Digitalisierung, Corona Zurück

Elisabeth Caesar: "Mit SPECTYOU verfolgen wir ein demokratisches Prinzip"

Schwerpunkt Streaming für die Darstellenden Künste

Elisabeth Caesar: "Mit SPECTYOU verfolgen wir ein demokratisches Prinzip"
Foto: © Sebastian Graf

Mitten in der Corona-Krise brachte Elisabeth Caesar SPECTYOU auf den Weg, die erste Streaming-Plattform für den Bereich Darstellende Kunst im deutschsprachigen Raum: Tänzer, Theatermacher, Performer und Kunstinteressierte versammeln sich im Netz. Wie funktioniert Streaming im Bereich der Darstellenden Künste? Lässt sich damit Geld verdienen? Um was geht es? Ein Gespräch mit der Gründerin.
 

INTERVIEW   JENS THOMAS    undBoris Messing

 

CCB Magazin: Hallo Elisabeth, vor über einem Jahr haben wir dich und SPECTYOU im CCB Magazin vorgestellt. Ihr seid damals als die erste Streaming-Plattform für die Darstellenden Künstler online gegangen. Bring uns auf den neuesten Stand: Wie funktioniert die Plattform heute? Was ist ihr Zweck? 

Elisabeth Caesar: SPECTYOU ist eine neue ortsunabhängige Vernetzungsplattform für Theaterschaffende. Hochgeladen werden können Videoaufzeichnungen von deutschsprachigen Produktionen aus den Bereichen Tanz, Schauspiel und Performance – in voller Länge und kostenlos. Wir bieten dazu den sicheren Ort, technologisch auf dem neuesten Stand. Unser Ziel ist es, die Reichweite der Darstellenden Künste zu vergrößern. 

CCB Magazin:Wie hat sich die Plattform bisher entwickelt? 

Elisabeth Caesar:Anders als die Pandemie hat sich SPECTYOU nicht in Schüben, sondern stetig weiterentwickelt. Jeden Tag kommen neue Nutzer_innen hinzu. Mit der Einführung der Bezahlfunktion Mitte Februar hat sich diese Entwicklung deutlich beschleunigt. Gleiches erwarten wir von den neuen Features, die jetzt kurz vor dem Release stehen: Text-Chat zu den Videos sowie Zoom-Konferenzen für Publikumsgespräche sind direkt auf der Videoseite integriert. Inzwischen haben wir über 5000 registrierte User_innen, die für ein selbstgewähltes Eintrittsgeld die Videos ansehen können. Wir zeigen regelmäßig Livestreams mit mehreren Hundert ‒ einmal auch 2000 ‒ Zuschauer_innen. Im Hintergrund hat sich aber auch einiges bewegt. Zum Beispiel haben wir Video-Portale für die Jury des deutschen Theaterpreises Der Faust oder die Zentralen Vorsprechen der staatlichen Schauspielhochschulen umgesetzt. Diesen Weg, auf dem wir uns als zentrale Plattform für alle digitalen Theaterbelange verstehen, werden wir in den kommenden Monaten und Jahren weiterverfolgen.

So sieht SPECTYOU aus. www.spectyou.com

CCB Magazin:Jetzt ist Pandemie, morgen – hoffentlich – wieder Normalität. Gehen die Leute dann nicht wieder einfach ins Theater - live, vor Ort, in Echtzeit: Ist das Ende der Pandemie auch das Ende von Streaming-Plattformen?

Elisabeth Caesar:Nein, ganz sicher nicht. Das eine schließt das andere ja auch nicht aus. SPECTYOU stellt einen exklusiven Rahmen dar, in dem Wissenstransfer geschieht. Ich bin selbst Theaterfrau, und das Bedürfnis bei meinen Kolleg_innen wie auch bei privaten Theaterinteressierten liegt auf der Hand: Wir alle wollen Theater ‒ obwohl wir selbstverständlich das Vorort-Erlebnis bevorzugen ‒ auch unabhängig von Zeit und Ort sehen können. Theater und Gruppen möchten über ihre regionale Reichweite hinweggesehen werden, das Publikum kann durch SPECTYOU vergrößert werden. Auf SPECTYOU können Stücke in ganz Europa gesehen werden und je nach Einstellung und Rechtslage auch weltweit. Gruppen, die beispielsweise zu einem ähnlichen Thema arbeiten, möchten sich untereinander vernetzen und austauschen. Schauspieler_innen möchten gescoutet werden und Bühnenbildner_innen möchten ihre Bühnenbildmodelle oder Moodboards hochladen. Im deutschsprachigen Raum werden jährlich 8.500 unterschiedliche Produktionen gezeigt. Es gibt insgesamt 1.000 Bühnen in Deutschland, 65.000 Theaterprofis und 25 Millionen Theaterzuschauer bundesweit. Wir möchten Live-Erlebnisse ja nicht ersetzen, wir wollen aber ein erweitertes Angebot schaffen und Interesse wecken.

