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Robokalypse now

Robokalypse now
Foto: © Gabriela Neeb

Rimini Protokoll, das sind Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel, die seit 2000 als Theaterkollektiv den gesellschaftlichen Fortschritt auf die Bühne bringen – und ihn hinterfragen: Wie sieht das Leben 2048 nach der digitalen Erosion aus? Können uns humanoide Roboter bald ersetzen? In ihrem neuesten Stück „Uncanny Valley“ können sie das. Ein humanoider Roboter sitzt in Gestalt des Schriftstellers Thomas Melle auf der Bühne und spricht mit dessen Stimme zum Publikum. Eine unheimliche Begegnung? Vielleicht. Vielleicht aber auch bald mehr Wirklichkeit als wir vertragen. Wir sprachen mit Stefan Kaegi (mit dem echten). 
 

 INTERVIEW JENS THOMAS

 

CCB Magazin: Hallo Stefan, ihr thematisiert seit Jahren komplexe Gesellschaftsthemen auf der Bühne, dabei greift ihr oft auf Laiendarsteller und Fachexperten zurück. Diesmal performt ein humanoider Roboter, ein Sinnbild des technologischen Fortschritts. Wie ist die Arbeit mit einem Roboter? Seid ihr per du?

Stefan: Natürlich. Es war aber zunächst gar nicht mal so einfach, ihn überhaupt zu erschaffen. Wir wollten ihn ja wirklich porengenau nach Thomas Melles Physiognomie bilden, jede Mimik, jede Gestik sollte ihm nachempfunden sein. Dafür mussten wir von Melles Kopf, also vom echten, einen Silikonabdruck machen, die ihm seine Form gab. Im Anschluss folgte die minutiöse Programmierarbeit, um seine Mimik – Lippen, Augen, Wimpern – so authentisch wie möglich wirken zu lassen. Nach jeder Vorstellung musste der Roboter wieder vorsichtig verpackt werden. Ich glaube, ich habe mir noch nie um einen Darsteller so große Sorgen gemacht wie um Melle 2, wie wir ihn bei uns nennen. 

Rimini Protokoll (Stefan Kaegi) & Thomas Melle: „Uncanny Valley“ © Gabriela Neeb

Ich glaube, ich habe mir noch nie um einen Darsteller so große Sorgen gemacht wie um Melle 2. Und es war zunächst gar nicht mal so einfach, ihn überhaupt zu erschaffen. Wir wollten ihn  wirklich porengenau nach Thomas Melles Physiognomie bilden, jede Mimik, jede Gestik sollte ihm nachempfunden sein

CCB Magazin:Thomas Melle hat das Stück selbst verfasst, er leidet an einer manisch-depressiven Erkrankung, über die er 2016 das Buch „Die Welt im Rücken“ schrieb. Und er sagte, dass er über den Roboter Kontrollverlust zurückgewinnen könne – man kann den Roboter dann einfach mal ins nächste Meeting oder auf die Bühne schicken, ohne selbst anwesend zu sein. Werden wir uns zukünftig an humanoide Roboter in unserem Alltag gewöhnen müssen? 

Stefan: Ich denke schon. In Berufen wie der Pflege versucht man ja jetzt schon solche Roboter einzusetzen, erste Versuche damit, beispielsweise in Japan, zeigen auch, dass es funktioniert. Gerade Japan gilt als Vorzeigeland von New Robotics in der Arbeitswelt. Denn die Ängste vor Überwachung und Unkontrollierbarkeit sind dort weitaus geringer als hier. Viele Japaner erwarten sogar, dass diese Technologien ihr Leben künftig bereichern. Das hat nicht zuletzt mit den positiven Darstellungen in Manga und Populärkultur zu tun, was dazu führt, dass die Japaner weniger Berührungsängste mit menschlichen Maschinen haben. Auch der demografische Wandel, der noch gravierender als in Deutschland ist, macht den Einsatz von Robotern geradezu notwendig. Laut Prognosen sind von 127 Millionen Einwohnern Japans schon jetzt bereits 28,1 Prozent älter als 65 Jahre – und die Einwohnerzahl wird auf 88 Millionen Menschen im Jahr 2065 sinken. Es drohen das Verwaisen ländlicher Regionen, die Einsamkeit und das Fehlen von Arbeitskräften. Roboter werden in Japan als Hilfe gesehen, selbst in Bereichen wie der Altenpflege, wo Arbeit „menschlich“ ist. In Deutschland ist man da weitaus vorsichtiger. Aber auch hier zeigen Forschungsergebnisse, dass wir Roboter in unserem Lebensalltag akzeptieren, wenn sie soziale Fähigkeiten haben, wenn wir sie also für menschliche Wesen halten. Hier setzt auch unser Stück Uncanny Valley an. Denn wenn wir uns im Bereich des Uncanny Valley befinden, machen Roboter Angst. 

CCB Magazin:Kannst du den Begriff „Uncanny Valley“ einmal erklären?

