Digitalisierung, New Work Zurück

Matthias Krebs: "Hier demokratisiert sich was"

Matthias Krebs: "Hier demokratisiert sich was"
Foto: © Matthias Krebs

Wie verändern Apps das Musizieren und den Musikmarkt? Mit dieser Frage beschäftigt sich Matthias Krebs seit Jahren. Matthias Krebs:  Wissenschaftler, Musiker, Musikpädagoge, Leiter der Forschungsstelle #Appmusik an der UdK Berlin und auch noch Mitgründer des ersten professionellen Smartphone-Orchesters, DigiEnsemble Berlin. Zudem hat er den Verein app2music e.V mit ins Leben gerufen, der Musiker bei Appmusik-Projekten an Berliner Schulen unterstützt. Zeit, dass wir diesen Musikumtriebigen einmal vorstellen. Heute im Profil: Matthias Krebs. 
 

 INTERVIEW JENS THOMAS

 

CCB Magazin: Hallo Matthias, du hast einen üppigen Lebenslauf. Was würdest du sagen, wer du bist?

Matthias Krebs: Ich bin Berliner! Gebürtig in Pankow, und ja es stimmt, ich habe schon so einiges gemacht, insbesondere zur Schnittstellenthematik Musik und Digitalisierung. 

CCB Magazin:Was sind deine genauen Schwerpunkte?

Matthias Krebs:Ich bin Wissenschaftler und beschäftige mich mit verschiedenen Formen der musikalischen Praxis im Zusammenhang mit der Digitalisierung. Im Vordergrund stehen musikästhetische und musikpädagogische Fragestellungen. Dazu leite ich Workshops und halte Vorträge auf Konferenzen. Daneben stehe ich seit 2010 häufig mit dem DigiEnsemble Berlin auf der Bühne, eine Band, die allein mit Smartphones und Tablets musiziert. Zuvor habe ich mal ein paar Semester Psychologie und dann Physik studiert, bin dann sogar Diplom-Musikpädagoge und Opernsänger geworden. 2009 hat es mich an die Universität der Künste Berlin verschlagen, wo ich im Bereich Weiterbildung die Zertifikatskurse „DigiMediaL – Profilbildung für Musik, Schauspiel & Bühne“ entwickelt habe. An der UDK habe ich 2014 auch die Forschungsstelle Appmusik ins Leben gerufen. Meine zentralen Themen sind Social Media, Selbstmarketing und Digitale Transformation.

Matthias Krebs am sogenannten Linnstrument: "Das Musizieren mit digitalen Musikinstrumenten ist eine ganz besondere Erfahrung". Foto: © Stefan Gräfe
 

CCB Magazin:Du hast gerade auch die erste internationale Tagung MOBILE MUSIC IN THE MAKING 2017 (MMM2017) in Berlin organisiert, die Musiker, App-Entwickler, Wissenschaftler und Pädagogen vernetzt. Welche Erkenntnisse hast du gewonnen?

Matthias Krebs:Appmusik ist längst keine Nische mehr. Mittlerweile hat sich ein Markt entwickelt mit tausenden leistungsfähigen Apps für Synthesizer, Drummachines, Looper oder Sequenzer. Auch produzieren viele etablierte Künstler wie Gorillaz, Herby Hancock oder Björk heute ganze Alben über Apps. Es gibt sogar eine Vielzahl von Bildungsangeboten zu dem Thema. Das wurde auch auf der MMM2017 deutlich: Vor Ort waren über 150 Musiker, 50 Akteure aus dem europäischen Ausland, welche aus der Kulturellen Bildung von Kulturinstitutionen wie Bibliotheken, Konzerthäusern und Museen, dazu Wissenschaftler, Musikpädagogen, App-Entwickler, auch Vertreter von Stiftungen und Musik-Verbänden sowie Videokünstler und Theaterkomponisten, die mit Apps arbeiten.

