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Philipp Grefer: "Die Probleme der Zukunft lösen wir nicht allein"

Special: CCB goes to China

Philipp Grefer: "Die Probleme der Zukunft lösen wir nicht allein"
Foto: © Matjaz Tancic

Philipp Grefer ist gebürtiger Rheinländer, lebte Jahre lang in Berlin und hinterlässt Spuren in China: Er hat das „WISE“-Festival ins Leben gerufen und bringt Akteure aus dem Bereich Musik-Technologie, KI und Kreativwirtschaft zusammen. Wir sind in diesem Jahr Medienpartner und haben mit ihm über China und Kultur, neue globale Herausforderungen und das Festivalformat in Zeiten des Umbruchs gesprochen.  
 

INTERVIEW   Jens Thomas

 

CCB Magazin: Philipp, du bist Gründer von Fake Music Media und organisierst „WISE“, ein Future Think Tank zum Thema Digitalisierung und Creative Industries in China. Was reizt dich an China? 

Philipp Grefer:Mich reizt vor allem das rasende Tempo mit dem hier Geschichte geschrieben wird. Um das mit einer kleinen Geschichte zu illustrieren: Als ich 2009 mit meiner Partnerin Helen Feng (Sängerin der Band Nova Heart) das erste Konzert unter dem Namen Fake in Peking organisierte, war der Name noch eine ironische Reflektion. In China war das Thema damals schon in aller Munde. Heute, zehn Jahre später, redet plötzlich die ganze Welt davon. Und in diesen zehn Jahren ist in China so unglaublich viel passiert: Derzeit baut die chinesische Regierung zum Beispiel ein System auf, das das Verhalten seiner Bewohner in allen Lebensbereichen positiv oder negativ bewertet. Das ist aber nur die eine Seite. Die andere ist: China interessiert sich viel mehr für Deutschland als Deutschland für China und weiß auch mehr über unser Land. Ich wollte mehr über China wissen. Darum bin ich hier. 

CCB Magazin: Wenn du die hiesige Kulturlandschaft und Creative Industries mit der in China vergleichst, wo liegen Parallelen und Unterschiede? Gibt es dort auch eine vergleichbare Kreativindustrie? 

Philipp Grefer:China ist schon jetzt der zweitgrößte Filmmarkt der Welt. Was das Musikbusiness angeht hat sich China in den letzten Jahren von Platz 25 auf ca. 10 vorgekämpft und wird sicherlich in wenigen Jahren Platz 1 oder 2 einnehmen. In anderen Bereichen ist es ähnlich. Ein großer Unterschied ist zudem die Größe des Marktes, der chinesische Markt ist Weltführer. Weiterer Unterschied ist, dass die Chinesen Kultur ganz anders verstehen.  

CCB Magazin: Wie denn?

Philipp Grefer:Seid Mao´s Rede in Yanan 1942 hat sich im Grunde nicht viel geändert beziehungsweise kehrte die Gesellschaft nach kurzer Öffnung zur alten Form zurück. Am 4. Mai 1966 leiteten Mao Zedong und Kader der Kommunistischen Partei Chinas zunächst die „Große Proletarische Kulturrevolution“ ein. Ziel waren der Kommunismus und Frieden, es folgten die Kulturrevolution und der große Sprung nach vorne, durch den viele Menschen ihr Leben lassen mussten. Bis heute wird Kultur in China weitestgehend von oben gesteuert. Es gibt kaum eine akzeptierte Subkultur – ganz anders als in Deutschland. Aber auch in China gibt es Freiräume, in denen sich Kultur abseits vom Staat entwickelt. Wie im Westen sind sie auch hier durch Gentrifizierung in Gefahr – die Mieten in den Zentren Beijing und Shanghai sind inzwischen astronomisch hoch. 

Die Chinesen sind im Gegensatz zu den Deutschen keine Technikpessimisten. Sie stehen neuen Technologien grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber. Ich will nicht sagen, was besser ist. Die Chinesen schaffen aber erst einmal Tatsachen, erst dann werden die Fragen gestellt

CCB Magazin: Bevor wir über dein Festivalformat sprechen: Das Thema KI, digitale Durchdringung von Arbeit und Leben bestimmen aktuell den Diskurs. Die Debatte schwankt zwischen Hoffnungseifer und Panikmache. Wie gehen die Chinesen damit um?  

Philipp Grefer:Die Chinesen sind, so wie die Amerikaner auch, keine Technikpessimisten, ganz im Gegensatz zu den Deutschen. Die Chinesen stehen neuen Technologien grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber. Ich will gar nicht sagen, was jetzt besser ist. Neue Technologien bergen immer Chancen und Risiken zugleich. Die Chinesen schaffen aber erst einmal Tatsachen, erst dann werden die Fragen gestellt. Ziel ist es, vorne mitzuspielen. Das kann gefährlich sein, entgegen dem momentanen Trend geht es aber darum, bei internationalen Kooperation auf das Gemeinsame zu achten: In einer idealen Welt stände bei der Entwicklung der KI in China zum Beispiel nicht der Konkurrenzdanke zwischen Konzernen oder Nationen im Vordergrund. Zentral ist der Geist der Zusammenarbeit, der dann auch gemeinsame weltweite Normen und Regulierungen schaffen soll.  

Foto: wise


CCB Magazin: In Deutschland ist Kultur stark von der öffentlichen Hand abhängig - pro Jahr fließen rund 9. Mrd. in die Kulturförderung. In weiten Teilen herrscht aber die Meinung vor, dass Kunst und Kultur zweckfrei sein müssen. Wie ist die Situation in China, wo ohnehin alles zentral gesteuert ist, zugleich aber alles wirtschaftlich verhandelt wird?  

