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greenlab: "Wir entwickeln Strategien nicht für den Markt, sondern fürs Leben"

greenlab: "Wir entwickeln Strategien nicht für den Markt, sondern fürs Leben"
Foto: © Malu Lücking

Das greenlab an der weißensee kunsthochschule berlin setzt seit Jahren nachhaltige Designstrategien um. Welchen Einfluss hat das Lab auf Arbeitswelt und Industrie? Welche Wege schlagen die Studierenden im Anschluss ein? Darüber sprachen wir im neuen Magazin der weißensee Kunsthochschule zum Thema Nachhaltigkeit mit den Professorinnen und greenlab-Gründerinnen Zane Berzina, Heike Selmer, Barbara Schmidt und Lucy Norris. 

 

Interview Jens Thomas

 

CCB Magazin: Sie arbeiten alle im Bereich der Designforschung zu ganz unterschiedlichen Schwerpunkten. Zusammen bilden Sie das greenlab. Wenn Sie jemandem, der vom greenlab noch nie etwas gehört hat, in wenigen Sätzen erläutern müssten, was das greenlab ist, wie lautet Ihre Antwort?

Zane Berzina: Das greenlab ist eine Forschungs­plattform, die nachhaltige Designstrategien fördert und vorantreibt. Es wurde 2010 als fächerüber­greifender Forschungshub an der weißensee kunst­hochschule berlin gegründet und es ermöglicht unseren Studierenden, fakultätsübergreifend an Projekten zum Thema Nachhaltigkeit zu arbeiten. Unser interdisziplinäres Labor verknüpft dabei Hochschulprojekte mit praxisorientierter Forschung und Industrie. Ziel ist es, innovative Konzepte für nachhaltige und umweltfreundliche Produkte und Dienstleistungen anzuregen und zu entwickeln. Wir arbeiten mit unseren Studierenden sehr praxis­orientiert, oft in Zusammenarbeit mit relevanten Partner*innen aus Forschung und Industrie.

CCB Magazin: Können Sie mal ein paar prominente Beispiele geben, welche Projekte aus dem greenlab über die Jahre hervorgegangen sind?

Zane Berzina: Oh, tatsächlich sehr viele, mehrere hundert seit der Gründung, und einige davon sind sehr relevant: „Cooking New Material“ von Youyang Song zum Beispiel stellt die experimentelle und nachhaltige Materialforschung voran. Bestehende Materialien werden durch neue Materialien ersetzt, die umweltfreundlicher sind und aus Fruchtabfällen gewonnen werden – und somit für eine Null­-Abfall­-Strategie stehen. „Black Liquor“ ist ein weiteres Projekt, das von Esther Kaya Stögerer und Jannis Kempkens initiiert wurde. Bei diesem Projekt werden Kunststoffe auf Erdölbasis durch biologisch abbau­bare Produkte auf Ligninbasis ersetzt.

Heike Selmer: Ein weiteres prominentes Beispiel ist „localinternational“, ein internationales akademi­sches Austauschprogramm mit Schwerpunkt Mode­design und nachhaltige Designstrategien, das 2014 initiiert worden ist. Ziel ist es, ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit und fairen Handel in der Mode­industrie beim Design­-Nachwuchs zu schaffen. Im Fokus des letzten Projektdurchgangs von „local­international°4“ stand beispielsweise die Zusammen­arbeit mit Handwerker*innen und NGOs. In einem Online­-Symposium wurden NGOs und Firmen in Bangladesch und Deutschland vorgestellt, die nachhaltig ausgerichtete, traditionelle Handwerks­techniken nutzen.

CCB Magazin: Das greenlab schreibt sich Nachhaltigkeit auf die Fahnen. Seit der Nachhaltigkeitsbegriff 1713 in der Forstwirtschaft aufkam, hat er so einige Kreise gedreht: 1971 machte ihn Viktor Papanek für den Designbereich populär. 1994 wurde das Nachhaltigkeitsdreieck begründet, um die Bereiche Ökologie, Soziales und Ökonomie zu verzahnen – ehe im Jahre 2001 Nachhaltigkeit und Ästhetik durch das Tutzinger Manifest zusammengeführt worden sind. Wie wird Nachhaltigkeit am greenlab verstanden? Reduziert sie sich auf die ökologische Nachhaltigkeit?

