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Korina Gutsche: „Ich habe an viele Türen geklopft"

Korina Gutsche: „Ich habe an viele Türen geklopft"
Foto: © BLUECHILDFILM

Korina Gutsche von BLUECHILDFILM referiert, berät und engagiert sich seit Jahren für grüne Film- und Fernsehproduktionen: Wie sieht der grüne Film der Zukunft aus? Wo steht die Filmindustrie? Wo liegen die Probleme? Eine Bestandsaufnahme.
 

INTERVIEW   Boris Messing

 

CCB Magazin: Korina. Du bist studierte Umweltingenieurin und berätst in Sachen grüner Film- und Fernsehproduktion. Was machst du da genau und mit wem?

Korina Gutsche: Stimmt, ich habe Ende der 80er Jahre Umwelttechnik studiert. Aufgewachsen bin ich in der DDR. Zunächst war ich als Studentin im Umweltschutz-Netzwerk Arche aktiv und habe ‚Die grüne Partei‘ im November ‘89 in Ost-Berlin mitgegründet und saß am Runden Tisch. Nach dem Mauerfall war ich sieben Jahre Projektleiterin für Umweltverträglichkeitsprüfungen der Berliner Wasserbetriebe, dann für weitere sieben Jahre Referentin für interne Kommunikation. Zudem habe ich mich ehrenamtlich für Meeres- und Umweltschutz engagiert. Und seit 2012 liegt mein Fokus auf freiberuflicher Beratung für die Medienbranche. Dazu gebe ich Schulungsseminare, entwickle Nachhaltigkeitskonzepte und erstelle Klimabilanzen.

CCB Magazin:Wie kamst du dazu, dich für grüne Produktionen stark zu machen? Gab es einen bestimmten Auslöser?

Korina Gutsche:Für mich sind Filme ein starkes Medium, um die Aufmerksamkeit des Zuschauers auf globale Themen wie Nachhaltigkeit zu lenken. 2010 habe ich darum eine Weiterbildung und meine IHK-Prüfung zur Filmproduktionsleiterin gemacht. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir auch die erste Welle zu grüner Filmproduktion. Konkret: An der Hochschule für Film und Fernsehen gab es die Greenfilminitiative, das Heft ‚‘Medienboard Berlin-Brandenburg goes green‘ erschien zur Berlinale. 2012 kam zudem der „Grüne Drehpass“ aus Hamburg/Schleswig-Holstein in die Welt. Ich bin damals nach Potsdam gezogen und entwickelte die Vision 2020 ‚Babelsberg goes green‘. Damit bin ich dann zum Medienboard gegangen – und ich habe mit dem Wirtschaftsministerium, regionalen Mediennetzwerk, der UFA und den Filmstudios gesprochen. Ich habe also an viele Türen geklopft und jahrelang konsequent nachgefragt; ich wollte auf die Relevanz und Chance zum Klimaschutz durch grüne Produktionen aufmerksam machen und Handlungsoptionen aufzeigen. Seit 2015 gebe ich dazu Schulungsseminare, so beispielsweise an der Filmuniversität in Babelsberg. Aber erst seit letztem Jahr bin ich ganzjährig als Green Consultant für Filmproduktionen tätig, ein Berufsbild, das sich gerade erst etabliert.

Ökologische Belange als Aufgabe der Filmförderung stehen seit Jahren im Filmfördergesetz. Die sind  jedoch nie konsequent umgesetzt worden. Erst seit Fridays for Future steht Nachhaltigkeit in der Branche ganz oben auf der Agenda

CCB Magazin:Seit 2017 gibt es im Filmförderungsgesetz eine Novelle, in der ökologische Belange bei der Vergabe von Filmfördermitteln festgeschrieben sind. Andererseits ist ein Produzent, der Filmförderungen aus drei verschiedenen Bundesländern bekommt, verpflichtet in allen drei Bundesländern zu drehen. Ist das nicht widersprüchlich?

Korina Gutsche:Das ist es. Und da sind wir eben beim Fördertourismus. Es ist zwar verständlich, dass das Geld da ausgegeben werden muss, wo es beantragt wird, da Gewerke und Dienstleister aus der Region davon profitieren wollen. Damit sind aber ein logistischer Reiseaufwand und höhere CO2-Emissionen verbunden. Das ganze Team muss von einem Bundesland zum anderen reisen, teilweise nur um ein paar Szenen zu drehen. Hierzu braucht es Lösungen. Die Förderrichtlinien müssen überarbeitet werden. Es muss zeitnah verbindliche Gespräche der regionalen Förderinstitutionen untereinander sowie mit den Landesregierungen geben.

CCB Magazin:Während der Berlinale 2020 wurde erstmals ein recycelbarer grüner Teppich ausgerollt.  Ist das nicht ein bisschen wenig?

