht Spaß, dabei zu sein!

Berlin hat sich zur heimlichen europäischen Literaturhauptstadt gemausert, davon profitieren natürlich auch wir als Veranstalter und das Publikum

CCB Magazin:Ein Ergebnis eures Branchentreffs, der gerade stattfand, war, dass die freie Literaturszene noch nicht so vernetzt ist wie die freie Theaterszene oder freie Filmszene und es darum ein großes Netzwerk braucht, um mehr Marktmacht zu haben und angemessene Honorare durchzusetzen. Ihr baut gerade das europäische Netzwerk CROWD auf. Was hat es damit auf sich?

Tom Bresemann:CROWD ist ein Netzwerk aus LiteraturaktivistInnen, das Katharina Deloglu und ich in den letzten Jahren gemeinsam koordiniert haben. Die CROWD versteht sich als selbstverwaltetes Netzwerk von AutorInnen, Projektträgern, ÜbersetzerInnen – eben LiteraturaktivistInnen. Uns geht es darum, neue Wege der Auseinandersetzung mit Literatur zu suchen, uns besser und nachhaltiger miteinander zu vernetzen, sei es durch große Events wie unsere AutorInnenbusreise mit über 200 AutorInnen aus ganz Europa von Mai bis August 2016, von Finnland bis Zypern, oder sei es durch die Entwicklung digitaler Tools wie einer European Map of literary Activists. Der Launch dazu ist im Frühjahr 2017. Wir haben Organisationspartner von Finnland bis Zypern. Unser Ziel ist es, im europäischen Rahmen das interkulturelle Gespräch von kulturaktiven BürgerInnen zu befördern, gegen Grenzen und Ausschlussmechanismen anzugehen, in unserer täglichen Zusammenarbeit von unseren Unterschieden und verschiedenen Ideen zu profitieren, unsere Ideen in andere Kontexte zu bringen, unsere Impulse und Erfahrungen einander zur Verfügung zu stellen – insofern bedeutet die CROWD ebenso politisch-gesellschaftliches wie künstlerisch-organisatorisches Arbeiten.

CCB Magazin:Du bezeichnest dich selbst als politischen Autor. Was ist politisch an dir?

Tom Bresemann:Ich glaube an ein mündiges Lesen, das heißt ich verstehe Literatur nicht zuvorderst als Lernerfahrung, Quizshow oder Weltverbesserungsklischee. Ich verstehe mich als politischen Autor. Viele meiner Texte lassen sich so lesen und sind so gelesen worden – das bedeutet für mich weder Polizei- noch Parteilyrik, sondern vielmehr ein Überprüfen, ein Fokussieren, ein Nachhaken, ein Nachhören, Nachfragen, Zuspitzen. Gedichte und Literatur als Möglichkeit, sich über Positionen zu verständigen, schroff, unverhohlen – in erster Linie erst mal mit sich selbst, ohne erhobene Zeigefinger.

CCB Magazin:Du hast mittlerweile mehrere Bücher herausgebracht, zuletzt ist von dir „Arbeiten und Wohnen im Denkmal“ erschienen. Faustkultur hat dich mal als Autor zwischen Witz und Widerborstigkeit beschrieben. Wie bist du eigentlich zur Literatur gekommen?

Tom Bresemann:Mein erster Gedichtband erschien 2007, seitdem drei weitere. Meine Berührungspunkte zur Literatur reichen aber deutlich weiter zurück, bis in die elterlichen Bücherschränke. Ich bin in einem Elternhaus aufgewachsen, in dem Literatur und Bücher eine große Rolle spielten. Ich habe Literaturwissenschaften bei Professoren wie Norbert Miller studiert. Seine Zugänge zu Texten haben mich fasziniert und mir ganz neue Verständnisse von Literatur erschlossen. Zur Literaturszene in Berlin kam ich über erste Aktivitäten ab 2004 im Rahmen der S³ LiteraturWerke.

CCB Magazin:Das heißt, du hast in der S³ gelesen?

Tom Bresemann:Genau. Das war der Anfang sozusagen. Mit Erscheinen meiner ersten Bücher kam dann die Außenwahrnehmung - durch Rezensionen, Einladungen zu Lesungen und Preisen.
 



CCB Magazin:Was bedeutet dir Literatur und was ist dir beim Schreiben wichtig?

Tom Bresemann:Literatur ist für mich in erster Linie ein Kommunikationswerkzeug. Nichts muss gelehrt oder gelernt werden. Wichtig ist es, das Gespräch aufzunehmen und nicht abreißen zu lassen, literarische Texte als Zeugnisse des Hier- und Soseins zu verstehen. Insofern wünsche ich mir Gedichte, denen man ansieht, dass ihr Autor nicht aufhört, Fragen an sich und die Sprachsituationen, die er vorfindet, zu stellen. Solche Gedichte möchte ich schreiben.

CCB Magazin:Tom, wie geht’s mit dir und der Lettrétage weiter? Wo willst du als Mensch und Autor und auch mit der Lettrétage noch hin?

Tom Bresemann:Für die nächsten Jahre ist mein Ziel, die Möglichkeiten des Produzierens und Veranstaltens von Literatur auf neue Ansätze hin zu überprüfen. Ich will jeden Tag weiter und immer wieder aufs Neue an Prozessen auf Augenhöhe mitarbeiten, über die ich meine Projekte und die Zusammenarbeit mit meinen KollegInnen und Kooperationspartnern erleben will. Ich will dazu beitragen, die Lettrétage stabil zu halten und voranzubringen, ohne die derzeitige Lebendigkeit, Ausgelassenheit und Offenheit einzubüßen. Seriös und gleichzeitig mit der Taschenlampe unter der Bettdecke zu organisieren. Nicht vergessen, dass ich so vieles nicht weiß. 

CCB Magazin:Tom, danke für das Gespräch.


Profil von Tom Bresemann auf Creative City Berlin  

Weitere Infos zu Tom Bresemann: http://www.literaturport.de/Tom.Bresemann

Alle Infos zur Lettrétage: www.lettretage.de


Auszeichnung der Lettrétage zu Berlin's Best

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