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Thomas Ramge: „Kultur- und Kreativschaffende sind künftig im Vorteil“

Thomas Ramge: „Kultur- und Kreativschaffende sind künftig im Vorteil“
Foto: © Peter van Heese

Die Digitalisierung verändert Arbeit und Lebenswelt, und sie verändert die Zukunft kreativer Arbeit. Der Wirtschaftsjournalist und brand-eins-Autor Thomas Ramge hat dazu mehrere Bücher verfasst. Sein aktuelles Buch „Das Digital“ setzt sich mit der Zukunft der Arbeitswelt im Datenkapitalismus auseinander. Er fordert eine „progressive Daten-Sharing-Pflicht“, die die Macht von Großkonzernen beschneidet und die vor allem Kreativschaffenden zu Gute kommt. Wie soll das funktionieren? Welche Zukunft haben kreative Arbeitsformen im digitalen Datenzeitalter?

 

 INTERVIEW JENS THOMAS
 

 

CCB Magazin: Herr Ramge, vor einem Jahrzehnt haben Sie mit Holm Friebe „Marke Eigenbau: Der Aufstand der Massen gegen die Massenproduktion“ veröffentlicht. Ihre These lautete, dass das Selbermachen eine Renaissance erlebt zugunsten hochwertiger Produkte zu fairen Preisen. Ihr neuestes Buch „das Digital“ liest sich wie eine Hommage an Karl Marx‘ „das Kapital“ und rechnet mit dem globalen Datenkapitalismus ab. Würden Sie sagen, dass Sie Dinge bewusst zuspitzen, um sie transparent zu machen?

Thomas Ramge: Klar, Zuspitzung gehört zum Handwerkszeug von Autoren, die Gehör finden wollen. Der Titel „Das Digital“ ist aber weniger eine Hommage an „Das Kapital“, als eine Anspielung mit Augenzwinkern. Viktor Mayer-Schönberger und ich haben jedenfalls laut gelacht, als unser Agent Thomas Hölzl den Titel vorgeschlagen hatte. Unser Anliegen ist auch keine Abrechnung mit dem Datenkapitalismus. Wir sind keine Daten-Neomarxisten.

Die Daten gehören uns, den Nutzern, die sie erzeugen

CCB Magazin: Aber Sie kritisieren in Ihrem neuen Buch die zunehmende Datenmonopolisierung.

Thomas Ramge: Das stimmt, die Vision, die wir beschreiben, ist dennoch kein Daten-Sozialismus als historische Vorstufe des Daten-Kommunismus. Wir sehen und beschreiben vielmehr, wie Monopolisierung von Daten die Großchancen der Digitalisierung versemmeln könnte. Und wir hoffen, dass der Datenkapitalismus eine digitale soziale Marktwirtschaft wird und wir machen Vorschläge, wie eine solche entstehen kann.

CCB Magazin: Wie schafft man eine digitale soziale Marktwirtschaft?

Thomas Ramge: Der Staat muss dafür sorgen, dass die großen Digital-Konzerne keine Oligopole und Quasi-Monopole bilden können, sondern fairer Wettbewerb herrscht. Zugleich müssen Menschen lernen, Daten und die sogenannte Künstliche Intelligenz (KI) zum Wohl des Einzelnen und für Gemeinschaften zu nutzen. Und beides muss in Einklang gebracht werden, das beschreiben wir ja auch in unserem Buch. „Das Digital“ möchte ein Beitrag zu der Diskussion sein, wie wir digitale Veränderung so gestalten, dass es Wohlstand und Teilhabe für alle mehrt und nicht nur für Digital-Konzerne und deren Aktionäre.

Wir schlagen eine „progressive Daten-Sharing-Pflicht“ vor. Die Unternehmen mit extremem Datenreichtum müssen ihre Daten mit Wettbewerbern teilen. Das würde auch Kultur- und Kreativschaffenden in die Karten spielen

CCB Magazin: Wo liegt denn das Problem im Kern?

