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Michel Reilhac: “VR sind die neuen Werkzeuge“

Michel Reilhac: “VR sind die neuen Werkzeuge“
Foto: © privat

Michel Reilhac ist Transmedia-Autor, Dozent und Redner zum Thema VR und Filmproduzent. In seiner Filmkarriere hatte er viele verschiedene Positionen inne, um nur einige zu nennen: Leiter der Abteilung für Kino und Filmerwerb bei Arte France, Studienleiter der Hochschule für die Biennale von Venedig, Co-Produzent von independent Filmen wie Lars von Triers "Antichrist" und "Melancholia". Er sprach bei den Filmfestspielen von Cannes, dem Tribeca Film Festival, TEDx und vielen anderen. In diesem Jahr hielt er eine Keynote auf der MediaTech-Konferenz über VR und die Digitalisierung von Veranstaltungen. Neugierig geworden? Wir auch.


Interview: Boris Messing  UND  Jens THOMAS

 

CCB Magazin:Michel, du hast auf der diesjährigen Keynote der MediaTech-Konferenz über VR und die Digitalisierung von Veranstaltungen gesprochen. Klär uns auf: Welche Einsatzmöglichkeiten von VR gibt es bei der Gestaltung von Veranstaltungen? Und welche Art von Veranstaltungen überhaupt? 

Michel Reilhac:Ich denke, wir alle wissen - und besonders jetzt, wo wir wegen der Pandemie eingesperrt sind -, dass wir Wege brauchen, um zu arbeiten, zu kreieren, Brainstorming zu betreiben, einfach zusammen zu sein, obwohl wir eine Zeit lang physisch voneinander isoliert sind. Und viele von uns verbringen viel Zeit auf Plattformen wie Zoom oder Skype, bei denen es sich um zweidimensionale Fenster handelt, die nicht viel mehr bieten als die gemeinsame Nutzung des Bildschirms und Gespräche. Aber es gibt noch eine andere Möglichkeit, die VR bietet. Das neue Potential von VR ist die Entwicklung von sozialen Plattformen. VR ist oft als Verursacher von Isolation, Einsamkeit und Sucht kritisiert worden. Mit dem Aufkommen von Echtzeit-Plattformen, auf denen man mit seinen Freunden zusammen sein oder neue Leute kennen lernen kann, trifft dies nicht mehr ganz zu. Man kann Menschen treffen, mit denen man zusammenarbeitet, und man kann Menschen treffen, die man sonst bei einem Festival, einer Konferenz, einem Workshop oder anderen Arten von Veranstaltungen trifft. Die Tatsache, dass man räumlich miteinander verbunden sein kann, dass man sogar das Gefühl hat, einander zu berühren, dass man private Gespräche führen kann, indem man sich einfach von der Gruppe entfernt oder als Gruppe zusammenbleibt, macht einen großen Unterschied. Deshalb kommt VR einer echten Begegnung von Menschen sehr nahe. Für Festivals zum Beispiel kann man jetzt virtuelle Räume haben, die zwanglose Begegnungen, berufliche Treffen oder Einzeltermine ermöglichen - und zwar in Echtzeit. Die Menschen werden durch ihre Avatare repräsentiert, und dies wird wachsen und immer mehr zu einer Möglichkeit der Zusammenarbeit aus der Ferne werden. Die gesamte Kultur der Avatare, die damit einhergeht, dass wir unter einem anderen Erscheinungsbild von uns selbst repräsentiert werden, wird wachsen. Und in naher Zukunft werden wir anfangen, das zu sehen, was wir digitale Zwillinge nennen, das ist wenn unsere Avatare sehr realistische Duplikate von uns selbst sein werden. Wir bewegen uns also auf einen Punkt zu, an dem diese sozialen Plattformen zu virtuellen Alternativen zur realen Welt werden, die genauso wie die reale Welt aussehen und sich genauso anfühlen werden, nur ohne die Haptik.

CCB Magazin:Die Veranstaltungsbranche ist derzeit am härtesten von Corona betroffen. Sind digitale Formate und VR-Strategien hier das letzte Mittel?

