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Green Days

Green Days
Foto: © Nadine Kunath

Auch die Musikindustrie legt einen Zacken zu: immer mehr Musiker*innen und Bands machen sich darüber Gedanken, wie sie nachhaltiger touren können. Der Co2-Fußabdruck der Branche mag gering sein – ihre Strahlkraft ist es nicht. Was tut sich auf der großen Bühne?
 

Text Boris Messing

 

Radiohead haben es getan, Coldplay auch, Massive Attack ebenso - alle haben Schritte eingeleitet, um ihre Co2-Emissionen auf Konzerttouren künftig einzusparen. Und damit sind sie nicht alleine. Immer mehr Musiker*innen wollen nachhaltiger werden. Zwar sind Co2-Emissionen durch die Musikbranche vergleichsweise gering. Die Strahlkraft und die Vorbildwirkung sind es aber nicht. Erleben wir künftig nur noch nachhaltige Touren? Green Touring Hello?

Mitnichten. Aber es tut sich was. Die Einzelposten der Emissionen, die durch Konzerttouren verursacht werden, sind auf den ersten Blick zwar vergleichbar mit anderen Großveranstaltungen wie Messen, Kongressen oder Festivals, über die wir an anderer Stelle bereits geschrieben haben. Die An- und Abreise der Gäste zur Eventlocation machen fast immer den größten Teil der Emissionen aus. Je mehr Gäste kommen, desto höher fällt der prozentuale Anteil an den Gesamtemissionen aus. Bei kleineren Bands mit weniger Publikum kann es aber auch schon sein, dass das Reisen der Band samt Equipment selbst den größten Posten ausmacht. Danach folgen Energieversorgung, Technik, Catering, Müllmanagement, Merchandising usw. Um zu wissen, wo die größten Probleme liegen, empfiehlt es sich eine Co2-Bilanzierung und anschließende Analyse einer Tour zu machen. Danach richtet sich, was getan werden kann.

Katrin Wipper von The Changency, einer Beratungsstelle für die Musikbranche, ist überzeugt von der „Strahlkraft von Leuchtturm-Projekten“. In ihren 15 Jahren Berufserfahrung als Tour-Managerin, Booking-Agentin und in der Vorproduktion für Tourneen hat sie das Live-Business von allen Seiten kennengelernt. Bands mit großer Publikumsreichweite, sagt sie, hätten nicht nur die „größte Hebelwirkung“, sondern würden auch „viel Inspiration nach außen tragen“. Inspiration für kleinere Bands, Inspiration für die Fans. Zusammen mit Sarah Lüngen gründete sie im September 2021 darum The Changency. Über ein Jahr bildeten sich beide in Sachen Nachhaltigkeit weiter und ergänzten das mit ihrer jahrelangen Expertise im Organisieren von Musikevents. Gleich ihr erstes Projekt – Plant a Seeed – wurde zum Erfolg.

In Kooperation mit der Band Seeed und dem Studiengang Theater- und Veranstaltungstechnik und -management der Berliner Hochschule für Technik realisierten sie in diesem Sommer das erste wissenschaftliche Nachhaltigkeitsprojekt zu Großkonzerten in Deutschland. Fünf Konzerte in der Wuhlheide wurden als Grundlage der wissenschaftlichen Untersuchung gewählt. Die insgesamt 85.000 Zuschauer*innen sollten für das Thema Nachhaltigkeit sensibilisiert und inspiriert werden und konnten durch Umfragen Feedback geben, welches in die Ergebnisse miteinfloss. An allen fünf Shows wurde ein anderer Fokus gesetzt. Vom fair und biologisch hergestellten Merchandising über fleischloses Catering für Crew und Band bis hin zum Müllmanagement – verschiedene Ansätze und Ideen wurden ausprobiert und dokumentiert. Eine Klimabilanz der Konzerte wurde ebensfalls erstellt.

Vor kurzem wurden nun die kompletten Studienergebnisse veröffentlicht. Von den 6000 Gästen, die an den Umfragen teilnahmen, haben ca. 2700 die Fragebögen vollständig ausgefüllt. Eines der zentralen Ergebnisse ergibt, dass der Stromverbrauch pro Konzert ungefähr 4000 KWh ausmachte. Damit war der Energieverbrauch auf einem der Konzerte 60 - 80 Prozent geringer als wenn die Konzertbesucher*innen zuhause geblieben wären. Der größte Energieposten entstand erwartungsgemäß durch die Mobilität der Gäste, etwas über 87 Prozent der Gesamtemissionen. Auch nicht erstaunlich ist die Tatsache, dass die 25 Prozent der weiter weg angereisten Gäste 75 Prozent der Emissionen verursacht hatten. Die verbliebenen zwei Drittel der Gäste kamen aus dem Berliner Umland. Die logische Konsequenz daraus: kürzere Anreisewege - weniger Emissionen. In der Mobilität liegt der größte Hebel, um etwas zu verändern. Interessant ist auch, dass 94 Prozent der Befragten bereit wären, einen Euro mehr für ein Konzertticket zu zahlen, um damit Menschen mit weniger Geld ein Konzertticket zu ermöglichen. Zudem sprach sich eine große Mehrheit für nachhaltiges Merchandising und ein vegetarisches Speiseangebot aus; etwas mehr als die Hälfte der Befragten würde sich auch mit einem rein veganen Speiseangebot zufrieden geben. Alle Ergebnisse der Studie finden sich hier.


