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Adrian und Achim Hensen: „Unternehmen müssen Verantwortung tragen“

Adrian und Achim Hensen: „Unternehmen müssen Verantwortung tragen“
Foto: © Purpose

Die Tendenz, dass große Unternehmen kleinere aufkaufen, hat in den letzten Jahren ersichtlich zugenommen. Die Organisation PURPOSE will das ändern: Sie beschäftigt sich mit alternativen Eigentums- und Finanzierungsstrukturen und berät und begleitet Unternehmen zum Thema „Verantwortungseigentum“. Was hat es damit auf sich? Wie funktioniert das Konzept?
 

INTERVIEW   CAROLIN MACKERT

 

CCB Magazin: Hallo Adrian und Achim, ihr habt vor sechs Jahren PURPOSE mitgegründet. Was ist PURPOSE? 

Achim:Das ist in einem Satz gar nicht so leicht zu sagen. Im Grunde ist PURPOSE ein Zusammenschluss von verschiedenen Organisationen. Wir alle gehen der grundlegenden Frage nach, was gesundes Unternehmenseigentum ist – und gestalten dazu ganz konkrete Lösungen. Ziel ist es, dass wieder mehr Unternehmen in die Welt kommen, die langfristig selbstbestimmt bleiben, also von Menschen geführt werden, die wirklich mit dem Unternehmen verbunden sind. Und die weniger den schnellen Profit als ihre eigentliche unternehmerische Aufgabe sehen. 

CCB Magazin:Ihr arbeitet für ein neues Eigentumsverständnis und verwendet dafür den Begriff „Verantwortungseigentum“ oder „Steward-Ownership“. Was hat es damit auf sich?

Adrian: Eines ist uns wichtig zu sagen: Wir wollen mit „Verantwortungseigentum“ nicht insinuieren, dass alle anderen, die sich nicht so aufstellen, verantwortungslos seien. Es bedeutet lediglich, dass bei dieser Eigentumsform die Verantwortung für das Unternehmen im Mittelpunkt steht – und nicht das Eigentum an den Vermögenswerten der Firma. Konkret werden dazu zwei zentrale Prinzipien rechtlich in der DNA des Unternehmens – dem Eigentum – festgeschrieben. Erstens: Profit ist immer nur Mittel zum Zweck, die Eigentümer*innen haben keinen Zugriff auf das Vermögen und die Gewinne. Diese werden reinvestiert – oder gespendet. Zweitens: Die Kontrolle, also das Steuerrad des Unternehmens, bleibt immer in den Händen derer, die mit dem Unternehmen verbunden sind. Das Unternehmen kann nicht als Spekulationsgut verkauft werden. Damit gehören diese Unternehmen sich sozusagen selbst. Sie werden treuhänderisch von Menschen geleitet, die sich tief mit der Mission des Unternehmens verbunden fühlen.

Wir investieren mit Purpose Ventures Seite an Seite mit weiteren Investoren, um zu zeigen: Andere Wege sind möglich – und sie zahlen sich aus

CCB Magazin:Und wie genau unterstützt ihr diese Unternehmen? 

Adrian: Wir konzentrieren uns auf zwei Kernpunkte: Erstens wollen wir Unternehmer*innen und andere Menschen inspirieren. Zweitens wollen wir sie in die Lage bringen, Verantwortungseigentum umzusetzen beziehungsweise mit den genannten beiden Prinzipien zu arbeiten. Dafür haben wir die Purpose Stiftung gegründet, die vor allem Forschung und Bildung zum Thema betreibt, die Wissen sammelt und in die Welt trägt. Wir wollen Menschen und Organisationen gezielt Denkanstöße und die Möglichkeit geben, tiefer ins Thema einzutauchen. Denn sich in Sachen Eigentum anders aufzustellen, ist für die meisten Unternehmer*innen ein schwieriger Schritt. Der muss wohl durchdacht und gut vorbereitet sein. Wir tragen die neuralgischen Punkte und mögliche Lösungswege zusammen, um den Weg zu einer alternativen Eigentumsform zu erleichtern. Diese Arbeit der Purpose Stiftung ist komplett gemeinnützig und wird durch Spenden finanziert. Von Privatpersonen und Organisationen, die unsere Mission einer Wirtschaft, die Mensch und Umwelt dient, unterstützen wollen.