Michel Reilhac:Meiner Meinung nach ist VR das Nächstbeste nach der physischen Realität. Wenn man sich nicht physisch treffen kann, dann ist die virtuelle Realität das beste Surrogat. Und sie wird wachsen, sie wird mehr und mehr zum Standard werden. Dies wird erleichtert, wenn die VR-Headsets weniger sperrig werden und eher wie Brillen aussehen, die man in der Tasche mit sich herumtragen kann. Wir sehen bereits jetzt eine Explosion der Nutzung von VR im professionellen Bereich, insbesondere in der Ausbildung. Also ja, dies wird definitiv zunehmen.

VR wird unsere Beziehung zueinander verändern, indem sie den Zugang zu einander virtuell erleichtert, indem sie den Zugang zu Mitteln und Arbeitsinstrumenten ermöglicht, die denen in der realen Welt ähnlich sind

CCB Magazin: Es wird oft gesagt, dass keine Digitalisierungsstrategie ein Live-Ereignis ersetzen kann. Was kann VR leisten, was ein echtes Live-Erlebnis nicht kann?

Michel Reilhac:Nun, lass mich diese Frage so beantworten: Ich bin der festen Überzeugung, dass die Zukunft den "physitalen" Veranstaltungen gehört, bei denen alles gleichzeitig physisch und digital geschehen wird. Ein gutes Beispiel ist die Bekleidungs- und Modeindustrie. Schau Dir an, wie sie sich entwickelt hat. Die Menschen sind es gewohnt, in physischen Geschäften und auch online einzukaufen. Und ich denke, alle Veranstaltungen werden anfangen, beides gleichzeitig zu sein. Unabhängig von der aktuellen Situation glaube ich, dass die Möglichkeit, in beiden Realitäten, physisch und digital, zu sein, in naher Zukunft zum Standard werden wird. Das Festival in Venedig, das ich kuratiere, wird zum Beispiel im nächsten Jahr sowohl digital als auch physisch stattfinden. Zurück zu eurer Frage: Das Einzige, was VR leisten kann, was physische Veranstaltungen nicht leisten können, ist, dass sie eine viel größere Zahl von Menschen erreichen können. Ich kann euch zum Beispiel die Zahlen für ein reguläres Jahr der VR Venedig nennen, in dem wir die Kapazitäten zu etwa 95 Prozent auslasten und während der zehn Tage des Festivals etwa 10.000 Menschen erreichen. Das liegt daran, dass jeweils nur eine Person mit einem Headset ein Stück auf einmal sehen kann. Da die Plattform Venedig VR extended, wie wir sie dieses Jahr nannten, erweitert wurde, war alles über die VR-Plattform zugänglich, und wir erreichten 120.000 Menschen, also 12 Mal mehr. Wenn wir nächstes Jahr physital aktiv werden, werden wir also noch mehr Menschen erreichen, vor allem diejenigen, die es sich nicht leisten können, zu kommen, oder die nicht so viel Zeit haben. Das ist ein enormer Vorteil für VR.

CCB Magazin:Was wird sich mit VR in Zukunft noch verändern?

Michel Reilhac:Kurz gesagt, sie wird unser Verhältnis zueinander verändern, indem sie den Zugang zueinander virtuell erleichtert. Indem wir den Zugang zu Mitteln und Arbeitsinstrumenten ermöglichen, die denen ähnlich sind, die wir in der realen Welt haben.

CCB Magazin:Erst vor einigen Monaten hatten wir ein Interview mit Tina Sauerländer, einer VR-Kuratorin, die an der Laval Virtual-Konferenz teilnahm - auf einer durch VR konstruierten Insel als Avatar. Wir haben uns das natürlich angeschaut, und man kann sagen, alles, die Avatare, die Insel usw., sah ziemlich primitiv aus, und, entschuldige das harte Urteil, langweilig, was die Grafik und die Liebe zum Detail betrifft. Ist dies das Ende der Geschichte?

