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Alexander Dettke: "Wir haben uns einen Wald gekauft"
Alexander Dettke hat vor 12 Jahren das Wilde Möhre Festival ins …
Den Kommunen fehlt das Geld, der Glaube an die Politik schwindet, die Bürger wollen mitbestimmen. Was kann Kunst und Kultur für diesen Vermittlungsprozess leisten? „Die Gesellschaft der Neuen Auftraggeber“ unterstützen Bürgerinnen und Bürger dabei, „Auftraggeber“ von Kunstwerken vor Ort zu werden, um ein Problem zu lösen. Wir zeichnen „Die Gesellschaft der Neuen Auftraggeber“ als #berlinsbest Nr. 22 aus und wollen wissen: Wie kommen solche „Aufträge“ zustande? Wer beauftragt wen zu welchen Konditionen? Ein Gespräch mit Alexander Koch, Gerrit Gohlke und Karola Matschke vom Team der Gesellschaft der Neuen Auftraggeber.
CCB Magazin: Hallo Alexander, Gerrit und Karola, ihr nennt euch „Neue Auftraggeber“. Was genau macht ihr?
Neue Auftraggeber:Wir unterstützen Bürgerinnen und Bürgern dabei, Auftraggeber neuer Werke der zeitgenössischen Kunst zu werden, die mit ihrem Leben und ihren Fragen direkt zu tun haben. Das sind die „Neuen Auftraggeber“. Und Auftraggeber kann potenziell jeder werden: Bürgerinnen und Bürger arbeiten beispielsweise mit Künstlerinnen und Künstlern zusammen, um etwas Neues zu vollbringen: Kunstwerke, die sie brauchen und die etwas verändern. Menschen jeglicher Berufsgruppen und sozialer Hintergründe waren schon Auftraggeber. Die Bedeutung des Auftrags für die Gemeinschaft ist entscheidend. Heißt: Du kannst Auftraggeber werden. Dein Nachbar kann es. Deine Oma kann es auch. Wir sind die Mittler. Wir unterstützen „die Auftraggeber“ bei der Künstlerfindung und kümmern uns um die Finanzierung und Produktion der Projekte. Die Werke reichen von Architektur, Musik bis hin zu Theater oder Literatur.
CCB Magazin:Könnt ihr Beispiele bringen, was für Projekte „beauftragt“ werden?
Neue Auftraggeber:Eine Gruppe von Bürgern wünschte sich zum Beispiel neues Leben im Zentrum ihrer Heimatstadt Pritzwalk in Brandenburg. Die Künstler Clegg & Guttmann haben dazu alle Bürger der Kleinstadt eingeladen, um verwaiste Geschäfte in der Stadtmitte drei Monate lang selbst in Besitz zu nehmen und den Leerstand durch Kultur außer Kraft zu setzen. 72 Projektvorschläge sind eingegangen, von denen im Projektverlauf die meisten umgesetzt wurden, sogar ein Kunstverein wurde gegründet. Ein anderes Beispiel ist der Place du Grand Marché in der Altstadt von Tours. Der Platz war Anfang der 2000er Jahre in einem völlig miserablen Zustand. Ladenbesitzer und Anwohner überzeugten die Stadtverwaltung schließlich, den Platz neu zu gestalten. Doch sie wollten noch mehr. Der Ort brauchte eine neue Identität. Als die Politiker abwinkten, wendeten sich die Bürger an die Mediatorin Anastassia Makridou-Bretonneau. Sie schlug ihnen den Künstler Xavier Veilhan vor, der überraschenderweise ein Monumentalstandbild namens „Le Monstre“ entwarf. Der Vorschlag löste hitzige Debatten über die Grenzen der Stadt hinweg aus. Unter öffentlichem Druck gab der Stadtrat schließlich Geld und grünes Licht. Heute ist das Monster das Maskottchen der Stadt und der Platz wird mittlerweile von allen nicht mehr „Place du Grand Marché“, sondern „Place du Monstre“ genannt – sogar auf google maps.
