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Lucas Knoflach: „Musik soll überall mitgedacht werden“

Lucas Knoflach: „Musik soll überall mitgedacht werden“
Foto: © Jonas Ersland

Was ist der Wert von Musik? Ökonomisch, gesellschaftlich, für die Kultur. Eine breit angelegte Studie mit verschiedenen Partnern wie Augsburg, Bremen, Köln oder die Region Hannover brachte Licht ins Dunkel. Präsentiert wurde sie von Lucas Knoflach, Geschäftsführer von Sound Diplomacy, auf der diesjährigen Most Wanted in Berlin. Wir sprachen mit ihm darüber.
 

INTERVIEW   Boris Messing

 

CCB Magazin: Hallo Lucas. Du bist seit Mai 2020 Geschäftsführer des deutschen Büros von Sound Diplomacy. Erzähl doch mal, was macht ihr bei Sound Diplomacy und was ist deine Aufgabe?

Lucas Knoflach: Sound Diplomacy ist eine globale Beratungsagentur, wir beraten Städte, Regionen, Länder, aber auch Organisationen weltweit, um das Musikökosystem und die Nachtwirtschaft weiterzuentwickeln. Wir arbeiten dabei primär in den Bereichen Musik und Nachtleben, aber auch im Bereich Kreativwirtschaft. Es geht dabei nicht nur um die Wertschöpfung, sondern auch um soziale und kulturelle Aspekte. Für Städte und Regionen wollen wir herausfinden, welchen Wert Musik und Nachtkultur für sie haben und wie man diese nachhaltig und gezielt weiterentwickeln kann.

CCB Magazin:In Kooperation mit der Initiative Musik und dem MusikZentrum Hannover habt ihr eine breit angelegte Studie zum Wert von Musik durchgeführt, die du auf der Most Wanted präsentiert hast. Welche Bereiche habt ihr dabei untersucht?

Lucas Knoflach:Wir haben insgesamt sieben Teilbereiche untersucht, einerseits die Kreativen, dann Musikveranstaltungen und Spielstätten, Musikaufnahmen und Musikverlage, öffentliche und private Musikschulen, Herstellung und Handel von Musikinstrumenten, den Hörfunk und Audiogeräte und Lautsprecher. Der Fokus lag dabei auf der ökonomischen Analyse. Dazu kamen weiche Faktoren, um auch den gesellschaftlichen Wert von Musik zu erfassen. Wir haben in diesem Kontext 28 Interviews mit verschiedenen Akteur*innen geführt.

Ziel der Studie war es, vergleichbare ökonomische Daten zum Musikökosystem auf regionaler Ebene zu erfassen. Gerade mit Blick auf die Städte und Regionen, die vielleicht sonst nicht im Fokus stehen, zeigt unsere Studie auf, welches Potential der Musikbereich hat, auch abseits der Musikmetropolen

CCB Magazin:Was sind die zentralen Ergebnisse eurer Studie?

Lucas Knoflach:In den betrachteten Gebieten beliefen sich die direkten Umsätze des Musikökosystems im Jahr 2019 auf 10,5 Mrd. Euro. Insgesamt sind in den Musikökosystemen der betrachteten Gebiete rund 84.600 Personen erwerbstätig. Zudem machen die Zahlen in der Studie die Verflechtungen des Musikökosystems mit der lokalen Wirtschaft deutlich. So führt 1 Euro Bruttowertschöpfung des Musikökosystems zu über 1,3 Euro Bruttowertschöpfung außerhalb des Musikökosystems. Festhalten lässt sich außerdem, dass für die Erwerbstätigkeit der Bereich Veranstaltung und Spielstätten am wichtigsten ist. Es arbeiten in diesem Bereich sehr viele geringfügig Beschäftigte und Selbstständige. Die Studie konnte zeigen, dass das Musikökosystem innerhalb der betrachteten Gebiete mit einem Umsatzwachstum von 22 Prozent zwischen 2014 und 2019 stärker gewachsen ist als die Gesamtwirtschaft mit rund 18 Prozent. Es konnten gebietsspezifisch positive und negative Trends aufgezeigt werden. Somit besteht eine Datengrundlage für zukünftige Entscheidungen.

CCB Magazin:In Berlin wird von vielen Seiten betont, dass die Clubscene ein Wesenskern der Stadt sei. Wie wichtig sind Musik und Clubs für den Tourismus?

Lucas Knoflach:Berlin war ja nicht in unserer Studie dabei. Aber es gibt eine Studie der Clubcommission, die bestätigt, wie wichtig die Clubszene für Berlin ist: Ein Viertel aller Touristen kommt wegen der Clubs nach Berlin. Jährlich erwirtschaften die Clubs einen Umsatz von rund 170 Millionen Euro. Allgemein kann man sagen, dass Musikerfahrung und Nachtleben nicht nur in Berlin eine zentrale Rolle im Tourismus spielen. Konzertangebote, Clubs usw. stärken immer auch die lokale Wirtschaft, angefangen von lokalen Künstler*innen und Veranstalter*innen bis hin zu Hotels und Gastronomie.

Das Musikökosystem innerhalb der betrachteten Gebiete wuchs mit einem Umsatzwachstum von 22 Prozent zwischen 2014 und 2019 stärker als die Gesamtwirtschaft mit rund 18 Prozent

CCB Magazin:Gibt es ein Ergebnis aus der Studie, das dich überrascht hat?