Michel Reilhac:Das ist noch lange nicht das Ende der Geschichte, sondern erst der Anfang. Sieh, die Laval Virtual-Konferenz verwendete eine Plattform namens VirBELA, und das ist eine sehr primitive Plattform und auch eine der ersten ihrer Art, und in der Tat sind alle Grafiken ziemlich einfach. Aber wenn Du auf andere Plattformen wie VRChat, Altspace, Sansar und viele andere gehst, ist die Qualität der Visuals und die Detailgenauigkeit der Renderings viel höher. Und dadurch hat man ein viel befriedigenderes visuelles Erlebnis. Urteile also nicht über soziale VR mit der Erfahrung von VirBELA im Hinterkopf. Dies ist der primitivste Weg für soziale VR-Plattformen. Alles, was kommt, wird viel realistischer sein - und schöner. Ich gebe Dir ein weiteres Beispiel: Facebook lanciert Anfang nächsten Jahres seine eigene virtuelle Plattform namens Horizon mit der Ambition, die derzeitige Facebook-Plattform zu ersetzen.

Ich persönlich bin sehr besorgt darüber, dass Facebook alle davon überzeugen will, sich für Horizon, ihre VR-Plattform, zu entscheiden. Es ist natürlich eine Möglichkeit, noch mehr Daten, noch mehr Details von allen zu sammeln

CCB Magazin:Wo wir gerade dabei sind. Wie sieht es mit VR und Facebook aus? Das ist wohl vorstellbar, aber ist es auch wünschenswert?

Michel Reilhac:Das ist eine sehr gute Frage. Ich persönlich bin sehr besorgt darüber, dass Facebook alle davon überzeugt, in Horizon, ihre VR-Plattform, einzusteigen. Es ist natürlich eine Möglichkeit, noch mehr Daten, noch mehr Details von allen zu sammeln. Vor kurzem hat zum Beispiel Facebook, das auch Eigentümer von Oculus VR ist, angekündigt, dass man nicht mehr auf Oculus-Inhalte zugreifen darf, wenn man sein Facebook-Konto nicht verwendet. Dies ist eine Möglichkeit, alle Daten, alles, was man in der VR sieht, zurück in Facebook zu kanalisieren und die Menge der Informationen, die sie über jeden von uns haben, zu erhöhen. Aus diesem Grund habe ich persönlich beschlossen, keine Facebook-Plattformen wie Instagram oder WhatsApp mehr zu verwenden. Wir müssen die Idee fördern, dass VR eine erstaunliche künstlerische Sprache sein kann, eine neue Kunstform, aber sie darf nicht so missbraucht werden, dass man Informationen, die verkauft werden sollen, einfach zurück in Facebook fließen.

CCB Magazin:Die Entwickung der Digitalisierung macht auch Angst, gerade wenn es darum geht, dass wir uns duplizieren oder das Personelle dem Digitalen vollends ausliefern. Wo liegt die dunkle Seiten von VR?

Michel Reilhac:Das oben Beschriebene ist in gewisser Weise eine dunkle Seite. Aber es gibt auch noch eine andere. Wie bei anderen Online-Begegnungen kann man sich abgekoppelt und isoliert fühlen, wenn man zu viel Zeit in der digitalen Welt verbringt, sei es nun VR oder etwas anderes. Und es besteht natürlich auch die Gefahr der Abhängigkeit.

CCB Magazin:Wie sehen die zukünftigen Anwendung von VR aus?

Michel Reilhac:VR wächst bereits in der Geschäftswelt, für die Ausbildung von Menschen im Sport, im Immobilienbereich, in der Mode, in der Bekleidungsindustrie. Es ist also bereits im Gange. Man bemerkt es vielleicht nicht so sehr, weil es hinter verschlossenen Türen passiert, innerhalb der Unternehmen stattfindet, aber, wie ich schon sagte, es geschieht. Und nach und nach sehen wir Plattformen, die sich darauf spezialisiert haben, Zugang zu mehr künstlerischen Inhalten zu bieten. Ich sehe, dass VR langsam jeden einzelnen Bereich unseres Lebens infiltriert. Und es besteht ein sehr großes Potenzial, dass in fünf Jahren VR- und AR-Brillen die neuen Mobiltelefone sein werden. Sie werden das neue Werkzeug sein, das jeder nutzen wird, um zu kommunizieren und auf Inhalte zuzugreifen.

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