Digitalisierung, Corona Zurück

Spectyou: Von der Bühne ins Netz und wieder zurück

Schwerpunkt Streaming für die Darstellenden Künste

Spectyou: Von der Bühne ins Netz und wieder zurück
Foto: © Sebastian Graf
Den Rechner aufgeklappt, die Performing Arts im Herzen: Elisabeth Caesar von SPECTYOU. War 2018 bei uns in der Kreativwirtschaftsberatung, arbeitet jetzt an einem neuen Streaming-Modell für die Darstellenden Künste.

Mitten in der Corona-Krise bringt Elisabeth Caesar SPECTYOU auf den Weg, die erste Streaming-Plattform für den Bereich Darstellende Kunst im deutschsprachigen Raum: Tänzer, Theatermacher, Performer und Kunstinteressierte versammeln sich im Netz. Was ist das Ziel? Kann Streaming im Bereich der Darstellenden Künste funktionieren? Ein Gespräch mit der Gründerin.
 

INTERVIEW   JENS THOMAS

 

CCB Magazin: Hallo Elisabeth, mit in der Corona-Krise geht eure Streaming-Plattform SPECTYOU an den Start. Man könnte sagen, genau zur richtigen Zeit. Wie funktioniert die Plattform? 

Elisabeth Caesar: SPECTYOU ist eine neue ortsunabhängige Vernetzungsplattform für Theaterschaffende. Hochgeladen werden können Videoaufzeichnungen von deutschsprachigen Produktionen aus den Bereichen Tanz, Schauspiel und Performance – in voller Länge und kostenlos. Wir bieten dazu den sicheren Ort, technologisch auf neuestem Stand. Unser Ziel ist es, die Reichweite der Darstellenden Künste zu vergrößern. 

CCB Magazin:Wer genau kann alles Aufzeichnungen hochladen und ein Profil anlegen? Darf das jeder? Und sind alle Aufzeichnungen für den Nutzer kostenlos zugänglich? 

Elisabeth Caesar:Ein Profil anlegen können alle Theaterschaffenden. Aufzeichnungen hochladen können aber nur die Rechteinhaber, das heißt Companies, Gruppen und Theater. Sie entscheiden auch, wer ihre Videos sehen kann. Und der User kann ein Abo abschließen: Im ersten Halbjahr kostet es rund fünf Euro pro Monat, im Anschluss wird sich der monatliche Abo-Preis zwischen 15 und 20 Euro bewegen. 
 

So sieht SPECTYOU aus. www.spectyou.com

CCB Magazin:Für die Musikstatistik gilt Streaming mittlerweile als Heilsbringer und macht heute einen Anteil von knapp 50 Prozent aller Erlöse in der Musikindustrie aus. Musik hört man sich aber immer und immer wieder an. Musik hat etwas mit Konsum und Hörgewohnheiten zu tun. Das kann doch für den Bereich der Darstellenden Künste nicht funktionieren. Gehen die Leute da, nach der Corona-Krise, nicht einfach wieder ins Theater und erleben alles live, vor Ort, in Echtzeit? 

Elisabeth Caesar:Das eine schließt das andere ja nicht aus. Und natürlich funktioniert Streaming in der Darstellenden Kunst anders als im Bereich Musik. Unsere Sparte ist kleiner, aber auch gar nicht so klein: Im deutschsprachigen Raum werden jährlich 8.500 unterschiedliche Produktionen gezeigt. Nach aktueller Lage bräuchtest du also eine Vollzeitstelle, um knapp fünf Prozent dieser Produktionen sehen zu können. Es gibt insgesamt 1.000 Bühnen in Deutschland, 65.000 Theaterprofis und 25 Millionen Theaterzuschauer bundesweit. Wir möchten auch keine Live-Erlebnisse ersetzen, wir wollen ein erweitertes Angebot und einen Überblick schaffen, somit Interesse wecken und den Zugang zu performativen Künsten erleichtern. Denn das Tolle an der Darstellenden Kunst ist ja das Live-Erlebnis. Oft fehlen den Leuten aber die Zeit und das Geld, um den gewünschten Produktionen „hinterherzureisen“. Wir schaffen jetzt einen neuen zentralen Ort im Netz. Wir verstehen das auch als eine Art der Demokratisierung: Kleine Institutionen stehen gleichberechtigt neben den großen. Man kann alle Arbeiten gleichermaßen verfolgen und sich mit den Akteuren vernetzen. 

Streaming im Bereich der Darstellenden Kunst funktioniert anders als im Musikbereich. Das primäre Ziel ist nicht, finanzielle Gewinne zu erzielen. Es geht um Vernetzung, um einen zentralen Ort im Netz. Und der Wert für die Theater liegt auch darin, dass die Plattform kostenloses Marketing für Theaterschaffende betreibt

CCB Magazin:Klingt simpel und erfolgversprechend. Wieso gibt es so eine Plattform nicht schon längst? 

