Nachhaltigkeit, Gründung, Beratung Zurück

No kick no gain

No kick no gain
Foto: © Heike Overberg

seeKicks ist ein Programm an der kunsthochschule weißensee, das Studierende bei unternehmerischen und innovativen Gründungsambitionen unterstützt. Für das neue Magazin der weißensee Kunsthochschule zum Thema Nachhaltigkeit haben wir mit Joe Lockwood und Anastasia Zagorni vom Gründerteam über Konzeption und Umsetzung gesprochen. 

 

Interview Jens Thomas & Boris messing

 

CCB Magazin:  Hallo Joe und Anastasia, Ihr seid zusammen mit Birgit Effinger die Köpfe hinter seeKicks, einem Programm, das Studierende der weißensee kunsthochschule berlin dabei unterstützt, ihr eigenes kreatives Unternehmen zu gründen. Aber bevor wir darüber sprechen, erzählt doch bitte ein wenig über Euch, wer seid Ihr, und was ist Euer beruflicher Hintergrund?

Anastasia Zagorni: Ich habe den Antrag für das nun seit über zwei Jahren bestehende Programm von seeKicks geschrieben. Ich habe einen Tech­-Back­ground und im Bereich Geschäftsentwicklung für das Fraunhofer­-Institut gearbeitet, bevor ich schließ­lich 2016 nach Weißensee kam, wo ich mit Carola Zwick und Olaf Bach die Design-Farm-Berlin gründe­te. Die DesignFarmBerlin hat einen speziellen Fokus auf Design­-in­-Tech, sie unterstützt Projekte und Unternehmungen in einer frühen Phase. Bei der Vergabe des Stipendiums spielen ökologische Aspekte eine Rolle, aber auch designrelevante Aspekte in Verbindung mit technologischen und gesellschafts­politischen Fragen. Das machen wir schon seit sechs Jahren. Dann wollten wir die Möglichkeiten im Spektrum von Kunst und Design erweitern. Und so wurde seeKicks geboren.

Anastasia Zagorni (Foto: © Heike Overberg)

Joe Lockwood: Ich kenne Berlin seit 30 Jahren – und bin vor Kurzem zurückgekehrt und bei seeKicks eingestiegen. Davor war ich an der Glasgow School of Art, wo ich die Innovation School mitbegründet habe. Zu Beginn meiner Karriere war ich in der Film­industrie tätig, dann wechselte ich die Seiten, um an der Schnittstelle zwischen Hochschulbildung, Governance, Industrie und Zivilgesellschaft zu arbei­ten. Ich entwickelte mit meinen Kolleg*innen For­schungs­- und Lehrprogramme im Bereich Design­innovation, die schließlich zur Gründung einer neuen Schule, der Glasgow School of Art, führten. Dabei habe ich mich insbesondere mit der Rolle von Kunst und Design im Hinblick auf die gesellschaftliche Transformation beschäftigt.

CCB Magazin: Was ist seeKicks, was ist das Konzept?  

Anastasia Zagorni: Ich würde sagen, seeKicks ist eine Plattform für verschiedene Innovations­ und Entrepreneurship­-Aktivitäten im Kontext von Kunst und Design. Sie bündelt Initiativen, Forschungs­ und Förderaktivitäten innerhalb der weißensee kunsthochschule berlin. Aber sie funktioniert auch als externer Anknüpfungspunkt für Kooperationen im Bereich Unternehmertum und Forschung. Das wäre meine Definition. Was sagst du dazu, Joe?

Joe Lockwood: Dem stimme ich zu. Ich würde hin­ zufügen, dass seeKicks auch eine Plattform ist, die im Wesentlichen Menschen und Projekte zusam­menbringt. Die Plattform umfasst verschiedene Formate, die die Möglichkeiten der Zusammen­arbeit verbessern, aber auch das Vertrauen und die Kompetenz der Kunst­ und Designstudierenden in ihr jeweiliges Vorhaben stärken sollen. Der andere Teil der Plattform hat einen breiteren Ansatz und beschäftigt sich mit den Einflussmöglichkeiten von Kunst und Design auf die Gesellschaft und den mit ihnen einhergehenden wirtschaftlichen und tech­ nologischen Rahmenbedingungen. Wir helfen den Studierenden, sich auf die reale Welt vorzubereiten und mehr zu tun, als nur einen Stuhl zu entwerfen oder ein Bild zu malen. Wir fragen: Was ist die Rolle der Künstler*innen oder Designer*innen, die etwas verändern wollen – das ist es, was wir mit ihnen herausfinden wollen. Und dafür braucht man praktische Ressourcen, Zugang zu Netzwerken, Geld und Wissen.

CCB Magazin: Wer finanziert seeKicks?

Anastasia Zagorni: seeKicks ist Teil von EXIST. Das Programm des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz gibt es seit fast 25 Jahren. Mit ihm sollen die Hochschulen Wissenstransfer, Unter­nehmertum und Innovation in Deutschland unter­stützen. seeKicks ist Teil von „Potentiale heben“, einem Programm von EXIST, bei dem es darum geht, mit langfristig angelegten Strukturen eine Kultur des Unternehmertums in die Hochschulbildung zu integrieren und so die Wirtschaft zu fördern. Wir sind eine von zwei Kunsthochschulen in Deutsch­land, die daran beteiligt sind.