Ich will neue Formen musikalischer Praxis mit digitalen Technologien künstlerisch, pädagogisch und wissenschaftlich erkunden

CCB Magazin:Wie bist du dazu gekommen, dich mit Digitalisierung und speziell Appmusik zu beschäftigen?

Matthias Krebs:Ich habe parallel zu meiner klassischen Ausbildung im Tenorfach und Klavier auch in verschiedenen Bands gespielt. Als ich im Studium mit elektroakustischer und experimenteller Musik in Berührung kam, hat mich das Thema einfach nicht mehr losgelassen. 2009 habe ich das musikalische Potenzial von Apps entdeckt, und ich wollte neue Formen musikalischer Praxis mit digitalen Technologien künstlerisch, pädagogisch und wissenschaftlich erkunden. Lange Zeit galten Musikapps ja eher als Spielzeug. Bei den künstlerischen Experimenten zusammen mit Musikern und Studenten konnte ich aber schon früh erkennen, wie vielfältig dieses Feld ist. Heute werden fast täglich Workshops und Vorträge bei mir nachgefragt.

Appmusik ist längst keine Nische mehr. Mittlerweile hat sich ein Markt entwickelt mit tausenden leitstungsfähigen Apps für Synthesizer, Drummachines, Looper oder Sequenzer

CCB Magazin:Du hast 2010 auch das ‚DigiEnsemble Berlin‘ ins Leben gerufen, ein Smartphone-Orchester mit professionellen Musikern der unterschiedlichsten Professionen. Wie kommt man dazu?

Matthias Krebs:Mit dem DigiEnsemble Berlin wollte ich 2010 bewusst professionelle Musiker aus den verschiedensten Bereichen zusammenbringen, um die musikalische Bandbreite von Musikapps zu erforschen: vom Dirigenten über den Metal-Schlagzeuger bis hin zu Elektronikern und mir als Opernsänger. In einer Band, oder einem Orchester, würde diese Zusammensetzung vielleicht nicht immer funktionieren. Aber mit Apps ergeben sich plötzlich ganz neue Möglichkeiten des Zusammenspiels. Das ist eine ganz besondere künstlerische Erfahrung.

 



CCB Magazin:Aber können Apps ein Bandinstrumentarium ersetzen? Musikmachen basiert auf Interaktion und persönlichem Ausdruck. Geht so etwas nicht verloren, wenn Smartphones oder Tablets an die Stelle von Instrumente rücken?

Matthias Krebs:Auch die Violine, das Saxophon oder der analoge Synthesizer sind zunächst nichts anderes als Technologien zum Musikmachen – ein Werkzeug, ein Instrument. Und selbst die Verwendung von Klappen, Ventilen, Klaviermechanik oder der Orgeltechnik zur Erweiterung des Klangpotenzials deutete einst eine Entwicklung an, zu was elektrische und digitale Klangerzeuger heute in der Lage sind: eine Trennung von Klangsteuerung von der physischen Erzeugung der Klänge zu vollziehen.  Ich sage: Installierte Musikapps auf Mobilgeräten sind neue Musikinstrumente! Und ich beobachte nicht, dass dadurch Interaktion und der künstlerische Ausdruck verloren gehen. Man musiziert nur anders. Und es geht auch nicht darum, dass Apps Musikinstrumente ersetzen. Ich würde das eher als Demokratisierung sehen: Bei App-Instrumenten handelt es sich erst einmal um Alltagsgegenstände, die jedem zur Verfügung stehen. Die große Vielfalt an Apps ermöglicht heute das Musizieren unabhängig von musikalischen Präferenzen und musikpraktischen Kompetenzen. Auch lassen sich mittlerweile unterschiedlichste Apps miteinander kombinieren. Ich nehme das wie ein flexibles modulares System wahr – wie eine Instrumentenwerkstatt. Dazu muss man auch gar nicht programmieren können. Nicht zuletzt haben sich in den letzten Jahren immer wieder spezielle Techniken entwickelt, die das digitale Musizieren vereinfachen. Dazu zählen beispielsweise technische Lösungen wie Ableton Link.

