Digitalisierung, Nachhaltigkeit, New Work Zurück

Herr Welzer, was jetzt?

Herr Welzer, was jetzt?
Foto: © Jens Steingässer

Ob zu Künstlicher Intelligenz, autofreien Städten oder Transformationsdesign: Dieser Mann schreibt einen Welzer nach dem anderen: Harald Welzer. Nein, nicht der Koch (Tim Mälzer), der Soziologe, Sozialpsychologe, Zukunftsforscher, Visionär – und Herausgeber des Print-Magazins FUTURZWEI, das passt nun wirklich zielgenau zu unserer Ausgabe „The Big Good Future #2“, die heute erscheint. Wir sprachen mit dem in Bissendorf bei Hannover geborenen und in Berlin angekommenen Professor über den Wert kreativer Arbeit im Zuge des digitalen Wandels und darüber, wo Künstliche Intelligenz aufhört und künstliche Dummheit anfängt. 
 

 

INTERVIEW   JENS THOMAS
 

 

CCB Magazin: Herr Welzer, Sie schreiben ein Buch nach dem anderen, sitzen ständig in Talkshows, debattieren über die Zukunft der Arbeit und die Digitalisierung – haben aber kein Smartphone. Kommen einem die besten Gedanken offline? 

Harald Welzer: Das kann ich nicht beurteilen, weil ich das dauerhafte Versinken in medialen Untiefen ja nicht mitmache. Aber ja, ich habe vermutlich erheblich mehr Zeit als viele andere, die immer am Handy sind. Ich brauche keine 14 Nachrichten zu schreiben, um ein Telefonat zu vereinbaren. Ich rufe einfach durch. 

CCB Magazin:Ihr letztes Buch „Es könnte anders sein“ ist eine Gesellschaftsskizze zur Zukunft von Arbeit, Mobilität, Digitalisierung, Leben in der Stadt und neuen Wirtschaftsformen. Wenn Sie an die Digitalisierung denken, was stimmt Sie hoffnungsfroh? 

Harald Welzer:Zunächst einmal, dass all die Scheißarbeiten abgeschafft werden können. Und das soll nicht despektierlich klingen, ich meine damit die körperlich extrem belastenden Arbeiten, die Menschen kaputt machen und die Tätigkeiten, die unterfordern. Auch die extrem repetitiven Arbeitsformen, also das permanente Wiederholen bestimmter Handbewegungen und geistige Tätigkeiten wie das Sortieren nach Zahlen, gehören dazu, das übernehmen ja schon jetzt die Maschinen, das sollen sie in der Zukunft auch. Im Gegenzug können dann andere Arbeiten aufgewertet werden, bei denen der Mensch im Zentrum steht. Arbeiten im Pflegebereich zum Beispiel. Und in der Gesamtheit bleibt vielleicht mehr Platz für die Arbeiten, die die Menschen wirklich gerne machen. 

CCB Magazin:Aber ist das nicht ein utopischer Entwurf, zu glauben, es könne eine Gesellschaft geben, in der es nur nützliche und sinnvolle Arbeiten gibt? 

Harald Welzer:Natürlich ist das ein utopischer Entwurf, aber so fangen nun mal Realitäten an. Wer wären wir denn, wenn wir nicht über Alternativen nachdenken würden. 

Auch ‚kreative‘ Arbeiten lassen sich in Zukunft automatisieren. Schon jetzt können Algorithmen Reportagen schreiben, aber die Ideen, die Vorstellungen von Gesellschaft, Arbeit und Leben, die haben noch immer die Menschen. Und kreative Arbeit könnte in Zukunft tatsächlich die Arbeit sein, die wir machen, weil sie sinnstiftend ist

CCB Magazin:Wie wird die Digitalisierung den Wert kreativer Arbeit verändern? Der Begriff der Kreativität ist Jahrhunderte alt. Bis zur Aufklärung dominierte die Annahme, dass es sich bei ,Kreativen‘ um vermeintlich Wahnsinnige, Genies oder Sonderlinge handelt. Erst im Anschluss wurden ,kreative‘ Fähigkeiten mit Leistungen verknüpft, seit den letzten zwei Jahrzehnten gilt Kreativität auch als Wirtschaftsmotor – wogegen sich viele Künstler wehren. Nehmen wir mal an, dass es in Zukunft weniger Arbeit durch den digitalen Umbruch gibt, kommt kreativer Arbeit dann womöglich ein ganz anderer Stellenwert in der Gesellschaft zu? Wenn es also nicht mehr darum geht, ob es überhaupt ökonomische Arbeit ist oder nicht? 

