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Eine geballte Ladung Cyanite

Eine geballte Ladung Cyanite
Foto: © Stadtmarketing Mannheim GmbH Nadja Capellmann

2018 waren sie Teilnehmer des Invest in Creativity Investors Lab Berlin, heute sind sie bereits erfolgsverwöhnt: Cyanite ist ein Startup, das Songs hinsichtlich ihres emotionalen Profils analysiert und visualisiert. Das Programm arbeitet mit Künstlicher Intelligenz (KI) und soll Akteuren in Film, Werbung oder Games bei der Musikauswahl helfen. Die drei Gründer arbeiten von Mannheim und Berlin zusammen, mit zwei von ihnen haben wir gesprochen.
 

INTERVIEW BORIS MESSING  

 

CCB Magazin: Hallo Jakob, Hallo Markus, 2018 seid ihr zu dritt mit Groovecat, einer Video Social Media App, an die Öffentlichkeit gegangen, ein Jahr später habt ihr schließlich das Musik-KI Startup Cyanite gegründet. Erzählt doch mal, wer seid ihr und wie habt ihr euch kennengelernt?

Jakob Höflich: Wir haben uns 2014 im Masterstudium Musik- und Kreativwirtschaft an der Popakademie in Mannheim kennengelernt. Während des Studiums hatten wir schon einige Ideen bekommen. Es ging los mit der Idee für eine App, die dir zeigt, was für Musik die Menschen in deiner Umgebung hören. Du sitzt beispielsweise im Bus und denkst dir, ach, was hört die Person vor mir wohl für Musik, schaust in die App, siehst, dass sie hört, was du auch gern magst und kommst ins Gespräch. Das war so die Grundidee am Anfang. Dann kam Groovecat, unsere erste App für Musikmomente. Mit Groovecat lässt sich Musik mit einem Video verbinden, dass man aufnimmt, um einen besonderen Moment festzuhalten und mit anderen zu teilen.

CCB Magazin: Euer neues Startup Cyanite nutzt KI um Musik zu analysieren und zu empfehlen. Bitte erklärt doch mal, wie funktioniert das? Worin liegt der Anwendungsbereich?

Jakob Höflich: Bei Cyanite geht es darum, den einen perfekten Song für deine Zwecke zu finden. Der Algorithmus von Cyanite vergleicht dabei z.B. die emotionalen Profile von Abertausenden von Liedern, um die Suche zu spezifizieren. Sagen wir mal, du suchst einen Song wie „In the air tonight“ von Phil Collins, aber mit einer Frauenstimme, Gitarre statt Synthesizer und einer etwas ruhigeren Stimmung mit melancholischem Touch. Genau diesen einen Song suchst du.  Anhand von verschiedenen Parametern – Genre, Stimmung, Tempo, Klangfarbe usw. – kannst du nun diese Suche mit Cyanite eingrenzen, verfeinern und zum Ziel führen. Der Algorithmus filtert dir eine Auswahl möglicher passender Songs aus deiner Musikdatenbank und im Endeffekt geht es darum, die professionelle Arbeit mit Musik zu erleichtern.

Es wird immer diese Vollprofis wie Quentin Tarantino geben, die keine Musikempfehlungen durch eine KI brauchen. Es gibt aber auch eine extrem große Zielgruppe, für die ein Programm wie Cyanite ein Segen ist

Jakob Höflich. Foto: Maxim Abrossimow

CCB Magazin: Obwohl ihr noch nicht sehr lange existiert, konntet ihr schon einige Erfolge verbuchen. Wer ist eure Zielgruppe? An wen richtet sich euer Produkt?

Markus Schwarzer: Wir vertreiben unsere Technologie an verschiedene Unternehmen wie beispielsweise den SWR, RTL oder BPM Supreme aus den USA. Aber auch DJs und Musikverlage sind Kunden von uns. Cyanite arbeitet mit den Unternehmen über eine API-Schnittstelle zusammen. Die KI analysiert dabei ihre gesamte Musikdatenbank, so dass sich die Songs besser einordnen und kategorisieren lassen. Dadurch können Werbeproduzenten gezielter Lieder für ihre Werbeclips finden, Radiomoderatoren und DJs Songs für ihre Sets oder Musikverlage ihre Mediatheken effizienter katalogisieren. Kein Mensch hat Hundertausende von Songs im Kopf parat, die er mal ebenso miteinander vergleichen kann – Cyanite kann das.

