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Matthias Strobel: “Wir werden uns in Zukunft wieder nach Limitierung sehnen”

Matthias Strobel: “Wir werden uns in Zukunft wieder nach Limitierung sehnen”
Foto: © Karan Talwar

Wer sich in Berlin für Music Tech interessiert, kommt an Matthias Strobel nicht vorbei. Wie auch? Bereits 2011 gründete der Tausendsassa der Music-Tech-Szene das Label Nagual Sounds, 2016 organisierte er das Music Tech Fest im Funkhaus und gründete den bundesweiten Verband MusicTech Germany – um nur einige Stationen in seinem prall gefüllten Lebenslauf zu nennen. Jetzt rief er die MusicTech Meetups ins Leben, ein neues Format für die Hauptstadt, das Musik-Tech-Unternehmen, Technologie-Visionäre und zukunftsweisende Ideen an einem Ort zusammenbringt. Was passiert auf den MusicTech Meetups? Was hat die Szene davon? Und wie verändert die Technologisierung Wert und Wertschöpfung der Musik? Ein Gespräch mit dem Szene-Gestalter. 


Interview Katharina Warda 
 


CCB Magazin: Hallo Matthias, first things first: Es gibt viele Menschen, so wie mich, die gerne Musik hören und damit wahrscheinlich den ganzen Tag von der Technologisierung der Musikwelt profitieren. Du arbeitest seit Jahren im Bereich MusicTech. Was bedeutet MusicTech für dich genau?

Matthias Strobel: MusicTech ist im Grunde alles, was nicht Singen, Klatschen, Stampfen, Pfeifen ist – so gesehen ist MusicTech erst mal nichts Neues. Musik und Technologie sind seit jeher miteinander verbandelt. Wenn du zum Beispiel eine Gitarre nimmst, ist das bereits ein technologisches Werk(zeug), das jemand zusammengezimmert hat und damit eine Musik-Technologie. Schon in der Steinzeit haben Leute neue Wege des musikalischen Ausdrucks gesucht und beispielsweise Flöten aus Vogelknochen gebaut.

CCB Magazin: Du bringst seit Jahren ein Projekt nach dem anderen nach vorne. 2017 hast du zum Beispiel den Bundesverband für Musiktechnologie Deutschland e.V. ins Leben gerufen, letztes Jahr die Berlin MusicTech Meetups, ein neues Format für die Berliner Music-Tech-Szene. Was sind die MusicTech Meetups genau? Und warum braucht es ein solches Format in Berlin?

Matthias Strobel:Was in Berlin gefehlt hat, war ein physischer Ort, an dem alles zusammenfindet, was im Bereich MusicTech passiert. Und das ist eine Menge. Es sind aber auch viele Ellenbogen im Spiel, die Konkurrenz ist groß und es gibt einige Missverständnisse, was die Beurteilung des (Mehr)werts von Technologie für künstlerisches Schaffen betrifft. Darum dachte ich mir:“Ecosystem” statt “Egosytem”. Ich bringe jetzt alle zusammen und schaffe eine analoge Plattform zum Austausch auf Augenhöhe. Auf den Meetups treffen Label-Betreiber auf Hardcore-Nerds, oder Musiker, die im Rollstuhl sitzen und nach barrierefreien Tools suchen, auf Start-Ups, die an neuen Lösungen arbeiten. Bislang hat es vier MusicTech-Meetups gegeben.

Was in Berlin gefehlt hat, war ein physischer Ort, an dem alles zusammenfindet, was in Berlin im Bereich MusicTech passiert. Genau das sind die MusicTech Meetups: die Basis für die Community hier in Berlin, fast schon wie eine Mini-Konferenz mit Freibier

CCB Magazin: Und was passiert da genau? 

Matthias Strobel: Jedes Meetup geht in etwa drei Stunden. Dazu lade ich Experten ein, die zu Beginn ein jeweiliges Thema a la TEDx bespielen. Bisherige Themen waren beispielsweise "Innovation durch Kollaboration", "Music Making (Hu) machines", oder KI und Kommunikation. Nach den Präsentationen wird der restliche Abend dann dazu genutzt, neue Kontakte zu knüpfen und sich auszutauschen. So gibt es beispielsweise eine „Wall of Opportunities“, auf der jeder eine Nachricht hinterlassen kann, was er gerade macht oder wen er gerade sucht. Zudem haben findige Tüftler die Möglichkeit, ihre Prototypen auszustellen und sich Feedback von anderen Teilnehmern einzuholen. 

Die "Wall of Opportunities" auf den MusicTech Meetups. Foto © MusicTech Meetups


CCB Magazin: Wie ist die Resonanz bislang? 