Harald Welzer:Vielleicht. Zunächst stört mich aber dieser Kreativitätsbegriff. Ein Künstlerfreund von mir, Dieter Frölich, sagt immer, Kreativität ist etwas für Frisöre. Da schließe ich mich an. Denn kreativ ist zunächst einmal nur die Umformung des Bestehenden und was heute auf irgendwelchen Workshops als Kreativität dahergekaspert wird, das hat mit Kreativität oft wenig zu tun. Wir haben doch folgende Situation: Seit den 1980er Jahrenkam es zu einer Ausweitung von kreativen Berufsfeldern, weil eine Ökonomie Kreativität voraussetzt oder auf Kreativität als Zugpferd setzt. Der Kreativitätsbegriff ist heute aber so dermaßen abgenudelt, dass man sich wirklich fragen muss, was es damit in Zukunft auf sich haben soll – gerade auch durch den digitalen Umbruch. 

CCB Magazin:Was meinen Sie? 

Harald Welzer: Die Frage ist, was wird aus dem Kulturbereich durch die Umformatierung des Arbeitssektors? Am Ende geht es um die Verteilungsfrage: Wie kann eine Gesellschaft finanziert werden, aber auch als Solidargemeinschaft funktionieren, wenn ganze Zweige durch Automatisierung wegbrechen? Auch ,kreative‘ Arbeiten lassen sich in Zukunft automatisieren, schon jetzt können Algorithmen Reportagen schreiben, aber die Ideen, die Vorstellungen von Gesellschaft, Arbeit und Leben, die haben noch immer die Menschen. Und kreative Arbeit könnte in Zukunft tatsächlich die Arbeit sein, die wir machen, weil sie sinnstiftend ist.
 

Hat so einige Ideen, wie es weitergeht: Harald Welzer. © Deutschlandradio - Bettina Straub

 

CCB Magazin:Hannah Arendt hatte dafür den Begriff des Herstellens in Abgrenzung zur Arbeit verwendet; sie sah darin aber nie etwas Politisches. Könnte nicht genau darin der zukünftige Wert kreativer Arbeit liegen? Dass sie so etwas ist wie Bürgerarbeit im Sinne Ulrich Becks? Arbeit, die für die Gesellschaft förderlich ist? Eine Tendenz der letzten Jahre ist es, dass Kreativschaffende zunehmend auf ökologische oder fair-soziale Kriterien Wert legen. 

Harald Welzer:Ja, dieses Potenzial sehe ich. Und das gibt uns endlich mal die Chance, über Arbeit ganz neu nachzudenken. Denn der Wert der Arbeit ist seit bald 200 Jahren protestantisch geprägt: Arbeit gilt heute als Wert, der für Lohn und Leistung steht. Ich erinnere gerne an die alten Donald-Duck-Hefte. In der Übersetzung von Dr. Erika Fuchs gab es mal dieses Poem von Tick, Trick und Track: „Wer Arbeit kennt und sich nicht drückt, der ist verrückt.“ In der Antike war der frei, der frei von Arbeit war, Arbeit stand für Mühsal und Plage. Davon haben wir uns über die Jahrhunderte Gott sei Dank befreit. Zugleich ist Arbeit aber zu einem Fetisch geworden, und davon können wir gerne wieder wegkommen. Wir könnten tatsächlich darüber nachdenken, welche gesellschaftlichen Produktivkräfte in Zukunft sinnvoll und förderlich sind. Gerade auch mit Mitteln der Digitalisierung. 

CCB Magazin:Welche Mittel könnten das sein? 

