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Die Letzten machen das Heft zu

SCHWERPUNKT Sterben von Musikzeitschriften

Die Letzten machen das Heft zu
Foto: © Alicia Kassebohm
Ist sie die Letzte, die das Heft zumacht? Nein. Sonja Eismann, Mitgründerin und -herausgeberin des Missy Magazins, ist noch lange nicht fertig.

Spex tot, Intro tot, De:Bug schon lange tot. Musikmagazine sterben am laufenden Band, auch das ist Ausdruck der Digitalisierung. Aber ist es auch das Ende popkultureller Rezeptionsweisen? 10 Todesursachen zum Ende der Musikzeitschrift, die noch lange kein Ende bedeuten.
 

VON SONJA EISMANN  (langjährige Redakteurin der Musikzeitschrift Intro, heutige Mitgründerin und -herausgeberin des Missy Magazins)
 

Als ich zur Jahrtausendwende begann, für Musikmagazine zu schreiben, waren die Zeiten noch – so schien es – golden. Es gab Menschen, die Popzeitschriften mit Genuss und Leidenschaft konsumierten und Musikmagazine waren Orte des Diskurses. Es gab auch Leute, die noch selbstverständlich CDs kauften, und selbst wenn Online-Tauschbörsen wie Napster die Plattenfirmen nervös machten, brachten deren Verkäufe noch genügend Geld ein, um Musikzeitschriften mit Anzeigen und kostenlosen Pressereisen zu alimentieren. Ich kam damals aus einer feministischen, linken Do-It-Yourself-Szene und konnte mein Glück kaum fassen, als mir 2002 von der Gratis-Zeitschrift Intro tatsächlich ein Job als Redakteurin angeboten wurde – auch wenn das bedeutete, mein schönes altehrwürdiges Wien für ein narrenverrücktes Köln herzugeben. Nachdem sich mein journalistischer Output bis dahin auf selbstorganisierte Medien und Fanzines wie Nylon, an.schläge, Radio Orange 94.0 oder Murmel Comics beschränkt hatte, die keine Honorare zahlen konnten, war ich doch einigermaßen gebauchpinselt, plötzlich für meine Arbeit zum ersten Mal nicht nur Geld, sondern auch eine unbefristete Anstellung bekommen zu haben.

Ich konnte damals mein Glück kaum fassen, als mir 2002 von der Gratis-Zeitschrift Intro tatsächlich ein Job als Redakteurin angeboten wurde. Jetzt ist die Intro tot.

Nun, fast 20 Jahre später, gibt es weder Intro, Spex, Groove noch De:Bug als Printmagazine. Alle tot. Finanziell war der Musikjournalismus zwar noch nie eine Goldgrube – die meisten Magazine hatten Auflagen zwischen 20.000 bis 40.000 monatlich. Intro war mit rund 100.000 Exemplaren sogar das größte deutschsprachige Magazin – und wurde zum Schluss trotzdem eiskalt erwischt. Alle besagten Magazine waren aber auch nicht einfach nur Zeitschriften, die über die neuesten Platten informierten, sie waren Orte der Auseinandersetzung – entweder in kritischer Reflektion von Pop selbst oder mit Theorien über Pop. Nur wenige führen heute noch ein Dasein als Online-Only-Medien fort, so wie Groove und Spex zum Beispiel, und stehen dabei vor einer äußerst ungewissen Zukunft. Auch für mich ist die Zukunft ungewiss und die Gegenwart prekär, das gilt im Grunde für den kompletten Print-Journalismus. Und wer heute noch Bestand haben will, muss eine Nische finden. Als ich vor 11 Jahren Missy gründete, gab es das Format noch nicht: Missy Magazine, ein Heft für Feminismus und Popkultur. Und: Missy Magazin gibt es immer noch! Dank permanenter Selbstausbeutung aller Beteiligten gehen die Zahlen der Verkäufe, Abos, Anzeigenschaltungen und Kooperationen auch nach wie vor nach oben. Was mir in meiner Zeit bei Intro, als ich bereits von einem explizit feministischen Magazin träumte, aufgrund seiner nicht marktförmigen, thematisch zugespitzten Ausrichtung noch wie eine unerfüllbare, fast kindische Utopie vorkam, erweist sich heute überraschenderweise als nachhaltigeres – oder zeitgemäßeres? – Publikationskonzept. Bis heute überdauert Missy das Absterben sämtlicher Print-Formate.