Tastenfrei und Spaß dabei. Auch so könnte die Zukunft aussehen. Foto: © Stefan Gräfe

 

CCB Magazin: Wie schätzt du den Markt gegenwärtig im Bereich "Mobile Music Making" ein?

Matthias Krebs:Laut einer Statistik von 2014 gibt es mittlerweile über 50.000 Apps in der Kategorie „Musik“ allein im Apple App-Store für iPhone und iPad. Neben Radio und Player-Apps würde ich ein Drittel dieses Angebots als Apps klassifizieren, mit denen Nutzer ihr Mobilgerät in ein Instrument verwandeln können. Die ganze Entwicklung ist ja erst ein Jahrzehnt alt: Zu Beginn 2007 war das Segment noch dominiert von zahlreichen Hobbyprojekten. Spätestens seit 2010 sind etablierte Musikunternehmen mit einer Vielzahl an Musikapps mit dabei, darunter große Namen wie Yamaha, Korg, Moog, Mackie oder Steinberg. Auch haben sich Unternehmen wie Audanika, Olympia Noise Co., apeSoft, Fingerlab oder Vir Syn gegründet, um sich auf die Entwicklung von Musikapps zu spezialisieren. Es gibt auch zahlreiche Selbstständige wie Oliver Greschke oder Jonathan Liljedahl, die sich auf die Entwicklung von Musikapps konzentriert haben, täglich werden Updates mit neuen Funktionen veröffentlicht. Wöchentlich kommen fünf bis zehn Musikapps zum Instrumentarium dazu.

Einen berlinspezifischen Markt kann ich noch nicht erkennen. Aber die Berliner Musikapp-Entwickler-Szene entwickelt sich gerade 

CCB Magazin:Wie entwickelt sich der Markt für "Appmusik“ gegenwärtig in Berlin?

Matthias Krebs:Musikapps sind kein lokales Phänomen. Einen berlinspezifischen Markt kann ich darum nicht erkennen. Gleichwohl sind in Berlin mittlerweile eine ganze Reihe erfolgreicher Software-Entwickler ansässig, darunter Firmen wie AppBC mit den Apps ModStep oder Touchable, O-G-SUS mit Elastic Drums, mobile only mit den Apps wie zMors und Sugar Bytes mit Turnado und Egoist. Interessant ist auch die Native Instruments mit den Apps iMaschine 2 und Traktor DJ. Auch arbeitet Ableton mittlerweile eng mit verschiedenen Berliner App-Entwicklern zusammen. Die Berliner Musikapp-Entwickler-Szene entwickelt sich gerade erst. 
 

Ganz entspannt: Mobile Music Making geht auch unrasiert. Foto: © Stefan Gräfe


CCB Magazin:Kürzlich ist in der Berliner Szene eine Diskussion im Netz darüber entbrannt, inwiefern die ständige technische Weiterentwicklung nichts anderes als „Technik-Kapitalismus“ sei, die letztlich zum Konsum dient. Der Musik-Soziologe Jan-Michael Kühn veröffentlichte auf seinem Blog einen Artikel zu DJ-Technik-Kapitalismus am Beispiel von Firmen wie Native Instruments oder Ableton. Er vertrat die These, dass darüber subkulturelle Innovation behindert wird. Stimmst du zu?

Matthias Krebs:Ableton und NI sind aktuell zwei extrem bedeutende Entwickler von Musiktechnologien – ohne Frage. Ich beobachte gleichzeitig aber auch hochaktive Communities rund um Echtzeitmusik, MaxMSP, Appmusik und natürlich analoge und digitale Synthesizer. Im Netz gibt es dazu große Foren und Facebook-Gruppen, die sehr aktiv sind. Im Großen und Ganzen sind viele App-Entwickler intrinsisch motiviert – sie sind Ingenieure, die neue Musikinstrumente erfinden. Die meisten Selbstständigen verdienen ja nicht mal 1.000 Euro im Monat mit ihrer Musikapp und machen das neben ihrem Brotjob. Und ich glaube nicht, dass über technischen Fortschritt subkulturelle Innovation behindert wird. Die Nachfrage bestimmt das Angebot. Das heißt, der Bedarf an innovativen und leistungsfähigen Musikapps wird auch von den Nutzern an den Markt herangetragen.