Harald Welzer:Wenn eine Gesellschaft ökologischer und partizipativer werden soll, muss man fragen: wie? Gerade hier eröffnet die Digitalisierung unendlich viele Möglichkeiten. So kann man die Lieferkettentransparenz erhöhen, indem offengelegt wird, wer wie unter welchen Bedingungen produziert und beteiligt war. Wir können mit Hilfe der Digitalisierung öffentlichen Verkehr perfekt organisieren und die Autos abschaffen. Die Digitalisierung ist erstmal nur eine Technologie. Sie kann demokratieerzeugend sein, sie kann sich unter bestimmten Marktbedingungen aber auch zivilisationsfeindlich auswirken, und das ist ja das, was sich gegenwärtig auf den Märkten abzeichnet: Wenige Tech-Konzerne dominieren den Markt und die Politik rennt jeder KI hinterher. Was wir jetzt brauchen, ist endlich mal eine richtige Debatte über die Digitalisierung, anstatt stundenlang auf unseren Smartphones rumzuhacken. 

Wenn eine Gesellschaft ökologischer und partizipativer werden soll, muss man fragen: wie? Gerade hier eröffnet die Digitalisierung unendlich viele Möglichkeiten. Sie ist zunächst aber nur eine Technologie.  Und was wir in Zukunft brauchen, ist nicht Künstliche, sondern moralische Intelligenz

CCB Magazin:Was für eine Debatte denn? Wir reden doch die ganze Zeit.

Harald Welzer:Ja, aber nicht über das Wesentliche. Es geht darum: Was wollen wir überhaupt? Was für eine Gesellschaft wollen wir, in der gutes Leben möglich ist? Der Umgang mit der Digitalisierung ist derzeit der genau umgekehrte: Es wird aus unerfindlichen Gründen vorausgesetzt, dass wir all diese digitalen Neuerungen brauchen. Wir fragen aber nicht, wozu eigentlich. Und die Realität ist doch: Wir haben bis heute und in fernerZukunft kein autonom fahrendes Auto, das mit einer geschlossenen Schneedecke umgehen kann, dann bleiben die Teile stehen. Alle diese Roboter, die bislang existieren, sind gehobene Toaster. Mir wäre tatsächlich die Intelligenz mancher Leute lieber, die politische Verantwortung haben, als das Verlagern von irgendwelchen Intelligenzen auf Orte oder Umgebungen. Stichwort Umgebungsintelligenz. Ich persönlich finde es ganz angenehm, wenn die Umgebung, in der ich mich befinde, doof ist, die muss nicht intelligent sein. Ich möchte diese Umgebung – intelligent – bearbeiten können, ich will nicht, dass sie mich bearbeitet. Was 
wir brauchen, ist nicht Künstliche, sondern moralische Intelligenz. Ein aufgeklärtes Verhältnis zur Technologie. 
 

© Deutschlandradio - Bettina Straub

 

CCB Magazin:Sie diskutierten kürzlich mit dem Ökonomen Tilman Santarius, dem Autor des Buches „Smarte Grüne Welt? Digitalisierung zwischen Überwachung, Konsum und Nachhaltigkeit“, im Einstein Center Digital Future in Berlin. Santarius hat in seinen Analysen aufgezeigt, dass die Digitalisierung, entgegen dem Glauben, dass sie Ressourcen einspart, ein wahrer Klimakiller ist: Die Rechnerleistung pro Kilowattstunde hat sich im Laufe der Zeit alle 1,5 Jahre verdoppelt. Könnten Kultur- und Kreativmärkte in Zukunft nicht gerade eine Art neue Avantgarde sein, weil sie Klasse vor Masse stellen und zunehmend auf Ressourcenschonung setzen? 

Harald Welzer:Das wäre wünschenswert. Und das ist ja das, was ich in meinem Buch „Transformationsdesign“ zusammen mit Bernd Sommer zu Papier gebracht habe: Reduktives Design. Neues Design mit Verantwortung. Denn digitale Innovationen haben einen immensen Ressourcenverbrauch, sie sind gerade nicht-nachhaltig. Im Übrigen, KI hin oder her: Wir Menschen haben die Zukunft noch immer selbst in der Hand, die Politik auch. Wir könnten sogar ein öffentlich-rechtliches Netzwerk für alle ins Leben rufen, wir können neue Wohnformen entwickeln, an denen Kreativschaffende und die Bürger beteiligt sind. Wir können ganze Städte ökologisch erneuern, hier ist so vieles möglich. Man muss es nur machen.
 


Das Interview ist gerade erschienen im neuen Printmagazin „The Big Good Future #2“ 

 

Rubrik: Wissen & Analyse

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