Seeed beim Konzert in der Wuhlheide: Fotos: Nadine Kunath.

Ein besonderes Augenmerk legten sie auf das Thema Mobilität. In Kooperation mit dem ADFC und #BIKEYGEES riefen Seeed zur gemeinsamen Anreise der Fans mit dem Rad zu einem der Konzerte in der Wuhlheide auf. Die Aktion war so erfolgreich, dass sie am 2. Oktober sogar von Hertha BSC im Spiel gegen TSG Hoffenheim nachgeahmt wurde. Zum Sieg verholfen hat ihnen das allerdings nicht. Die Kommunikation mit den Fans sei dabei der Knackpunkt, sagt Katrin Wipper. Die muss transparent sein und darf nicht allzu pädagogisch rüberkommen. Ein Vorteil ist, dass einem die Fangemeinschaft prinzipiell wohlgesonnen ist.

Radiohead, die 2007 als erste Band den Stein ins Rollen brachten und sich weigerten, so weiterzumachen wie bisher, hatten eine ganze Reihe an umweltfreundlichen Maßnahmen für ihre Tour im Jahr darauf umgesetzt. Die Kommunikation mit den Fans war dabei ein Schlüsselelement. Sie hielten ihre Fans an, mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu den Konzerten zu kommen und ließen diejenigen, die es taten, früher in die Location. Coldplay machte es Jahre später ganz ähnlich und gab vergünstigte Tickets für Fans heraus, die nachweislich den ÖPNV nutzten. Überprüft wurde das durch eine App. Recht simpel lässt sich auch ein Ticketaufpreis von einem Euro addieren, um den ÖPNV den ganzen Konzerttag über nutzen zu können und so einen Anreiz zu schaffen, aufs Auto zu verzichten. Das alles muss nur plausibel kommuniziert werden.


Katrin Wipper mit anderen Seeed-Fans auf der Raddemo zur Wuhlheide. Fotos: Nadine Kunath.

Das sind aber nur die schönen Geschichten einer neuen möglichen nachhaltigen Welt. Auch Negativanreize sind möglich. Bei einem anderen Projekt, bei dem The Changency involviert war und bei dem Die Ärzte und Die Toten Hosen im August drei Konzerte für 180.000 Fans auf dem Flughafen Tempelhof spielten, wurden keine Parkplätze bereitgestellt (ausgenommen Behinderten-Parkplätze). Die Konzerte dienten überdies als Bühne, um auf unterschiedliche Weise das Thema Cradle to Cradle zu thematisieren. Ein Labor zum Thema klima- und ressourcenpositive Konzerte wurde von den Bands zur Verfügung gestellt. Aber nicht nur die großen Bands versuchen Wege zu mehr Nachhaltigkeit bei Konzerten zu ebnen. Katrin Wipper ist überzeugt, dass das Bewusstsein der Musiker*innen in Sachen Nachhaltigkeit „sehr ausgeprägt ist“. Aber die „Kommunikation nach außen“ sei noch nicht optimal. Die richtet sich nicht nur an die Fans, sondern auch an die Medien. Viele Bands unternähmen nichts, weil sie Angst vor dem Vorwurf des Greenwashings hätten, sagt sie. Sie haben Angst davor, dass die Medien sie für ihre noch nicht optimale Nachhaltigkeitsstrategie attackieren würden. Aber irgendwo, sagt Katrin Wipper, müssten die Bands ja anfangen. „Wir brauchen eine andere Fehlerkultur“, folgert sie. Eine, die nicht gleich verurteilt und wertschätzt, was getan wird.

Große, bekannte Bands mit Einfluss und Moneypower sind eine Sache. Aber wie sieht es mit kleineren Bands aus, was können die tun? Einen guten Überblick über grünes Touren bietet beispielsweise der Green Touring Guide, eine Initiative der Popakademie Baden-Württemberg und der Green Music Initiative. Darin werden für alle oben genannten Bereiche – Mobilität, Energie, Catering etc. – Vorschläge und Tipps unterbreitet und Best-Practice-Beispiele genannt. Der Leitfaden verweist beispielsweise auf den Autoclub VCD, der ein Ranking der umweltfreundlichsten Transporter erstellt hat. Und auch der Blaue Engel empfiehlt umweltfreundliche Autos. Solche und viele andere nützliche Tipps werden im Leitfaden erwähnt. Darüber hinaus gibt es den, allerdings noch sehr mageren, Green Club Index, der ökofreundliche Venues in ganz Deutschland auflistet. Das Green Touring Netzwerk informiert regelmäßig über Nachhaltigkeit in der Musikindustrie und versucht eine Green Community aufzubauen. Und im Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit ist bereits ein breites Netzwerk von Kulturakteuren, darunter Teile der Musikindustrie, entstanden.

The Changency, sagt Katrin Wipper, habe in jedem Fall alle Hände voll zu tun. Die Nachfrage nach Nachhaltigkeitsstrategien bei Festivals, Veranstalter*innen und Musiker*innen sei groß. Dass mehr Nachhaltigkeit in der Musikindustrie unterm Strich momentan noch teurer ist, lässt sich allerdings nicht vermeiden. Es brauche gezieltere Fördermittel, um die Kurve noch zu kriegen, sagt sie, denn die Folgen des Klimawandels wären noch viel teurer.  Just move on up, würde uns der alte Curtis vermutlich raten - oder Don't think twice, it's alright in Bob Dylans Worten.


 

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Rubrik: Innovation & Vision

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