Es gibt heute einfach keinen Bedarf mehr an einer Auseinandersetzung mit Popkultur wie früher. Der Spaß am Dissens findet keine Lobby mehr. Statt dem Ausdiskutieren konträrer Meinungen multiplizieren sich eigene Filterblasen. Und vor allem geben Plattenfirmen heute weniger Geld für Anzeigen in Musikmagazinen aus - das sind nur einige Gründe für das Absterben der Musikprintformate

Gestorben wird nicht nur einmal: Die 10 Tode von Musikzeitschriften

Wie ist das Ende vieler Musikzeitschriften der letzten Zeit zu erklären? 10 Todesmutmaßungen will ich nennen. Erstens ist der Niedergang der Musikmagazine nur Teilaspekt eines generellen Printsterbens. Aufgrund der kostenlosen Verfügbarkeit medialer Inhalte im Netz sinkt die Bereitschaft, für Zeitungen und Zeitschriften noch Geld auszugeben. Hinzu kommt noch die wachsende Skepsis und Feindseligkeit gegenüber Journalist*innen und dem Wahrheitsgehalt ihrer Aussagen aufgrund von Fake-News. Zweitens gibt es keinen Bedarf mehr an einer Auseinandersetzung mit Popkultur wie früher. Nicht nur die Zeit von Großtheorien scheint vorbei, auch die Aufmerksamkeitsspannne ist um ein Vielfaches kürzer. Drittens: Der Spaß am Dissens findet keine Lobby mehr. Statt dem Ausdiskutieren konträrer Meinungen multiplizieren sich gegenwärtig eigene Filterblasen. „Die dissidenten Nischen, die subkulturelle Vielheit, der Mainstream der Minderheiten werden nun von einer digitalen Architektur der Filterblasen organisiert. In den gated communities des Geschmacks streitet man nicht, sondern schmiegt sich an die an, die einem ähnlich sind und zunehmend ähnlicher werden (…)“ schreibt Tom Holert in der letzten Ausgabe der Spex über „Pop-Kritik als Intervention“. Viertens hat Pop seine relevante Artikulation von Jugendkulturen verloren. Die Zugehörigkeit zu distinkten Subkultur-Tribes ist zunehmend obsolet geworden. Identitäten bilden sich nicht mehr anhand von Popdistinktionen, sie werden von diffuseren Gedankengebilden konstruiert. Fünftens gibt es keinen nennenswerten popjournalistischen Nachwuchs mehr, weder auf Seite der Rezeption noch seitens der Produktion. Sechstens fühlt sich die traditionelle Zielgruppe von Musikzeitschriften – Jugendliche, Studierende wie Graduierte – wie im Hamsterrad. Alle werden zwar formal schlauer (höherer Bildungsgrad), Geld verdient sich dadurch noch lange nicht – und für Journalismus bleibt schon gar keine Zeit mehr. Siebtens: Die ältere Generation, die mit dem Konsum von Popzeitschriften aufgewachsen ist, wendet sich altersbedingt vom Aktualitäts-Diskurs ab. Hier interessiert man sich tendenziell mehr fürs Sammeln, Vervollständigen, Verfeinern und Archivieren von Musik wie auch für aktualitätsunabhängige Genres. Achtens haben es Musikzeitschriften einfach auch verpennt, ihre eigenen Teams und ihre Themenauswahl diverser – also weniger weiß, männlich, heterosexuell etc. – zu gestalten. Sie haben damit auch an Relevanz für potentielle Leser*innen eingebüßt, denen diese Faktoren zunehmend wichtiger werden. Neuntens: Im Zeitalter ständiger Verfügbarkeit tritt die Wertigkeit von Musik im Gegensatz zum einmaligen Live-Moment in den Hintergrund. Heißt: Musikfans geben ihr Geld lieber für Konzerte und Festivals aus als für Zeitschriften. Und zehntens geben Plattenfirmen, die mit der ständigen Gratis-Verfügbarkeit von Musik zu Rande kommen müssen, heute weniger Geld für Anzeigen in Musikmagazinen aus – und Zigarettenwerbung, die in Musikmagazinen traditionell stark präsent war, ist seit 2006 (Tabakfachblätter ausgenommen) in deutschen Printerzeugnissen verboten.

Was kommt jetzt? Geht's weiter oder hören wir alle auf?

Aber: Was kommt jetzt? Bedeutet das Absterben von Musik-Printformaten das Ende popkultureller Rezeptionsweisen? In gewisser Weise ja. So, wie es mal war, wird’s nicht mehr. Aber es entsteht auch etwas Neues: Schon lange formieren sich zahlreiche Blogs und verhandeln Themen neu. Schon jetzt schiebt sich auch eine neue Podcast-Euphorie durch den medialen Äther, deren Ende noch lange nicht in Sicht ist. Und Magazine wie Missy, die nie nur auf Popkulturanalyse, sondern auf eine dezidiert politische Perspektive gesetzt haben, machen ohnehin weiter. Das heißt nicht, dass die 10 Tode uns unberührt lassen, ganz im Gegenteil – nur sind wir die Arbeit auf prekärem finanziellen Niveau mit gleichzeitiger großer Unterstützung der ebenfalls prekären Community von Anfang an gewöhnt. Man kann die neuen Zeiten nun beklagen, man kann aber auch fragen: Wie wird Kritik in Zukunft formuliert und rekonfiguriert? Wo und wie entstehen neue Orte, neue Formate, neue Denkweisen? Ich erinnere mich, dass auch damals, als ich anfing zu schreiben, die Popkritik bereits als im Niedergang begriffen galt – auch deshalb, weil Musiklabels mit teuren Anzeigen und Interviewreisen nach Miami Beach & Co Einfluss nehmen wollten. Was im Nachhinein eher schummrig als golden wirkt.

 

Rubrik: Specials

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