Digitalisierung, Gründung, New Work Zurück

Auf geht's, Genossen!

Schwerpunkt Genossenschaften für Kulturakteure

Auf geht's, Genossen!
Foto: © Supermarkt

Die Digitalisierung schafft neue Monopolstellungen. Aber sie schafft auch neue Formen von Solidarität – gerade in einer Stadt wie Berlin. Digitale Genossenschaften werden zum Schlüssel für bessere Zukünfte. Wie funktionieren sie? 


VON ELA KAGEL (Leiterin des Supermarkt Berlin und Digitalexpertin)
 

Letzte Woche rief mich eine Freundin an und lud mich ein, bei der Gründung eines neuen Projekts mitzumachen. Ihr schwebte eine Einkaufsgenossenschaft für Freischaffende vor, bei der man sich für die gemeinsame Nutzung von Büroräumen, aber auch beim Beauftragen von Steuerberater*innen oder für den Einkauf von Bürobedarf und technischen Geräten zusammentun könne. „Überleg mal“, meinte sie, „was da jede von uns an Geld und Mühe sparen könnte.“

Klar, dachte ich mir, das leuchtet ein. Neben der eigentlichen Gründungsidee fand ich aber vor allem die gesellschaftlichen Implikationen ihrer Idee spannend. Denn auch ich beobachte seit geraumer Zeit einen Trend, der vom Ideal der Selbstverwirklichung und Autonomie wegführt hin zur Entwicklung einer gemeinschaftlichen Vision von gutem Leben. 

An dieser Maxime arbeite ich in Berlin seit Jahren selbst mit. 2011 habe ich gemeinsam mit Zsolt Szentirmai und David Farine den SUPERMARKT ins Leben gerufen, zunächst in einem leerstehenden Supermarkt im Wedding, mittlerweile in einem umgebauten Ladengeschäft in Kreuzberg. Unser Ziel: Über neue Formen des Arbeitens und alternativen Wirtschaftens informieren, diese aber auch selbst praktizieren. Erst kürzlich haben wir RChain Europe gegründet, eine erste Technologie-Genossenschaft, die ihren Genoss*innen digitale Werkzeuge und Know-how zur Verfügung stellen will. Ansonsten richten wir uns mit unserer Beratungsarbeit, aber auch mit Workshops, Konferenzen und Community-Meetings an alle, die Zusammenarbeit und Gemeinschaft neu definieren wollen: an Kreativschaffende, Aktivist*innen, an Selbstständige und Organisationen aller Art. Wir engagieren uns auch auf politischer Ebene und bauen Netzwerke in ganz Europa auf – vor allem im Kontext genossenschaftlicher Modelle in Zeiten der Digitalisierung. 

Die Idee der Genossenschaft ist zunächst keinesfalls neu. Neu ist die Relevanz, die Genossenschaften für Kulturakteure haben. Sie können zum Schlüssel für neue faire Arbeitsmodelle werden 

Was ist das Neue an den digitalen Genossenschaften und wie hilfreich sind sie für Kulturakteure? Zunächst ist die Idee der Genossenschaft keinesfalls neu. Genossenschaftliche Organisationen sind in der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden, mehr oder weniger aus einer Notlage heraus: Die industrielle Revolution war in vollem Gange und brachte etliche Bauern und Handwerksbetriebe in finanzielle Schwierigkeiten. Eine schnelle Lösung musste her, um die Notleidenden mit Geld zu versorgen und gleichzeitig ein Höchstmaß an Freiheit zu sichern. Was dann unter der Regie von Wilhelm Raiffeisen und Hermann Schulze-Delitzsch erfolgte, war ein Zusammenschluss anfänglich schwacher Einheiten, die nach den Grundsätzen der Selbsthilfe, Selbstverwaltung und gemeinsamen Steuerung eine Verbesserung der Lebensqualität ihrer Mitglieder erwirken wollte. So entstanden im Übrigen auch die Vorläufer der ersten Volksbanken, Raiffeisenbanken, Vorschussvereine und Einkaufsgenossenschaften für Selbstständige – mit nachhaltigem Erfolg.