Unsere Arbeit setzt bei der Frage an, warum in der heutigen Zeit noch immer nur sehr wenigen Menschen das Privileg zukommt, Auftraggeber von neuer Kunst und Kultur zu sein. Denn es gibt bislang keine Struktur, die es potenziell jedem erlaubt, als Auftraggeber eine aktive und verantwortliche Rolle in der Kulturproduktion zu übernehmen
CCB Magazin:Wo liegt denn das gesellschaftliche Problem? Warum braucht es so etwas wie die „Neuen Auftraggeber“?
Neue Auftraggeber:Unsere Arbeit setzt bei der Frage an, warum in der heutigen Zeit noch immer nur sehr wenigen Menschen das Privileg zukommt, Auftraggeber von neuer Kunst und Kultur zu sein. Denn es gibt bislang keine Struktur, die es potenziell jedem erlaubt, als Auftraggeber eine aktive und verantwortliche Rolle in der Kulturproduktion zu übernehmen. Hier kommen wir ins Spiel. Und wir blicken mittlerweile auf fast 500 Projekte in einem Zeitraum von bald 30 Jahren vor allem auf europäischer aber auch internationaler Ebene zurück.
CCB Magazin:Wie laufen solche Prozess der „Beauftragung“ ab? Nach welchen Kriterien wird wer und wie beauftragt?
Neue Auftraggeber:So unterschiedlich die Projekte sind, die Prozesse der Beauftragung laufen in der Regel nach dem gleichem Muster ab: Bürgerinnen haben ein Anliegen. Sie treten mit einem Mediator in Kontakt. Die Mediatorinnen hören den Bürgerinnen und Bürgern erst einmal intensiv zu, stellen Fragen und denken sich in ihr Anliegen ein. In Frankreich gibt es um die 20 Mediatoren, in Deutschland sind aktuell sieben Mediatorinnen und Mediatoren aktiv. Gemeinsam formulieren sie den Auftrag, der sich meist erst im Lauf der Gespräche konkretisiert. Dann sucht der Mediator eine Künstlerin, deren Arbeitsweise zum Auftrag und zu den Auftraggebern passt, und stellt sie ihnen vor. Stimmen sie zu, entwickelt der Künstler oder die Künstlerin eine Ideenskizze für ein Werk. Oft entstehen dabei ganz unkonventionelle Ansätze und Vorschläge, an die zuvor niemand gedacht hätte. Realisiert wird ein Entwurf dann, wenn sich Auftraggeber und Künstler einig sind, dass es weitergehen soll. Anschließend begleitet der Mediator die Umsetzung. Oft haben die Projekte auch ein langes Nachleben am Ort, weil die Auftraggeberinitiative weiter zusammenarbeitet oder aus dem Projekt neue Ideen entstehen.
CCB Magazin:Euer Projekt setzt auf direkte Beteiligung vor Ort. Direkte Beteiligung heißt aber nicht gleich, dass damit Demokratisches gemeint ist. In der Schweiz stimmten die Bürger zum Beispiel vor einem Jahrzehnt per Volksabstimmung mehrheitlich gegen den Bau neuer Minarette ab, damit hatten sich zugleich zwei rechtspopulistische Parteien in einem Referendum durchgesetzt. Unterliegt euer Projekt nicht der Gefahr, dass sich Undemokratisches als vermeintlich Demokratieerzeugendes durchsetzen kann? Wie und wo setzt ihr eine Grenze?