Zane Berzina: Auf keinen Fall! Nachhaltigkeit steht für uns für gesellschaftliche Verantwortung, die ökologische, soziale und ökonomische Fragen einschließt. Und wir haben in der Vergangenheit viele Projekte initiiert, die sich explizit mit sozialer Nachhaltigkeit beschäftigen. Das Projekt „post­ carbon“ zum Beispiel, bei dem wir uns mit der sozialen Infrastruktur der Lausitz beschäftigt haben und damit, was man tun kann, um diesen Bereich mit nachhaltigen Gestaltungsmethoden zu stärken. In einem anderen greenlab­-Projekt „inklusiv leben und arbeiten“ haben wir Werkzeuge und Räume für Coworking entwickelt und im Projekt „social design – Lernwelten gestalten“ gemeinsam mit unseren Studierenden die Möglichkeiten von inklusivem De­sign im Kontext von Montessori-­Schulen erforscht.

Lucy Norris: Wenn wir über Nachhaltigkeit nach­denken, müssen wir uns grundlegende Fragen über die Natur der Welt stellen, in der wir leben, und darüber, wie wir uns gegenseitig in die Lage verset­zen können, uns neue Wege des Zusammenlebens vorzustellen, als Gemeinschaften und als Welt­bürger: Wie können wir uns um soziale und ökologi­sche Gerechtigkeit bemühen, alternative politische Ökonomien ins Auge fassen, andere Stimmen an­erkennen und anhören und integrativere Formen des Zusammenlebens in der Welt entwickeln? Und wie können wir lernen, nicht­menschlichem Leben Raum zu geben und seine Vielfalt und seinen Reichtum zu respektieren? Das Streben nach Nachhaltigkeit wird nicht allein durch groß angelegte technische Lösungen möglich sein, sondern erfordert einen massiven kulturellen Wandel in der Art und Weise, wie wir über unsere gemeinsame Zukunft denken. Um unseren Sinn für Bescheidenheit zu entwickeln, unseren Respekt für andere zu vertiefen und ihn mit einem neuen Sinn für Ziele zu verbinden, müssen wir uns mehrere Zukünfte vorstellen und verschiedene Ansätze annehmen; wir müssen die nächste Gene­ration von Designer*innen dabei unterstützen, ihren Teil dazu beizutragen, „out of the box“ zu denken!

Cladophora, Non-woven (Foto: © Malu Lücking)

CCB Magazin: Beim greenlab fließen Disziplinen wie Textil- und Flächendesign, Theorie und Geschichte, visuelle Kommunikation und Produktdesign zusammen. Was ist das zentrale Ziel? Und wie funktioniert das in der Praxis?

Zane Berzina: Unser Ziel ist es, einen interdiszi­plinären Designansatz zu entwickeln. Denn die Probleme des 21. Jahrhunderts lösen wir nicht allein. Das schafft keine Teildisziplin. Darum ist auch die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Design so wichtig, und deshalb bedarf es interdisziplinärer Ansätze – Design kann hierbei eine wichtige Rolle spielen. Gerade in den letzten Jahrzehnten hat sich Design weit über die Herstellung von Objekten hin­ aus in Richtung Systemdesign und nutzerzentrierte partizipative Praktiken entwickelt. Das heißt aber auch, dass Designer*innen vor ganz neuen Aufgaben und Herausforderungen stehen – es geht heute auch darum, gesellschaftliche Probleme zu lösen. Hier das große Ganze und die Endnutzer*innen im Auge zu behalten, während Designer*innen nicht stan­dardisierte Lösungen entwickeln, das versuchen wir am greenlab zu vermitteln.

Barbara Schmidt: Zu Beginn jeder Phase regen wir dazu die interdisziplinäre Vernetzung der Studieren­ den bei den greendesign­Projekten über Workshops und Exkursionen an. Meist bilden sich innerhalb der Gruppe Teams aus Studierenden der verschiede­nen beteiligten Fachgebiete, deren Fähigkeiten sich ergänzen – hier gäbe es unzählige Projekte zu nennen, das Projekt „compagno“ zum Beispiel, das das Teilen von Nahrung unter Pandemie­-Bedin­gungen thematisiert. Im Zentrum steht die Frage, wie sich objektbedingte Grenzen beim Vorgang des Essens sichtbar machen und graduell überwinden lassen, um das soziale Gefüge beim Essen durch neuartige Interaktionsformen zu stärken – Nahrung, Nachhaltigkeit und Interaktionsformen greifen hier ineinander.

