Digitalisierung, Nachhaltigkeit Zurück

Thomas Gnahm: Deine Hose sagt dir, wo's langgeht

Thomas Gnahm: Deine Hose sagt dir, wo's langgeht
Foto: © Florian Wenningkamp
Hat die Hosen an. Thomas Gnahm (erster von rechts, dritter von links) arbeitet im Bereich Wearables - und schreibt darüber. 

Die Digitalisierung bringt einen ganz neuen Industriezweig hervor: Wearables, sprich intelligente Kleidung. Was vor Jahren noch Spielerei und technologisches Gimmick war, ist heute vielfach Realität: Bandagierstrümpfe geben uns Rückmeldungen, wie unser Heilungsprozess am Knie verläuft. Das Hemd meldet sich, wenn unser Herz zu schnell schlägt – und wir stehen erst am Anfang einer Entwicklung. 


VON   THOMAS GNAHM (Organisator von Wear It Berlin)
 

Als ich vor über einem Jahrzehnt in New york eine Fahrradgang kennenlernte, wusste ich noch nicht, dass das meine Zukunft verändern würde. Diese Jungs sahen total irre aus: Sie trugen Gangjacken, sahen irgendwie aus wie eine Motorradgang, saßen aber stolz auf Fahrrädern. Das war 2006. In Berlin dachte ich mir: Das kann man doch konzeptionell weiterentwickeln. So kam mir die Idee einer ersten Trafo-Pop- Jacke, die den Jacken der Gang ähnelte, die beim Bremsen aber leuchtete. Zusammen mit ein paar Freunden entwickelten wir sie und bauten auch LEDs in das Innere der Jacken ein, die wir zusätzlich von einem Minicomputer steuerten. Manchen Jacken verpassten wir zusätzliche Sensoren, die auf Rot schalteten, wenn die Jacke abrupt abgebremst wurde, oder sie reagierten auf Tweets im Internet. Herrje, alles Spielerein. Aber witzig! Und, das weiß ich heute, zukunftsweisend. 

Seitdem lässt mich das Thema Wearables nicht mehr los. Ich selbst komme aus dem Designbereich, habe an der Bauhaus-Uni Weimar visuelle Kommunikation studiert, 2014 initiierte ich dann das erste Wear-It-Festival in Berlin, das seitdem jährlich stattfindet. Was machen wir? Wir bringen das Feld der Wearables voran, sprich: von intelligenter Kleidung. Unternehmen aus der Wearable-Tech-Szene treffen hier an zwei Tagen einmal im Jahr auf die Industrie, Politik auf Kultur, Designer schließen sich mit Künstlern zusammen – und Investoren stoßen auf Gründer, Unternehmen auf die Forschung und die Medien entdecken den Fortschritt – und das mitten in Berlin. 

Jacke wie Hose: die Trafo-Pop-Jacke. Sieht gut aus und blinkt, wenn man auf dem Rad sitzt - entwickelt hat sie Thomas Gnahm. Foto © Florian Wenningkamp

Keine Frage: Das, was sich hier entwickelt, ist erst der Anfang. Wearables haben im Sport, im Gesundheitswesen und in der Industrie trefflich Einfluss erhalten. Im Skisport werden mittlerweile Sensoriken zur Erfassung von Bewegungen oder ähnlichem eingesetzt, und was sich in den letzten Jahren vor allem entwickelt hat, ist der Bereich der Arbeitsbekleidung. Proglove zum Beispiel hat einen intelligenten Datenhandschuh entwickelt, der die Arbeiten in Fertigung, Logistik und Handel erleichtert; ein Handschuh, der mitdenkt. Durch einen vom Finger ausgelösten Knopfdruck wird der Arbeitsschritt konkret ausgeführt. Andere Produkte wie die Motex-Bandage, hergestellt vom Fraunhofer IZM in Berlin, helfen dabei, unseren Heilungsprozess am Knie zu unterstützen. Es ist eine Art Kniebandage, die das Beugungsverhalten eines Knies misst. Motex wird auch in der Physiotherapie angewandt.

Das, was hier gerade passiert, ist ein echter Fortschritt in  der Menschheitsgeschichte, und die Digitalisierung wird unser Leben in Zukunft radikal verändern: neue Berufe werden entstehen, andere werden obsolet oder ganz verschwinden – kreative Arbeit und welche der zwischenmenschlichen Kommunikation aber wird es auch in Zukunft geben

 Das, was hier gerade passiert, ist ein echter Fortschritt in der Menschheitsgeschichte, und die Digitalisierung wird unser Leben in Zukunft radikal verändern: Neue Berufe werden entstehen, andere werden obsolet oder ganz verschwinden – kreative Arbeit und welche der zwischenmenschlichen Kommunikation aber wird es auch in Zukunft geben. Und vor allem bringt sie ganz neue Lösungen hervor. Dem Forschungsunternehmen Gartner zufolge sind Textilien mit integrierter Elektronik und Sensorik aktuell das am schnellsten wachsende Segment im Bereich Wearables. Bis 2020 soll der Markt laut International Data Corporation (IDC) zweistellig wachsen, für 2020 sind 237,1 Millionen verkaufte Wearables vorausgesagt. Wer am Ende daran verdienen wird, das müssen wir abwarten. Die Berliner Bekleidungsindustrie ist in weiten Teilen kleinteilig organisiert. Und natürlich bleibt in einer Stadt wie Berlin die Frage, wie die kleinteiligen Ideengeber und Erfinder mit den Großen künftig mithalten können. Schon jetzt mischen die Tech-Giganten wie Apple, Intel, Microsoft oder IBM ganz weit vorne mit. Ich glaube aber, dass das in Zukunft ganz neue Synergien hervorbringt. Denn die nötige Technologie ist oft open source, darum nicht sehr kompliziert und weit verbreitet – das ist gerade ein Plus für die kleinen Player. Zudem kann es auch sein, und das zeichnet sich gegenwärtig ab, dass eine Erfindung erst für die Großen reserviert ist und sich im Anschluss durch die Vervielfältigung demokratisiert. Definitiv geht in Zukunft nichts ohne Kollaborationen, sowohl im Image- als auch im Produktbereich. Und gerade das kann für die kleinen Ideengeber hilfreich sein. 

