Digitalisierung, Nachhaltigkeit Zurück

Anke Oxenfarth: „Der Elefant im Raum ist das Papier“

Anke Oxenfarth: „Der Elefant im Raum ist das Papier“
Foto: © privat / Mario González Toimil

Die Verlagsbranche ist in moralischer Bedrängnis: nachhaltiger produzieren oder weiter wie bisher? Wie werden aus gelben Seiten grüne Produkte? Anke Oxenfarth ist Literatur- und Sozialwissenschaftlerin. Seit 1999 arbeitet sie im oekom Verlag, der einzig nachhaltige Verlag Deutschlands. Auf der Future Publish wird sie in diesem Jahr einen Vortrag über nachhaltiges Publizieren halten. Frau Oxenfarth: Wie sieht das Publizieren der Zukunft aus?
 

Interview Boris Messing

 

CCB Magazin: Hallo Frau Oxenfarth, 2011 haben Sie für den oekom Verlag zusammen mit der Frankfurter Buchmesse das Projekt „Neue Umweltstandards für die Verlagsbranche“ gestartet, ein bundesweites Modellprojekt. Als Ergebnis kam unter anderem das „Kleine 1x1 des nachhaltigen Publizierens“ heraus. Sollten wir nicht ganz auf raschelnde Zeitungen und kunstvoll gebundene Bücher verzichten?  

Anke Oxenfarth: Warum sollten wir darauf verzichten?  

CCB Magazin: Weil es logisch konsequent wäre. In Deutschland werden im Jahr pro Kopf 250 Kilogramm an Papier verbraucht. Davon sind zwar 75 Prozent Altpapier, aber würden andere Länder auch so viel verbrauchen, gäbe es keinen Wald mehr. 

Auf Buch und Zeitung zu verzichten wäre total irrsinnig

Anke Oxenfarth:Nein, komplett auf Buch und Zeitung zu verzichten wäre total irrsinnig. Digitales Lesen oder E-Book-Reader sind nicht die Lösung. Das Internet gehört sogar zu den größten Stromfressern überhaupt. Wäre das Internet ein Land, zu diesem Schluss kam schon 2017  die Greenpeace-Studie „Grüner klicken“, würde es zu den sechstgrößten Stromverbrauchern der Welt gehören. Wie hoch daran der Anteil von E-Book-Readern ist, ist zwar nicht ganz klar. Was sich aber sagen lässt: Die Rohstoffe, die man für einen Umstieg auf digitale Produkte braucht, sind endlich und kämen vor allem aus Ländern, wo die Menschrechte mit Füßen getreten werden und wo die Extraktion der Rohstoffe schon lange zu erheblichen sozialen und ökologischen Verwerfungen führt.

 

CCB Magazin:Aber der Trend geht doch in die Richtung von analog zu digital. 

Anke Oxenfarth: Ich glaube nicht, dass Bücher jemals ganz verschwinden werden. Die Erfindung des modernen Buchdruckes durch Johannes Gutenberg 1450 war ein einschneidender Schritt in Richtung kulturelle Zivilisation, davon wollen wir uns nicht trennen. Jährlich werden auch noch immer um die 82.000 Bücher in Deutschland neuverlegt. E-Books haben zudem einen mageren Anteil am Buchmarkt von nur fünf Prozent – wenngleich ihr Anteil steigt. Die Mediengeschichte hat gezeigt: Wenn ein neues Medium dazukommt, verschwinden die alten nicht komplett. Der Wandel dauert Jahrzehnte. Davon abgesehen teile ich die Argumente der 130 Leseforscherinnen, die sie Ende 2018 in der Stavanger-Erklärung zum "Vorteil des gedruckten Buchs gegenüber E-Book für ein tieferes Verständnis von Texten und dem Behalten der Inhalte" veröffentlicht haben. Die Stavanger-Erklärung belegt plausibel, dass unser Gehirn Informationen jeweils anders verarbeitet, wenn wir sie im Internet, auf dem Handy oder in einem Buch lesen. Nein, auf Buch und Zeitungen brauchen wir nicht zu verzichten. Wir brauchen andere Lösungen.

CCB Magazin:Die da wären?  