Philipp Grefer:Es gibt in China eine Dichotomie zwischen Staat, freier Marktwirtschaft und dem Verhältnis zur Kunst. Nichts kommt hier ohne das andere aus – ganz anders als in Deutschland. Man muss aber unterscheiden, um was es konkret geht: Um Geld oder Kontrolle? Der Kunstmarkt zum Beispiel ist, wie der Name schon sagt, einer, der in China von Angebot und Nachfrage bestimmt ist und dem man – und das nicht nur in China – ein gewisses Potential zur Geldwäsche unterstellt. Das Problem, das der Staat damit haben könnte, wäre, dass das Geld mit Hilfe von Kunst außer Landes gebracht wird. Solche Kunst wird in China auch nicht gefördert. Mehr noch: Sie wird nicht mal geduldet. 

„WISE“ ist eine Plattform zum Austausch. Akteure aus verschiedenen Kreativindustrien kommen mit Akteuren aus allen Ländern zusammen, die unser digitales Leben in der Zukunft prägen werden – so zum Beispiel welche aus der Techindustrie. Ich will, dass man Chancen zur Zusammenarbeit erkennt. Denn die Lösungen für die Zukunft finden wir nur im globalen Maßstab

CCB Magazin: Jetzt organisierst du das "WISE"-Festival, eine Scharnierfunktion für Musik, Technologie und dem neuesten Fortschritt. Um was geht es? Was sind die zentralen Themen?

Philipp Grefer:„WISE“ ist eine Plattform zum Austausch. Akteure aus verschiedenen Kreativindustrien wie Musik, Film, Kunst, Design etc. kommen mit Akteuren aus allen Ländern zusammen, die unser digitales Leben in der Zukunft prägen werden – so zum Beispiel Akteure aus der Techindustrie. Alle können und sollen viel von- und übereinander lernen. Mein Ziel mit WISE ist es, dass man Chancen zur Zusammenarbeit erkennt. Denn die Lösungen für die Zukunft finden wir nur im globalen Maßstab. Da kann man auch China als die nunmehr zweitgrößte Weltmacht nicht mehr ausklammern. Und darüber reden wir auf dem Festival. Themen, wie wir mit KI umgehen, welche Vor- und Nachteile Technologien haben, wie sie sich auf Arbeit und Leben auswirken, stehen ganz oben auf der Agenda. Dabei geht es immer darum, den Menschen in den Mittelpunkt der Überlegungen zu stellen. Frei nach John F. Kennedy: „Frag nicht was wir für die Digitalisierung tun können, sondern, was die Digitalisierung für uns tun kann“.  

CCB Magazin: Was kann die Digitalisierung für uns tun? 

Philipp Grefer:Sie kann uns das Leben in Zukunft erleichtern. Natürlich birgt sie die Gefahr, dass wir uns zunehmend fremdnavigieren lassen, natürlich werden auch Arbeitsplätze wegfallen. Es werden aber auch neue entstehen. Vor allem schafft die Digitalisierung Zugang, wir Menschen müssen ihn nur suchen – über Landesgrenzen hinweg.  

Ich denke, wenn wir so weitermachen, haben wir gute Chancen, die wichtigste internationale Plattform für die Kreativ-und Techindustrie in China zu werden

Foto: wise


CCB Magazin: Wie kommen europäische und chinesische Künstler oder Kreativakteure auf deinem Festival zusammen?  

Philipp Grefer:Erst einmal sei der spezielle Ort erwähnt, an dem WISE stattfindet: Das 798 Kunstviertel in Peking ist ein weltweit einzigartiger Ort, genauer gesagt dessen Herzstück. Fünf Minuten Fußweg von dort ist das dänische Kulturzentrum, wo unser Musikprogramm stattfindet. Beide Orte sind prädestiniert für den Austausch. Ich bin auch froh darüber, dass das Reeperbahn Festival (RBF) als großer Partner in diesem Jahr mit dabei war – und ihr ja auch. Durch die finanzielle Unterstützung des Auswärtigen Amtes konnten wir zusätzlich zwei Musik-Showcases mit jeweils vier europäischen und vier chinesischen Künstlern organisieren. Außerdem gab es ein Matchmaking mit 20 Vertretern der europäischen und chinesischen Musikindustrie. Ziel ist es, im Anschluss chinesische Vertreter im Austausch aufs Reeperbahn Festival zu bringen. 

CCB Magazin: Das „WISE“-Festival ist in diesem Jahr das zweite seiner Art. Was ist dein langfristiges Ziel? 

Philipp Grefer:WISE ist zwar noch recht überschaubar, aber auch ziemlich einzigartig in China. Konferenzen in China gibt es zu genüge, die sind aber meist ziemlich trocken mit Product Pitches und wenig inspirierenden Reden. Inspiration, Lerneffekte und das Netzwerken kommen da einfach zu kurz. Vielfach sind es auch rein chinesische Veranstaltungen, bei denen es zu wenig Ausstauch mit Künstlern aus dem Ausland gibt. Bei WISE steht genau das im Vordergrund: Der Austausch. Ich denke, wenn wir so weitermachen, haben wir gute Chancen, die wichtigste internationale Plattform für die Kreativ-und Techindustrie in China zu werden. 


Hier gibt's alle Infos zum WISE-Festival 

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