 

Man hat die Technik selbst an der Hand: der "intelligente" Datenhandschuh von Proglove. Durch einen vom Finger ausgelösten Knopfdruck wird der gewünschte Arbeitsschritt ausgeführt. Foto © Proglove

Im großen Maßstab geht es jetzt aber erst mal um das Etablieren eines Eco-Systems und die Stärkung von Open-Source-Konzepten gegen geschlossene Systeme. Und das heißt: Wir müssen zukünftige Standards festlegen. Hier sind wir erst am Anfang. Klar ist aber auch: Der Markt entwickelt sich rasant. Aktuell sind die USA ganz weit vorne. Vor allem ist die Textilindustrie in den letzten Jahren komplett nach Asien abgewandert. Im Bereich der smarten Technologien ist Deutschland aktuell dennoch Weltmarktführer. Hier entstehen also auch wieder ganz neue Arbeitsplätze. Das merken wir seit Jahren selbst an den vielen Startups, die bei Wear It Berlin waren. Und gerade den Bereich Printed Electronics finde ich ermutigend: Das sind elektronische Bauelemente und Anwendungen, die vollständig oder teilweise über Druckverfahren hergestellt werden können. Anstelle der Druckfarben werden nun elektronische Funktionsmaterialien, die in flüssiger oder pastöser Form vorliegen, verdruckt. Hier sehe ich ganz viel Potenzial. Und vor allem wird man mit den intelligenten smarten Fertigungsmethoden auch wieder eine Industrie nach Deutschland holen können. 

In der Zukunft stehen wir vor einer zentralen Herausforderung. Die Frage lautet: Wie können wir die zunehmende Technisierung mit neuer Nachhaltigkeit zusammendenken? Wie entsorgt man zum Beispiel Kleidung mit Sensoren oder Batterien?

Die Frage wird aber sein, wie man all die guten Ideen in Zukunft finanziell anschieben kann, gerade in Berlin. Denn Berlin ist dabei, sich immer mehr zum zentralen Knotenpunkt für die Szene zu etablieren. Neben der Vielzahl an progressiven Designern, Startups und Kreativen aller Art haben wir hier eine tolle Forschungslandschaft und gleich mehrere Hochschulen, die sich mit der Thematik befassen, so zum Beispiel die Kunsthochschule Weißensee, die HTW oder auch das Design Research Lab an der UDK. Was noch fehlt, ist das verbindende Glied zwischen allen Beteiligten, eine Plattform, die unterschiedliche Bemühungen zusammenbringt und Matchmaking betreibt. 

Schlaue Jacke: Macht Licht und blinkt, wenn man sie anfasst. Fast so wie ein richtig guter Freund – hergestellt hat sie die Berliner Designerin Esther Zahn.  Foto © Alexander Rentsch

Zusammen mit vielen Partnern aus Industrie, Forschung und Hochschulen haben wir vor Kurzem auch das Innovationsnetzwerk „Wear It Hub“ im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gegründet. Ziel ist es, Deutschland, und gerade Berlin, noch weiter nach vorne zu bringen. In der Zukunft stehen wir zudem vor einer ganz zentralen Herausforderung. Die Frage lautet: Wie können wir die zunehmende Technisierung mit neuer Nachhaltigkeit zusammendenken? Wie entsorgt man also Kleidung mit Sensoren oder Batterien? Das ist in der Tat noch ein Problem. Eine Lösung ist es, neueste Tech-Produkte so modular zu gestalten, dass die Komponenten im Anschluss einfach zu trennen sind. Das ist zugegeben aufwendig. Technik, LEDs zum Beispiel, sind einfach noch nicht kompostierbar. Eine andere Lösung ist es, auf Printed Electronics zu setzen, die auf biologisch abbaubaren Trägermaterialien basieren. Auch Pfand-Recycle-Systeme sind denkbar. Insgesamt sind die meisten Elektrogeräte einfach noch nicht nachhaltig gedacht, sie werden zudem irgendwo in Asien billig hergestellt – und schon gar nicht unter fairen Arbeitsbedingungen. Was sich also abzeichnet, ist eine Kluft zwischen ökologischer Kleidung einerseits und neuer Technik andererseits, die einfach nicht nachhaltig ist. Hier brauchen wir Lösungen. Was ich aber motivierend finde: Die Politik hat das Thema mittlerweile erkannt. Das zeigt nicht nur das europaweite Plastikverbot, das bereits auf EU-Ebene beschlossen ist. Es zeigt sich auch an zahlreichen neuen Förderprogrammen, die in Berlin ins Leben gerufen wurden. Hier müssen wir weitermachen. Zukunft heißt eben Zukunft gestalten. Ich mache das seit Jahren. Ende einfach nicht in Sicht.

 

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