Thomas Ramge: In den letzten zwanzig Jahren ist es einer neuen Generation von Superstar-Firmen mit digitalen Plattformen gelungen, Quasi-Monopole zu errichten. Dieser „The-Winner-Takes-It-All-Trend“ wird sich in den kommenden Jahren weiter verstärken durch Daten lernende KI-Systeme und datenreiche Märkte. Das Kartellrecht, gemacht gegen Stahlbarone, zeigt sich dagegen schon jetzt als vollkommen machtlos.  

CCB Magazin: Was tun?

Thomas Ramge: Wir schlagen eine regulatorische Innovation wider den Datenmonopolkapitalismus vor: Eine „progressive Daten-Sharing-Pflicht“. Das hört sich kompliziert an, aber das Prinzip ist im Kern einfach. Die Unternehmen mit extremem Datenreichtum müssen ihre Daten mit Wettbewerbern teilen. Konkret kann das so aussehen: Die Pflicht zum Teilen von Daten setzt ein, sobald ein Unternehmen einen bestimmten Marktanteil erreicht, beispielsweise zehn Prozent. Überschreitet ein Unternehmen diese Schwelle, muss es einen Teil seiner Daten mit allen Konkurrenten teilen, die dies wünschen.

Im Gespräch mit Creative City Berlin, Thomas Ramge. Foto: © Peter van Heese 
 

CCB Magazin: Und das soll funktionieren? Die Sharing Economy ist aus dem Versuch heraus entstanden, Besitz zu minimieren und Partizipation zu ermöglichen. Viele Kreativschaffende setzen heute auf neue Formen der Kooperation und des Teilens, um auch ressourcenschonender zu arbeiten. Führt das Teilen mit bestimmten Konkurrenten, „die dies wünschen“, nicht zu neuen Zweckbündnissen und einer neuen Machtkonzentration?

Thomas Ramge: Das Unternehmen darf die Daten natürlich nicht bewusst auswählen, die anderen zugänglich gemacht werden müssen. Die Daten müssen in der Regel zufällig gewählt sein, in einigen Fällen können sie auch durch einen neutralen Dritten bestimmt werden. Und natürlich muss dabei auch der Datenschutz beachtet werden. In der deutschen Versicherungswirtschaft gibt es so etwas übrigens schon: Die großen Versicherungen müssen den kleinen Hinweise geben, wie sie ihre Tarife sinnvoll schneiden können.

CCB Magazin: Aber das machen doch Giganten wie Google, Apple, Facebook und Co. nicht mit.

Thomas Ramge: Natürlich werden sie sich mit aller Lobbymacht gegen diese staatliche Umverteilung von Daten wehren. Sie werden argumentieren, dass ihnen auf unfaire Weise ihre hart erarbeite Analytik-Kompetenz untergraben werden soll. Das ist aber Unsinn. Die Daten gehören nicht ihnen. Sie gehören uns, den Nutzern, die sie erzeugen. Darum muss ihr Nutzen auch angemessener dem Wettbewerb zu Gute kommen. Den Datenriesen ist es in den letzten Jahren gelungen, kollektive erzeugte Datenschätze exklusiv zu nutzen. Und natürlich wollen sie ihre analytischen Methoden und Algorithmen weiter durch Patente oder Geheimhaltung schützen dürfen. Eine progressive Daten-Sharing-Pflicht würde dies korrigieren. Im anbrechenden Zeitalter der aus Daten lernenden Maschinen ist das dringend notwendig. Sonst behält Marx doch noch Recht und der Datenkapitalismus schafft sich am Ende selbst ab. Das können nicht einmal die Datenmonopolisten wollen.