Ich bin selbst Theaterfrau, und das Bedürfnis bei meinen Kolleg_innen wie auch bei privaten Theaterinteressierten liegt auf der Hand: Wir alle wollen Theater ‒ obwohl wir selbstverständlich das Vorort-Erlebnis bevorzugen ‒ auch unabhängig von Zeit und Ort sehen können

CCB Magazin:Welche Möglichkeiten habe ich als Theatermacher oder Theatermacherin, um ein Video hochzuladen? Wie ist der Verteilungsschlüssel auf eurer Plattform: was von den bezahlten Abos bekommen diejenigen, die ein Stück hochgeladen haben? Und was ist der Anreiz fürs Hochladen?

Elisabeth Caesar:Für die Präsentation von Videos bieten wir zwei Modelle an: Zum einen kurzzeitig verfügbare Videos, sei es Aufzeichnungen oder Livestreams, bei denen die Theater ihre Produktionen zeigen und Tickets verkaufen können. Zum anderen unser digitales Archiv, in dem wir hochwertige Stückaufzeichnungen aller Art sammeln und dauerhaft zugänglich machen. Hier ist der Upload kostenlos, SPECTYOU trägt neben der aufgebauten Infrastruktur auch etwa anfallende Lizenzgebühren und zahlt 20 Prozent der eingenommenen Gebühren an die Theater aus. Bei den kurzzeitig verfügbaren Videos erhalten die Uploader 95 Prozent des Umsatzes, zahlen eine Grundpauschale und 50,- Cent pro Ticket an SPECTYOU. Diese Kategorie ist insbesondere durch Corona entstanden: Die Theater haben kaum eine andere Möglichkeit, sich aktuell zu präsentieren. Theater muss weiterleben. Die Einnahmen, die bei SPECTYOU bleiben, fließen in die Aufrechterhaltung wie in die Weiterentwicklung der Plattform, beispielsweise in technische Werkzeuge für hybride Formate, Community-Funktionen, erweiterte Suchfunktion, pädagogische und wissenschaftliche Erweiterungen sowie einen europaweiten mehrsprachigen Release mit Untertitel-Optionen.

CCB Magazin:Performances und Stücke gibt es auch auf Mediatheken wie Arte – in sehr guter Qualität und guten Kameraeinstellungen. Ist das eine Konkurrenz für euch?

Elisabeth Caesar:Wir sehen darin keine Konkurrenz. Auf SPECTYOU kann Theater deutlich interaktiver gestaltet werden: Mit einer Live-Chat-Funktion und einem Conferencing Tool haben die Zuschauer_innen die Möglichkeit, aktiv am Theater teilzunehmen. SPECTYOU versteht den Katalog auch als ein begehbares Archiv. Die Stücke sind für einen möglichst langen Zeitraum abrufbar, anders als bei den bekannten Mediatheken. Unser Ziel ist eine ganzheitlich angelegte Plattform, auf der Theaterschaffende, Studierende, Pädagog_innen, Wissenschaftler_innen und alle Theaterinteressierte Profile anlegen können, sich vernetzen und über Kunst austauschen können, wo man nachvollziehen kann, wer wann mit wem zusammengearbeitet hat und wo auch Hintergrundinformationen einsehbar sind, wie beispielsweise Programmhefte.

Auf SPECTYOU kann Theater deutlich interaktiver gestaltet werden: Mit einer Live-Chat-Funktion und einem Conferencing Tool haben die Zuschauer_innen die Möglichkeit, aktiv am Theater teilzunehmen. SPECTYOU versteht den Katalog auch als ein begehbares Archiv

CCB Magazin:Es mag 1000 Bühnen und 65.000 oder mehr Theaterprofis geben, die Creme de la Creme ist dann aber doch deutlich kleiner. Wollen die Leute nicht nur das sehen, was auch wirklich herausragt?