Genossenschaften als Erste-Hilfe-Set für Wirtschaftskrisen?

Möglicherweise sind wir gerade jetzt wieder mitten drin in einer neuen Zeitenwende: Auf der einen Seite bilden sich weltweit neue Monopolstellungen im Zuge eines Plattform-Kapitalismus, den Sascha Lobo bereits 2014 in einem SPON-Artikel beschrieben hat – Plattformen wie Google, Amazon oder Facebook basieren heute auf einem inneren Monopolkompass. Sie können im Grunde genommen gar nicht anders, als alle anderen vom Markt zu verdrängen, einfach deswegen, weil sie so unglaublich gut ,skalieren‘. Sie tun im Grunde nichts anderes, als Suchende mit Anbietern zusammenzubringen, aber das machen sie so effizient, bequem und schnell, dass sie so ganz nebenbei auch noch eine Riesenmenge an Daten horten – den eigentlichen Schatz ihres Unternehmens. Auf der anderen Seite fordert genau diese Entwicklung Gegenreaktionen heraus – ebenfalls bedingt und angeschoben durch die Digitalisierung. Denn für eine immer größere Zahl von Menschen ist klar: So kann es nicht mehr weitergehen. Die Plattform-Monopolisten führen zu einer rapide zunehmenden Macht-und Kapitalkonzentration in den Händen einiger weniger Unternehmen. Hier braucht es Lösungen. 

Genossenschaften sind aktuell die mitgliederstärkste Wirtschaftsorganisation in Deutschland. Sie sind seit letztem Jahr um 104.000 auf 22,7 Millionen Anhänger gewachsen. Ende nicht in Sicht

Neue digitale Genossenschaften können genau diese Lösung sein – und vielfach sind sie es bereits. Denn sie sind fair und flexibel zugleich, alle haben das gleiche Stimmrecht, egal mit wie viel Geld wer dabei ist. Wer die Genossenschaft wieder verlässt, nimmt auch nichts von den stillen Reserven und Wertsteigerungen des Unternehmens mit. Wie viele es davon mittlerweile in Berlin im Bereich der Kreativwirtschaft gibt, dazu gibt es keine genauen Zahlen. Genossenschaften sind aktuell aber die mitgliederstärkste Wirtschaftsorganisation in Deutschland: Sie sind seit letztem Jahr um 104.000 auf 22,7 Millionen Anhänger gewachsen. Vor allem Bürgergenossenschaften sind im Aufwind. Und gerade für Kunst, Kultur und die Kreativwirtschaft können die neuen Genossenschaften zum Zukunftsmodell werden. Warum? Weil immer mehr Kreativunternehmen erkennen, dass eine verantwortungsvolle Produktionspraxis auf Transparenz, Nachhaltigkeit und Mitbestimmung basiert. Immer mehr Unternehmer*innen wollen das, was sie sich selbst aufgebaut haben, auch bewusst in Eigenregie weiterentwickeln. Kooperative Prinzipien, demokratische Kontrolle durch Mitglieder, die Mitbestimmung und eine verteilte Eigentümerstruktur sind die Ziele, um die es geht. 

Ela Kagel bei der Arbeit: Foto: Supermarkt 

Wie funktionieren die digitalen Genossenschaftsmodelle?