Korina Gutsche:Das ist zu wenig, aber es tut sich was, auch bei den Filmfestivals. Die Berlinale hat immer schon grüne Akzente gesetzt. Sie hat auch schon früh grün gedrehte Filme im internationalen Wettbewerb gezeigt. Man muss wissen: Ökologische Belange als Aufgabe der Filmförderung, namentlich von Kinofilmen, stehen seit Jahren im Filmfördergesetz. Die sind in den letzten Jahren jedoch nicht konsequent umgesetzt worden. Erst seit Fridays for Future steht Nachhaltigkeit in der Branche ganz oben auf der Agenda. Es gibt dazu mittlerweile auch einige Branchen-Initiativen. Ab dem 1. Januar 2022 ist zudem jeder Produzent, der gefördert wird, dazu verpflichtet, wirksame ökologische Maßnahmen umzusetzen. Auch gibt es bereits diverse regionale Leitfäden für grünes Drehen und einheitliche Standards sind seit 2020 im Praxistest - sie wurden vom Arbeitskreis „Green Shooting“ entwickelt. Vorreiter sind hierbei die Filmförderanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein mit dem „Grünen Drehpass“, der seit 2012 zweihundert Mal vergeben wurde, und die Medien- und Filmgesellschaft in Baden-Württemberg mit ihrer Initiative „100 grüne Produktionen“, für die ich im vergangenen Jahr u.a. bei rbb-Tatort- und Polizeiruf-Produktionen beratend tätig war.

Am Tatort: Korina Gutsche. Foto: BLUECHILDFILM

CCB Magazin:Die Medien- und Filmgesellschaft in Baden-Württemberg (MFG), die die Initiative „100 grüne Produktionen“ gestartet hat, soll bis nächstes Frühjahr abgeschlossen und dokumentiert werden. Außerdem verknüpft die MFG die Vergabe von Fördergeldern an das Einhalten grüner Drehstandards. 100 Filme, das klingt viel – ist das aber nicht ein Tropfen auf den heißen Stein?

Korina Gutsche:Ja klar, aber es ist ein Anfang! Laut einer Produzentallianzenstudie von 2018 gibt es rund 900 Produktionsfirmen in Deutschland. Davon entfallen zwei Drittel in den TV-Bereich. Und laut einer Formatt-Studie aus dem gleichen Jahr wurden allein 2018 in Nordrhein-Westfalen 313.000 TV-Produktionsminuten gedreht, womit NRW an der Spitze der Drehstandorte in Deutschland steht. Insgesamt gesehen sind 100 ‚grüne Filme‘ viel zu wenig. Die MOIN Filmförderanstalt Hamburg Schleswig-Holstein hat im letzten Jahr aus dem freiwilligen „Grünen Drehpass“ einen „Grünen Filmpass“ mit verbindlichen Kriterien gemacht, der den ganzen Produktionsprozess abbildet, also auch Vor- und Nachbereitung. Der „Grüne Filmpass“ ist somit Voraussetzung für eine Förderung, und die MFG knüpft als erste Institution regionale Förderung an die Einhaltung ökologischer und sozialer Standards. Die sind, wie gesagt, noch nicht bundesweit vereinheitlicht. Auch sind die CO2-Rechner zur Klimabilanzierung noch in der Entwicklung. Je mehr Produktionen aber dabei sind - und jetzt sind vor allem die großen Kinoproduktionen aufgefordert mitzumachen –, desto erfolgreicher wird der Transformationsprozess.

CCB Magazin:Catering, Logistik, Beleuchtung, Strom – wo liegen denn die größten Emissionsfaktoren?

Korina Gutsche:Hauptemissionsquelle ist die Mobilität, es sind die Reisen, Techniktransporte und Unterkünfte, der Strom- und Ressourcenverbrauch, Abfall und das Catering – in dieser Reihenfolge. Das kann aber zwischen einer TV- und Kinoproduktion variieren. Das ist abhängig von der Drehregion, der Anzahl der Drehorte, Drehsaison und der Story usw. Dabei ist vor allem die Frage nach der Technologieverfügbarkeit ein Problem: Wenn es beispielsweise nicht genug klimafreundliche Autos im Drehzeitraum zu mieten gibt oder die E- oder CNG-Ladestationen in der Drehregion nicht vorhanden sind; wenn die wenigen Hybridgeneratoren nicht buchbar sind oder der Baustromanschluss mit Ökostrom zu teuer ist. Hier ist die Politik gefragt. Sie muss mit der Wirtschaftsförderung dringend praxisnahe Lösungen finanzieren. Nur so schafft die Filmbranche den ökologischen Wertewandel.

Die Hauptemissionsquelle bei Film- und Fernsehproduktionen ist die Mobilität, also Reisen, Techniktransporte und Unterkünfte, dann kommt der Strom- und Ressourcenverbrauch, Abfall und das Catering – in dieser Reihenfolge

CCB Magazin:Aber liegen die Probleme nicht noch woanders? Alleine das Video-Streaming verursacht pro Jahr mehr als 300 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente. Das entspricht der Menge, die das gesamte Land Spanien in einem Jahr an CO2 ausstößt. Daran kann doch ein bisschen grünes Drehen nichts ändern. Traut man sich an die großen Themen nicht ran?