Elisabeth Caesar:Aus Erfahrung kann ich klar sagen: nein. SPECTYOU kuratiert bewusst keine Stücke, denn wir verfolgen ein demokratisches Prinzip. Bekannte Gruppen und Theater stehen neben unbekannteren Gruppen und Theatern. Es gibt verschiedene Motivationen, sich ein bestimmtes Stück ansehen zu wollen. Klar, manchmal ist es auch der Name eines Theaterhauses oder einer Gruppe, aber oftmals ist es auch das Thema, ein_e Schauspieler_in oder schlicht und ergreifend die Neugierde, Unbekanntes entdecken zu wollen. Als Theater nur analog stattgefunden hat, da waren es meist die monetär besser dastehenden Gruppen und vor allem Häuser, die viel besucht wurden, weil schlicht und ergreifend die Zeit nicht gereicht hat, um sich in Buxtehude umzusehen. Jetzt kann man das mit einem Klick tun und ich bin davon überzeugt, dass über diese neue Möglichkeit des Informationsaustausches in Zukunft mehr Leute zu weniger bekannten Orten reisen werden, um qualitativ hochwertiges, überraschendes und inspirierendes Theater zu erleben.

CCB Magazin:Ein Kritikpunkt an den großen Streaming-Diensten ist immer wieder, dass für die Künstler am Ende wenig übrigbleibt. Wie werden Künstler an SPECTYOU finanziell beteiligt? Und was verdient ihr selbst daran?

Elisabeth Caesar:Das primäre Ziel ist es zunächst nicht, finanzielle Gewinne zu erzielen. Es geht um Selbstermächtigung, darum, nicht alles Google & Co. zu überlassen. Und der Wert für die Theater liegt zudem darin, dass die Plattform kostenloses Marketing für Theaterschaffende betreibt. Wir machen Tanz und Theater einem breiten Publikum zugänglich. Wir haben so viel begeisterten Zuspruch von unterschiedlichsten Seiten bekommen. Darum gehen wir davon aus, dass sich SPECTYOU irgendwann auch finanziell lohnt. 

CCB Magazin:Ihr wart bei uns in der Kreativwirtschaftsberatung und habt euch über mögliche Finanzierungswege informiert. Welche Wege seid ihr im Anschluss gegangen? Und wie wollt ihr SPECTYOU langfristig finanzieren? Habt ihr einen Plan?

Elisabeth Caesar:Natürlich haben wir einen Plan! In der Beratung haben wir gemeinsam eine Strategie erarbeitet. Allerdings stellte es sich als schwierig heraus, in Berlin eine entsprechende Förderung zu erhalten. Für eine Kunst- und Kulturförderung arbeiten wir nicht projektbasiert genug und sind für die momentanen Förderkriterien zu technologisch ausgerichtet. Aktuell arbeiten wir mit einem der Größe des Projektvorhabens entsprechendem Startkapital. Wir verzichten aber bewusst auf Werbung, das halten wir im künstlerischen Kontext nicht für angemessen. Letztlich soll die Plattform irgendwann durch die Abonnements getragen werden. Wir möchten eine sorgfältige und freie Betreuung gewähren – und das geht nur, wenn wir langfristig unabhängig von den Interessen großer Geldgeber sind. 

CCB Magazin:Zu guter Letzt: Was steht Neues bei SPECTYOU an?

Elisabeth Caesar:Im Oktober findet auf SPECTYOU und bei unserem Partner “Digitale Bühne” in Zusammenarbeit mit dem Theater Rampe ein hybrides Festival, also ein analoges und digitales Festival, statt. Hier beschäftigen wir uns mit den neuen digitalen Möglichkeiten und fragen uns unter anderem als Theatermacher_innen und als Zuschauer_innen: Welche Tools können zu welchem Zweck genutzt werden, und welche neuen Narrative können so entstehen? Zudem soll zu den bestehenden Kategorien die Kategorie “Labor” hinzugefügt werden. Hier hoffe ich sogar darauf, dass gewisse Standards gebrochen werden und experimentelle Ansätze neue Formate ermöglichen. Dazu gehört selbstverständlich auch die Kameraeinstellung. Gerade bei rein digitalen Formaten muss es nicht eine rein “abgefilmte” Produktion sein. Die Tendenz geht viel stärker in Richtung Interaktion und Partizipation. Viele Theater und Gruppen machen sich hierzu schon spannende Gedanken. Wir werden es sehen.


 

 

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