Neue Auftraggeber:Grundlage und Rahmen unseres Handelns ist die freiheitliche demokratische Grundordnung. Der Verfassung zuwiderlaufende Projekte werden wir nicht unterstützen. Unsere Richtschnur ist zudem im 1990 von François Hers verfassten „Protokoll der Neuen Auftraggeber“ klar festgelegt. Da geht es um eine Ethik der geteilten Verantwortung. François Hers‘ Ansatz zielt darauf ab, dass Bürger und Künstler auf Augenhöhe vor Ort zusammenarbeiten können. Seine Forderung lautet, die Kunst aus dem Museum heraus und in den Alltag der Menschen zu bringen. Aber der Raum muss da sein, dass diese Prozesse zwischen den Mediatorinnen, Bürgerinnen und Künstlern ausgehandelt werden können.
CCB Magazin:Gab es denn Fälle, wo ihr einschreiten musstet oder ein Projekt scheiterte, weil es der freiheitlich demokratischen Grundordnung entgegenstand?
Neue Auftraggeber:Es gab einmal den Fall, dass ein Projekt nicht zustande kam, weil der Druck auf alle Beteiligten zu groß wurde, das war in der Stadt Wurzen. Der Auftrag einiger Bürger lautete: „Wir wollen eine Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen Wahrnehmung des Denkmals für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges auf dem Alten Friedhof in Wurzen, und mit seiner politischen Einverleibung.“ Nach der Erarbeitung verschiedener Entwürfe wurde die Bürgerschaft von Wurzen zu einer Debatte über die Gedenkkultur des Ortes eingeladen. Doch das Projekt spaltete die Wurzener Öffentlichkeit in leidenschaftliche Befürworter und Gegner. Eine öffentliche Diskussion im Rathaus mit dem Bürgermeister, den Mediatorinnen und den Künstlern verlief konfliktreich und endete im Eklat. Die am Projekt Beteiligten beschlossen, auf die Umsetzung eines der Entwürfe vorerst zu verzichten.
CCB Magazin:Wie bereitet ihr eure Mediatoren auf solche Situationen vor?
Neue Auftraggeber:Wir stehen in engem Austausch mit ihnen, die Mediatoren führen zudem offene und ausführliche Gespräche mit den Bürgern. Die Mediatoren sind vor Ort aber zusammen mit den Auftraggebern selbst für das verantwortlich, was passiert. Dafür braucht es lediglich eine Richtschnur. Die ist bei uns ebenfalls im „Protokoll der Neuen Auftraggeber“ von François Hers festgelegt.
Die Projekte sind so individuell wie ihre Auftraggeber und die Künstler, die sie beauftragen. Durch unsere Arbeit kommen vor allem Menschen zusammen, die sich vorher nicht kannten und die ihre Gemeinschaft gestalten wollen
CCB Magazin:Ihr sagt auf eurer Webseite, dass ihr „keine Kulturinstitution“ seid. Man könnte meinen, dass ihr das Institutionelle meidet. Richtet sich eure Arbeit gegen die Institutionalisierung von Kunst, die stark abhängig ist von Förderstrukturen? Oder wendet ihr euch gegen eine Sammler-Dominanz, die über den heutigen Wert von Kunst und den von Künstlern entscheidet?
Neue Auftraggeber:Weder noch. Die Projekte sind so individuell wie ihre Auftraggeber und die Künstler, die sie beauftragen. Dafür braucht es keine Institution. Durch unsere Arbeit kommen vor allem Menschen zusammen, die sich vorher nicht kannten und die ihre Gemeinschaft gestalten wollen. Die Zusammenarbeit mit erfahrenen Künstlern bringt zudem ganz neuen Wind in Initiativen, Vereine oder Gemeinden. Oft werden bei der Umsetzung der Projekte institutionelle Strukturen wieder sehr wichtig, da braucht es Handlungsallianzen verschiedener Partner; sei es für die Finanzierung, für Baugenehmigungen oder für Kommunikationsfragen. Was den Kunstmarkt angeht, könnte man vielleicht sagen, dass wir ein Gegenvorschlag zur Wertzuschreibung sind, die der Markt auf dem Weg von Angebot und Nachfrage vornimmt.