Wie aber funktionieren die neuen Genossenschaftsmodelle? Ich möchte drei Beispiele geben. Das erste ist das Resonate Music Streaming Collective. Das Kollektiv ist als Genossenschaft organisiert und macht im Grunde genommen das, was auch andere Musik-Streaming-Anbieter wie Spotify oder Apple Music machen – nur eben fair und solidarisch. Fair, weil die Musikschaffenden nach einem transparenten Abrechnungsmodus von jedem Download finanziell profitieren. Solidarisch, weil dadurch die Community von Musikproduzent*innen und Fans gestärkt wird. So ähnlich funktioniert im Übrigen auch Mojoreads, das eine Art soziales Amazon sein will. Die Masse macht bei diesen neuen Modellen zwar noch nicht mit, unter anderem weil die Reichweiten noch nicht gegeben sind. Das kann aber nur eine Frage der Zeit sein. Vor allem dann, wenn noch mehr Leute als bisher erfahren, dass diese Plattformen ihren Genossenschaftsmitgliedern gehören, dass Profite fair aufgeteilt werden und, wie im Falle von Resonate, vor allem auch musikalische Formate außerhalb des Mainstreams unterstützt werden. 

Zweites Beispiel ist Fairmondo, ein in Berlin gegründeter Online-Marktplatz, der es mit den Marktriesen im Onlinehandel aufnehmen will. Auch hier werden ausschließlich fair produzierte Waren gehandelt. Fairmondo nennt sich „Genossenschaft 2.0“, ist im vollständigen Besitz ihrer Mitglieder, und das bedeutet: Geschäftliche Entscheidungen werden von allen Mitgliedern getragen. Es wird über strategische Ausrichtung diskutiert und auch darüber, wie Dividenden verteilt werden. Natürlich gilt auch hier: Fairmondo kann weder Amazon noch eBay das Wasser reichen. Aber alles fängt einmal klein an. Und keiner behauptet, dass dies eine kleine Aufgabe ist. Wenn aber keiner mitmacht, gibt es auch keine Alternativen. Wer kann das ernsthaft wollen? 

Jetzt ist die Zeit für ungewöhnliche Maßnahmen

Wie lassen sich solche Modelle aber in langfristige Strukturen überführen? Wie sind sie also ‚nachhaltig‘ im Sinne ihrer Langfristigkeit? Auch hier findet man Antworten in Berlin. Smart ist eine Genossenschaft aus Kreuzberg, die 1998 in Belgien gegründet wurde, heute mit Sitz am Mehringdamm. Smart will die Arbeitsbedingungen von Selbstständigen verbessern und bietet Leistungen an wie Zahlungsgarantien für Freischaffende, aber auch Festanstellung für Künstler*innen auf Zeit und leichteren Zugang zu Versicherungen. Das Gründungsteam hat sich ganz einfach getraut, das dominante Paradigma „Sicherheit für Festangestellte – Unsicherheit für Selbstständige“ komplett auszuhebeln. Das sind Wege für die Zukunft. 

Was wir gegenwärtig erleben, ist vermutlich erst der Beginn einer neuen Epoche. Und es ist kein Zufall, dass all diese neuen Organisationsformen gerade jetzt und in Berlin entstehen

Was wir gegenwärtig erleben, ist vermutlich erst der Beginn einer neuen Epoche. Und es ist kein Zufall, dass all diese neuen Organisationsformen gerade jetzt und gerade auch in Berlin entstehen. Natürlich gleicht die Gründung einer Genossenschaft noch immer einem Spießrutenlauf durch die Untiefen der deutschen Bürokratie. Auch erfordert das Führen von kooperativen Unternehmen große Anstrengungen aller Beteiligten, eben weil auch alle beteiligt werden. Genau jetzt ist aber der richtige Zeitpunkt für ein Umdenken. Ich rate euch: Träumt doch einfach mal vor euch hin und stellt euch die radikalste gesellschaftliche Idee vor, die euch gerade so einfällt. Und? Vielleicht wird sie schon morgen Realität sein.  


Profil von Ela Kagel auf Creative City Berlin

Auszeichnung Berlin's Best 


Der Beitrag ist Teil des gerade erschienenen Printmagazins „The Big Good Future #2“, das man hier online lesen kann. 

 

Rubrik: Specials

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