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Literarisches Colloquium Berlin: Hort der Muse

Literarisches Colloquium Berlin: Hort der Muse
Foto: © René Löffler

Das Literarische Colloquium Berlin (LCB) gehört seit Jahrzehnten zu den prominentesten Literaturhäusern in Berlin. In diesem Jahr feiert es seinen 55-jährigen Geburtstag. Grund genug, der Brutstätte der Berliner Literatur am Wannsee einen Besuch abzustatten: Wie hat sich der Berliner Literaturbetrieb binnen eines halben Jahrhunderts verändert? Was leistet ein Literaturhaus wie das LCB für Berlin und die Literaturszene? Eine Reise durch fünf Jahrzehnte literarische Schaffenskraft. 
 

Vor Ort warENBORIS MESSING UND JENS THOMAS


Allein der Blick von der sich weit in die Landschaft öffnenden Terrasse hinunter auf den Wannsee ist es wert, dem Literarischen Colloquium Berlin einen Besuch abzustatten. Weite, Sonnenschein und im Winde wispernde Bäume, die das LCB umhegen, schrumpfen den tumben Großstadtlärm zu einer rasch verblassenden Erinnerung. Hier rattern keine U-Bahnen, hier dröhnt kein Techno-Club, kaum ein Auto verschmutzt die Luft. Nur Vögel trällern mal hier und da belustigt, vielleicht hüpft auch mal ein Eichhörnchen übers Gras. Ansonsten herrscht hier Stille. Ein Kurort für Literaten, könnte man sagen. Wer der Literatur nicht abgeneigt ist, sollte hier in jedem Fall mal gewesen sein. Ein anderer Grund, das LCB zu besuchen, wäre die Tatsache, dass das LCB in diesem Jahr 55 Jahre alt wird. Geschichten gäbe es hier genug zu erzählen über Deutschlands ältestes Literaturhaus, denn aus Geschichten ist es gemacht und für Erzähler und Geschichtenliebhaber gleichermaßen beliebter Treffpunkt. 

Wir sind an mit Claudia Schütze und Dr. Florian Höllerer verabredet. Claudia Schütze ist zuständig für das hauseigene Portal Literaturport, Florian Höllerer ist der Geschäftsleiter des LCB - ein Mann mit dunkelgrauem Jackett und wild-gekräuselten Haaren. „Wir sehen uns hier als Vernetzungsort“, sagt Höllerer im Gehen. Das LCB sei nicht nur eine Schnittstelle zwischen den Berlinern und anderen deutschen Autoren, sondern vor allem auch ein Sprachrohr und kultureller Begegnungsort für die in Berlin lebenden ausländischen Autoren und die internationale Literaturszene. 

Im Gespräch mit Creative City Berlin: Dr. Florian Höllerer, Geschäftsleiter des LCB. Foto: Jens Thomas 

Schütze und Höllerer führen uns durch das Gebäude, durch kunstvolle Arkaden, über altertümliche Treppen, an versteckten Erkern vorbei. Das Innere des Hauses ist in dunklem Ton gehalten. Nach oben führt eine halbrunde Treppe, die beim Betreten auf jeder Stufe knarzt – sogar ein ARD-Tatort wurde hier schon mal abgedreht. Im Unteren befindet sich der große Publikumsraum. Arabeske Ornamente ranken sich dort auf den holzvertäfelten Wänden und der hohen Decke, in einem anderen Raum steht ein blanker schwarzer Flügel. Das LCB ist eine aus Backsteinen gebaute Gründerzeitvilla. „Errichtet wurde sie von einem wohlhabenden Zementfabrikanten Ende des 19. Jahrhunderts“, gibt Höllerer zu Protokoll. Im Laufe eines halben Jahrhunderts habe mehrmals der Besitzer gewechselt. Von 1942 bis 1945 wurde das Haus von der Reichsmarine genutzt und dann in den 50ziger Jahren zu einem Casinohotel umfunktioniert. Erst 1960 sei das Haus in den Besitz des Landes Berlin übergegangen und von Grund auf renoviert worden. „Somit gab es einen Hafen für das Mutterschiff aller Literaturhäuser“, sagt der LCB-Chef stolz.  