Anke Oxenfarth: Beim nachhaltigen Publizieren stellt sich zunächst die Frage, welche Auswirkungen das Produkt hat, das ich erzeuge: Wo sind die Achillesfersen und was kann ich ändern? Konkret heißt das für gedruckte Bücher, dass ich schauen sollte, auf welchem Papier ich sie drucke. Wenn ich Recyclingpapier verwende, verbrauche ich deutlich weniger Ressourcen. Zudem investiere ich darüber in die Kreislaufwirtschaft – ich verbrauche weniger Wasser, weniger Strom. Dann muss ich schauen, welche Druckfarben ich verwende: Sind sie mineralölhaltig oder nicht? Mittlerweile ist es Standard, dass man mit mineralölfreien Farben druckt. Auch muss ich mir überlegen, wie ich meine Auflage plane: Gehe ich eher von einem realistischen Absatz aus oder sage ich, wir drucken einfach mal 5000 mehr. Wenn man die verkauft, gut, wenn nicht, muss man sie einstampfen und das wäre äußerst unökologisch. Ganz wichtig ist auch, wo ich drucke: In China, um pro Kopie zwei Cent zu sparen? Nur weil die Transportkosten nicht ins Gewicht fallen? Oder drucke ich regional und stärke damit die heimische Druckbranche? Dadurch spare ich auch Emissionen. Das sind die Dinge, die die Verlage beachten können.

CCB Magazin:In Deutschland gibt es rund 3.000 Buchverlage, in Berlin sind es um die 400 – Dreiviertel davon sind sogenannte Kleinstverlage. Sind die Verlage momentan nicht mehr mit ihrem Überleben beschäftigt als sich über nachhaltiges Publizieren Gedanken zu machen? Und wissen die Verlage überhaupt über ihren eigenen ökologischen Fußabdruck Bescheid? 

Anke Oxenfarth:Ja und Nein. Die Verlage beginnen gerade erst, über ökologische Standards nachzudenken. In anderen Ländern ist man auch nicht wesentlich weiter. So gibt es in Großbritannien zwar ein Manifest für mehr Nachhaltigkeit, das Green Bookselling Manifesto. Das zielt allerdings auf den Buchhandel ab und nicht direkt auf die Verlage und die Herstellung. Und ja, nicht alle können es sich leisten, Berechnungen anzustellen, wie sie den eigenen Fußabdruck ökologischer gestalten könnten. Als wir 2011 unser Projekt zum nachhaltigen Publizieren gestartet haben, haben sich die meisten Verlage noch gar keine Gedanken darüber gemacht. Jetzt sind wir immerhin weiter. Gerade bei den großen Verlagen ist aber noch ordentlich Luft nach oben. Bislang agieren große Verlage meist nur punktuell nach Nachhaltigkeitskriterien.

CCB Magazin:Können Sie Beispiele nennen?

Anke Oxenfarth: Nehmen wir den Oetinger Verlag, der bei zwei Kinderbüchern nach Cradle-to-Cradle-Kriterien produziert hat. Das heißt, das Buch ist zum Schluss wieder kompostierbar. Sonst gibt es nur ein paar kleine Verlage, die für manche Bücher Recyclingpapier verwenden. Oder der Ullstein Verlag, der Ende 2018 eine große Kampagne gefahren hat, um ein Buch ohne Plastikhülle zu vermarkten. Das war von der Ökobilanz zwar nicht sehr weitreichend, hat aber in der Branche ein leichtes Beben ausgelöst, das muss man Ullstein zugutehalten. Für solche Kampagnen sind wir dankbar. Aber der Elefant im Raum ist und bleibt das Papier.

CCB Magazin:Deutschlands Verlage sind bereits jetzt in großer Geldnot. Der Branche sind zwischen 2013 und 2017 rund 6,4 Millionen Buchkäufer verloren gegangen, das ist ein Minus von 17,8 Prozent. Ohne Zwischenhändler kommen die meisten Bücher meist auch gar nicht mehr in den Handel. Vor allem für kleine Verlage hat das finanzielle Folgen. Kostet nachhaltiges Publizieren die Verlage am Ende nicht mehr Geld?