Matthias Strobel: Die ist sehr gut. Denn bisher zeigt sich, dass durch das Aufeinandertreffen all dieser verschiedenen Menschen sogar neue Projekte entstehen oder Startups ihre Mitarbeiter finden. Im Grunde sind die Meetups die Basis für die Community hier in Berlin, fast schon wie eine Mini-Konferenz mit Freibier. Mittlerweile sind es etwa 200 Leute aus einem festen Pool von über 1.000 Menschen, die zu den Meetups kommen.

Was sich gegenwärtig abzeichnet, ist, dass KI und smarte Algorithmen nicht nur immer mehr bestimmen was für Musik wir wann hören, sondern auch zunehmend von Künstlern zur Inspiration als Partner bei der Kreation neuer Werke zum Einsatz kommen

CCB Magazin: Aber wird die ganze Entwicklung denn auch kritisch reflektiert? Ein Projekt, das auf einem der Meetups präsentiert hat, war Melodrive, das Musik in Echtzeit komponiert. Musik wird hier den Interaktionen und Emotionen der Nutzer anpasst. Was macht das mit uns, wenn sich plötzlich eine KI Musik an menschliche Emotionen anpasst oder Technik den Menschen ersetzt? Wo ist die Grenze? 

Matthias Strobel: Diese Grenze müssen wir für uns herausfinden. Darum sind solche ‚analogen‘ Veranstaltungen auch so wichtig. Denn was sich gegenwärtig abzeichnet ist zum einen, dass KI und smarte Algorithmen immer mehr bestimmen, was wir für Musik wann hören. Zum anderen ist KI aber hilfreich bei der Kreation neuer Werke und kommt unter anderem zur besseren Identifikation von Rechteinhabern zum Einsatz. Letztlich kann KI damit sogar für eine gerechtere und genauere Ausschüttung von Tantiemen sorgen.

Ja, wir brauchen ein neues EU-Urheberrecht. Aber die neue EU-Urheberrechtsreform nutzt gerade den Tech-Giganten, gegen die man eigentlich vorgehen will – und schadet den Künstlern

CCB Magazin: Mittlerweile beläuft sich der digitale Marktanteil an allen Erlösen der Musikindustrie auf rund 58 Prozent, vor allem bedingt durch Streaming. Ein Problem ist aber, dass Künstler am Streaming wenig verdienen. Das gilt generell für Kulturproduktion im Netz. Darum wurde kürzlich ein neues Urheberrecht verabschiedet, das die großen Plattformen in die Pflicht nehmen will, um Verlage, Rundfunkanstalten und Künstler vor nicht lizenzierten Kopien besser zu schützen. Hundertausende sind in Berlin gegen die Reform auf die Straße gegangen, auch du mit deinem Verband. Der Protest richtete sich vor allem gegen den sogenannten Artikel 13, der vorsieht, dass für Urheberrechtsverletzungen künftig die großen Plattformen wie YouTube oder Spotify verantwortlich sind. Ausgenommen sind nicht-kommerzielle Plattformen wie Online-Enzyklopädien sowie neue Plattformen in den ersten drei Jahren und welche, deren Jahresumsatz unter zehn Millionen Euro liegt. Wo ist denn das Problem? Ist das nicht toll, dass endlich die großen Plattformen zur Verantwortung gezogen werden? Sie verdienen primär an Kunst und Kultur, nicht die Kulturschaffenden. 

Matthias Strobel: Eigentlich ja. Gerade mit den immer größer werdenden Verwertungsmöglichkeiten von kreativem Content im Internet ist es wichtig, das Urheberrecht grundsätzlich an die heutige Zeit anzupassen. Das Problem ist nur, dass das verabschiedete Gesetz nicht dazu führen wird, dass Künstler mehr mit ihrem Content im digitalen Zeitalter verdienen werden. Es wird dazu führen, dass weniger kreativer Content im Netz verfügbar sein wird.

So sieht's aus auf den MusicTech Meetups. Viele Leute, viele Themen. © MusicTech Meetups

CCB Magazin: Inwiefern? 

Matthias Strobel: Gerade Künstler und kleinere Unternehmen werden künftig nicht mehr so einfach Content hochladen können, da alles zukünftig eine Lizenz haben muss – egal, ob die Musik kommerziell vertrieben wird oder nicht. Sogenannte Content-Recognition-Filter sollen dann jeglichen Content blockieren, der nicht eindeutig einem Lizenzinhaber zugeordnet werden kann. Da reicht es schon, wenn der Filter irgendwelche Ungereimtheiten erkennt – und dazu genügen oft schon irgendwelche Tiergeräusche oder ein Rauschen. Eine Upload-oder Content-Filter-Technologie, die fehlerfrei funktioniert, existiert bis heute nicht. Für die kleineren Plattform-Anbieter ist die Entwicklung solcher Filter-Technologien zu teuer. Da hilft es auch nicht, dass Startups erst drei Jahre nach Gründung dazu verpflichtet werden sollen. Jeder, der sich einigermaßen mit dem Ablauf von Gründungen auskennt, weiß, dass auch nach drei Jahren kaum ein Startup in der Lage ist, die Kosten und das Risiko dafür zu tragen. Im Grunde bevorteilt die neue Urheberrechtsverordnung damit die Tech-Giganten, gegen die man vermeintlich vorgehen will. Die Künstler, um die es ja eigentlich dabei geht – und die im Übrigen niemand mit an den Tisch geholt hat, als das Gesetz geschrieben wurde – sind die Verlierer. 

