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Christine Ax: „Wir brauchen Arbeit, die uns zufrieden macht“

Christine Ax: „Wir brauchen Arbeit, die uns zufrieden macht“
Foto: © Nurith Wagner-Strauss

Christine Ax ist Philosophin und Ökonomin. Seit den 1990er Jahren erforscht sie Formen der kreativen Arbeit, des nachhaltigen Wirtschaftens und lokale Ökonomien. Vor zehn Jahren erschien ihr Buch „Die Könnensgesellschaft. Mit guter Arbeit aus der Krise“. Wir wollen wissen: Was macht gute Arbeit aus, wie sieht sie in der Zukunft aus und was kann die Kreativwirtschaft dafür leisten?
 

 INTERVIEW JENS THOMAS

 

CCB Magazin: Frau Ax, Ihr Buch „Die Könnensgesellschaft. Mit guter Arbeit aus der Krise“ ist bald zehn Jahre alt. Es ist ein optimistischer Entwurf, wie selbstbestimmte und kreative Arbeit aus der Krise führt. Sind Sie eine Optimistin, Frau Ax?

Christine Ax:Ich würde sagen, eine Zweckoptimistin. Aber ja: Ich glaube an gute Arbeit und daran, dass sie dem Menschen und der Gesellschaft gut tut.

CCB Magazin:Was ist für Sie gute Arbeit?

Christine Ax:Gute Arbeit ist die, die den Menschen zufrieden macht und die für andere einen Mehrwert schafft. Für gute Arbeit gilt, dass der Lohn auch in der Arbeit selbst liegt. Es geht um eine intrinsische – eine von innen kommende – Motivation. Gute Arbeit hat mit der Erfahrung von Könnerschaft zu tun. Wissen und Können sind aber nicht das Gleiche.

CCB Magazin:Was heißt das?

Christine Ax:Können hat zwar mit Wissen zu tun, Wissen allein reicht aber nicht. Können beruht immer auf Praxis und Erfahrung. Wenn wir Könnerschaft erwerben, sind wir ganz Mensch – mit Herz und Seele dabei und immer auch körperlich beteiligt. Das tut uns gut. Sie ist mit Freude und persönlichem Wachstum verbunden. Wir erfahren unsere Selbstwirksamkeit. Das kann man auch neurobiologisch darstellen und beweisen. Beispiele dafür sind kreative Tätigkeiten wie Musizieren, Tanzen, die Ausübung von Handwerkskünsten, aber auch Kochen und ganz normale Berufe, die sehr viel Übung und Erfahrung erfordern.

Auf der einen Seite gibt es eine Abwertung der Könnerschaft durch die zunehmende Technisierung und Automatisierung. Auf der anderen Seite haben wir gerade heute die Möglichkeiten zur Selbstbestimmung

CCB Magazin:Die Soziologin Cornelia Koppetsch hat in „Ethos der Kreativen“ aufgezeigt, wie Kreativität, Authentizität und Selbstbestimmung seit den 1970er Jahren zu den wichtigsten Arbeitstugenden einer flexiblen Ökonomie geworden sind. Ist Können etwas, das sich durch diesen Wandel etabliert hat, oder ist es etwas, das im Laufe der Zeit, vor allem durch die zunehmende Technisierung, verloren gegangen ist?

Christine Ax:Sowohl als auch. Auf der einen Seite gibt es eine Abwertung der Könnerschaft durch die zunehmende Technisierung und Automatisierung, weil diese den Menschen immer mehr ersetzen. Auf der anderen Seite haben wir gerade heute die Möglichkeiten zur Selbstbestimmung. Grundsätzlich sind wir Wesen, die immer unterwegs sind. Wir möchten im Fluss sein und uns weiterentwickeln. Wie der Philosoph Ortega y Gasset anmerkte, liegt es in der menschlichen Natur, dass wir in einer Welt, die nur aus Notwendigkeiten besteht, nicht glücklich werden können. Darum brauchen wir Freiheit und das Reich des Möglichen, die wir gerade heute haben. Zugleich ist Können nicht digitalisierbar.

CCB Magazin:Was bedeutet das?