CCB Magazin:Stichwort Angebot und Nachfrage: Was verdienen die Künstler an den Beauftragungen?
Neue Auftraggeber:Die Künstler bekommen ein angemessenes Honorar, das hat aber mit dem Marktwert der entstehenden Werke wenig zu tun. Wir haben häufig Projekte, die um die 200.000 Euro kosten, deren Ankaufswert aber um ein Vielfaches darüber liegen würde. Bei uns spielt dieser Wert keine monetäre Rolle.
CCB Magazin:Und wie finanziert ihr euch?
Neue Auftraggeber:Wir beziehen Unterstützung aus ganz verschiedenen Quellen und oft auch sehr projektspezifisch. In Deutschland haben vor bald zehn Jahren die Bundeszentrale für politische Bildung und die Alfred Töpfer Stiftung erste unserer Pionierschritte unterstützt. Derzeit fördert uns die Kulturstiftung des Bundes in einer fünfjährigen Pilotphase, in der Bürgergruppen in zwei Modellregionen in Ost und West eine Grundfinanzierung zur Verfügung steht, um Projekte zu beauftragen. Das beinhaltet auch Honorare für die Entwurfsphase, für die künstlerische Ideenentwicklung und die Arbeit der Mediatoren. Für die eigentliche Produktion der beauftragten Werke müssen wir dann zusätzlich Gelder durch neue Partnerschaften einwerben. Das war aber schon immer so bei Neue Auftraggeber. Die Mediatorinnen und Mediatoren suchen gemeinsam mit unserem Berliner Büro nach Unterstützung von außen. Alle Projekte der Neuen Auftraggeber sind öffentliche Gemeingüter, das heißt, sie sind kein Privatbesitz und bleiben auch dem Kunstmarkt entzogen. Langfristig funktioniert unser Modell nur dann, wenn die Grundstrukturen der Mediation, der Bürgerdialoge und der Projektentwicklung eine kontinuierliche Finanzierung haben. Das ist eine unserer Aufgaben, diese Finanzierung der Bürgeraufträge langfristig sicherzustellen.
Wir wollen jetzt aus der Deckung kommen. Denn unser Modell funktioniert. Wir sind reif dafür, als ein ernsthafter Akteur der Kulturproduktion und der gesellschaftlichen Transformation aufzutreten
CCB Magazin:Ein Blick in die Zukunft: Was sind eure Ziele?
Neue Auftraggeber:Wir wollen in Zukunft eine Antwort auf die Frage geben, wie sich kulturelle und gesellschaftliche Gestaltungsräume für die Zivilgesellschaft glaubwürdig und greifbar umsetzen lassen. Mittlerweile haben wir verschiedene regionale Trägerstrukturen in unterschiedlichen Regionen Europas, auch wenn es keine zentrale Struktur gibt, kein Headquarter. Wir sind ein dezentrales Netzwerk von gemeinnützigen Organisationen, die der gleichen Idee verpflichtet sind, aber unabhängig voneinander arbeiten. Genau das wollen wir weiter ausbauen. Wir haben viele Jahre an teils sehr beeindruckenden Projekten gearbeitet, ohne es an die große Glocke zu hängen. Wir wollen jetzt aus der Deckung kommen. Denn unser Modell funktioniert. Wir sind reif dafür, als ein ernsthafter Akteur der Kulturproduktion und der gesellschaftlichen Transformation aufzutreten. Und wir sehen gute Gründe dafür, dass unser Ansatz irgendwann in ganz Deutschland, in ganz Europa und darüber hinaus Fuß fassen kann.
Alle Infos zu den "Neuen Auftraggebern" findet ihr [hier]
Wir haben die "Neuen Auftraggeber" auch mit unserem Siegel Berlin's Best ausgezeichnet. Schaut dazu hier [Auszeichnung #berlinsbest Nr. 22]
Rubrik: Innovation & Vision
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