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Jörg Finkbeiner: „Wir bauen hier keinen Müll“

Jörg Finkbeiner: „Wir bauen hier keinen Müll“
Foto: Woodscraper

Stahl, Beton, Kunststoffe - Umweltverschmutzung pur. So hat die Bauindustrie jahrzehntelang gebaut. Bis heute verursacht sie mehr als 50 Prozent des globalen Mülls. Das Architekturbüro Partner und Partner aus Berlin will das ändern: Sie bauen aktuell zwei Woodscraper, zwölfstöckige Holzhochhäuser, die nach dem cradle-to-cradle-Prinzip konstruiert werden und deren Einzelteile allesamt wiederverwertet werden können. Warum kommen diese Häuser jetzt erst auf den Markt? Und sind das die Häuser der Zukunft? Wir sprachen darüber mit Jörg Finkbeiner, Geschäftsführer von Partner und Partner. 
 

INTERVIEW   BORIS MESSING

 

CCB Magazin:Herr Finkbeiner, Sie haben vor Ihrem Architekturstudium eine Schreinerlehre gemacht. Erinnern Sie sich noch an Ihr erstes selbstgebautes Möbelstück?

Jörg Finkbeiner:Oh ja, das war als Zwölf- oder Dreizehnjähriger, da hab ich mir einen Couchtisch gebaut. Der hat nicht lange gehalten, aber meine Leidenschaft fürs Holz hat ab da an Feuer gefangen. Ich habe schon immer gern gebaut und gebastelt. Mein Gesellenstück nach der Schreinerlehre war ein Steharbeitspult, für das ich sogar einen Innungspreis bekommen habe. Das Pult steht auch heute noch. 

Mit unseren Woodscrapern dringen wir in ganz neue Gefilde ein. Alle Baustoffe sind in die jeweiligen Stoffkreisläufe trenn- und sortenrein rückführbar. Das ist die Zukunft 

CCB Magazin:Mit ihrem Architekturbüro Partner und Partner bauen Sie in Wolfsburg zwei zwölfstöckige Holzhochhäuser – die ersten ihrer Art. Holz, da schwingt Wohlgefühl und Ruhe mit. Wie steht es um die Sicherheit und Brandgefahr? Ist Holz als Material überhaupt stabil genug, um ein Hochhaus zu bauen? 

Jörg Finkbeiner: Diese Fragen bekomme ich oft gestellt. Holz brennt doch, fault und knarzt! Das ist jedoch ein irrtümliches Bild. Holz brennt, das ist richtig. Aber da gibt es ganz klare Brandschutzvorgaben, besonders bei Hochhäusern, die man einhalten muss und auch kann. Bei Hausbränden sterben die meisten Menschen übrigens nicht durch Verbrennung, sondern durch eine Rauchvergiftung. Und die Treppenhäuser unserer Woodscraper werden in Stahlbeton gebaut, das ist in Deutschland nicht verhandelbar. Somit kann da nichts brennen und die Fluchtwege sind auch bei Brand begehbar. Auch was die Statik betrifft ist bei richtiger Bauweise Holz sehr sicher. In Wien steht inzwischen ein vierundzwanzig Stockwerke hohes Holzhochhaus, das sind, glaube ich, 84 Meter. Holz kann sehr gut Lasten tragen. 

Da steht es, das Woodscraper-Haus. Foto:  Woodscraper

CCB Magazin:Wie werden die Woodscraper genutzt, wenn sie fertig sind?

Jörg Finkbeiner:Es kommen zum Großteil Wohneinheiten rein. Unten gibt es Gewerbeflächen, ein kleines Café, ein Fahrradverleih, eine Wäscherei, solche Dinge. Aber im Wesentlichen ist es ein Wohngebäude. Das Holz schafft eine ganz besondere Wohnatmosphäre.

CCB Magazin:Die Woodscraper werden nach dem cradle-to-cradle-Prinzip gebaut. Auf Ihrer Homepage sprechen Sie auch vom „zirkulären Bauen“. Was bedeutet das?