Lucas Knoflach:Die Ergebnisse zeigen auf, dass generelle Entwicklungen der einzelnen Teilbereiche des Musikökosystems nur eingeschränkt Rückschlüsse auf regionale Entwicklungen zulassen. Das lässt sich beispielsweise bei den Veranstaltungen und Spielstätten veranschaulichen: Im Studiendurchschnitt konnte dieser Bereich seine Bruttowertschöpfung um mehr als 20 Prozent steigern zwischen 2014 und 2019, jedoch zeigen die vorliegenden Ergebnisse, dass sich dieser Teilbereich regional sehr unterschiedlich entwickelt hat. So hat sich die Bruttowertschöpfung in einem Gebiet verdoppelt, während sie sich in einem anderen Gebiet halbiert hat. Dies zeigt, wie wichtig die Erhebung regionaler Zahlen ist, um auch die passenden Maßnahmen im Sinne von Förderungen und Strategien für die Weiterentwicklung des jeweiligen Musikökosystems treffen zu können. Ansonsten bestätigen die Zahlen der Studie viele Dinge, die charakteristisch für das Musikökosystem sind, wie beispielsweise die große Anzahl an Nano-Selbstständigen und freien Mitarbeiter*innen, vor allem in den Bereichen der Kreativen, Musikschulen und Veranstaltungen und Spielstätten. Durch die KSK-Daten, die sich auf die Kreativen und Musikschulen beziehen, sieht man, dass ein Gender Pay Gap zwischen Männern und Frauen weiterhin besteht, wobei letztere ein niedrigeres Einkommen erhalten.

CCB Magazin:Auffällig an der Studie ist auch, dass zwei wesentliche Kandidaten fehlen. Hamburg und Berlin, Deutschlands größte Musik- und Kulturzentren. Ist eine Studie über den Wert von Musik in Deutschland überhaupt aussagekräftig, wenn zwei der wichtigsten Gegenstände der Forschung fehlen?

Lucas Knoflach:Das Ziel der Studie war es, vergleichbare ökonomische Daten zum Musikökosystem auf regionaler Ebene zu erfassen, dessen Einfluss zu verstehen und auch Stärken und Schwächen zu identifizieren. Als Kooperationsprojekt gab es Interesse von verschiedenen Städten und Regionen, die sich der Studie angeschlossen haben. Für einige der Studienpartner*innen wurden zum ersten Mal umfassende Zahlen erfasst. Und mit Köln und München haben wir zwei sehr wichtige Musikhubs Deutschlands inkludiert, die Zahlen unterstreichen das noch mal. Ich bin überzeugt, dass jede Stadt und Region durch Investitionen in das Musikökosystem und eine umfassende Betrachtung von Musik profitieren kann. Gerade mit Blick auf die Städte und Regionen, die vielleicht sonst nicht im Fokus stehen, zeigt unsere Studie auf, welches Potential der Musikbereich hat, auch abseits der Musikmetropolen. 

Viele Musiker*innen haben ihren Job wegen der Pandemie an den Nagel hängen müssen. Das betrifft ebenso den Livebereich, wo Erwerbstätige wie Techniker*innen in andere Bereiche abgewandert sind und es zu Personalmangel kommen könnte, wenn das Konzertleben wieder anläuft und die Nachfrage steigt

CCB Magazin:Lassen wir mal das Ökonomische beiseite. In der Studie wird betont, dass auch der gesamtgesellschaftliche Wert von Musik erfasst werden soll. Lässt sich das überhaupt erfassen? Was kam dabei heraus?

Lucas Knoflach:Das ist ein spannendes Thema. Wie du schon sagst, das ist schwer zu erfassen und zu quantifizieren. Unbestreitbar spielt Musik eine wichtige Rolle in unserer Gesellschaft, aber es gibt dazu tatsächlich wenig harte Daten. Viel leichter ist es den ökonomischen Wert zu ermessen. Durch die Pandemie, kann man sagen, traten die sozialen und kulturellen Faktoren von Musik bzw. ihrer Abwesenheit im Livebereich, sehr in den Vordergrund. Es wurde deutlich, wie wichtig es den Menschen ist, Liveveranstaltungen genießen zu können oder gemeinsam zu musizieren. In der Pandemie sind dann wenig überraschend die Zahlen fürs Streaming hochgegangen. Auf der anderen Seite haben sehr viele Musiker*innen ihren Job an den Nagel hängen müssen oder sich für einen anderen, sichereren Beruf entschieden. Das ist bedauerlich. Das betrifft ebenso den Livebereich, wo Erwerbstätige wie Techniker*innen in andere Bereiche abgewandert sind und es zu Personalmangel kommen könnte, wenn das Konzertleben wieder anläuft und die Nachfrage steigt.

CCB Magazin:Heißt das, dass die Pandemie zu einer Art Flurbereinigung im Musikbereich geführt hat? Und wenn ja, was bedeutet das für den ökonomischen und sozial-kulturellen Wert von Musik?

Lucas Knoflach:Insgesamt lässt sich ein höheres Bewusstsein für den Wert erkennen. In vielen Bereichen hat die Pandemie aber auch Probleme offenbart und verstärkt, die bereits vor der Krise existierten. Hier muss angesetzt werden, um langfristig Veränderungen voranzutreiben, um das Musikökosystem in Städten und Regionen zu stärken, bessere Konditionen für Musiker*innen zu schaffen, Räume zu sichern und bereitzustellen, und insgesamt bessere Rahmenbedingungen zu schaffen. Davon profitiert nicht nur das Musikökosystem, sondern die Gesamtwirtschaft und die Gesellschaft. Musik soll überall mitgedacht werden.


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