CCB Magazin: Was schlägst du als Lösung vor? 

Matthias Strobel: Eines der besten Systeme zur Erkennung von Rechteinhabern befindet sich momentan in den Händen von YouTube. Deren Content-ID funktioniert ganz gut und würde noch viel besser funktionieren, wenn es eine weltweit einheitliche Referenzdatenbank für Metdaten geben würde, in der jeder Künstler seine Werke registrieren kann – und mit der auch andere Plattformen den hochgeladenen Content abgleichen könnten. Aber selbst dann wären Fehler unvermeidbar, da beispielsweise Interpretationen von Songs bei Live-Konzerten nicht erkannt würden oder Videos, bei denen irgendwo im Hintergrund unbeabsichtigt Musik oder Geräusche auftauchen, geblockt werden können. Ohnehin fehlt es aktuell an einem Tool, das den ganzen Ablauf organisieren kann. Aber eine weltweite Meta-Datenbank würde immerhin zu mehr Transparenz führen und könnte in Kombination mit Innovations-Lizenzen dazu beitragen, dass Startups neue Verwertungsmodelle und Entlohnungssysteme entwickeln, die dann letztendlich weitere Einkommensquellen für Künstler generieren.

Für die heranwachsende Generation spielt es oft keine Rolle mehr, wie der Künstler heißt, den sie hören, und welches Album er herausbringt. Das einzige, was noch zählt, sind die Playlisten

CCB Magazin:Matthias, die Digitalisierung verändert Musikkonsum, Wertschöpfungsketten und den Wert der Musik grundlegend. Wo liegt die Zukunft von Musik als Kulturgut? 

Matthias Strobel:  Die Digitalisierung schafft ganz neue Zugänge. Sie ermöglicht es, dass sich jeder heutzutage musikalisch ausdrücken kann. Musikproduktion ist barrierefreier geworden und ist für jeden erschwinglich. Dadurch entsteht aber auch ein Überangebot an Musik im Internet, wodurch die Wertschätzung für die Arbeit des einzelnen Künstlers leider immer mehr verloren geht. Für die heranwachsende Generation spielt es zum Teil gar keine Rolle mehr, wie der Künstler heißt, den sie hören, und welches Album er herausbringt. Oft sind Playlisten das einzige, was noch zählt.

Foto © Alexander Rentsch

CCB Magazin:Aber könnte sich die Entwicklung nicht auch so auswirken, dass die Person ganz in den Hintergrund gerät? Vielleicht verändert sich auch einfach der Wert der Musik – weg vom Personenkult, hin zum „reinen Musikerlebnis“ ohne Autorschaft.

Matthias Strobel:  Das kann gut sein. Ich denke, wir haben jetzt den Peak dessen erreicht, was an Verfügbarkeit möglich ist. Deswegen glaube ich, dass bald die Zeit kommen wird, in der wir uns wieder nach Limitierung sehnen. Ich werde ja immer ausgelacht, wenn ich behaupte, dass die Kassette eine Renaissance erleben kann. Seit Jahren steigen die Kassettenumsätze in den USA und UK um stetig 140 Prozent pro Jahr. Bei Bandcamp ist nicht das Vinyl das meistverkaufte Produkt, es ist die Kassette. Ich selbst habe letztes Jahr im Sommer meinen Walkman mal wieder aus der Versenkung gekramt, dieses verflixte Ding passt nur einfach nicht in meine Hosentasche, seitdem ich keine Baggy-Pants mehr trage. Es bräuchte darum ein neues, vergleichbares Medium oder einen neuen Walkman, der kleiner und komfortabler ist. Das Besondere am Walkmann ist ja: Auch wenn die Sound-Qualität mit Sicherheit nicht den heutigen Standards entspricht, spule ich nicht vor, weil ich Angst habe, die Batterien könnten leer gehen oder es könnte Kabelsalat geben. Also höre ich jeden Song bewusst zu Ende. Und ich glaube, dass es darum in der Zukunft wieder gehen wird: Musik bewusst zu hören.

CCB Magazin:Matthias, danke für das Gespräch. 


Am 16. Januar findet Berlin MusicTech Meetup #6 - "Future Interactions With Music" statt. Hier gibt's alle Infos


Das Interview ist ein Beitrag des neuen Printmagazin „The Big Good Future #2“ 

 

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