Jörg Finkbeiner:Was das zirkuläre Bauen anbelangt dringen wir mit den Woodscrapern in ganz neue Gefilde ein. Das ist das neue an diesem Typ von Holzbau. Alle Baustoffe sind in die jeweiligen Stoffkreisläufe trenn- und sortenrein rückführbar. Beispielsweise verwenden wir keine toxischen Leime, um die Holzteile zu verbinden. Zirkulär bedeutet also, dass sich die Einzelteile des Gebäudes nach 50, 70, 100 Jahren demontieren und komplett wiederverwerten lassen, zum Beispiel für den Bau eines neuen Gebäudes. Das entspricht dem C2C-Prinzip.  Dazu eignet sich der Holzbau prima, weil wir nur vorgefertigte Bauelemente benutzen, die im Übrigen auch die Bauzeit erheblich verkürzen. Unser Bauprojekt wird zudem von einem Forschungsprojekt der Deutschen Bundesstiftung Umwelt begleitet. Es wurde eine umfangreiche Ökobilanz der beiden Gebäude gemacht, bis zur letzten Schraube ist alles durchbilanziert. Verglichen mit dem gleichen Gebäude konventionellen Stils, das aus Stahlbeton und Kunststoffverbunden besteht, haben wir eine deutlich bessere Ökobilanz. Unser Gebäude ist ressourcenpositiv, sprich: wir produzieren beim Bauen keinen Müll. Mehr als 50 Prozent des globalen Mülls kommt im Übrigen von der Bauindustrie. Wir wollen hier einen Beitrag leisten. Weniger Müll ist mehr Zukunft. Wir wollen den Gebäudesektor revolutionieren. 

Mehr als 50 Prozent des globalen Mülls kommt von der Bauindustrie. Wir wollen hier einen Beitrag leisten. Weniger Müll ist mehr Zukunft. Wir wollen den Gebäudesektor revolutionieren

CCB Magazin:Seit wann befasst sich die Architektur eigentlich mit C2C?

Jörg Finkbeiner:Vor der Industriellen Revolution haben wir schon zirkulär gebaut. Das lag vor allem daran, dass Gebäude aus wenigen, regionalen und überwiegend aus Natur- bzw. nachwachenden Baustoffen konstruiert wurden. Einen Holzbalken nach dem Abbau eines Hauses wiederzuverwenden war einfacher, wirtschaftlicher und damit selbstverständlich. Das ist heute mit globalen, verzweigten Lieferketten und einer unübersehbaren Anzahl von komplexen Bauprodukten nicht mehr möglich. Insofern müssen wir von einem Systemwechsel sprechen, und diese Art Architektur zu denken ist relativ neu.

Komplett aus Holz. So könnte die Zukunft von Innen aussehen. Foto: Woodscraper 
 

CCB Magazin:Wie lange hält sich so ein Holzhaus?

Jörg Finkbeiner:Das kommt darauf an wie man es pflegt. Das alte Rathaus in Esslingen beispielsweise, immerhin ein sechsgeschossiger Holzbau, feiert bald sein 600-jähriges Bestehen. Frage beantwortet?

CCB Magazin:Was ist denn mit den Kosten? Ist das Bauen mit Holz nach C2C-Prinzip teurer?

Jörg Finkbeiner:Tja, diese Frage wird mir auch sehr oft gestellt. Kurz gefasst, bei den Woodscrapern wird der Bau um zirka zwei Prozent teurer als bei einem konventionellen Bau. Nicht eingerechnet dabei ist aber, dass wir schneller bauen, keinen oder sehr wenig Müll produzieren und alle Materialien wiederverwendet werden können. Mit unserer Methode wird auch viel Zeit und Energie für Umbauten am Haus gespart. Und: Wir haben keinen toxischen Müll, den wir entsorgen müssen.

CCB Magazin:Auf der Homepage von Partner und Partner heißt es, dass Gebäude gesellschaftliche Auswirkungen auf die Umgebung haben. Was ist damit gemeint? 

Jörg Finkbeiner:Holz spricht die Menschen auf vielfältige Weise an: in der Haptik, im Geruch, in der Ästhetik. Und Holz ist auch nachweislich gut für den Schlaf, das Herz schlägt ruhiger, wenn man in einer Holzumgebung schläft. Vor allem sind mit den gesellschaftlichen Auswirkungen aber Parameter wie klimaschädliches Bauen, Müllerzeugung usw. gemeint, die durch den C2C-Holzbau vermieden werden. Diese Kosten werden im konventionellen Bau vergemeinschaftet. Wenn wir schlecht bauen und Müll produzieren, dann zahlt das am Ende die Gesellschaft. Insofern hat das natürlich eine Auswirkung auf die Gesellschaft, wenn wir stattdessen ressourcenpositiv, klimagerecht und zirkulär bauen. 

CCB Magazin:Stichwort Architektur auf Augenhöhe: Welche Akteure müssen beim zirkulären Bauen einbezogen werden, um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen?

