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Thorsten Hesse: "Wir bringen Menschen auf die Bühne - egal auf welche"

Thorsten Hesse: "Wir bringen Menschen auf die Bühne - egal auf welche"
Foto: © Marc Föhr

In Deutschland gibt es über 300 inklusive Bands - kaum einer kennt sie, kaum jemand bucht sie. Der Verein Handiclapped - Kultur Barrierefrei e.V. will das ändern - und bringt in Kooperation mit MusicTech Germany das Projekt Pinc Music auf den Weg. Wir sprachen mit Initiator und Projektleiter Thorsten Hesse.
 

Interview:Fabian Nestler

 

CCB Magazin: Thorsten, du bist seit mehreren Jahren beim Verein Handiclapped aktiv, der sich für Inklusion in der Kultur einsetzt. Euer neustes Projekt lautet Pinc Music. Es findet in Kooperation mit dem Verband MusicTech Germany statt. Um was geht es?

Thorsten: Unser Ziel ist es, inklusive Musik-Acts stärker ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken. Denn inklusive Bands und Musiker*innen haben es noch immer schwer, von Veranstaltern gebucht zu werden. Mit Pinc Music wollen wir eine neue Plattform schaffen, um Menschen mit Beeinträchtigungen auf die Bühne zu bringen.

CCB Magazin: Wo liegt das Problem? Werden blinde DJs beispielsweise weniger gebucht als welche, die sehen können?

Thorsten: Das Problem ist, dass zwischen Inklusion und Barrierefreiheit oft nicht unterschieden wird. Berliner Clubs sind beispielsweise oft nicht barrierefrei, weil sie sich im Keller ohne Lift befinden. Hier spricht nichts dagegen, dass dort auch ein blinder DJ auflegt. Allerdings treibt Veranstalter oft die Sorge um, ein Act könnte zu aufwendig oder riskant sein, wenn kein barrierefreier Zugang zur Bühne vorhanden ist oder ein Event zeitlich straff durchgetaktet sein muss. Als Konsequenz werden inklusive Acts daher weniger gebucht.

Veranstalter treibt oft die Sorge um, ein Act könnte zu aufwendig oder riskant sein. Als Konsequenz werden inklusive Acts weniger gebucht

Inklusiver Act "Meine Rock Kwien Rica" auf dem Pferdefest in Piesport, Foto: Marc Föhr

CCB Magazin: Zum Verständnis: Was genau gilt als inklusiver Act?

Thorsten: Eine klare Definition gibt es nicht, auch kein Register oder ähnliches. Letztlich entscheidet die Band selbst, ob sie sich als inklusiv versteht oder nicht. Für Pinc Music gelten alle Bands als inklusiver Act, in denen Musiker*innen mit und ohne formal anerkannter Behinderung zusammenspielen. Das können Solomusiker*innen oder Bands in den verschiedensten Zusammenstellungen sein - Musiker*innen mit körperlichen, psychischen und/oder anderen Behinderungen. Die Behinderungen müssen für uns nicht notwendigerweise formal anerkannt sein. Uns ist das egal. Eine Band hat das einmal schön formuliert: "Bei uns haben alle eine Behinderung, manche sind sogar anerkannt." Auch sonst sind die Acts auf der Plattform sehr vielfältig. Von Punk bis Klassik, von Solo bis Orchester und von Greifswald bis Stuttgart. Für jedes Event ist der passende Act dabei.

CCB Magazin: Und an welcher Stelle kommt Pinc Music ins Spiel? Wie bringt ihr inklusive Acts auf die Bühne?

Thorsten: Ein schönes Beispiel ist das Pferdefestival, ein Musik-Festival in Piesport. Die Initiatoren standen in Kontakt mit der Band "Meine Rock Kwien Rica", die seit 2018 als inklusiver Act auf verschiedenen Bühnen steht und auf Pinc Music vertreten ist. Die Band hat den Veranstaltern von uns erzählt. Im Anschluss wurde mit "City In The Galaxy" ein weiterer Act über Pinc Music gebucht. Ein anderes Beispiel sind die Special Olympics, die weltweit größte Sportbewegung für Menschen mit geistiger- oder Mehrfachbehinderung. Hier war ich vorab bei einer Konferenz und habe Pinc Music ins Spiel gebracht, um inklusive Musik-Acts für die Veranstaltung zu finden. Am Ende wurden zehn Bands und Musiker*innen von unserer Plattform gebucht - eine Erfolgsgeschichte. Letztlich buchen wir als Veranstalter die Bands von Pinc Music auch selbst - auf rund 15 inklusiven Konzerten jedes Jahr.

CCB Magazin: Ein paar Worte zu dir, wie bist du eigentlich zu diesem Thema gekommen? Gibt es eine besondere Geschichte?