CCB Magazin: Ok. Aber wie haben die Radio- und Fernsehsender ihre Mediatheken vorher organisiert? Vorher hat es ja anscheinend auch geklappt.

Markus Schwarzer: Händisch. Händische Verschlagwortung. Die einen haben dafür eine Armada an Praktikanten eingesetzt, andere wiederum, die Wert auf eine aufgeräumte Musikdatenbank legten, haben professionelle Musikwissenschaftler dafür eigestellt. Das ist auf Dauer gesehen jedoch kostspielig, und auch nicht besonders effizient. Bei uns zahlt man dagegen nur ein Monatsabo abhängig von der Größe der Datenbank, und die KI verbessert sich kontinuierlich durch das sogenannte Deep Learning. Wir haben beispielsweise vor ein paar Wochen für einen größeren Kunden 900.000 Songs in nur 15 Stunden analysiert.

CCB Magazin: Mal überspitzt gesagt, wozu braucht es so eine KI, um beispielsweise einen passenden Song für einen Werbeclip zu finden. Reicht da nicht die Intuition des Produzenten oder die Musikkenntnisse des Art Directors aus? Und überhaupt, wo bleibt der Spaß beim Selbstaussuchen eines Songs? Ich meine, Quentin Tarantino käme doch wohl auch nie auf die Idee, sich von einer KI die Songs für seine Filme vorschreiben zu lassen.

Markus Schwarzer: Quentin Tarantino macht auch nur alle paar Jahre einen Film. In dieser Zeit werden Tausende von anderen Filmen produziert. Und es geht ja gar nicht so sehr um Filme, Werbeproduktionen beispielsweise brauchen sehr viel mehr und schneller Musikcontent, auch Werbung auf Social-Media-Kanälen wie YouTube muss ständig mit Musik gefüttert werden. Eine von KI analysierte Datenbank garantiert dabei eine schnellere und vor allem gezieltere Auswahl, Cyanite professionalisiert also den Produktionsprozess. Gerade für Leute, die nicht so ein ausgeprägtes Musikverständnis haben wie Tarantino, ist das ein nützliches Tool. Musik lässt sich so einfach besser einschätzen.

Früher haben Musikverlage eine ganze Armada an Praktikanten eingestellt, um ihre Musikdatenbanken zu ordnen. Vor kurzem hat Cyanite für einen Kunden 900.000 Songs in nur 15 Stunden analysiert

Markus Schwarzer. Foto: Maxim Abrossimow

Jakob Höflich: Um das noch zu ergänzen. Es wird immer diese Vollprofis wie Tarantino geben, die so eine KI nicht brauchen für Musikempfehlungen. Es gibt aber auch eine extrem große Zielgruppe, für die so eine KI genau das richtige sein kann. Wenn du beispielsweise einfach mal aus Spaß bei Twitter den Hashtag „Finding music for my video“ oder ähnliche Hashtags eingibst, wird dir die Masse an Menschen bewusst, die über keine Expertise und keinen Überblick verfügen. Die denken sich, es gibt tausend verschiedene Plattformen, es gibt so viel Musik da draußen, wie soll ich da den einen Song finden, der zu meinem Video passt? Ich habe eine Deadline, es muss schnell gehen. Hier Cyanite zu nutzen, kann dabei sehr hilfreich sein. Zum Beispiel auch in Kombination mit Spotify.

CCB Magazin: Wie lässt sich Cyanite denn mit Spotify nutzen?

Jakob Höflich: Wir erstellen unsere Lösungen in der Hauptsache kostenpflichtig für Unternehmen. Es gibt aber auch die Möglichkeit in einer Free Version Cyanite zu nutzen und kleinere Musikdatenbanken von der KI analysieren zu lassen. Viele DJs, Komponisten, Musiker oder Produzenten nutzen das für sich. Und in diesem Kontext lässt sich Musik aus der Spotify-Mediathek analysieren oder auch dein Spotify-Mix des Jahres.

