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Alles Lauge oder was?

Alles Lauge oder was?
Foto: © Manuela Lingau

Lignin ist nach Cellulose das zweithäufigste Biopolymer auf der Erde. Es lässt sich aus der Schwarzlauge extrahieren und gibt den Bäumen ihre Festigkeit. Bis heute wird es fast ausschließlich verbrannt – zur Stromerzeugung. Zwei Designer aus Berlin dachten sich, da geht doch mehr, und haben das Projekt BLACK LIQUOR ins Leben gerufen. Ihr Ziel: mit biologisch abbaubaren Produkten auf Lignin-Basis erdölbasierte Kunststoffe ersetzen. Kann das klappen? Wir haben mit Projektinitiatorin Esther Kaya Stögerer darüber gesprochen.
 

Text Boris Messing

 

Es ist ein sonniger Maitag in Berlin, als wir uns vor dem Hintereingang des Kunstgewerbemuseums zum Gespräch treffen. Esther Kaya Stögerer, ganz in schwarz gekleidet, kommt mit dem Rad aus Friedrichshain angefahren und begrüßt mich durch die Maske mit einem gut gelaunten „Hallo“. Ein leichter österreichischer Akzent schwingt in ihrer Stimme mit. Steiermark, wie sie mir sofort verrät. Hier im Kunstgewerbemuseum wird sie zusammen mit Jannis Kempkens ihr Projekt BLACK LIQUOR ausstellen, an dem sie über ein Jahr lang geforscht haben. 

Wir gehen am Pförtner vorbei durch gedimmte, schlichte Räume, wo dies und das herumsteht, durch die Gedärme des Museums, die man sonst nicht zu Gesicht bekommt. Denn noch sind die Vordertüren geschlossen, aber bald schon werden sie fürs Publikum geöffnet sein – mittels Zeitfensterticket und Corona-Test. In der Reihe „Design Lab“ wird dort von Mitte Juni bis Ende August eine Ausstellung zu sehen sein, die sich mit dem Thema Design und Kreislaufwirtschaft befasst. BLACK LIQUOR ist ein Projekt davon. Es wurde 2020 mit dem „Form Progress Award“ ausgezeichnet und entstand in einer Kooperation mit dem Greenlab der Kunsthochschule Weißensee und dem Fraunhofer-Institut für Holzforschung, Wilhelm-Klauditz-Institut (WKI) in Braunschweig. Gefördert wurde es durch das Fraunhofer-Netzwerk „Wissenschaft, Kunst und Design“.


Foto: Esther Kaya Stögerer, Jannis Kempkens

Wir kommen im Ausstellungsraum an, der noch nicht ganz hergerichtet ist; Sonnenstrahlen fluten von außen durch die großen Fenster und tauchen alles in ein weiches Licht. Eine der Kuratorinnen ist eifrig am Herumräumen und bastelt uns aus Pappkartons zwei Hocker, mit denen wir uns neben den Ausstellungsbereich von BLACK LIQUOR setzen. Dort stehen bereits die Proben ihres Produkts, Platten und Petrischalen voll mit Fasern, Pulvern, Kaffeesatz – aber dazu kommen wir noch gleich. Durch die Masken klingt das Sprechen dumpf, gelächelt wird mit den Augen.

Esther erklärt, wie es überhaupt zu dem Projekt kam. Sie habe Jannis im „Grundlagenjahr“ an der Kunsthochschule Weißensee kennengelernt, wo sie auch beide eine Zeit lang im Allgemeinen Studierenden-Ausschuss tätig waren. Zuvor habe sie mit zwei Designern an einem anderen Projekt gearbeitet, das sie schließlich auf die Idee mit BLACK LIQUOR gebracht habe. In dem Projekt ging es um die Frage, was eigentlich mit alten Holzwerkstoffen wie MDF oder Spanplatten passiert, wenn diese entsorgt werden müssen. Diese Holzwerkstoffe werden nämlich durch synthetische Bindemittel verbunden und müssen daher oft als Sondermüll entsorgt werden. So stieß Esther indirekt auf Lignin, denn Lignin ist nichts anderes als ein natürliches Bindemittel. Nach Cellulose, die zur Papierherstellung gebraucht wird, ist es das zweithäufigste Biopolymer der Erde. Es gibt Bäumen und anderen pflanzlichen Geweben Druckfestigkeit und Stabilität. Stirbt ein Baum, verrottet es im Wald, indem es von Pilzen zersetzt wird.

BLACK LIQUOR, sagt Esther Kaya Stögerer, habe das Potential umweltschädliche Kunststoffe zu ersetzen. Produkte auf Lignin-Basis könnten im Wald verrotten und so zurück in den natürlichen Kreislauf fließen

Lignin wird aus der Schwarzlauge (englisch: Black Liquor) extrahiert, erklärt Esther, aber würde bis heute fast ausschließlich zur Stromerzeugung verbrannt. In Deutschland allein fielen so jedes Jahr 50 Millionen Tonnen an Schwarzlauge an – ein ungenutztes Potential, findet Esther. Und fügt dann noch ironisch hinzu, es gäbe da einen Spruch in der Industrie: „Mit Lignin kann man alles machen, nur kein Geld verdienen.“ Mit Jannis machte sie sich schließlich ans Werk, um das Gegenteil zu beweisen. Aber ums Geld machen ginge es ihnen eigentlich nicht, sondern darum, einen Ersatz für umweltschädliche Kunststoffe zu finden, Produkte auf Lignin-Basis zu schaffen, die – so die Zukunftsmelodie – im Wald oder andernorts verrotten könnten. Ihre Forschungen haben sie zusammen mit dem WKI gemacht, das ihnen nicht nur mit ihrer chemischen Expertise half, sondern auch die Maschinen für die ersten Prototypen und Produktversuche bereitstellte. Aber von was reden wir hier eigentlich, was kann man mit diesem ölfarbenen Lignin herstellen?