CCB Magazin:Ihr habt zudem eine Genossenschaft gegründet. 

Achim: Ja, die Purpose Ventures e.G., mit der wir Unternehmen auf dem Weg hin zu einer neuen Eigentumsform begleiten, beraten und gegebenenfalls in sie investieren. Denn wir wollen dabei helfen, dass sich selbst gehörende Unternehmen auch genügend Kapital zur Verfügung haben. Unser Investorennetzwerk weitet sich zudem peu á peu aus. Und selbstverständlich ist auch die Genossenschaft in Verantwortungseigentum aufgestellt. Es können also keine Gewinne durch Investitionen privatisiert werden, die Investitionen werden lediglich zur Bereitstellung von Kapital für Start-ups eingesetzt. Schließlich gehört zu unserem Purpose-Kosmos auch noch Purpose Evergreen Capital, eine Gesellschaft, die ebenfalls in Unternehmen in Verantwortungseigentum investiert – zum Beispiel, um eine Transformation in diese Eigentumsstruktur zu ermöglichen. Also ganz ähnlich wie bei Purpose Ventures, nur dass es hier nicht um Start-ups, sondern in der Regel um gewachsene mittelständische Unternehmen geht.

CCB Magazin:Aber wie stellt ihr sicher, dass die volle Verantwortung zum Schluss im Unternehmen bleibt? 

Adrian: Zunächst muss jedes Unternehmen oder Start-up sich dezidiert mit grundlegendsten Fragen auseinandersetzen. Bei wem soll die Entscheidungsgewalt liegen? Soll das Unternehmen handelbar und zu vererben sein? Wo liegen die Gewinnrechte? Wenn die Antworten dazu im Sinne von Verantwortungseigentum ausfallen, gibt es verschiedene Wege, die eingangs erwähnten Prinzipien rechtlich verbindlich zu installieren. Denn natürlich kann sich eine Gründerin dazu entscheiden, Gewinne nicht auszuschütten und die Kontrolle und damit die Verantwortung immer im Unternehmen zu belassen. Aber sie kann es sich auch jederzeit wieder anders überlegen und das Start-up am Ende doch verkaufen und in persönlichen Gewinn umwandeln. Als Mitarbeiter oder Kunde weiß ich also nicht, ob ein Unternehmen nicht doch zum Spekulationsgut wird oder Gewinne hauptsächlich privatisiert werden. Hier liegt die große Chance der rechtlichen Verbindlichkeit. Die kann beispielsweise mit Stiftungen umgesetzt werden. Für die Kleineren ist das aber meist zu teuer und kompliziert. Solchen Start-ups oder Mittelständlern ermöglichen wir eine Lösung mithilfe eines Veto-Share-Modells, mit dem sie das bindende, rechtliche Versprechen abgeben können, Verantwortungseigentum und damit ihre eigene Sinnorientierung langfristig in ihrer DNA zu verankern.

CCB Magazin:Was sind eure Konditionen? Wer kann Purpose in Anspruch nehmen? 

Achim:Wir unterstützen grundsätzlich alle Unternehmen, die Eigentum neu denken wollen. Ob durch die Open-Source-Materialien, Forschung und Bildung – oder auch konkretere Zusammenarbeit bei unseren Beratungs- und Finanzierungsaktivitäten. Die Voraussetzung bei der Finanzierungsarbeit ist allerdings, dass die entsprechenden Start-ups und Unternehmen bereits in Verantwortungseigentum sind oder sich auf dem Weg befinden. Und natürlich müssen wir auch vom Team, der Idee und dem Produkt überzeugt sein.

CCB Magazin:Achtet ihr auch auf Kriterien, die für eine neue Verantwortungskultur stehen? Spielen ökologische oder soziale Kriterien wie faire Bezahlungen beispielsweise eine Rolle bei der Auswahl?

Adrian: Unser Hauptziel ist es, eine Wirtschaft zu fördern, die Mensch und Umwelt dient. Dabei geht es natürlich auch um ökologische und soziale Kriterien. Wir machen den Unternehmen, mit denen wir zusammenarbeiten, allerdings keine Vorgaben. Wir setzen vielmehr auf die Kraft der Selbstbestimmung und ein positives Menschenbild – und damit auf die unternehmerische Freiheit der Unternehmer*innen und Gründer*innen. Zugleich glauben wir fest an die transformatorische Kraft von Verantwortungseigentum, auch mit Blick auf ökologisch und sozial nachhaltige unternehmerische Lösungen. Oft ist es zum Beispiel auch so, dass Start-ups mit explizit ökologischen oder sozialen Zielen sich in Verantwortungseigentum aufstellen wollen, weil sie finden, dass diese Form von Eigentum viel besser zu dem passt, was sie bewegen wollen.