CCB Magazin: Was passiert im Anschluss? Welche Wege schlagen die Studierenden nach dem Studium ein?

Zane Berzina: Ganz unterschiedlich. Youyang Song ist zum Beispiel mit ihrem Ersatz für Tierleder auf Basis von Fruchtabfällen gerade dabei, ihr eigenes Unternehmen zu gründen. Bei „Black Liquor“ gibt es weiteren Forschungsbedarf in Bezug auf die An­wendungen des Materials und der Entwicklung des Teams – Esther Kaya Stögerer und Jannis Kempkens arbeiten gemeinsam mit dem Fraunhofer­Institut für Holzforschung, Wilhelm­-Klauditz-­Institut WKI. Beide arbeiten nun mit der Industrie zusammen und treiben das praxisorientierte Forschungsprojekt voran. So vielfältig wie unsere Studierenden sind, so unterschiedlich sind ihre Karrierewege. Das Unter­nehmen „be able“ ist zum Beispiel von unseren greenlab­-Alumni. Es wurde während unseres ersten greenlab-­Projekts im Jahr 2010 gegründet. Sie beschäftigen sich mit sozialer Nachhaltigkeit und Designaktivismus und setzen sich für mehr In­klusion, Kreativität und soziale Kompetenz durch die Gestaltung individueller Bildungsformate ein. „Wild and Root“ ist ein weiteres Beispiel, das in einem unserer greenlab­-Projekte „postcarbon“ im Sommersemester 2014 entstanden ist. Dieses Unternehmen gestaltet nachhaltige Veranstaltungen mit nachhaltigen Food­Design­Strategien.

Barbara Schmidt: Es sind aber auch Wege fern der kommerziellen Verwertbarkeit denkbar, so etwa für die hochschulinterne Arbeit. So ist aus dem greenlab­-Umkreis beispielsweise das Projekt „re:lab“ von Lilith Habisreutinger hervorgegangen, das als physisches Ergebnis für die Hochschule nun einen Ort hervorgebracht hat, der das kreislaufförmige Wirtschaften in unserer eigenen Institution voran­bringt: den „material­kubus“, in dem Materialien getauscht werden können, die früher oft einfach unsortiert in der Tonne landeten. Sie kommen in neue Nutzungszyklen, und die Hochschule spart das Geld für die Entsorgung.

CCB Magazin: Ein Problem vieler Designprojekte im Bereich der Nachhaltigkeit ist, dass sie Impulsgeber für eine nachhaltige Ökonomie sind, sich auf dem Markt gegenüber der Großindustrie aber nur schwer behaupten können. Wie werden die Studierenden auf die Marktsituation vorbereitet?

Heike Selmer: Ganz unterschiedlich, schon das transdisziplinäre Arbeiten ist hilfreich. Es ist eine gute Vorbereitung auf zukünftige Arbeitssituationen. Die berufliche Zukunft von Gestalter*innen und der Nachwuchs­-Generation wird ja nicht linear verlau­fen: Vielseitigkeit, Resilienz, Flexibilität, Professiona­lität, Teamfähigkeit, Internationalität und eine gute Ausbildung in Bereichen wie Nachhaltigkeit, darum geht es – erst diese Faktoren ermöglichen auch ein Überleben im umkämpften und sich permanent verändernden Arbeitsmarkt.

Zane Berzina: Zudem organisiert das greenlab jähr­lich ein Symposium mit eingeladenen Experten aus Industrie, Wissenschaft und Design als Input für unsere Studierenden, bevor sie mit der Entwicklung ihrer eigenen Projektideen beginnen. Dies gibt ihnen einen sehr guten Einblick in den aktuellen Diskurs innerhalb der Forschung und des breiteren Kontex­tes der Kreativwirtschaft.

CCB Magazin: Gibt es hier Grenzen? Mit wem kooperiert das greenlab nicht? Ich frage, weil der Markt überwiegend nicht-nachhaltig ist.