Anke Oxenfarth: Auch da wieder ein Jein. Auch mein Verlag, der oekom Verlag, steht unter großem finanziellen Erfolgsdruck. Es war aber eine bewusste Entscheidung zu sagen, wir publizieren jetzt nachhaltig. Die Frage, die sich ein Verlag stellen muss, ist: Will ich Teil der Lösung sein? Oder einfach weitermachen wie bisher? Wenn man auf Recyclingpapier druckt, kostet das mehr Geld. Man kann seine Bücher aber auch so ausstatten, dass der Unterschied nicht so groß ausfällt.

Die Frage, die sich ein Verlag stellen muss, ist: Will ich Teil der Lösung sein? Oder einfach weitermachen wie bisher?

CCB Magazin:Frau Oxenfarth, Sie arbeiten seit 1999 für den oekom Verlag. Ihr Verlag ist ein Öko-Vorzeigeverlag. Welche Rolle spielt der oekom Verlag bei der Vernetzung anderer Verlage im Kontext des nachhaltigen Publizierens?

Anke Oxenfarth:Wir haben uns über die Jahre einen Namen gemacht. Gegründet wurden wir 1989. Unser Ziel war es von Anfang an, das Themenfeld ökologische Nachhaltigkeit aus der Nische in den gesellschaftlichen Mainstream zu bringen. Im Zuge des Projektes „Neue Umweltstandards für die Verlagsbranche“, das von 2011 bis 2015 lief, haben wir verschiedene Workshops abgehalten für unterschiedliche Stakeholder wie Verlage oder Druckereien. Außerdem waren wir drei Mal auf der Frankfurter Buchmesse und haben dort das Thema Nachhaltigkeit auf die Agenda gesetzt. Wir haben versucht, zwischen der Wissenschaft und den einzelnen Akteuren der Buchbranche zu vermitteln. Im Zuge dieser Entwicklung ist auch die Idee zum Umweltzeichen des „Blauen Engel Druckerzeugnisse“ entstanden, das es seit 2015 gibt.

CCB Magazin:Den gelben Sack und grünen Punkt kennen die meisten. Vom „Blauen Engel“ haben die wenigsten gehört. Was hat es damit auf sich?

Anke Oxenfarth:Das produktbezogene Umweltzeichen „Blauer Engel“ gibt es seit 1978. Es zeichnet umweltschonend hergestellte Produkte aus. Den „Blauen Engel Druckerzeugnisse" gibt es seit 2015. Und den haben wir maßgeblich im Projekt „Neue Umweltstandards für die Verlagsbranche“ mitentwickelt, der nennt sich offiziell RAL-UZ 195. Bücher, Zeitschriften oder Magazine, die mit umweltzertifizierten Druckereien zusammenarbeiten, die bestimmte Kriterien erfüllen, dürfen diesen „Blauen Engel“ auf ihrem Produkt verwenden.

CCB Magazin:Ich lese viel und habe den „Blauen Engel“ noch auf keinem Buch gesehen.

Anke Oxenfarth:Man findet ihn hauptsächlich auf Zeitschriften und bei Werbebroschüren, so zum Beispiel bei REWE. Bei Büchern sind erst sehr wenige damit ausgezeichnet, das stimmt. Das hängt vor allem mit der Schwierigkeit zusammen, geeignetes Recyclingpapier für die Umschläge der Bücher zu finden.

CCB Magazin:Im vergangenen Jahr haben die EU-Staaten eine Richtlinie verabschiedet, wonach ab 2021 Einwegplastik verboten wird. Reicht Selbstverpflichtung aus oder braucht auch die Buchbranche ein ökologisches Regulationsgesetz?

Anke Oxenfarth:Würde der Staat die Subventionen für fossile Energieträger konsequent runterfahren und zeitnah ganz beenden, würde die Wirtschaft von sich aus recht schnell umsteuern. Darüber hinaus wäre es sicher gut, wenn der Gesetzgeber mit klaren Politiken und vielleicht auch finanziellen Anreizen dafür sorgen würde, dass umweltschonendes Produzieren in allen Branchen zum Standard wird. Bis es soweit ist, brauchen wir in allen Wirtschaftszweigen Vorreiter, die die Zeichen der Zeit erkennen und einfach vorangehen. Und davon gibt es in den verschiedensten Branchen zum Glück ja schon eine ganze Menge.


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Rubrik: Innovation & Vision

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