Das LCB ist eine aus Backsteinen gebaute Gründerzeitvilla aus dem 19. Jahrhundert. Heute ist es ein Ort, der Literatur im Entstehen begleitet - ein Platz für Übersetzer, Autoren, für kleine wie große Verleger - Dr. Florian Höllerer

Wir setzen uns in einen blau-weiß gekachelten Wintergarten am hinteren Ende des Gebäudes. In der Ferne glitzert königsblau der Wannsee. Höllerer fährt fort. „Das LCB ist weit mehr als nur ein Ort, an dem es literarische Abendveranstaltungen samt Lesungen und Diskussionen gibt. Es sei vor allem ein Ort, der Literatur im Entstehen begleitet und Übersetzer, Autoren und kleine und große Verleger ins Gespräch bringt. „So haben wir zum Beispiel einmal im Jahr unser Fest der kleinen Verlage“, fügt Schütze hinzu. Aber natürlich seien hier auch die großen Namen der Literatur zugegen gewesen, Starliteraten wie Umberto Eco, Salman Rushdie, Max Frisch, Günter Grass oder die britische Schriftstellerin A.L. Kennedy. Alle hätten sie hier einmal aus ihren Werken vorgelesen und zum Teil auch residiert. Daniel Kehlmann zum Beispiel, einer der erfolgreichsten zeitgenössischen deutschen Schriftsteller, war gerade erst (wieder) hier.

Claudia Schütze vom LCB, zuständig für das hauseigene Portal Literaturport. Foto: Jens Thomas 

„Ganz wichtig für das LCB sind die sogenannten Hausgäste, die Stipendiaten, die in elf Gästezimmern über das Jahr verteilt das Haus am Wannsee bewohnen“, sagt Schütze. Ausländische und deutschsprachige Autoren sowie Übersetzer können hier einen Monat leben und arbeiten – Schreiben und am Wannsee aufwachen, es gibt wohl deutlich Schlimmeres. Und es ergeben sich wichtige Kontakte vor Ort. So trifft beispielsweise eine taiwanische Autorin auf einen kroatischen Übersetzer, jeder arbeitet für sich und doch beisammen, ein Kontakt ist geknüpft, wer weiß, vielleicht nützt er später. Ausländische Autoren drängen von hier aus in die Stadt, inländische vertiefen bestehende Kontakte. Das LCB liegt weit draußen, es ist ein Ort in der Peripherie und trotzdem ist es die Mitte der Literatur in der Stadt.

Angefangen hat alles mit schmalem Budget in den 1960ern des wilden Westberlins

Einer, der im LCB ‚groß‘ geworden ist, ist Hans Christoph Buch. Buch ist mittlerweile 74 Jahre alt, er stammt aus dem hessischen Wetzlar. Er erinnert sich: „Das LCB war zu Anfang noch eine Schreibwerkstatt“. Damals, 1963/64, war der Sitz des Colloquiums noch nicht am Wannsee, sondern in der Carmerstraße 4, zwischen Steinplatz und Savignyplatz. Er selbst und junge Autoren wie die mittlerweile verstorbenen Hubert Fichte und Nicolas Born aber auch Peter Bichsel, Hermann Piwitt und andere lasen damals unter Leitung von Günter Grass, Peter Weiss, Peter Rühmkorf und Walter Höllerer aus ihren Manuskripten vor. Hans Christoph Buch hat dem LCB selbst einen Abschnitt in seinem Werk "Prosaschreiben" gewidmet, das Texte und Fotos der Teilnehmer enthält. 

