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Christian Kroll: „Als CO2-Absorbierer ist der Baum unschlagbar“

Christian Kroll: „Als CO2-Absorbierer ist der Baum unschlagbar“
Foto: © Ecosia

Wer sucht, der findet. Christian Kroll suchte auf einer Weltreise nach seinem Sinn des Lebens und erschuf Ecosia: Eine Suchmaschine, die Bäume pflanzt. Mit seinem Sozialunternehmen hat er großen Erfolg, und trotzdem: Kann Ecosia eine Antwort auf Googles Allmacht sein? Ein Gespräch mit Europas erstem Tech-Förster.
 

INTERVIEW   Boris Messing

 

CCB Magazin: Christian, du hast die Suchmaschine Ecosia 2009 nach einer Weltreise gegründet. Erzähl doch mal, wie kam es dazu?

Christian Kroll: Als ich 2007 mein BWL-Studium beendet hatte, wusste ich, dass ich in meinem Leben mehr machen will als nur Karriere. Ich wusste aber noch nicht genau, was und bin dann eben erstmal auf Weltreise gegangen, um den Sinn meines Lebens zu finden. Zuerst war ich ein halbes Jahr in Nepal, dann noch fast ein Jahr in Lateinamerika. Während dieser Zeit kam mir die Einsicht, dass ich Menschen helfen will, die nicht die gleichen Chancen haben wie ich - und dass ich außerdem die Natur unseres Planeten schützen möchte. In Südamerika bin ich stundenlang an Sojafeldern vorbeigefahren und habe mich gefragt, was denn da vorher stand. Das alles, die Monokulturen und die Armut in anderen Ländern, war mir natürlich schon vorher bekannt, aber es ist was ganz anderes, das mit eigenen Augen zu sehen als nur darüber zu lesen. Diese Reise war daher für mich sehr bedeutend. Mir wurde klar, ich will Menschen helfen, ich will etwas gegen den Klimawandel tun – und so kam es schließlich zu Ecosia.

CCB Magazin:In den Jahren 2008/2009 stand die Wirtschafts- und Finanzkrise im Fokus der Weltöffentlichkeit. Greta Thunberg hatte gerade angefangen, rechnen zu lernen. Dir war aber schon klar, dass der Klimawandel das dominante Thema des 21. Jahrhunderts sein wird?

Christian Kroll:Der Klimawandel war schon lange bekannt, im Grunde seit Jahrzehnten. Wenn man sich da einliest, wird das ziemlich schnell deutlich, auch schon vor zehn Jahren. Aber klar, das Thema hat es nicht immer in die Schlagzeilen der Medien geschafft. Doch die Abholzung und die Gefährdung der Wälder war auch schon vor zehn und zwanzig Jahren Thema und immer wieder in den Nachrichten.

Ich bin auf Weltreise gegangen, um meinen Sinn des Lebens zu finden. Während dieser Zeit kam mir die Einsicht, dass ich Menschen helfen will, die nicht die gleichen Chancen haben wie ich - und dass ich die Natur unseres Planeten schützen möchte. Ecosia verbindet beides

CCB Magazin:Ecosia unterstützt Baumpflanzaktionen auf der ganzen Welt. Bis heute wurden fast 155 Millionen Bäume gepflanzt. Warum Bäume und keine anderen Umweltschutzprojekte?

Christian Kroll:Warum Bäume? Ganz einfach, weil Bäume einen globalen Klimaeffekt haben, indem sie CO2 aus der Atmosphäre absorbieren. Und sie sind nicht nur besonders effektiv darin, sondern auch sehr kostengünstig. Als CO2-Absorbierer ist der Baum unschlagbar. Bäume haben darüber hinaus noch viele weitere positive Effekte. Nehmen wir als Beispiel ein typisches unserer Projekte: Wir sind oft in Entwicklungsländern aktiv und bezahlen Einheimische für die Pflanzaktionen, so schaffen wir Arbeit vor Ort. Die Menschen können auch längerfristig von den Bäumen profitieren; sie können beispielsweise die Früchte von Obstbäumen ernten; andere Bäume stärken das Ökosystem und tragen zur Fruchtbarkeit des Bodens bei. Bäume sind hervorragende Wasserspeicher und nützlich gegen Überschwemmungen. Wir versuchen immer darauf zu achten, regionale Projekte zu unterstützen, die die lokale Biodiversität insgesamt stärken. Das Geld fließt direkt in die jeweiligen Projekte, wir arbeiten kaum mit internationalen NGOs zusammen.


Oben und unten: Bäume pflanzen in Kenia. Foto: Ecosia.