Das Spannende ist, dass Mobile Music Making Synergieeffekte zwischen den verschiedenen Branchen schafft: Musiker, App-Entwickler, Wissenschaftler und Musikpädagogen finden zusammen

CCB Magazin:Inwiefern entstehen darüber auch Synergieeffekte zwischen den verschiedenen Branchen? Einige bekannte Musiker wie Mouse on Mars entwickeln gemeinsam mit Berliner Entwicklern innovative Musikapps, auch der Bildungsbereich entwickelt sich immer mehr. Im Vermittlungsangebot der Amerika-Gedenkbibliothek gibt es mittlerweile sogar Workshops zum Musizieren mit Apps für Erwachsene.

Matthias Krebs:Das ist eine spannende Entwicklung, und das konnte ich auch auf „Mobile Music Making 2017" beobachten. Musiker, die mit Apps experimentieren, sind auf App-Entwickler, Wissenschaftler und Musikpädagogen zugegangen und umgekehrt, zusammen wurden Lösungen entwickelt. Ich selbst habe letztes Jahr den Verein app2music e.V mitgegründet, der Musiker bei Appmusik-Projekten an Berliner Schulen unterstützt, um den praktischen Umgang mit Musik auf vielfältige Weise für musikalisch-kreative Schaffensprozesse anzuregen. Smartphones und Tablets sind im Alltag von Kindern und Jugendlichen nicht mehr wegzudenken. An vielen Schulen sind sie aber nicht erwünscht. Ich beobachte, dass hier noch viel Potenzial verschenkt wird, indem man versucht, bewusst eine „Gegenwelt“ zur medial geprägten Alltagswelt von Kindern und Jugendlichen aufrechtzuerhalten. Das macht keinen Sinn. 

CCB Magazin:Wie lautet deine Forderung?

Matthias Krebs:Öffnet euch! Und das passiert ja auch schon. Einige Institutionen setzen sich mittlerweile aktiv mit den Veränderungsprozessen auseinander. Dazu gehören auch Künstler, Kulturinstitutionen wie die Musikabteilung der AGB oder die Elbphilharmonie sowie Bildungsinstitutionen, darunter Schulen, Kinderfestivals, Sozialeinrichtungen und Museen. In Hochschulen wird das Thema Appmusik auch längst in musikpädagogischen Studiengängen behandelt und eben auch näher erforscht.

CCB Magazin:Wenn du in Zukunft blickst, wo siehst du "Appmusik" in 10 Jahren?

Matthias Krebs:Ich beobachte, wie sich virtuelles und herkömmliches Instrumentarium in Musikprojekten aller möglichen Bereiche wie Konzertbühne, Theater, Proberaum, Bildungsprojekte gegenseitig ergänzen und miteinander verschmelzen. In zehn Jahren werden hybride Ansätze in allen Musikpraxen etabliert und mithin starre Grenzen zwischen unterschiedlichen Musikkulturen abgebaut sein. In diesem Zusammenhang ist die Erforschung veränderter ästhetischer Erfahrungsmöglichkeiten mit digitalen Technologien unabdingbar. Und dazu braucht es Konzepte und Bildungsangebote, die der aktuellen Entwicklung Rechnung tragen. Hier will ich mit meiner Arbeit weiter ansetzen. 

CCB Magazin:Matthias, vielen Dank für dieses Gespräch.

Matthias Krebs:Ich danke Dir! 


Profil von Matthias Krebs auf Creative City Berlin

 

Rubrik: Im Profil

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