Korina Gutsche:Schritt für Schritt würde ich sagen. Wir reden hier gerade über die Umstellung einer ganzen Branche, das ist eine komplexe Herausforderung für alle Akteure. Der Einfluss auf die globale Erwärmung durch die Ausstrahlung von Filmen muss natürlich die gleiche Aufmerksamkeit bekommen. Und sofern alle Streamingdienste Ökostrom nutzen, können sie maßgeblich zum Klimaschutz beitragen.

CCB Magazin:Nachhaltigkeit umfasst allerdings weit mehr als nur grüne Standards. Crew United, das Netzwerk und Bündnis für Filmschaffende, hatte bereits vor Jahren einen Aufruf zu „Fairem Filmproduzieren“ veröffentlicht, weil die Arbeitsbedingungen prekär sind und drohende Altersarmut für viele vorprogrammiert ist. Gerät die soziale Nachhaltigkeit zugunsten neuer ökologischer Kriterien im Bereich Film aus dem Blick?

Korina Gutsche:Ich hoffe nicht! Nachhaltig drehen bedeutet auch, soziale Aspekt zu beachten, ganz klar. Im Kinobereich verlangen zumindest die MFG, die MOIN Filmförderung, Hessenfilm und das Medienboard Berlin-Brandenburg mittlerweile die Einhaltung sozialer Standards. Bekannt ist mir auch, dass die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten und Produktionsfirmen wie die UFA oder Constantin mit ihren Inhouse-Nachhaltigkeitsinitiativen faire Arbeitsbedingungen im Blick haben. Gerade Constantin Film war von Anbeginn eine treibende Kraft. Sie wurden bereits mehrmals mit dem fairfilmaward ausgezeichnet, ebenso wie einige Bavariafilmproduktionen.

Nachhaltig drehen bedeutet auch, soziale Aspekt zu beachten. Im Kinobereich verlangen zumindest die MFG, die MOIN Filmförderung, Hessenfilm und das Medienboard Berlin-Brandenburg mittlerweile die Einhaltung sozialer Standards

CCB Magazin:Welche vorbildlichen grünen Filmproduktionen gibt es bereits heute?

Korina Gutsche:Ich würde sagen, dass der Sender Sky in Deutschland als Global Player bisher am meisten tut, um grüne Produktionen zu etablieren. Sky hat schon vor Jahren eine Ocean Rescue Initiative in Kooperation mit dem WWF gestartet, um auf Plastik im Meer aufmerksam zu machen und den Plastikmüll aus den eigenen Produktionen zu verbannen. Der Sender hat auch längst eigene Greenproduction-Vorgaben, produziert außerdem eine klimafreundliche Koch-Show und will sich als Unternehmen bis 2030 komplett klimaneutral aufstellen.

CCB Magazin:Du bist gut vernetzt, beispielsweise auch mit der Motion Picture Association. Schauen wir doch mal in die USA, nach Hollywood. Sind die schon weiter mit dem grünen Drehen? Und wenn ja, was machen sie besser?

Korina Gutsche:Die Motion Picture Association (MPA) ist der Verband der sechs großen US-amerikanischen Filmproduktionsgesellschaften, namentlich Paramount Pictures, Warner Bros. Entertainment, Sony Pictures Entertainment, Walt Disney Motion Pictures Group, Universal Studios und 20th Century Fox, sowie seit 2019 auch Netflix. Gemeinsam veröffentlichen sie immer im April zum Earthday was sie alles unternommen haben in Sachen Green Shooting. Bei der MPA und der Producer‘s Guild of America ist das Thema schon seit über zehn Jahren im Fokus und vor allem Chefsache. Wenn eine Hollywoodproduktion ressourcenschonend gedreht wird, hat das einen enormen klimafreundlichen Impact. Einige Produzenten machen unter anderem Baumpflanzaktionen zur Kompensation von CO2-Emissionen oder geben übriggelassenes Essen vom Catering und Kleidung an Bedürftige. Derartiges Engagement wünsche ich mir auch von der deutschen Filmbranche. Ein gemeinsames Statement hierzu gibt es seit der Berlinale 2020, nun geht es ums Handeln.

CCB Magazin:Noch ein Blick in die Zukunft: Wie sieht die Filmlandschaft 2030 aus?

Korina Gutsche:Wir drehen und produzieren einfach ‚grün‘ und es muss überhaupt nicht mehr darüber diskutiert werden. Alle Medienunternehmen, TV-Sendeanstalten, Servicepartner der Filmproduktionen, die Kinos und Filmfestivals sind natürlich ebenfalls klimafreundlich, besser noch klimaneutral aufgestellt. Green Consultants sind dann eine Selbstverständlichkeit im Team. Wir haben auch keine andere Wahl, um das 2 Grad Klimaschutzziel zu erreichen.


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