Christine Ax:Digitale Arbeit kann Können implizieren. Können ist aber immer angewandtes Wissen. Wir leben in einer Informationsgesellschaft, Informationen sind heute im Überfluss vorhanden, echtes Wissen und echte Könnerschaft aber nicht. Wirkliches Wissen erfordert eine besondere Art von Könnerschaft, also Praxis und Übung. Darum müssen wir es auch üben, mit Informationen so umzugehen, dass sie überhaupt zu echtem Wissen werden. Ob das, was wir zu wissen glauben, tatsächlich wahr ist, wissen wir zudem oft nicht, wir glauben es. Für das Können gibt es dagegen immer einen beglückenden Beweis – das Handeln. Und gerade das macht uns stark und unabhängig.

Foto © Nurith Wagner-Strauss


CCB Magazin:Die Entwicklung der Kreativmärkte deutet gegenwärtig in zwei Richtungen: fortschreitende Digitalisierung auf der einen Seite, eine Rückbesinnung auf die handwerkliche Verrichtung auf der anderen. Sehen Sie darin einen Widerspruch?

Christine Ax:Einen Widerspruch sehe ich darin nicht. Vielmehr zeichnet sich gegenwärtig etwas Neues, etwas dazwischen ab, eine Art dritter Weg: Wir erleben eine Form der Könnerschaft, die auch im digitalen Zeitalter bestehen kann oder sich gerade heute wieder bildet und etabliert, aber als Gegentrend zu einer Welt, die immer technischer und automatisierter wird. Dabei entstehen wieder ganz neue Dinge. Es wird wieder vermehrt selbst hergestellt, und das sogar an der Schnittstelle von Handwerk und Technologie. Denken Sie nur an die zahlreichen Maker Hubs in Berlin. Hier entstehen Arbeitsformen, die auf Können basieren.

Was sich derzeit abzeichnet ist eine Art dritter Weg: Wir erleben eine Form der Könnerschaft, die auch im digitalen Zeitalter bestehen kann

CCB Magazin:Sie beschäftigen sich in ihren Büchern auch mit dem Zusammenhang zwischen kreativer Arbeit, Ökologie und Wachstum. Zahlreiche Labels, Initiativen und Unternehmen im Bereich der Kreativwirtschaft berücksichtigen heute soziale und ökologische Standards. Sehen Sie darin einen Ausweg aus der Krise? Oder sind die Labels und Unternehmen – global betrachtet – viel zu kleinteilig, um überhaupt eine Marktmacht entfalten zu können?

Christine Ax:Natürlich haben es die kleinen Labels und Unternehmen schwer, sich gegenüber Großkonzernen zu behaupten. Aber das müssen sie auch gar nicht. Immer nur wachsen, das kann auch gefährlich werden. Es gibt so etwas wie optimale Betriebsgrößen, das haben meine Untersuchungen oder die des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung zum Thema „Postwachstumspioniere“ gezeigt. Der überwiegende Teil hat schon seinen optimalen Umfang. Jeder Sprung in die nächste Größe braucht zudem Kapital. Das hat zum einen nicht jeder, zum anderen kann das auch riskant sein. Ein weiterer Punkt ist: Es gibt, was unsere Betriebsgrößen angeht, über die letzten Jahrzehnte hinweg gar keine so großen Veränderungen. Viele Unternehmen müssen und wollen gar nicht in dem Maße wachsen, wie man meint, dass sie wachsen müssten. Vielmehr müssen wir uns vom permanenten Wachstum verabschieden.

CCB Magazin:Warum das?

Christine Ax:Rein ökonomisch betrachtet leidet unsere Ökonomie nur an Problemen des Überflusses – man könnte auch von Verteilungsproblemen sprechen. Wir produzieren zum Beispiel doppelt so viele Kalorien pro Kopf wie erforderlich ist, um alle Menschen zu ernähren. Dennoch hungert ein viel zu großer Teil der Menschheit. Und ein anderer Teil ist übernährt; die Folgekrankheiten sind extrem teuer. So, wie wir in den letzten einhundert Jahren konsumiert haben, können wir nicht weitermachen. Wir zerstören damit die Zukunftschancen der Menschheit auf unserem Planeten. Der wichtigste Widerspruch, den wir jetzt bewältigen müssen, hat ganz wesentlich mit dem Thema Arbeit zu tun. Hier kann kreative Arbeit tatsächlich aus der Krise führen.

CCB Magazin:Inwiefern?