Stefan: Der Begriff „Uncanny Valley“ stammt ursprünglich vom japanischen Robotikforscher Masahiro Mori aus den 1970er Jahren. Mori hatte damals herausgefunden, dass wir uns vor humanoiden Robotern besonders gruseln, wenn sie uns fast, aber eben nicht gänzlich ähnlich sehen. Spiegeln sie uns zum Beispiel nur zu 70 Prozent wieder, nehmen wir sie nicht so sehr als menschenähnlich wahr und können sie sympathisch finden oder auch nicht. Aber wird die Ähnlichkeit mit uns nur um ein paar Prozentpunkte verfehlt, dann nehmen wir sie als Zombies wahr – das ist das Uncanny Valley. 

Humanoide Roboter könnten in Zukunft Alltag werden. Wir werden sie nicht nur in Altersheimen vorfinden. Menschenähnliche Puppen dringen sogar in unser Sexualleben ein

CCB Magazin:Die Versuche, Arbeit von Menschen durch Mechanik zu ersetzen, sind nicht neu. Schon in vorchristlicher Zeit erfanden die Griechen einfache Automaten, die ohne direkte Einwirkung der Menschen Tätigkeiten ausführen konnten. So entstand 270 vor Christus die erste wasserbetriebene Uhr. In der Industrie gibt es Roboter bereits seit den 1960er Jahren, wenngleich 1927 mit dem Film "Metropolis" erstmals eine menschliche Maschine auf die Kinoleinwand trat. Ist euer Stück eine Kritik an der Robotisierung der Gesellschaft oder sollten wir uns auf sie freuen? 

Stefan: Einerseits ist es eine Kritik an den Verhältnissen, ja. Denn wir sind längst technische Wesen und regelrecht hilflos, wenn unser Smartphone mal versagt. Unser Theater setzt darum immer an Schnittstellenproblematiken an – wir versuchen Gesellschaft zu spiegeln, das Publikum bekommt die Wirklichkeit, die es braucht. Auf der anderen Seite werden Humanoide in Zukunft Alltag werden. Wir werden sie nicht nur in Altersheimen vorfinden. Menschenähnliche Puppen dringen auch immer mehr in unser Sexualleben ein. Schon jetzt gibt es erste Roboterbordelle. 

© Gabriela Neeb

CCB Magazin:Ziel eurer Stücke ist es, das Publikum auch emotional zu erreichen, um Wirklichkeit nicht abstrakt technisch zu erleben. Wie hat das Publikum auf Melle 2 reagiert? War es verstört? 

Stefan: Manche haben tatsächlich geglaubt, es sei ein Mensch, der einen Roboter spielt und nicht umgekehrt. Die dachten dann, oh, der spielt aber verdammt gut. Unsere Absicht war ja nicht so zu tun, als wäre das da auf der Bühne kein Roboter, das wäre albern gewesen. Der Hinterkopf ist darum auch offen. Trotzdem wirkte die Darstellung auf manche täuschend echt. Durch seine Authentizität ruft er Empathie bei den Zuschauern hervor: ein bestimmtes Leuchten in den Augen, ein bestimmter Winkel um die Lippen. Es bringt ihn dem Publikum dadurch näher und sie können sich der Sympathie für ihn nicht erwehren, obwohl sie wissen, dass es ein Roboter ist. 

Manche haben tatsächlich geglaubt, Melle 2 sei ein Mensch, der einen Roboter spielt und nicht umgekehrt. Die dachten dann, oh, der spielt aber verdammt gut

CCB Magazin:Ihr beschäftigt euch mit Rimini Protokoll schon seit längerem mit dem Fortschritt und was er mit uns macht. In eurem Stück „Staat“ habt ihr gefragt, wie das Leben 2048 durch die digitale Entwicklung aussieht. Jetzt ist es der humanoide Roboter Melle 2. Wir erleben gerade eine starke digitale Durchdringung unseres Lebens und Arbeitsalltags. Was hat das für Folgen für die Darstellenden Künste? 

Stefan: Theater hat ja grundsätzlich die Chance, als Live-Kunst sehr nah auf die Gegenwart zu schauen, das Zusammensein im Jetzt zu inszenieren. Und da ein großer Teil unserer Anstrengungen, Kreativität und Debatten im postindustriellen Zeitalter mit der Frage zu tun hat, wie wir zusammenleben wollen, ist Theater die Kunst der Stunde – die uns eben nicht voneinander trennt, sondern uns hinter unseren Bildschirmen hervorholt. Es liegt an uns, dieses Zusammensein nicht zum Selbstzweck verkommen zu lassen, sondern diesen sozialen Raum dazu zu nutzen, die komplexen Themen unserer Zeit kritisch zu hinterfragen und dazu gehören natürlich auch die ökonomischen Machtverhältnisse, die der Politik immer weniger Spielraum zu lassen scheinen. Das Theater wird auch zukünftig der Wirklichkeit ein Schnippchen schlagen.

CCB Magazin:Letzte Frage: Können Maschinen Freunde werden und wenn ja wie viele? 

Stefan: Vielleicht können sie das, das wäre allerdings auch sehr traurig. Ich zumindest bin mit meinen menschlichen Freunden sehr zufrieden. Und die werden mir auch in Zukunft durch keine Maschinen ersetzt.  


 

Hier gibt's alle Infos und Termine von Rimini Protokoll 

 


Das Interview ist gerade erschienen im neuen Printmagazin „The Big Good Future #2“ 

 

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