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Es duftet!

Es duftet!
Foto: © MartinDiepold_klein

Wer fühlen will, muss riechen. Menschen in Fernbeziehungen leiden oft daran, dass sie den anderen nicht riechen können, um sich zu spüren. Ein gebrauchtes Kleidungsstück kann dem olfaktorischen Gedächtnis dabei auf die Sprünge helfen – aber nur für kurze Zeit. Die Designerin Essi Johanna Glomb hat das erforscht und versucht, individuelle Gerüche in Textilien zu integrieren, um Fernbeziehungen wieder näher zu bringen. Kann das gelingen? Und wie funktioniert das überhaupt? Ein Gespräch mit der Erfinderin.
 

INTERVIEW   Boris Messing

 

CCB Magazin: Hallo Essi, du bist selbstständige Designerin und forschst und lehrst an der Kunsthochschule Weißensee. Worauf liegt dein Fokus?

Essi Johanna Glomb: Mich interessiert Design vor allem als Schnittstelle von Gestaltung, Wissenschaft und Gesellschaft. Ich forsche auch in diese Richtung - mit einem künstlerischen Anklang. Was mich grundsätzlich interessiert sind weniger einzelne Produktentwicklungen als gesellschaftliche oder kulturelle Probleme, die sich mittels Designs adressieren lassen. Das können einfach nur Impulse sein oder auch Lösungsvorschläge. Textil ist dabei mein Hauptmedium, weil ich finde, dass sich darüber vieles transportieren lässt.

CCB Magazin:Du hast eine Idee erforscht, wie sich Gerüche mit Textilien verbinden lassen, um Fernbeziehungen näher zu bringen. Wie bist du auf die Idee von „Smell Memory Tools“ gekommen?

Essi Johanna Glomb:Es ist eine Recherche, die ich schon 2015 mit meiner Kollegin Rasa Weber begonnen habe. Uns war aufgefallen, dass in unseren Freundeskreisen viele Fernbeziehungen führten und nicht wirklich glücklich waren mit den kommunikativen Mitteln, die ihnen zur Verfügung standen, um die Ferne zu überbrücken. Gleichzeitig war Rasa in der Zeit in Kopenhagen und wir führten quasi selbst eine berufliche Fernbeziehung miteinander. Wir haben dann auch Interviews gemacht mit Menschen in Fernbeziehungen, die unsere Beobachtung bestätigten. Die digitalen Kommunikationsmöglichkeiten machen die Fernbeziehung nicht unbedingt leichter, ja, vergrößern mitunter sogar die Distanz. Auch meine Eltern hatten 15 Jahre lang eine Fernbeziehung, er war in Finnland, sie in Deutschland. Meine Recherche hatte also auch einen familiären Hintergrund. Das, was den Leuten am meisten fehlt, sind immer die gleichen Sachen: die Berührungen und die Gerüche des anderen. Und so kam ich dann auf die Idee, Gerüche mit Textilien zu verbinden – um, wie du sagst, Fernbeziehungen wieder näher zu bringen.

Die digitalen Kommunikationsmöglichkeiten machen Fernbeziehung nicht leichter. Was den Leuten fehlt, sind immer die gleichen Sachen: die Berührungen und Gerüche des anderen. So kam ich auf die Idee, Gerüche mit Textilien zu verbinden – um Fernbeziehungen wieder näher zu bringen

CCB Magazin:Wie bist du mit der Recherche vorgegangen? Früher hat man sich einfach ein T-Shirt vom Freund oder der Freundin geschnappt und mitgenommen, um daran zu riechen, wenn man den anderen vermisste. Lässt sich denn der individuelle Duft eines Menschen überhaupt ins Textil integrieren?

Essi Johanna Glomb:Wie du schon angedeutet hast, das olfaktorische Gedächtnis ist sehr viel tiefer als das visuelle und kann starke Reaktionen hervorrufen. Gerüche sind emotional, Gerüche durchdringen einen. Darum riecht man so gern am Kleidungsstück des oder der Liebsten. Aber der Geruch hält sich leider nicht lange im Kleidungsstück. Historisch gesehen gab es dagegen das parfümierte Taschentuch der Geliebten. Und an diese Idee wollte ich anknüpfen. Den individuellen Geruch eines Menschen festzuhalten ist nämlich gar nicht so einfach. Zuerst einmal, was ist der individuelle Geruch eines Menschen? Er wird beeinflusst durch Parfüms, Deos, Cremes, Haargel oder Essen, so gesehen gestaltet sich das schon einmal schwierig, und auch chemisch gesehen, ist das schwer realisierbar. Es gibt zwar Maschinen, die die molekulare Struktur von Gerüchen aufnehmen und nachbauen können. Aber ich wollte mehr als nur einen Geruch in ein Textil integrieren. Also musste ich mir was anderes überlegen.