Elisabeth Caesar:Das ist der springende Punkt. Ich habe wirklich wochenlang bei Anwälten verbracht, denn datenschutzrechtlich ist das ziemlich aufwendig: Viele Theatermacher haben sich mit der Frage noch nicht detailliert beschäftigt, was es heißt, Kunst im Netz zugänglich zu machen. Alle Produktionsbeteiligten müssen der Veröffentlichung zustimmen – dazu zählen Akteure aus den Bereichen Choreografie, Bühnenbild, Schauspiel, Regie, Dramaturgie usw. Hierfür haben wir mit einer auf Urheberrecht spezialisierten Anwaltskanzlei einen verständlichen und überschaubaren Vertrag entwickelt. Hinzu kommen Fragen zum Urheberrecht von Texten, die mit Verlagen geklärt werden müssen. Aber auch hier haben wir von vielen Autoren und Verlagen schon eine positive Rückmeldung bekommen. Bei Musik-Streaming-Plattformen ist das einfacher: Da werden die Verträge zwischen großen Plattenfirmen und den Streaming-Plattformen vereinbart. 

CCB Magazin:Ein Kritikpunkt an den großen Streaming-Diensten ist immer wieder, dass für die Künstler am Ende wenig übrig bleibt. Wie werden Künstler an SPECTYOU finanziell beteiligt? Und was verdient ihr selbst daran?

Elisabeth Caesar:Das primäre Ziel ist es zunächst nicht, finanzielle Gewinne zu erzielen. Es geht um Selbstermächtigung, darum, nicht alles Google & Co. zu überlassen. Und der Wert für die Theater liegt zudem darin, dass die Plattform kostenloses Marketing für Theaterschaffende betreibt. Wir machen Tanz und Theater einem breiten Publikum zugänglich. Die Plattform soll auch ein lebendiges und leicht zugängliches Theaterarchiv werden. Wir haben so viel begeisterten Zuspruch von unterschiedlichsten Seiten bekommen. Darum gehen wir davon aus, dass sich SPECTYOU irgendwann auch finanziell lohnt. Und sobald wir Gewinne erzielen, werden wir einen Schlüssel finden, der alle, die Arbeit, Zeit und Kreativität in die Plattform und ihre Inhalte gesteckt haben, fair daran beteiligt. 

Datenschutzrechtlich ist eine Streaming-Plattform für die Darstellende Künste hochkomplex: Viele Theatermacher haben sich mit der Frage noch nicht detailliert beschäftigt, was es heißt, Kunst im Netz zugänglich zu machen. Und alle Produktionsbeteiligten müssen einer Veröffentlichung zustimmen

CCB Magazin:Ihr wart kürzlich bei uns in der Kreativwirtschaftsberatung und habt euch über mögliche Finanzierungswege informiert. Welche Wege seid ihr im Anschluss gegangen? Und wie wollt ihr SPECTYOU langfristig finanzieren? Habt ihr einen Plan? 

Elisabeth Caesar:Natürlich haben wir einen Plan! In der Beratung haben wir gemeinsam eine Strategie erarbeitet. Allerdings stellte es sich als schwierig heraus, in Berlin eine entsprechende Förderung zu erhalten. Für eine Kunst- und Kulturförderung arbeiten wir nicht projektbasiert genug und sind für die momentanen Förderkriterien zu technologisch ausgerichtet. Aktuell arbeiten wir mit einem der Größe des Projektvorhabens entsprechendem Startkapital. Wir verzichten aber bewusst auf Werbung, das halten wir im künstlerischen Kontext nicht für angemessen. Letztlich soll die Plattform irgendwann durch die Abonnements getragen werden. Wir möchten eine sorgfältige und freie Betreuung gewähren – und das geht nur, wenn wir langfristig unabhängig von den Interessen großer Geldgeber sind. 

CCB Magazin:Wenn ihr in die Zukunft blickt: Vor welchen Herausforderungen steht der Bereich der Darstellenden Kunst in Zeiten des digitalen Umbruchs? Und wo wollt ihr mit SPECTYOU langfristig hin? 

Elisabeth Caesar:Virtuelle Realität und Künstliche Intelligenz schreiten in der Gesellschaft voran. Was passiert aber, wenn die Kultur mit den neuen technischen Mitteln nicht „mithalten“ kann, diese aber reflektieren sollte? Es geht in Zukunft um entscheidende Schritte: Schreiben wir weiter auf unser Hermes Baby und schicken Brieftauben? Oder öffnen wir uns für neue Technologien, indem wir sie uns zu eigen machen und spielerisch damit umgehen? Ich wünsche uns insgesamt mehr Mut, sich dem Heute zu öffnen, sich mit den gegenwärtigen Möglichkeiten auseinanderzusetzen und auch all die positiven Aspekte der Digitalisierung auf dem Schirm zu haben. Wir haben jetzt die Möglichkeit dazu, ganz neue Formen zu kreieren. Außerdem bieten digitale Technologien künstlerisch ein riesiges Potenzial, das bisher nur von wenigen experimentellen Vorreitern erkundet wird – und leider oft nur eine kleine Zahl von Leuten erreicht. Das soll sich ändern und wir leisten unseren Beitrag dazu.


Das Interview ist gerade erschienen im neuen Printmagazin „The Big Good Future #2“, das man hier online lesen kann.  

 

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