CCB Magazin:Und wie lässt sich überprüfen, ob tatsächlich 155 Millionen Bäume gepflanzt wurden? Ihr kennt ja wohl nicht jeden einzelnen Baum, oder?

Christian Kroll:Doch, eigentlich schon. Wir wissen von jedem Baum, den wir gepflanzt haben, wo er steht. Nicht die exakte, aber die ungefähre Stelle. Wir haben an die 60 Baumpflanzaktionen in 15.000 verschiedenen geografische Orten, und wir wissen ziemlich genau, da und da haben wir so und so viel Bäume gepflanzt. Wir haben bei uns ein spezielles Baumpflanzteam und einen Chief Tree Planting Officer, die das alles managen und überwachen – per Satellit, per App und natürlich auch vor Ort.


Oben und unten: Bäume pflanzen im Senegal. Foto: Ecosia.

CCB Magazin:Ecosia finanziert sich wie alle Suchmaschinen über Werbeeinnahmen. Gleichzeitig seht ihr euch als Sozialunternehmen – das birgt einen potentiellen Interessenkonflikt. Darf denn jeder bei euch werben oder gibt es hierbei Einschränkungen?

Christian Kroll:Das stimmt prinzipiell, und das ist manchmal ein schwieriges Abwägen. Weniger Werbeeinnahmen bedeutet weniger Bäume pflanzen. Allerdings schließen wir einige Unternehmen kategorisch aus, darunter fallen Ölunternehmen und Waffenproduzenten. Es gibt aber auch Unternehmen, die wir zulassen, von denen ich moralisch nicht überzeugt bin, da braucht es oftmals einen Kompromiss. Wenn wir nur die „Guten“ Werbung schalten lassen würden, bliebe nicht mehr viel Geld übrig. Wichtig ist uns die Transparenz: Wir veröffentlichen jeden Monat unsere Finanzberichte, bei denen man einsehen kann wie viel wir verdient haben und wie viel wir ausgegeben haben. Da sieht man dann auch, an welche Organisationen das Geld geflossen ist.

CCB Magazin:Euer Geschäftsmodell ist eine Mischung aus gewinnorientiertem Unternehmen und NGO. 80 Prozent eurer Überschusseinnahmen fließen in Baumpflanzprojekte. Das ist zweifellos sehr gut für die Umwelt. Ist das aber nicht auch ein Hindernis für das Wachstum von Ecosia, da ein Großteil der Einnahmen nicht ins Geschäft reinvestiert wird?

Christian Kroll:Es sind ja 80 Prozent vom Gewinn, das heißt, wir können schon weiterhin Investitionen tätigen und wachsen. Wir haben die Ambition, möglichst viel Geld in die Baumpflanzaktionen zu stecken, aber natürlich ist es uns auch wichtig, mehr Nutzer zu bekommen, um die Reichweite zu erhöhen. Letzten Endes sind wir aber eine Purpose Company, wir werden nicht von irgendwelchen Investoren finanziert, der Naturschutz steht im Zentrum.

Google hat auf dem Suchmaschinenmarkt 97 Prozent Anteil, bei Ecosia sind es gerade einmal ein Prozent. Das ist eine Wettbewerbsverzerrung, das Kartellrecht hinkt Jahre hinterher. Wir könnten schon zehn Mal schneller wachsen, wenn es faire Wettbewerbsbedingungen gäbe

CCB Magazin:Ecosia nutzt den Such-Algorithmus von Bing, der zweitgrößten Suchmaschine nach Google. Wie funktioniert diese Kooperation? Ist Bing an Ecosia beteiligt?

Christian Kroll:Der Kern-Algorithmus ist von Bing, die Suche geht also vereinfacht gesagt von Bing aus, zusätzlich reichern wir die Suche mit eigenen Widgets an. In Zukunft wollen wir noch mehr Nachhaltigkeitskriterien in die Suche integrieren, was wir schon jetzt tun, das heißt, die Suchergebnisse auf Bing oder Ecosia sind ähnlich, aber nicht gleich. Ja, und warum stellt uns Bing seinen Algorithmus zur Verfügung? Wenn man sich den Suchmaschinenmarkt anschaut, stellt man fest, dass Google 97 Prozent Markanteil hat, Ecosia hat ein Prozent und Bing noch ein bisschen mehr. Bing versucht einfach mit einer Kooperation mit uns, seinen Marktanteil zu erhöhen. Microsoft wiederum, die mit Bing kooperieren, bekommt einen minimalen Teil unseres Umsatzes.