Hans Christoph Buch ist nur einer von vielen, die das LCB in 55 Jahren durchquert haben. Angefangen hat das LCB mit schmalem Budget in den 1960ern des wilden Westberlins. Die Diskussionen waren damals wilder, rauer. Es war die Zeit der großen Theorien, die des Aufbruchs. In diesen Jahren wurde das LCB zur tragenden Säule für Autorinnen und Autoren dieser Stadt, vor allem in der Nachwendezeit mauserte sich Berlin dann zum Dreh- und Angelpunkt der Literatur in Deutschland, wenn nicht gar europaweit. Zwar war Berlin schon immer ein Ort der Poesie und des literarischen Schaffens. Schön nachzulesen ist das beispielsweise in Silvio Viettas historisch-literarischem Rundgang durch Berlin. Im 19. Jahrhundert wuchs die literarische Produktion in Berlin sprungartig an; Berlin wurde Heimat herausragender Schriftsteller von Wilhelm Raabe über die sozialistisch gesinnten naturalistischen Dichter um die Brüder Heinrich und Julius Hart im Stadtteil Friedrichshagen bis hin zu Autoren wie Gerhart Hauptmann, Frank Wedekind, Richard Dehmel oder August Strindberg. Die 1920er Jahre gelten dann als Jahre des Aufbruchs, als Zeit der Hoffnung aber auch der Verzweiflung. Alfred Döblins Roman "Berlin Alexanderplatz" bringt das am Beispiel des Lohnarbeiters Franz Biberkopf anschaulich zu Papier, der nach seiner Haftentlassung eine neue Existenz im Berlin der 1920er Jahre aufbauen will, im Kampf gegen die Metropole aber untergeht. In dieser Zeit wandelte sich Berlin zu einer kunterbunten, vibrierenden Metropole. Erst die Nazis nahmen den in Berlin ansässigen Autoren ihre liebgewonnene Heimat wieder weg. Das traf natürlich vor allem die jüdische Gemeinschaft, Hannah Arendt, Inge Deutschkron, Max Rheinhardt, George Tabori, Kurt Tucholsky, sie alle emigrierten aus der Stadt. Erst in den 1960ern fanden viele Autoren im LCB wieder eine neue Heimat. 

Entspannung, Entschleunigung. Wer am LCB lesen will, muss auch fühlen. Foto. LCB

Heute leben in Berlin Tausende von Autoren, rund 400 Verlage und bis zu 1.800 Unternehmen im Bereich des Buchmarkts sind es, das zumindest geben die amtlichen Statistiken her. Und es zieht immer mehr Autoren nach Berlin. „Es gibt immer mehr ausländische Autoren, die in Berlin leben, in ihrer Muttersprache schreiben und auch publiziert werden“, sagt Höllerer. Berlin sei eine neue Wahlheimat für viele Autoren geworden. Alt-neues Problem bleibt – neben steigenden Mieten – weiterhin das schmale Portemonnaie der meisten Autoren. Ihr Durchschnittseinkommen bewegt sich Schätzungen zufolge um die 20.000 Euro brutto jährlich. Grundsätzlich, so Höllerer, finanzieren sich Autoren immer mehr über Lesungen als durch den Verkauf ihrer Bücher. „Der Bereich Veranstaltungen gewinnt im Literaturbetrieb immer mehr an Bedeutung“. Zwar ist das Leseverhalten der Deutschen nach wie vor stabil. Jährlich werden noch immer rund 80.000 Bücher neuveröffentlicht. Autoren verdienen aber immer weniger daran. Kostet ein Buch im Handel beispielsweise 9,90 Euro, gehen schon allein sieben Prozent Mehrwertsteuer ab, es bleibt ein sogenannter Nettoladenpreis von 9,25 Euro. Pro verkauftem Exemplar verdient der Buchhändler rund 40 Prozent, bei kleineren Verlagen verlangt Amazon sogar 50 Prozent. In der Konsequenz verdient ein Autor im Schnitt heute maximal 10 Prozent an den Erlösen seines Buches. Selbst die Bestseller-Autoren verdienen nicht gut, auch verkaufen sich Bücher gerade dann besser, wenn sie billig sind - das fand Hektor Haarkötter von der HMKW Köln in einer Studie heraus. 

Kampf um steigende Mieten und finanzielle Mittel, der hauseigene Literaturport als digitale Hoffnung

Das LCB hält seit 55 Jahren im Konkurrenzkampf um Finanzen stand. Mal gibt es Gelder von Stiftungen, so zum Beispiel von der Allianz Kulturstiftung oder der Bundeskulturstiftung, gegenwärtig erhält man zusätzlich vom Berliner Senat 830.000 Euro (Haushaltsjahr 2017). Rund 450 Millionen Euro gibt der Berliner Kultursenat pro Jahr für die Berliner Kultur aus, der Etat ist in den letzten Jahren sogar mehrfach erhöht worden. Es bewerben sich aber auch immer mehr Künstler und Autoren auf die Fördertöpfe. Dabei richtet sich der Fokus immer mehr auch auf das Digitale, und das geht auch am LCB nicht spurlos vorbei. 

