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She She Pop: Acht Menschen aus Fleisch und Blut

She She Pop: Acht Menschen aus Fleisch und Blut
Foto: © Benjamin Krieg

Das Berliner Performance-Kollektiv She She Pop ist seit bald drei Jahrzehnten eine feste Größe in der Berliner Theaterwelt. Angefangen im analogen Zeitalter zwischen Fax und ratternden Rechnern setzen She She Pop heute zunehmend digitale Mittel zur Bühnenkunst ein. Wie verändert die Digitalisierung die Performing Arts, wie die Arbeitsweise eines Kollektivs wie She She Pop? Und muss das Theater angesichts neuer Spaltungen in der Gesellschaft und eines fortschreitenden Rechtsrucks in Europa wieder politischer werden? Wir sprachen darüber mit Lisa Lucassen von She She Pop, Mitglied der ersten Stunde und eine von acht.
 

INTERVIEW   KORA ANNIKA BÖNDGEN

 

CCB Magazin: Hallo Lisa! Euer Stück ´Oratorium´ gastierte vor Kurzem auf dem Berliner Theatertreffen. Darin setzt ihr euch vor allem mit der Frage auseinander, wie durch Eigentumsverhältnisse Macht ausgeübt werden kann. Aktuell wird viel darüber debattiert, dass Algorithmen und Künstliche Intelligenzen (KI) zunehmend unseren Alltag beeinflussen und kontrollieren. Spielen Maschinen und KIs in den in ´Oratorium´ angesprochenen Besitz- und Machtverhältnissen eine Rolle?

Lisa:Unser Theater ist sehr wenig maschinell, hier finden sich hauptsächlich Menschen zusammen. In ´Oratorium´ geht es vor allem um Immobilieneigentum und wie Eigentum das Bewusstsein verändert. Ist es eine gültige Antwort, wenn ich sage, dass die Digitalisierung auf die inhaltliche Darstellung so gut wie keinen Einfluss hat? 

CCB Magazin: Ja klar.

Lisa:Aber die Macht, die wir in ´Oratorium´ formal auf unser Publikum ausüben, wird von einer relativ frischen Software begünstigt, in die wir die Texte eingeben und die das Publikum dann sprechen darf. Und ja, auch bestehende Machtstrukturen werden durch die Digitalisierung begünstigt, durch neue Algorithmen zum Beispiel. Wir setzen uns damit auch auf der Bühne auseinander. Und wir eignen uns die Technologien an, aber wir lassen uns davon nicht vereinnahmen. Sie sind bei uns nicht Inhalt, sondern Form.

 

CCB Magazin: Ihr habt euch in den 1990er Jahren am Gießener Institut für Angewandte Theaterwissenschaft gegründet. 1998 seid ihr nach Berlin gekommen. Als ihr begonnen habt lernte das Internet gerade laufen, es gab noch keine Mobiltelefone, das Tablet war ein Fremdwort. Ihr versteht euch als Kollektiv. Inwieweit hat sich eure Arbeit im Zuge der Digitalisierung vom Analogen hin zum Digitalen verändert?

Lisa:(lacht) Ehrlich gesagt, weiß ich nicht einmal, welchen Stellenwert das Fax in der Geschichte der Digitalisierung hat. Denn gerade das haben wir über Jahre sehr ausgiebig genutzt, und das war wirklich lustig, weil man sich da – viel einfacher als per PC – schnell gezeichnete Skizzen schicken konnte. Was die modernen Kommunikationsmethoden angeht, müssen wir uns heute im Vergleich zu unseren Anfängen nicht mehr für alles treffen. Technische Neuerungen erleichtern viele Absprachen. Unser Kollektivempfinden leidet darunter aber nicht. 

Bestehende Machtstrukturen werden durch die Digitalisierung begünstigt, durch neue Algorithmen zum Beispiel. Wir setzen uns damit auf der Bühne auseinander. Und wir eignen uns die Technologien an, lassen uns davon aber nicht vereinnahmen

CCB Magazin: In den 1970er Jahren wurden Kollektive zu einer neuen dominierenden Form. Zu eurer Gründungszeit in den 1990er Jahren setzte sich gerade der Individualismus durch. Die Rede war von einer neuen unpolitischen „Spaßgesellschaft“, es folgten die zahlreichen Selbst-GmbHs und Ich-AGs. Aktuell gibt es wieder Tendenzen, dass sich neue Gemeinschaften gründen, gerade im Zuge der Digitalisierung – Stichwort neue Genossenschaften. Wie erlebt ihr diesen Wandel? Und wie verändert diese Entwicklung den Bereich Tanz und Theater? 

Lisa:Das Theater war ja schon von Beginn an politisch, daher würde ich behaupten, dass die Form kollektiver Zusammenarbeit die beschriebenen Phasen weitestgehend überlebt hat. Und ich würde auch sagen, dass die Digitalisierung und Technisierung das Bedürfnis nach menschlicher Kommunikation wieder hervorbringen – und darüber ein neues politisches Bewusstsein geschaffen wird, auch in der Performance-Szene.

Szene aus dem Stück 50 Grades of Shame. Foto: © Doro Tuch

CCB Magazin: Ihr sagt über euch, dass ihr Theater „in einen Raum der utopischen Kommunikation verwandelt“. Was ist damit gemeint?