CCB Magazin:Ecosia hat weltweit 15 Millionen User monatlich, im Juni 2021 gingen bei Google alleine in den USA knapp 12 Milliarden Suchanfragen ein. In diesem Kontext von David gegen Goliath zu sprechen, wäre da fast schon eine Untertreibung. Seht ihr euch denn selbst als Konkurrenz zu Google?

Christian Kroll:Wir haben vielleicht hundert Millionen Suchanfragen pro Woche, aber du hast natürlich völlig recht, gegen Google sind wir ein Sandkorn in der Wüste. Google besitzt vor allem auch viele der Plattformen, zu denen wir einen besseren Zugang haben wollen wie beispielsweise Chrome, Android oder YouTube. Google festigt durch diese Plattformen seinen Marktanteil. Im Grunde ist das eine Wettbewerbsverzerrung, das Kartellrecht hinkt Jahre hinterher. Ich glaube, wir könnten schon zehn Mal schneller wachsen, wenn es faire Wettbewerbsbedingungen gäbe. Und trotzdem stellen wir eine Konkurrenz oder sagen wir besser Alternative zu Google dar. Unsere Glaubwürdigkeit in Sachen Klimaschutz ist unser Pluspunkt.

50 Suchen finanzieren einen Baum bei Ecosia. Unterm Strich wird so 5000-mal so viel CO2 absorbiert wie in die Luft geblasen wird. Außerdem haben wir Solarpanels verteilt auf Dächern in ganz Deutschland und sind dadurch CO2-negativ, das heißt, wir speisen Strom ins Netz ein

CCB Magazin:Christian, du hast vor Ecosia noch zwei andere Ökosuchmaschinen ins Leben gerufen, znout und Forestle. Mit beiden hast du mit Google kooperiert, im Fall von Forestle nur für sehr kurze Zeit. Wäre Google auch dein Wunschpartner für Ecosia gewesen?

Christian Kroll:Wie du schon sagst, die Kooperation war nur von kurzer Dauer. Aus wirtschaftlicher Sicht hat es keinen Sinn für Google gemacht. Natürlich wäre die Reichweite von Ecosia mit Google viel größer, für die Zukunft würde ich mir aber eher wünschen, mit verschiedenen Partnern zu kooperieren. Mal Google, mal Bing, mal wer anders. Aber leider müssen wir das Spiel der Großen spielen. Das Kernproblem liegt darin, dass Leute sich immer stärker auf die Google-Suchergebnisse verlassen und beeinflussen lassen. Google schlägt Buch XY vor und die Leute kaufen es. Das ist analog ungefähr so, als wenn es nur eine Nachrichtenseite gäbe. Das kann nicht gut sein.

CCB Magazin:Google selbst schätzte, dass eine Suchanfrage auf seiner Plattform 0,2 Gramm CO2 verursacht. Wie gleicht Ecosia seine durch Suchanfragen entstandenen CO2-Emissionen aus?

Christian Kroll:Kurz gesagt: Durch erneuerbare Energien. Wir haben Solarpanels verteilt auf Dächern in ganz Deutschland und sind sogar CO2-negativ, das heißt, wir speisen sogar Strom ins Netz ein. Basis unserer Kalkulation ist ebenfalls Googles Einschätzung des durchschnittlichen CO2-Ausstoßes pro Suchanfrage. Bei uns sind es ca. 50 Suchen, die einen Baum finanzieren. Ein Baum absorbiert ungefähr 50 Kilogramm CO2 am Tag, demgegenüber stehen 10 Gramm CO2, die durch 50 Suchanfragen bei Ecosia verbraucht werden. Anders ausgedrückt: es wird 5000-mal so viel CO2 absorbiert wie in die Luft geblasen.

Das Team von Ecosia. Foto: Ecosia.

CCB Magazin:Ecosia ist als Konzept einmalig. Überrascht es dich, dass niemand anderes zuvor auf diese Idee kam?

Christian Kroll:Es gibt noch ein paar kleinere Suchmaschinen, die sich für andere Dinge einsetzen. Die kennt nur keiner. Am Ende ist unser Erfolg unserem gut funktionierenden Team zu danken, und da bin ich auch stolz drauf.

CCB Magazin:Mal Hand aufs Herz, benutzt du niemals Google für deine Suchanfragen?

Christian Kroll:Doch, natürlich, ich benutze auch mal Google. Manche Sachen findet man auf Ecosia einfach nicht. Aber manchmal ist Ecosia auch besser! Gute 90 Prozent meiner Suchen mache ich dort.


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Rubrik: Innovation & Vision

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