CCB Magazin:Und was?

Essi Johanna Glomb:Ich wollte eine Art von Ritual schaffen. Ein Ritual, durch das die Pärchen gemeinsam einen Duft für sich zusammenstellen, den sie dann mit sich verbinden. Die Erinnerung des Moments der gemeinsamen Kreierung sollte diese Verbindung verstärken. Ich habe mich da von der Madeleine-Szene bei Marcel Proust inspirieren lassen. Der Protagonist beißt im Roman in eine Madeleine und seine Kindheit kommt mit voller Wucht in sein Bewusstsein zurück. Und so ist es ja auch mit vielen Gerüchen, die uns plötzlich überraschen können und eine alte, tief verborgene und sehr lebendige Erinnerung von früher wachrufen.

Das olfaktorische Gedächtnis ist sehr viel tiefer als das visuelle und kann starke Reaktionen hervorrufen. Gerüche sind emotional, Gerüche durchdringen einen

CCB Magazin:Und das hat funktioniert? Wie genau lief dieses Ritual ab? Das klingt ja etwas Mysteriös.

Essi Johanna Glomb:Ich habe mich in diesem Kontext intensiver mit Olfaktorik beschäftigt und mit einem Psychologen aus Sydney zusammengearbeitet, der ganz spannende Studien und Experimente dazu macht. Ursprünglich ging es dabei um Menschen mit Geruchsstörungen, die er therapierte. Er versuchte in seinen Studien, Farben und Formen bestimmten Gerüchen zuzuordnen und ließ seine Patienten Gerüche zeichnen. Seine Idee habe ich dann für mein Ritual adaptiert. Ich habe Workshops mit Paaren aus Fernbeziehungen gemacht, die sich individuelle Düfte zusammengestellt und diese Düfte dann gezeichnet haben. Ihre abstrakten Zeichnungen wiederum waren die Vorlage für texturierte Decken, die ich im nächsten Schritt als Gestrick umgesetzt habe. Ich habe dadurch versucht, das olfaktorische Erlebnis mit einem visuellen Erlebnis zu verknüpfen, um so den gemeinsamen Moment zu verstärken.



Oben: Abstrakte Zeichnungen übersetzt in Textil. Unten: Riechen und fühlen. Fotos (oben): EssiGlomb, Foto (unten): SvenGutjahr

CCB Magazin:Für dein Forschungsprojekt hast du auch mit dem Fraunhofer Institut für angewandte Polymerforschung in Potsdam zusammengearbeitet.

Essi Johanna Glomb:Genau. Als Ausgangspunkt für das Ritual habe ich eine Toolbox mit sechs verschiedenen Gerüchen entwickelt, aus denen sich wiederum neue Geruchskombinationen mischen lassen. Ähnlich wie bei einem Parfum eigentlich. Diese Toolbox war die Basis für die Workshops. Die von den Paaren kombinierten Essenzen bzw. Öle wurden dann am Fraunhofer IAP in einem speziellen Verfahren mikroverkapselt und das Textil letztlich damit imprägniert. Durch Reibung wird der Duft freigesetzt, der sich sehr lange im Stoff hält, sogar mehrere Monate lang. Das Textil lässt sich immer wieder re-imprägnieren, um den Duft zu erneuern. Um diese besondere Eigenschaft zu erreichen, brauchte ich eben die Hilfe vom Fraunhofer Institut.

CCB Magazin:Ich tue mir etwas schwer mit der Vorstellung, dass ein einmaliges Geruchserlebnis schon zu so einem vertrauten gemeinsamen Geruch werden kann. Wie war denn das Feedback der Paare, mit denen du die Workshops gemacht hast? Wie viele Paare waren es insgesamt?