Barbara Schmidt: Natürlich gibt es Grenzen. Ko­operationen mit Akteur*innen, die Nachhaltigkeits­standards verletzen, würden wir nicht eingehen. Im Grunde müssen die Studierenden dazu aber ihre ganz eigenen Erfahrungen machen. Wir unterstüt­zen sie auf ihrem Weg. Und dabei geht es nicht nur um die klassische Berufseinmündung – wir ent­wickeln Strategien nicht nur für den Markt, sondern fürs Leben. Wir versuchen aber stets ein kritisches Bewusstsein zu schulen, um sich nicht bedingungs­los einer Marktlogik zu unterwerfen. Was natürlich nicht heißen soll, dass man im Anschluss nicht von seiner eigenen Arbeit leben können soll.

CCB Magazin: Wie schafft es das greenlab, sich selbst über Wasser zu halten? In Deutschland sind die Ausgaben des Bundes für Forschung und Entwicklung von 2005 bis 2019 von 9,0 Milliarden Euro auf 18,7 Milliarden Euro im Jahr 2019 gestiegen. Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung haben sich in 14 Jahren mehr als verdoppelt. Im Bereich der Nachhaltigkeit gibt es bis heute allerdings kein bundesweites Programm für die Kultur- und Kreativwirtschaft. Wie wird das greenlab finanziert?

Zane Berzina: Wir sind Teil der weißensee kunst­ hochschule berlin, daher erhalten wir unsere Mittel – das heißt, alle Mitarbeiter_innenstellen sind finanziert. Aber wir müssen uns auch um zusätzliche Mittel von unseren externen Partner_innen bemü­hen, um über die Runden zu kommen. Heike Selmer: „localinternational °4“ wurde bei­spielsweise vom Goethe­-Institut Bangladesch mit Geldern des Auswärtigen Amts finanziert. green­ lab liefert ein zukunftsweisendes Studium, Alumni wurden mit Preisen ausgezeichnet. Aber so erfolg­reich sich das anhört: Wir haben kein Backoffice, keine eigenen Räume, kaum Forschungsmittel. greenlab-­Projekte bestehen vor allem aus Herz­blut. Wir wünschen uns natürlich eine langfristige Finanzierung, um planen zu können und Alumni längerfristig als Forschende und Lehrende in unsere Projekte einzubinden.

Cladophora, Bioplastik in Streifenmuster (Foto: © Malu Lücking)

CCB Magazin: Wir erleben gerade in der Corona-Pandemie, wie die Politik geradezu wissenschaftsgläubig auf die Forschung hört. Im Bereich der Nachhaltigkeit werden dagegen die Signale seit Jahren überhört. Was wünschen Sie sich künftig von der Politik?

Barbara Schmidt: Wir wünschen uns, dass auch im Bereich der Nachhaltigkeitsforschung – in unserem Falle des Designs – die Signale gehört werden. Es ist höchste Zeit. Energiewende, Agrarwende, Verkehrswende, Bauwende, eine Materialwende, wenn Sie so wollen, und die grundsätzlichen Ver­änderungen bezüglich der Art, wie wir auf Res­sourcen zugreifen, müssen dringend umgesetzt werden. Ich bin hier aber hoffnungsfroh: Die neuen Perspektiven, die wir mit den Mitteln der Gestaltung aufzeigen können, öffnen Raum für Änderungen, wo sie so offensichtlich dringend notwendig sind. Wir versuchen mit den greenlab­Projekten greifbar zu machen, was sein könnte – damit wir nicht erst bei akuter Rohstoffknappheit handeln.

CCB Magazin: Zum Schluss einen Blick in die Glaskugel bitte: Wo steht das greenlab in zehn Jahren?

Zane Berzina: Ich hoffe, dass das greenlab in zehn Jahren über einen eigenen Arbeitsbereich mit einer Bibliothek für nachhaltige Materialien verfügt und einige engagierte Forschungsassistent*innen dort arbeiten.

Heike Selmer: ... und wir hoffen, dass wir in der Lage sein werden, einen praxisbezogenen PhD­-Abschluss anzubieten.

Die greenlab-Gründerinnen (v.l.): Zane Berzina, Lucy Norris, Barbara Schmidt, Heike Selmer

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