Berlin ist heute die Wahlheimat für Autoren in Europa. Es gibt immer mehr ausländische Autoren, die in Berlin leben und hier publizieren - Dr. Florian Höllerer

So wurde 2006 der hauseigene Literaturport.de in Zusammenarbeit mit dem Brandenburgischen Literaturbüro ins Leben gerufen. Das Ziel: digitale Angebote in Ergänzung zum physischen Ort des LCB schaffen. So verfügt Literaturport.de heute über ein Autorenlexikon mit über 1.700 Autoren sowie ein ausführliches Verzeichnis mit über 900 Preisen und Stipendien, die man durch ein klug organisiertes Filtersystem finden kann. Musste man früher noch Uschtrins Handbuch für Autoren kaufen, um Preise und Stipendien zu finden, hat man heute alles mit ein paar Klicks im Visier – ein echter Mehrwert in der großen kulturellen Unübersichtlichkeit. Darüber hinaus bietet das Portal einen Überblick zu den deutschsprachigen Literaturzeitschriften und einen Veranstaltungskalender literarischer Ereignisse im LCB und an anderen Orten in Berlin/Brandenburg. „Fast einhundert Berliner Veranstalter pflegen ihre Literaturveranstaltungen in das Portal ein“, sagt Schütze stolz. Zudem spiegelt eine interaktive Karte ein Bild der vergangenen und bestehenden Literatenszenen in Berlin und Brandenburg wider. Und noch eine Besonderheit macht das Online-Portal zur idealen Ergänzung des LCB: Im Menüpunkt Literatouren bekommt der User Heimatporträts verschiedener Autoren präsentiert. Autoren werden einem aufgeschlossenen Publikum nähergebracht, gleichzeitig bekommen sie ein Gesicht. 

Die Autorin Mariam Rasheed bei der Literaturport-Hafenrevue 2018. Foto: © René Löffler

Zwei der beiden Hausgäste, die gerade heutigen Tage auf der sonnenüberfluteten Terrasse sitzen und sich entspannen, sind Claudiu Komartin und Anna Kozlova. Sie sind zwei von insgesamt sieben Residents, die gerade im LCB wohnen und schreiben. Claudiu Komartin, Jahrgang 1983, kommt aus Bukarest und ist Poet. Sein langes dunkles Haar hat er nach hinten gekämmt. Stoisch ist er über seinen Computer gebeugt. 2010 hat er ein Verlagshaus mitbegründet und eine Zeitschrift herausgegeben. Seitdem hat er verschiedenes publiziert. Anna Kozlova aus Moskau, Jahrgang 1981, hat viele Tattoos auf den Armen und noch mehr Romane geschrieben. Sie arbeitet gerade an ihrem siebten Werk. Gelassen plaudert sie über ihr kreatives Schaffen, das sie in Einklang mit ihrer Rolle als Mutter bringen muss, und kommt aus dem Lächeln nicht mehr heraus.

Das ist auch kein Wunder, denn das LCB bildet nicht nur einen Hort der Muse, sondern trägt auch ein kleines Stück weit zum literarischen Renommee der Schaffenden bei. Über fünf Jahrzehnte hat das LCB nun schon überlebt: die wilden 68er, den Mauerfall, jetzt steht auch noch die Digitalisierung vor der Tür. Wer weiß, ob es in Zukunft überhaupt noch Übersetzer braucht und ob dann Roboter unsere Bücher schreiben. Abwarten. Die beiden Hausgäste kümmert das zumindest wenig. Sie sonnen sich, schreiben zur Tat, sie schauen einfach, was noch alles kommt. „J‘y suis, j’y reste“, sagt eine der writers-in-residencis. „Hier bin ich, hier bleibe ich“. Hört sich gut an. Würden wir auch gerne. Aber wir müssen weiter. Leider, die Bahn fährt. Und unsere Heimat ist die Klosterstraße. Aber wir kommen wieder, bestimmt schon zur nächsten Literaturport-Hafenrevue am 22. Februar 2019. #verlassteuchdrauf


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