CCB Magazin: In der deutschen Förderstruktur wird der Bereich Kunst in der Regel dem Non-Profit-Sektor zugeordnet, der Bereich Design hingegen dem wirtschaftlichen Profit-Sektor. Ihr macht da keine Unterscheidung? Und im Bereich der Wirtschaftsförderung gibt es bereits zahlreiche Accelerator- und Förderprogramme wie Reaktor Berlin, GWA Gründerwerk- statt Adlershof oder Vision Health Pioneers – um nur einige zu nennen. Was unterscheidet seeKicks von diesen?

Joe Lockwood: Das stimmt, wir ordnen nicht a priori Design dem Wirtschaftssektor und Kunst dem gemeinnützigen Sektor zu. Und Du hast recht, es gibt eine Fülle an Start­up­ und Scale­up­-Pro­grammen in der Stadt und darüber hinaus. Was uns auszeichnet: Wir bieten Alternativen für diejenigen, die nicht nach der Logik des Wachstums um jeden Preis und des „Winner takes all“ vorgehen, sondern den Status quo in Frage stellen wollen. Wir bieten Alternativen, die integrative Räume eröffnen, Räume zum Experimentieren, Räume für die Zusammen­arbeit und die Entwicklung einer alternativen Unter­nehmenskultur. Kurz gesagt, weniger Einhorn und mehr Zebra. Es geht darum, kreatives Unternehmer­tum und Atelierpraxis zusammenzuführen, damit ein Arbeiten möglich wird, das die Gesellschaft zu gestalten vermag – sowohl im gemeinnützigen als auch im gewinnorientierten Sektor.

CCB Magazin: seeKicks hat verschiedene Formate wie Design-Farm-Berlin, seeUp, Start-up Studio, SprechenÜber etc. Das ist etwas verwirrend. Könnt Ihr diese Formate mal erläutern?

Joe Lockwood: (lacht) Das liegt in der Natur einer Kunsthochschule. Weißensee initiiert besonders gerne viele verschiedene Projekte. Die von Dir ge­nannten Initiativen laufen alle unter dem Dach von seeKicks. Das Start­up Studio hilft zum Beispiel den Studierenden bei der Bewertung ihrer jeweiligen Gründungsidee und gibt Impulse für neue Unter­nehmensmodelle. Bei SprechenÜber geht es darum, neue Lernformate zu schaffen, die das Arbeiten mit anderen, das Navigieren in komplexen Zusam­menhängen, das Bilden von Netzwerken unter­stützen können – nützliche Fähigkeiten fürs Leben! Anastasia erwähnte bereits die DesignFarmBerlin. Und seeUp richtet sich an Studierende und Ab­solvent*innen aller Fachrichtungen – das Programm hilft, eine Brücke zwischen Studium und Berufs­praxis zu schlagen und es unterstützt Absolvent*innen bei ihren ersten konkreten beruflichen Schrit­ten. All diese Initiativen wurden vor fünf bis sechs Jahren an der Kunsthochschule ins Leben gerufen, um zu analysieren und zu verstehen, welche Rolle Kunst und Design in der Praxis oder als Transforma­tionsfaktor für die Gesellschaft spielen können.

Anastasia Zagorni: Man kann also sagen: All diese Initiativen sind Elemente dieser größeren Plattform. Und übrigens sind nicht alle von ihnen für Außen­stehende sichtbar. Einige Initiativen richten sich nur an wenige Teilnehmende und sind zu klein, um sie öffentlichkeitswirksam zu präsentieren. Nichtsdesto­ trotz spielen alle diese Elemente eine entscheidende Rolle für unser Anliegen, den Studierenden dabei zu helfen, ihren Weg von der Universität in die reale Welt zu finden. Um es auf den Punkt zu bringen: Mit seeKicks versuchen wir, all diese verschiedenen Elemente zu vereinen und den Studierenden Optio­nen zu bieten.

Birgit Effinger (Foto: © Heike Overberg)


CCB Magazin: Wie sieht es mit dem Thema Nachhaltigkeit bei all diesen Initiativen aus, spielt es eine Rolle bei der Auswahl der Teilnehmer*innen des Programms?

Joe Lockwood: Nachhaltigkeit im Sinne eines Verständnisses davon, wie wir eine neue Art von Wirtschaft gestalten können, spielt eine immer wichtigere Rolle. Wir haben viele Projekte, die sich mit verschiedenen Aspekten an der Schnittstelle von Mensch, Technologie und Umwelt befassen. Nachhaltigkeit im Sinne des Wohlbefindens der Menschen und des Planeten ist für seeKicks von großer Bedeutung – als Versuch, Unternehmertum und Innovation auf eine neue Art und Weise zu praktizieren, die weniger extraktiv, dafür aber regene­rativer und integrativer ist.

CCB Magazin: Wie genau helft Ihr den Studierenden bei der Gründung ihrer Unternehmen?