Jörg Finkbeiner:Wir haben versucht, möglichst alle Beteiligten früh an einen Tisch zu kriegen und von unserer Idee zu überzeugen. Die Fachplaner beispielsweise saßen von Anfang an mit am Tisch. Alle Akteure, vom Statiker zum Planer bis zur Feuerwehr waren früh in unsere Pläne eingeweiht und konnten ihre Einwände und Ideen vortragen. Das Zusammenspiel war uns sehr wichtig. 

CCB Magazin:Wie realistisch ist das Baukonzept von Partner und Partner übertragen auf die Großstadt und ihre Bedürfnisse? Könnten ganze Stadtviertel als C2C-Konzept gebaut werden?

Jörg Finkbeiner:Das ist keine Zukunftsmusik mehr. In Berlin-Tegel redet man von 3000 bis 5000 Wohnungen in Holz, die gebaut werden sollen – wenn die Stadt es ernst meint. Und in Weißensee ist schon ein ganzer Block aus Holzhäusern gebaut worden. Ich geh mal einen Schritt weiter: das muss auch so sein. Und immer werde ich gefragt, haben wir überhaupt genug Holz? Ja, haben wir. Mit 12 bis 15 Prozent der jährlichen Holzernte können wir den kompletten Wohnungsbau in Deutschland bestreiten. Und eines ist sicher: beim Beton wird’s bald eng, weil uns der Sand ausgeht. 

CCB Magazin:Sie sind Mitglied bei der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen. Der Verein hat bisher insgesamt an die 6.000 nachhaltige Gebäude zertifiziert – böse gesagt ein Tropfen auf den heißen Stein. Nochmal: wie zukunftsfähig ist zirkuläres, nachhaltiges Bauen? Wer sind die Widersacher? Wen gilt es zu überzeugen? 

Jörg Finkbeiner:Ganz schön viele Fragen! Wissen Sie, die Bauindustrie ist eine ganz träge Branche. Stahlbeton ist das Baumaterial des 20. Jahrhunderts, alle Wertschöpfungsketten, die sich seit den Zeiten des Bauhauses entwickelt haben, sind fest etabliert, das dauert bis sich das umstellt. Außerdem hängen da auch viele Karrieren und Renommees dran. Eine Umstellung auf Holz würde bedeuten: mehr Planer, Statiker, Architekten, Bauherren, Facharbeiter usw., die sich damit befassen müssen. Das sind enorme Kapazitäten, die sich nicht über Nacht entwickeln werden. Im Zweifelsfall macht man es halt so wie man es immer gemacht hat. Der Erste zu sein, der etwas Neues wagt, ist auch immer mit einem Risiko verbunden. 

CCB Magazin:Und was kann die Politik tun, um das C2C-Bauweise zu fördern und Risiken zu minimieren?

Jörg Finkbeiner:Der Systemwechsel, den ich vorher ansprach, geht natürlich über das reine Planen und Bauen von Häusern hinaus. Gesetzliche Regelungen müssen befolgt und eingehalten werden. Gesetze sind aber immer reaktive Regelungen für Probleme, die entstehen. Unsere Welt ist dynamisch, technologische Innovationen kommen schneller als Gesetze darauf reagieren können. Ich würde mir deshalb wünschen, dass die Politik weniger Details regelt, sondern proaktive Strukturen schafft, Gesetze, die Innovation ermöglichen, im besten Falle fordern. Dann wären wir viel schneller bei der Implementierung neuer Ideen und Konzepte. Kurz gesagt: was heute die Ausnahme ist, sollte zur Regel werden. 

CCB Magazin:Wie weit sind wir denn noch von einem Paradigmenwechsel des fossilen zum postfossilen Bauen entfernt?

Jörg Finkbeiner:Wir sind noch ganz am Anfang. Vor allem in Berlin. Aber ich bin Optimist. Ich habe das Gefühl, es kommt etwas ins Rutschen. Das Bewusstsein, etwas ändern zu müssen, ist jedenfalls da. Und ich bin überzeugt, dass zirkuläres Bauen nach dem C2C-Prinzip eine große Zukunft vor sich hat.

CCB Magazin:Wie wohnen Sie eigentlich selbst? Haben Sie Möbel von Ikea bei sich zu Hause?

Jörg Finkbeiner:Ich wohne in einem Genossenschaftsprojekt an der Spree, im Spreefeld Berlin. Da sind wir bauleitend mitreingekommen. Das ist ein Hybridbau aus Stahl und Holz. Ein Passivhaus. Ehrlich gesagt wäre es gelogen, wenn ich sagen würde, es ist nichts mehr von Ikea in unserer Wohnung, aber das ist das erklärte Ziel. Die Genossenschaft hat unten eine Tischlerwerkstatt drin, da werde ich mich demnächst mal wieder austoben.


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Rubrik: Innovation & Vision

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