Foto: © Peter van Heese 
 

CCB Magazin: Welche Rolle spielen die Kreativmärkte in diesem Zusammenhang? Auf der einen Seite profitieren sie von der Digitalisierung, weil das Digitale Möglichkeiten der Gestaltung und Distribution ohne Zwischenmittler schafft. Auf der anderen Seite können die Kreativmärkte gegen große Digitalkonzerne nicht mithalten. Was wiegt mehr: Die Möglichkeiten, eigene Dinge auf den Weg zu bringen, oder die Gefahr, sich gegen Großkonzerne nicht behaupten zu können?

Thomas Ramge: Gegen die Machtkonzentration der wenigen haben es die kleinteiligen Märkte natürlich schwer, wozu auch die Kultursektoren und die Kreativwirtschaft gehören. Gerade ihnen würde darum eine „progressive Daten-Sharing-Pflicht“ in die Karten spielen. Auf der anderen Seite gilt, dass die Digitalisierung der kleinen ökonomischen Einheit, dem kleinen Unternehmen, dem Solo-Entrepreneur oder dem Kreativschaffenden erst jede Menge Werkzeuge zur Verfügung gestellt hat, seine Einzigartigkeit und das analoge Unikat digital zu vermarkten – und dies oft auch global. Zudem sehnen wir uns gerade heute wieder nach dem Besonderen in der anfassbaren Welt, weil die Digitalisierung voranschreitet, und diese Renaissance des Körperlichen und Haptischen bringen vor allem die kleinteiligen und kreativen Nischen hervor. Und heute können selbst Kleinunternehmen, was früher nur Konzerne konnten: nämlich Produkte oder Dienstleistungen für einen Weltmarkt entwickeln und vertreiben. Letzteres sehe ich als Chance.

Kreative müssen Vorbild sein: Sie müssen austesten, wie es anders geht als in der hierarchischen Großorganisation mit ihren Kontroll- und Kommando-Logiken

CCB Magazin: Glaubt man gegenwärtigen Prognosen, wird die Digitalisierung in den nächsten zehn Jahren aber mehrere Millionen Arbeitsplätze vernichten. Herr Ramge, wenn Sie an Arbeitsformen von morgen denken, wie werden wir arbeiten? Was kann eine Kultur und Kreativwirtschaft dafür leisten und welche Entwicklungspotenziale sehen Sie darin zur Lösung gesellschaftlicher Probleme?

Thomas Ramge: Die Kreativen müssen Vorhut und Vorbild sein. Sie müssen austesten, wie es anders geht als in der hierarchischen Großorganisation mit ihren Kontroll- und Kommando-Logiken. Und Kreative müssen den Blick dafür schärfen, was Menschen zumindest auf absehbare Zeit besser können als Maschinen. Aus Daten lernenden Systemen werden viele Berufe wegautomatisiert, die bisher als nicht automatisierbar galten, von LKW-Fahrern über Sachbearbeitern bis hin zu heute hochbezahlten Vertragsjuristen. Da sind Kulturschaffende und Kreative sogar im Vorteil zu vielen anderen Wissensarbeitern. Man könnte sagen, dass sie in diesem Zusammenhang sogar krisenresistent sind. Denn künstliche Kreativität ist bis dato so verdammt unkreativ und das wird auch noch lange so bleiben. Kreativität ist die Fähigkeit, das Neue, das Unbekannte in die Welt zu bringen. Mit dem Unbekannten kennen sich auch die intelligentesten Maschinen nicht aus. Im Suchraum nach dem Neuen haben Algorithmen keine Daten, die sie verarbeiten können. 

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Thomas Ramge: ist Publizist und Wirtschaftsjournalist. Er arbeitet u.a. als Technologie-Korrespondent beim Wirtschaftsmagazin brand eins und ist Autor mehrerer Bücher.  


Das Interview ist erschienen in der 10-Jahres-Printausgabe "The Big Good Future" zu 10 Jahre Creative City Berlin. Das Magazin ist seit 1. Dezember frei erhältlich. Alle Infos gibt es hier.

Rubrik: Wissen & Analyse

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