Joe Lockwood: Einerseits helfen wir auf einer indi­viduellen Ebene. Aber wir bieten auch Workshops an, in denen wir zeigen, wie man sein Portfolio präsentiert, wie man eine Idee vorstellt usw. Und wir versuchen, Menschen zusammenzubringen, die zu­sammenarbeiten wollen. Dazu gehört auch, dass wir über die Organisationsform sprechen, also, ob mein Unternehmen z. B. ein klassisches kapitalistisches Modell sein muss, oder, ob es auch anders organisiert werden kann. Außerdem haben wir externe Tutoren und Coaches, die dazu Fachwissen vermitteln.

Anastasia Zagorni: Es gibt auch Calls, mit uns an einem bestimmten Projekt zu arbeiten, bei dem wir unsere Hilfe für sechs Monate anbieten. Wir machen diese Calls regelmäßig.

CCB Magazin: Du hast es gerade gesagt, Joe, einige Kreative stellen sich eine Wirtschaft vor, die nicht auf Wachstum basiert. Andererseits wollen die kreativen Unternehmer*innen auch keine gemeinnützige Organisation sein. Sie wollen Geld verdienen. In der Nachhaltigkeitsforschung gibt es seit Jahren einen Grundsatzstreit darüber, ob Nachhaltigkeit radikalen Verzicht bedeuten muss oder auf grünem Wachstum beruhen kann. Was für mögliche Geschäftsmodelle werden in Weißensee gelehrt? Und wie kann man diese scheinbar widersprüchlichen Ansichten über Wirtschaft unter einen Hut bringen?

Joe Lockwood: Ich knüpfe an meine Antwort von vorhin an: Wir versuchen zu evaluieren, wer von den Teilnehmer*innen bereits Erfahrungen mit anderen Geschäftsmodellen hat und sie weiter­ geben möchte. Und dann suchen wir in unserem Netzwerk nach Tutor*innen oder Coaches, die vielleicht eine Lecture oder einen Workshop über alternative Modelle wie etwa eine Genossenschaft oder die sogenannte Gemeinwohl­-Ökonomie ab­halten können. Wir bauen auch Partnerschaften mit anderen Universitäten auf, z. B. mit der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde, damit die Studierenden Zugang zu Fachwissen über alter­ native Governance, Geschäftsmodelle usw. erhalten und ggf. gemeinsame Projekte zur Entwicklung und Erprobung solcher Modelle durchführen können.

Anastasia Zagorni: Es gibt viele Akteur*innen auf dem Markt, die Modelle abseits des Wachstums­gedankens bewerten und testen. Wir denken, dass Designer*innen und Künstler*innen eine aktivere Rolle bei der Entwicklung solcher Modelle über­ nehmen sollten. Das heißt, am Ende geht es nicht nur darum, ein Produkt auf den Markt zu bringen, sondern um neue Organisations­- und Netzwerkmo­delle sowie gerechte und inklusive Arbeitsweisen. Diesen Denkprozess wollen wir mit unseren Forma­ten unterstützen.

CCB Magazin: Letzte Frage: Wie viele der Alumni der weißensee kunsthochschule berlin, die während des Studiums oder danach ein kreatives Unternehmen gegründet haben, sind nach fünf Jahren noch auf dem „Markt“? Mit anderen Worten: Wie viele schaffen es tatsächlich, sich wirtschaftlich zu etablieren?

Anastasia Zagorni: Dazu kann ich nur eine grobe Schätzung geben. Aber zunächst einmal: Was bedeutet „auf dem Markt“? Manche Studierende haben die Absicht, solo­selbstständig zu bleiben und nicht weiterzugehen. Und dann gibt es diejenigen, die ein kleines oder sogar größeres Unternehmen gründen wollen. Was die letzte Gruppe betrifft, wür­de ich sagen, dass mehr als 50 Prozent es schaffen. Denn bei den meisten Unternehmungen geht es nicht um schnelles Wachstum, die Gründer*innen nehmen sich die Zeit, mit ihren Unternehmen lang­sam und organisch zu wachsen.

Rubrik: Specials

rss

Schon gelesen?

schließen
schließen

Cookie-Richtlinie

Wir verwenden Cookies, um dir ein optimales Website-Erlebnis zu bieten. Durch Klicken auf „Alle akzeptieren“ stimmst du dem zu. Unter „Ablehnen oder Einstellungen“ kannst du die Einstellungen ändern oder die Verarbeitungen ablehnen. Du kannst die Cookie-Einstellungen jederzeit im Footer erneut aufrufen.
Datenschutzerklärung | Impressum

Cookie-Richtlinie

Wir verwenden Cookies, um dir ein optimales Website-Erlebnis zu bieten. Durch Klicken auf „Alle akzeptieren“ stimmst du dem zu. Unter „Ablehnen oder Einstellungen“ kannst du die Einstellungen ändern oder die Verarbeitungen ablehnen. Du kannst die Cookie-Einstellungen jederzeit im Footer erneut aufrufen.
Datenschutzerklärung | Impressum