Thorsten: Ich habe VWL studiert und vertrete seit mehreren Jahren gemeinnützige Organisationen und Projekte. Seit drei Jahren bin ich zudem Projektkoordinator bei Handiclapped. Über die Jahre habe ich darüber hinaus meinen ehrenamtlichen Blog Barrmusik betrieben, eine Anspielung auf barrierefreie Musik. Darüber wollte ich das Thema Inklusion in den Musikbereich bringen. Irgendwann habe ich dann den Vorsitzenden von MusicTech Germany, Matthias Strobel, auf dem Reeperbahn-Festival getroffen. Hier kam die Idee auf, Barrmusik professioneller aufzuziehen - daraus wurde Pinc Music.

Pinc Music Initiatior Thorsten Hesse (1.vr), Foto: Thorsten Hesse

CCB Magazin: Welche Rolle spielt MusicTech Germany im Projekt?

Thorsten: MusicTech ist unser wichtigster Kooperationspartner. Das Team hat uns bei der Konzeption und Schaffung der Pinc-Music-Plattform geholfen. MusicTech ist unser Berater für viele technische Aspekte, für die wir ja keine Experten sind. Außerdem helfen sie uns mit großartigen Kontakten in der Musikindustrie und bei der Öffentlichkeitsarbeit. MusicTech wiederum profitiert von unserem Inklusions-Wissen und Netzwerk, welches wir ins Projekt tragen. Win-Win sozusagen.

CCB Magazin: Und wie entsteht der Kontakt zu den Acts?

Thorsten: Wir recherchieren und gucken, was es so alles an Projekten und Bands gibt und nehmen dann Kontakt auf. Andere Acts kommen auf uns zu, da sich das Ganze im Stille-Post-Verfahren zwischen verschiedenen Projekten herumspricht. Uns kommt natürlich zugute, dass wir mit Handiclapped seit 15 Jahren als Konzertveranstalter aktiv sind. Über die Jahre konnten wir so zahlreiche Kontakte sammeln, die uns jetzt die Arbeit erleichtern. Außerdem haben wir der Initiative Musik gerade bei einem Hilfsprogramm für Musiker*innen mit Behinderung geholfen.

CCB Magazin: Wie finanziert ihr das Projekt? Bekommt ihr Fördermittel oder müssen die Acts eine Gebühr an euch entrichten?

Thorsten: Für die Acts ist alles unentgeltlich, weil wir - mittlerweile - Förderung erhalten. Für den Aufbau der Plattform hatten wir zum Beispiel eine Förderung von NEUSTART KULTUR im Programmteil KULTUR.GEMEINSCHAFTEN. Das kam aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und der Kulturstiftung der Länder. Ohne die Förderung hätten wir die Seite nie so bauen können.

CCB Magazin: Das Projekt läuft seit Mai 2022. Was habt ihr bisher erreicht?

Thorsten: Mittlerweile haben wir über 50 Musik-Acts aus 15 Bundesländern im Portfolio, wobei es in Deutschland über 300 sogenannte inklusive Bands gibt. Es sind also noch lange nicht alle im Boot. Auch haben wir bereits mehrere erfolgreiche Vermittlungen organisiert. Letzten Endes wissen wir aber nicht, wie viele Bookings schon erfolgt sind, da der Kontakt teils direkt über die Bands läuft. Aktuell haben wir die Zusage von der Initiative Musik erhalten, für eine Infrastrukturförderung, durch die wir die Seite in die Musikwirtschaft hineintragen können.

Wir brauchen einen leichteren Zugang zu institutioneller Förderung. Es ist belastend, ständig neue Anträge stellen zu müssen und auf Gelder zu hoffen

CCB Magazin: Das Thema Inklusion wird in der Gesellschaft immer wichtiger. 2009 trat beispielsweise die UN-Behindertenrechtskonvention in Kraft, die in Art. 30 die aktive und passive Teilhabe an der Kultur sichern soll. 2018 wurde zudem das Programm "Vermittlung und Integration" überarbeitet, um die Inklusion in Kunst und Kultur voranzutreiben. Auch neue Fördergelder, beispielsweise durch "NEUSTART KULTUR", wurden bereitgestellt. Was wünscht du dir von der Politik?

Thorsten: Wir wünschen uns generell mehr Unterstützung, um eine inklusive Musikszene aufzubauen. Wobei ich kein Politik-Bashing betreiben will, da wir uns ja selbst zu 100 % aus Fördermitteln finanzieren. Was uns aber Angst macht ist, wie sich die Situation nach der Pandemie gestalten wird. Viele Förderprogramme sind im Zuge der Corona-Bewältigung entstanden. Was aber kommt danach? Hier würde ich mir wünschen, dass gerade Vereine, die über lange Zeit gute Arbeit leisten und die man als wichtig in der Szene erachtet, einen leichteren Zugang zu institutioneller Förderung erhalten. Momentan erhalten wir, wie auch viele andere, befristete Mittel. Wir müssen ständig neue Anträge stellen. Es ist ja sinnvoll angelegtes Geld, da die Arbeit zum Inklusion nicht nur behinderte Menschen einbezieht, sondern ein gesamtgesellschaftliches Thema ist, bei dem es um ein demokratisches, offenes und tolerantes Miteinander geht. Musik ist als gemeinsame Sprache ein tolles Medium, um dies zu transportieren. Das sollten wir nutzen.

 

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