Digitalisierung Zurück

Wo fernsehen aufhört und online anfängt

Wo fernsehen aufhört und online anfängt
Foto: © Sabine Engels
Sieht die Zukunft des Films positiv. Kirsten Niehuus vom Medienboard Berlin-Brandenburg. Foto © Sabine Engels

Die Filmindustrie steht, wieder einmal, vor gewaltigen Umbrüchen. Film- und Serienproduktionen auf On-Demand-Streaming-Plattformen ändern nicht nur unsere Sehgewohnheiten und Geschmäcker: Sie setzen Kinoproduzent*innen und Filmemacher*innen unter Druck. Fürchten muss sich die Filmindustrie davor nicht. Aber darauf reagieren muss sie schon. Und zwar mit inhaltlich besseren Konzeptionen. 
 

VON  KIRSTEN NIEHUUS (Geschäftsführerin der Filmförderung beim Medienboard Berlin-Brandenburg)
 

Daniel Craig steht am Rande eines Abgrunds und schaut grimmig einem Laster hinterher, der säuselnd in die Tiefe stürzt. Neben ihm, bildhübsch und etwas aufgekratzt, Jennifer Lawrence – das neue Bondgirl. Die beiden Stars sind nicht echt. Sie sind Avatare – entwickelt durch das Motion Capture System. Alle Schauspieler des neuen James-Bond-Films sind Avatare, alle täuschend echt. Werden wir in Zukunft nur noch Avatare auf der Leinwand sehen?

Natürlich nicht. Denn der neue Bond-Film ist noch nicht erschienen und wird in dieser Form vermutlich nie erscheinen. Avatare im Film sind immer noch Science-Fiction. Aber: Technisch ist dies bereits im Ansatz machbar. In nicht allzu ferner Zeit wird es möglich sein, durch das Motion Capture System oder eine ähnliche Methode jeden beliebigen Menschen filmisch authentisch darzustellen mit Mimik, Gestik und allem, was dazugehört. Übersteht der Beruf des Schauspielers das? Davon bin ich überzeugt. Die Digitalisierung in der Filmindustrie kommt im Vergleich zur Musik- und Medienbranche auf leisen Sohlen daher, von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet. Gewissermaßen kann man sagen: Sie ist schon immer dagewesen. Die Entwicklung des heute digital basierten Blue bzw. Green Screens geht auf die 1940er Jahre zurück. Wenn ein Regisseur heute mit analoger Kamera filmt, ist das keine Frage der technischen Beschränkung, sondern eine Frage von Stil und Ästhetik. Das Gleiche gilt für Visual und Special Effects – man kann, aber muss sie nicht verwenden, je nach konzeptioneller Ausrichtung und Budget. Digitale Technologie ist beim Film längst Standard. Fakt ist, dass im Bereich der Visual und Special Effects in Zukunft mehr Programmierer und Techniker gebraucht werden. Am Ende, so vermute ich, wird die zunehmende digitale Vernetzung mehr Arbeitsplätze in Film und Fernsehen schaffen als dadurch verloren gehen.  

Die Digitalisierung in der Filmindustrie kommt im Vergleich zur Musik- und Medienbranche auf leisen Sohlen  daher. In Zukunft werden im Bereich der Visual und Special Effects mehr Programmierer und Techniker gebraucht werden. Am Ende, so vermute ich, wird die zunehmende digitale Vernetzung mehr Arbeitsplätze in Film und Fernsehen schaffen 

 Laut einer Studie von 2014 entstehen in Berlin-Brandenburg die meisten international ausgezeichneten Großproduktionen, das Filmpersonal ist hochqualifiziert und es gibt zahlreiche Filmfestivals und Events, die internationale Produzenten und Prominente in die Region locken. Alles wird hier fortschrittlich bleiben. Jüngst haben sich auch Bund, Länder und die Filmförderungsanstalt nach jahrelangen Verhandlungen darauf einigen können, mindestens 100 Millionen Euro in den folgenden zehn Jahren für die vollständige Digitalisierung des deutschen Filmerbes bereitzustellen. Das sind gute Zeichen. Im Grunde ist die Filmindustrie auch schon immer Treiber von fortschrittlicher Technologie gewesen und ist, mehr als andere kreative Branchen, auch zum Treiber der Digitalisierung geworden. Es fiel und fällt nur keinem auf – weil man das für selbstverständlich hält. Den Filmvorführer, der die Filmrolle in die Spule legt, gibt es schon lang nicht mehr. Heute lässt sich jeder Film mit einem Mausklick starten. Kameras, Mikrofone, Schneide-, Effekt- und Audioprogramme – alles ist digital basiert. Nur das Essen beim Catering, das wird noch immer analog serviert, um es zugespitzt zu formulieren. Viel interessanter als die digitale Technik von Kameras und filmischem Equipment ist dann aber der Einfluss der sogenannten On-Demand-Streaming-Dienste, selbst Kinder des digitalen Umbruchs, auf die Inhalte und Dramaturgie der Filmproduktionen. Und der Inhalt, da sind wir uns doch einig, ist immer noch das Herz jeder Produktion. Wie verändert also ein Streaming-Dienst wie Netflix filmische Narrative? 