Im Gespräch mit Creative City Berlin: Adrian und Achim Hensen. Foto: Purpose 
 

CCB Magazin: Wenn ihr in ein Unternehmen investiert: Was muss das Unternehmen zurückzahlen und was verdient ihr daran? 

Achim: Bei den Investments erhalten wir eine Rendite für die Bereitstellung des Kapitals. Diese ist aber festgelegt in der Höhe, und das Investment erfolgt, ohne dass wir Stimmrechte erhalten. Denn nur so ist das Ganze kohärent mit Verantwortungseigentum – die Kontrolle soll ja stets im Unternehmen liegen. Die genauen Konditionen sind stark abhängig vom Einzelfall und dem Risikoprofil. Konkret kann das zum Beispiel heißen: Purpose Ventures bekommt über zehn Jahre das 2,5-Fache des Investments zurück. Unsere Gewinne nutzen wir, um unsere Kosten zu decken, in weitere sich selbst gehörende Start-ups zu investieren und Ausfälle zu kompensieren.

CCB Magazin: Bislang gibt es kaum Ansätze wie Purpose. Gibt es Unterschiede in verschiedenen Ländern oder Vorreiter? 

Achim: Mittlerweile gibt es viele Organisationen und Menschen, die sich mit guten Ideen und Ansätzen für eine andere Wirtschaft im Sinne des Menschen und der Gesellschaft einsetzen wollen. Zu nennen sind hier zum Beispiel die vielen Sozialunternehmen, die Benefit Corporation oder Zebras Unite. Unsere Perspektive auf die Eigentumsstruktur ist hier eine, wie wir denken, wichtige Ergänzung zu den bereits existierenden Bestrebungen und Möglichkeiten, die ganz grundlegend sinnorientiertes Unternehmertum langfristig sicherstellt. Gleichzeitig ist Verantwortungseigentum in dieser Form nicht neu. Eher sogar sehr alt – Ernst Abbe hat mit Carl Zeiss bereits vor 130 Jahren das erste Stiftungsunternehmen der Welt geschaffen, in dem die beiden Prinzipien von Verantwortungseigentum bis heute rechtsverbindlich gelten. Wir verstehen uns mehr als Träger, Lautsprecher und Möglichmacher dieser Idee. Wir sind nicht die Pioniere, sondern Unternehmer, die neue Wege gehen.

CCB Magazin: Achim und Adrian, die neue Koalition will für die neue Legislaturperiode den Weg freimachen für eine neue Rechtsform für Unternehmen in Verantwortungseigentum. Wie sehr begrüßt ihr diesen Vorstoß? Und blöd gefragt: Braucht es dann eure Arbeit überhaupt noch?

Adrian:Tatsächlich ist es eines unserer Ziele, uns auf eine bestimmte Art überflüssig zu machen, denn das würde bedeuten, dass Verantwortungseigentum sein volles Potential entfaltet hätte und keine Fragen offen wären, und das ist es, worauf wir hinarbeiten. Und ja, eine neue Rechtsform für Unternehmen in Verantwortungseigentum würde vieles einfacher machen – und hätte eine ungeheure Strahlkraft. Sie wäre ein absoluter Meilenstein für dieses Eigentumsmodell, denn es bräuchte dann endlich keine rechtlichen Umwege mehr, um Verantwortungseigentum umzusetzen. Daher unterstützen wir den Vorstoß. Überflüssig werden wir damit aber vermutlich noch lange nicht. 

Achim:Denn mit der Entscheidung für die konkrete neue Rechtsform werden die Herausforderungen in den Unternehmen nicht alle automatisch bewältigt sein. Es wird weiterhin offene Fragen und einen Bedarf an Begleitung, Beratung und vor allem auch Finanzierung geben. Es ist also noch einiges zu tun. Und darauf freuen wir uns!


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Rubrik: Innovation & Vision

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