Lisa:Wir haben über die langen Jahre unserer Zusammenarbeit festgestellt, dass es im Theater und auf der Bühne paradoxerweise einfacher ist, Dinge miteinander zu verhandeln oder konkret zu adressieren als draußen im wirklichen Leben. In unserem Stück ´Testament´ stehen wir beispielsweise mit unseren eigenen Vätern auf der Bühne und sprechen mit ihnen darüber, wie sie sich den Umrechnungskurs von Liebe in Geld vorstellen oder wie sie vorhaben, ihr Erbe unter den Kindern aufzuteilen. Das ist eine sehr schwierige Angelegenheit und ist vor einem Publikum von 600 Leuten geradezu einfacher, weil es eben diese Klammer gibt, weil man weiß, jetzt wird nicht geheult und geohrfeigt, sondern hier wird zivilisiert geredet. Und deswegen verstehen und benennen wir Theater auch als einen Ort für utopische Kommunikation, in dem man Sachen probehalber sagen kann. Hier wird in künstlerischem Kontext eine persönliche Ebene auf das heruntergebrochen, was auf der Bühne geschieht. Die Dinge sind tatsächlich gesagt, bleiben dennoch in erster Linie Theater und haben eine andere Wirkung, als würde ich sie am Abendessenstisch ansprechen. Und dazu lassen sich heute eben auch technische Mittel sehr gut nutzen. 

Unser Theater war von Beginn an politisch. Politisch sind aber nicht nur unsere Themen. Es ist auch die Art, wie wir miteinander arbeiten: Zusammen. Im Kollektiv. Durch das Einbeziehen der eigenen Autobiografie. Wir sind sieben Frauen und ein Mann. Und wir glauben an das Theater als Raum der Öffentlichkeit. 

CCB Magazin: Eine eurer neuesten Arbeiten funktioniert nur mit der Hilfe modernster Videotechnik: In ´50 Grades of Shame´ filmt ihr euch live auf der Bühne, entweder nackt, kostümiert oder in schwarzen Stoff gewickelt. Mithilfe der Software ´Isadora´ werden diese Aufnahmen dann zerstückelt, collagiert und wieder projiziert. Ist dieses Stück eine Kritik an der gegenwärtigen technologischen Durchdringung? 

Lisa:Zunächst zerstückelt die Software die Bilder nicht. Es gibt in dem Stück fünf Kameras und zwei Leinwände. ´Isadora´ sorgt bei uns vor allem dafür, dass die live-Aufnahmen, die aus allen Kameras in den Computer eingehen, auf verschiedene Weise wieder ausgegeben werden. Und nein, es ist keine dezidierte Kritik an der zunehmenden Digitalisierung. Wir lernen eine Entwicklung kennen und machen sie uns zu Eigen – ganz pragmatisch. 

CCB Magazin: Wie funktioniert das technisch?

Lisa:Mit Hilfe der Software ‚Isadora‘ können wir Einstellungen an der Belichtung vornehmen. Darauf basiert im Prinzip die komplette Zerstückelung der Körper und deshalb sind wir auch so gekleidet: entweder in schwarzen Stoff gehüllt, bunt kostümiert oder nackt. Alles, was schwarz ist auf schwarzem Grund, verschwindet bei entsprechender Lichteinstellung im Computer. Eine Person, die ein buntes oder gar kein Kostüm trägt, aber eine schwarze Maske vorm Gesicht hat, sieht also aus wie eine Person ohne Kopf. Und wenn die auf dieselbe Leinwand geworfen wird, wie eine Person, die schwarz angezogen ist, kann man den einen Kopf auf einen anderen Körper setzen. 

CCB Magazin: Du sagtest, dass ihr politisches Theater macht. Bei den letzten Europawahlen hat sich gezeigt, dass rechte Gruppierungen zunehmend an Stimmen gewinnen. Sollten Kunst und vor allem die performativen Künste wieder vermehrt die Aufgabe haben, aktuelle Themen auf die Bühne zu bringen und politische Probleme zu diskutieren? 

Lisa:Das Theater war ja auch immer schon politisch, es war von Beginn an ein Akt akuter Öffentlichkeit. Das gilt auch für uns: Bei uns werden auf der Bühne Entscheidungen getroffen. Gesprächsweisen und Gesellschaftssysteme werden ausprobiert, Sprech-Gesten und soziale Rituale einstudiert oder verworfen. Mit anderen Worten: Wir suchen nach den gesellschaftlichen Grenzen der Kommunikation. Wir praktizieren eine Theaterform, die dem Experiment verpflichtet ist. Und auch das Publikum erhält bei uns häufig eine konkrete Zuschreibung und eine besondere Funktion. Das ist hoch politisch. Politisch sind aber nicht nur unsere Themen auf der Bühne. Es ist auch die Art, wie wir miteinander arbeiten: Zusammen. Im Kollektiv. Durch das Einbeziehen der eigenen Autobiografie. Wir sind acht Menschen aus Fleisch und Blut. Sieben Frauen und ein Mann. Und wir glauben an das Theater als Raum der Öffentlichkeit. 

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