Christine Ax:Wir sind eine Arbeitsgesellschaft, der die Arbeit ausgeht – aus ökologischen und aus technologischen Gründen. Weite Teile der Menschheit agieren aber immer noch so, als ob wir verschwenden müssten – Ressourcen und Natur –, um arbeiten zu dürfen. Und diesen Widerspruch lösen wir nur auf, wenn wir das sinkende Arbeitsvolumen gerechter verteilen und den Typus von Tätigkeiten ermöglichen, der mit einem geringen Ressourcenverbrauch verbunden ist – und das sind vor allem handwerkliche und auch kreative Tätigkeiten. Sie machen nicht nur zufrieden, weil sie sinnvolle Tätigkeiten sind, sie ermöglichen auch eine Arbeit am Selbst. Hannah Arendt nannte das „Herstellen“ – in Abgrenzung zur Arbeit. Für diesen Teil von uns hat Hannah Arendt den Begriff „Homo faber“ benutzt. Die zentrale Frage lautet daher: Wie können wir unsere Gesellschaft so umbauen, dass wir alle Tätigkeiten ausüben dürfen, die für uns und die Gesellschaft Sinn haben und die es uns ermöglichen, im Frieden mit der Natur zu leben.

Wir brauchen gute Arbeit für ein gutes Leben: für uns, die Natur und als Ergebnis ­– Güter fürs Leben

CCB Magazin:Was schlagen Sie vor?

Christine Ax:Ich plädiere für eine Rückbesinnung auf das Prinzip Handwerk. Damit meine ich aber nicht, dass wir in die Vergangenheit zurück sollten oder alle ins Handwerk gehen müssen. Das geht sowieso nicht. Es bedeutet, dass wir eine menschlichere – eine humane – Wirtschaft brauchen und gute Arbeit. Arbeit ist gut fürs Leben: für uns, die Natur und als Ergebnis: Güter fürs Leben. Wir brauchen diese Möglichkeitsräume und Laboratorien.

CCB Magazin:Frau Ax, Sie haben ihr Buch „Die Könnensgesellschaft“ vor einem Jahrzehnt verfasst. Unsere Plattform wird nun ebenfalls zehn Jahre alt. Was denken Sie, wenn Sie an die Kreativwirtschaft von morgen denken? Wie kann sie aussehen? Welche Entwicklungspotenziale sehen Sie darin zur Lösung gesellschaftlicher Probleme?

Christine Ax: Wir müssen Arbeit und Einkommen fair teilen. Und wir brauchen eine Politik, die selbstbestimmte gute und kreative Arbeit fördert und das Recht auf Eigentum an Produktionsmitteln. Wir müssen die Peripherie stärken. Wir brauchen eine Grundsicherung und sozialpolitische Instrumente, die Einzelunternehmen und Kleinbetriebe fördern. Der Faktor Arbeit muss entlastet werden. Nicht nachwachsende Ressourcen und alle Energieträger, die zum Klimawandel beitragen, müssen teurer werden. Wir brauchen viel weniger Bürokratie. Eine Mobilitäts- und Argrarwende. Und wir brauchen eine Politik, die etwas für den Mittelstand tut. Und wenn ich vom Mittelstand rede, meine ich nicht die EU-Definition mit mehreren hundert Beschäftigten. Ich meine 80 Prozent der Unternehmen, die weniger als zehn Beschäftigte haben – und damit auch einen Großteil der Kreativwirtschaft, die in hohem Maße kleinteilig organisiert ist. Das alles muss natürlich eingebettet sein in eine ökologische Marktwirtschaft, die nach solidarischen Prinzipien funktioniert und das Finanzkapital in die Pflicht nimmt. Eigentum verpflichtet. Das Gemeinwohl muss vor dem Eigennutz stehen. Das geht. Wir müssen den Aufstand zugunsten einer Wirtschaft und Gesellschaft wagen, die alle einbezieht und nach echter Harmonie mit der Natur strebt. Ich glaube nicht, dass dieser Wandel ohne Konflikte möglich ist. Im Grunde wissen wir, dass und wie es geht. Aber: Gewusst ist noch nicht gekonnt. Wir dürfen uns nicht davor fürchten, Fehler zu machen. Übung macht den Meister. 

Christine Ax: Philosophin und Ökonomin. Seit den 1990er Jahren erforscht sie Formen der kreativen Arbeit, des nachhaltigen Wirtschaftens und lokale Ökonomien.


Das Interview ist erschienen in der 10-Jahres-Printausgabe "The Big Good Future" zu 10 Jahre Creative City Berlin. Das Magazin ist seit 1. Dezember frei erhältlich. Alle Infos gibt es hier: 

Rubrik: Wissen & Analyse

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