Essi Johanna Glomb:Zuerst einmal: das Geruchsgedächtnis ist unglaublich präzise. Du kannst einen Geruch einmal kurz wahrgenommen haben und schon ist er gespeichert. Die emotionale Verbindung mit dem Geruch entsteht natürlich nicht sofort, sondern kommt erst mit der Zeit. Der Prozess ist sehr umfangreich, ich habe die Workshops darum auch nur mit einer kleinen Gruppe von ungefähr zehn Paaren durchgeführt bisher. Das Feedback war sehr positiv und ich habe auch schon weitere Anfragen für Workshops bekommen. Also, die Workshops haben eine bleibende emotionale Erinnerung hinterlassen. Die Ergebnisse der Zeichnungen und Gerüche wurden anschließend auch ausgestellt.

CCB Magazin:Was für ein Textil hast du verwendet und wie hast du es verarbeitet?

Essi Johanna Glomb:Das Verfahren, mit dem ich das Textil erstellt habe, nennt sich Jacquard-Strick. Damit kann man freie Muster kreieren, die sich auch on-demand realisieren lassen. Als Material habe ich Merinowolle und Viskose verwendet, da die Materialeigenschaften gut geeignet sind, um die Imprägnierung aufzunehmen, und sich gut anfühlen. Die Gestricke habe ich im Knitwearlab Amsterdam an industriellen Maschinen umsetzen lassen, nachdem ich zuvor selbst zahlreiche Experimente an kleineren Flachbettstrickmaschinen gemacht habe. Die digitale Programmierung für die industrielle Umsetzung ist komplex und nimmt viel Zeit in Anspruch.


Toolbox und Pipette - so entstehen die individuelle Gerüche. Foto: EssiGlomb

CCB Magazin:Lässt sich deine Idee kommerzialisieren?

Essi Johanna Glomb:Natürlich ist das Ganze eine sehr konzeptuelle Arbeit und kein Produkt, das man von der Stange kaufen kann. Das war aber auch gar nicht mein Anspruch. Es ging mir darum, einen Impuls zu setzen, dieses Thema der Fernbeziehungen durch Design anzusprechen. Nicht zuletzt war es auch ein künstlerisches Statement. Im Kontext von Corona arbeiten wir zudem gerade an verschiedenen Ausstellungsmöglichkeiten, um meine ursprüngliche Idee mit den Gerüchen auf andere Konzepte zu übertragen.

CCB Magazin:Ok, aber was kostet denn so eine individuelle Duftdecke?

Essi Johanna Glomb:Unterschiedlich, das hängt von der Größe des Textils ab. Aber die reinen Produktionskosten so einer Decke liegen bei ungefähr 600 Euro. Die Paare, mit denen ich die Workshops gemacht habe, mussten aber nichts dafür zahlen. Die Arbeit am Fraunhofer Institut konnte ich glücklicherweise ohne Kosten realisieren, die fanden die Idee spannend und haben mich deshalb unterstützt.

Aus der Zusammenarbeit von Kunst und Wissenschaft können gute, innovative Dinge entstehen. Design driven innovation - so nenne ich es

CCB Magazin:Was war der Anreiz für das Fraunhofer Institut bei deiner Projektentwicklung mitzuhelfen?

Essi Johanna Glomb:Das ist eben das Spannende an der Sache, der Dialog zwischen Design und Wissenschaft. Dieser Austausch kann sehr fruchtbar sein, weil er Impulse setzt oder sogar Lösungen schafft. New Blue, die aus alten Jeansresten neue Jeans machen, ist ein gutes Beispiel dafür. Die haben mit einem Textilforschungsinstitut zusammengearbeitet. Sprich, aus der Zusammenarbeit von Kunst und Wissenschaft können gute, innovative Dinge entstehen. Design driven innovation, wie ich es gerne nenne.

CCB Magazin:Du hast außer deiner Lehrstelle auch noch ein eigenes Designstudio zusammen mit Rasa Weber – Studio Blond & Bieber. Was entwickelt ihr da?

Essi Johanna Glomb:Das Studio ist tatsächlich etwas kommerzieller ausgerichtet und beschäftigt sich mit der Entwicklung nachhaltiger Textilien im Kontext Mode und Interior. Wir haben Farbstoffe aus Algen und anderen natürlichen Reststoffen entwickelt und bringen diese in unterschiedliche Anwendungen. Das Thema Nachhaltigkeit ist zurzeit ja sehr aktuell und meiner Meinung auch das wichtigste in der Textilbranche.

CCB Magazin:Essi, vielen Dank für das Gespräch.


 

 

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