CCB Magazin: Ihr habt bereits erwähnt, dass sich die KI von Cyanite selbstständig durch Deep Learning verbessert. Das klingt irgendwie unheimlich, als wäre die KI ein eigenständiges Lebewesen. Könnt ihr überhaupt nachvollziehen, wie sich die KI verbessert?

Markus Schwarzer: Es ist tatsächlich schwierig dahinter zu schauen. Joshua Weikert, unser dritter Mitgründer im Bunde und Head of Technology, könnte das sicher besser erklären. Wie die KI zu ihren Urteilen kommt, lässt sich nur vermuten. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von einer Black Box. Die Aufgabe einer unserer Data Scientists, der auch Forschung in diesem Bereich betreibt, ist es auch, Entscheidungen und Urteile der KI nachvollziehbarer zu machen. So dass man beispielsweise erkennt, ah, wegen dieser Frequenz hat die KI den Song nun dieser Stimmung zugeordnet. Letzten Endes ähnelt der Prozess von Deep Learning dem des menschlichen Sammelns von Erfahrungen. So unheimlich ist das Ganze also nicht.

CCB Magazin: Cyanite analysiert die Songs nicht nur auf Ähnlichkeiten, sondern visualisiert sie auch, indem es ihre Struktur hinsichtlich verschiedener Parameter wie Stimmung, Tempo oder Tonlage auffächert. Wozu braucht es diese Visualisierung, hat man nicht ein natürliches Gespür für Lieder? Ich meine, ob ein Lied traurig oder fröhlich, schnell oder langsam ist, das kann ich doch selbst erkennen.

Markus Schwarzer: Klar, wenn du der Produzent von einem Song bist, kennst du den in- und auswendig. Unsere Kunden haben aber Musikdatenbanken mit 100.000 oder 200.000 Liedern, von denen auch nur wenige durchzuhören sehr viel Zeit in Anspruch nehmen würde. Durch das Taggen der Lieder, also das Aufbrechen ihrer Struktur hinsichtlich der verschiedenen Parameter, sieht man auf einen Blick, wie der Song aufgebaut ist. Hier ändert sich der Takt, dort ändert sich der Key usw. Oder wenn du zum Beispiel einen Song brauchst, der an dieser oder jener Stelle keine Percussion haben darf oder ein Crescendo haben muss, dann siehst du das im getaggten Song. Und so einen Tag anzuschauen, geht schnell, das Lied komplett durchzuhören, dauert. So lässt sich rasch einschätzen, was für den jeweiligen Zweck in Frage kommt und was nicht. Mit Cyanite lassen sich auch einzelne Abschnitte eines Songs analysieren und daraufhin nach ähnlichen Songs suchen. Dadurch lassen sich die Möglichkeiten, den passenden Song oder die passende Stelle eines Songs zu finden, erweitern.

CCB Magazin: Wie sieht es mit Konkurrenz aus, gibt es welche?

Jakob Höflich: Es gibt verschiedene Unternehmen wie Musiio, AIMS oder MusiMap, die auf dem gleichen Feld wie wir tätig sind. Die sind genau wie wir vor ein paar Jahren an den Start gegangen. Die KI-Technologie, mit der wir arbeiten, gibt es ja noch nicht so lange. Darum kommen auch erst jetzt Startups wie das unsere auf den Markt.

CCB Magazin: Apropos Markt. Was habt ihr noch vor, wie sieht die Zukunft von Cyanite aus?

Markus Schwarzer: Ich kann mir nicht vorstellen, dass in fünf Jahren irgendein Player der Musikindustrie diese Technologie nicht nutzt. Die KI verspricht einfach eine ganz klare Prozessoptimierung, da muss jeder mitziehen. Viele nutzen das bereits und viele der großen Player sind gerade dabei, zu entscheiden, in welcher Form sie solche KI-Systeme integrieren wollen. Manche forschen selbst daran. Und manche kommen zu uns.

Rubrik: Innovation & Vision

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