Foto: Esther Kaya Stögerer, Jannis Kempkens

WKI-Chemikerin Lydia Heinrich musste das pulvrige Lignin im Labor zuerst derivatisieren, um es weiter verarbeiten zu können. Dabei werden andere biobasierte Moleküle an die Lignin-Struktur angeschlossen, wodurch es zu einer Lösung wird und verschiedene Eigenschaften annehmen kann. Die Eigenschaften können ein stabiles, aber auch flexibles Rohprodukt ergeben. Die jeweilige chemisch veränderte Lösung ist Ausgangsstoff für alle anderen Produkte, die durch die Experimente von BLACK LIQUOR entstanden sind. Esther und Jannis haben sie mit unterschiedlichen Materialien gemischt, wie beispielsweise mit den oben erwähnten Cellulose-Fasern oder Kaffeesatz. Daraus sind Prototypen – eine ganze Materialsammlung – für Möbelstücke und die Modeindustrie hervorgegangen. Als flexibles Material lässt sich zum Beispiel ein lederartiges Produkt kreieren, aus dem man Schuhe oder Modeartikel machen kann. In der festen Variante, sagt Esther, könne man es als Ersatz für Spanplatten benutzen. Oder auch als Beschichtung von Oberflächen wie Kleidung, denn Lignin habe wasserabweisende Eigenschaften und könne sich als natürliches Bindemittel gut mit einem Reisverschluss verbinden lassen. Das sei beispielsweise für Outdoor-Sachen interessant. Mithilfe von Lasercutting könne man den Materialien – fest oder flexibel - eine beliebige Struktur geben.


Von Ende 2019 bis Ende 2020 haben Jannis und Esther mit Hilfe ihrer Professorinnen und dem WKI des Fraunhofer-Instituts an ihrer Idee geforscht. Neue Lignin-Moleküle synthetisiert, Designs entworfen, das im Experiment hervorgegangene Material gepresst, gesägt, gebohrt, geschnitten und genäht – und alles minutiös auf seine praktikable Anwendbarkeit geprüft. Der Haken an der Sache: nichts davon ist ausgereift. Die Stabilität der durch BLACK LIQUOR entstandenen Materialkompositionen halten dem Stabilitätstest noch nicht stand, um als, sagen wir, Ersatz für Spanplatten dienen zu können. Und die flexible Variante für lederartige Produkte wird brüchig nach einer Weile. Manche der Produkte sind noch nicht getestet worden und harren weiterer Versuche. Und alle Produkte brauchen derzeit noch zu lange, bis sie sich selbst abbauen und so in den natürlichen Kreislauf der Natur zurückfließen können. Selbst ein Baum, der im Wald verrottet, wird schließlich nicht über Nacht zersetzt, das dauert Jahre bis Jahrzehnte. Um aus lignin-basierten Produkten also kreislauffähige Produkte zu machen, braucht es noch ein gutes Stück Forschungsarbeit.

BLACK LIQUOR ist als Marktprodukt noch nicht ausgereift. Um aus lignin-basierten Produkten kreislauffähige Produkte zu machen, braucht es noch ein gutes Stück Forschungsarbeit

Das Potential sei aber da, gibt sich Esther optimistisch. In ihrem Master will sie das Projekt in die zweite Runde führen und nach Mitteln und Wegen suchen, wie man ihre Idee verbessern kann. Wie man festeres, flexibleres und biologisch leichter abbaubare lignin-basierte Materialien kreieren kann. „Das ist mein Ansatz“, sagt sie. Zusammen mit den sie unterstützenden Professorinnen von der Kunsthochschule Weißensee, ihrem Kollegen Jannis und dem Fraunhofer-Institut für Holzforschung ist sie deshalb gerade dabei einen neuen Antrag für Forschungsgelder ans Bundeswirtschaftsministerium zu stellen. Zudem hält sie nach Partnern aus Industrie und der Startup-Szene Ausschau, die auf den Zug aufspringen könnten. Dann gäbe es womöglich bald einen lignin-basierten Ikea-Schrank. Svart Lut könnte der dann heißen, Schwarzlauge auf Schwedisch. Eine Möglichkeit von vielen.

Das Gespräch ist vorüber. Wir verabschieden uns an der Pforte am Hintereingang und fahren jeder unserer Wege. Das Gespräch hat Lust gemacht auf Wald, der, so sieht es aus, mehr als nur symbolisch für Nachhaltigkeit und Aufbruchsstimmung steht. Alles Gute kommt aus dem Wäldle - hat schon Gandalf gesagt.


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Rubrik: Innovation & Vision

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