Kirsten Niehuus, Geschäftsführerin der Filmförderung beim Medienboard Berlin-Brandenburg, und Helge Jürgens, die Geschäftsführung der Standortentwicklung, in bester Laune. Foto: © Sabine Engels

Seit 2004 bin ich Geschäftsführerin der Filmförderung im Medienboard Berlin-Brandenburg. Der Film- und Fernsehstandort Berlin-Brandenburg rangiert deutschlandweit an der Spitze. Das ist das Ergebnis einer Studie des Wirtschaftsprüfungsunternehmens Ernst & young. Um diese Spitzenposition zu halten, braucht es finanzielle Unterstützung. Die Filmförderung des Medienboards besteht aus zwei Säulen: 1. Die Förderung von Filmen und High-End-Serien und 2. Förderungen im Bereich von New Media, darunter fallen beispielsweise Games, Webformate und Comedy-Produktionen. Vor fünf Jahren haben wir begonnen, High-End-Serien zu fördern. Heute macht ihr Fördervolumen satte sechs Millionen Euro aus oder 20 Prozent unseres Gesamtbudgets. Viele deutsche Regisseure wandern in den seriellen Bereich ab, weil sich dort komplexere Geschichten mit ungewöhnlichen Stilmitteln erzählen lassen und man auch mehr Geld verdient, wenn ein Projekt etwa über mehrere Staffeln gedreht wird. 

Längst reicht es nicht mehr aus, eine einfache Liebesgeschichte zu erzählen. Um zu reüssieren, braucht es weit mehr – mehr Verwicklungen, mehr Hintergründe, mehr Detailliebe. Die On-Demand-Streaming-Dienste machen es möglich

Und das ist das Verdienst von Netflix und Konsorten. Und natürlich indirekt von Ihnen, da Sie diese Anbieter nutzen. An die 1.000 Serien stehen allein auf Netflix zur Verfügung, viele davon hochqualitativ produziert. Da liegt das Beil begraben: Die oft zugespitzten dramaturgischen Verläufe der Serien, ihre komplexen, ineinander verschachtelten Erzählstränge und ihre Liebe zu ausgefeilten Details erhöhen den Druck auf Kinofilm- und Fernsehproduktionen. Denn sie verändern tiefgreifend die Sehgewohnheiten ihres Publikums, so wie es analog dazu die Musikstreaming-Dienste bereits mit Songkompositionen tun. Die Filmbranche muss sich ähnlich wie die Musikbranche an neue Geschmacksmuster gewöhnen. Der Geschmack des Publikums ändert sich. Serien auf Netflix, Amazon oder Sky wirken als Trendsetter. Längst reicht es nicht mehr aus, eine einfache Liebesgeschichte zu erzählen. Um zu reüssieren braucht es weit mehr – mehr Verwicklungen, mehr Hintergründe, mehr Detailliebe. Die On-Demand-Streaming-Dienste machen es möglich. Im Übrigen – das nur nebenbei – hat die Pornoindustrie das Onlinegeschäft schon lange vorher für sich entdeckt, die Streaming-Dienste kamen später. Heute sind sie nicht mehr wegzudenken.

Insgesamt sehe ich durch das Aufkommen der On-Demand-Streaming-Dienste mehr Vor- als Nachteile. Und am Ende entscheidet das Publikum, also Sie, was es sehen und erleben will

Ich will sie auch nicht mehr missen, insbesondere weil noch gar nicht bewiesen ist, dass Kino und SVOD nicht in unterhaltsamer Koexistenz leben können. Doch es gibt eine große Schnittmenge von Leuten, die Arthouse-Filme und Serien gucken, deshalb ist es wichtig, dass sich das Kino als Ort neu erfindet. Denn andererseits machen die vielen On- Demand-Plattformen dem klassischen Kino große Konkurrenz. Das Repertoire an Produktionen hat sich insgesamt enorm erweitert, ja irgendwann mag der Punkt der Übersättigung erreicht sein, doch bislang kann ich keine Anzeichen entdecken, dass dieser Trend bald vorbei sein wird. Zwar macht das Überangebot an filmischen und seriellen Produktionen alles flüchtiger. Doch können Filme beispielsweise aus dem subkulturellen Bereich durch den Onlinevertrieb leichter und schneller Aufmerksamkeit bekommen. Am Ende stärkt die Digitalisierung der Vertriebswege die filmische Vielfalt.

Zusammengefasst sehe ich durch das Aufkommen der On-Demand-Streaming-Dienste mehr Vor- als Nachteile. Für uns als Medienboard und Förderinstitut bedeutet das, diese Entwicklung aufzugreifen und sich mit ihr und nicht gegen sie zu entwickeln. Am Ende entscheidet das Publikum, also Sie, was es sehen und erleben will.


Der Beitrag ist gerade erschienen im neuen Printmagazin „The Big Good Future #2“, das man hier online lesen kann.  

 

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