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Labor Tempelhof: "Die Probleme entstehen nicht erst auf dem Festivalgelände"

Labor Tempelhof: "Die Probleme entstehen nicht erst auf dem Festivalgelände"
Foto: © Joerg Steinmetz

Veranstaltungen verbrauchen im Durchschnitt 37 kg CO₂ pro Teilnehmer - klimatechnisch eine Katastrophe. Das Labor Tempelhof hat in Zusammenarbeit mit den Ärzten und Toten Hosen drei Konzerte organisiert, durch die alle Materialien in biologische und technische Kreisläufe zurückgeführt werden sollen. Wie funktioniert das Konzept?
 

INTERVIEW JENS THOMAS

 

CCB Magazin: Katrin und Jonna, ihr habt mit dem Labor Tempelhof ein Veranstaltungskonzept basierend auf Cradle to Cradle und Nachhaltigkeitskriterien auf den Weg gebracht, um möglichst alle Materialien in Kreisläufe zurückzuführen. Im Mittelpunkt standen vier geplante Konzerte der Ärzte und Toten Hosen für eine "klimapositivere Zukunft", von denen letztlich drei stattfanden. Wie haben die Bands an diesem Prozess mitgewirkt?

Katrin Wipper: Die Klimakrise geht uns alle an, umso mehr freuen wir uns, dass die beiden Bands ihre Konzerte für das Labor Tempelhof zur Verfügung gestellt haben. Sowohl die Ärzte als auch die Toten Hosen haben den kompletten Weg begleitet und gehen als Beispiele voran.

Viele wollen vieles bewegen: die C2C-Crew mit den Toten Hosen und Ärzten auf dem Tempelhofer Feld. Foto © Cradle to Cradle NGO
 

CCB Magazin:Für alle, die nicht wissen, was sich hinter C2C verbirgt, erklärt doch bitte kurz das Konzept.

Jonna Clasen: Cradle to Cradle ist ein Ansatz für eine Kreislaufwirtschaft, die beim Design von Produkten und Prozessen beginnt. Ziel ist es, alle Produkte so zu gestalten, dass die dafür verwendeten Ressourcen in biologischen und technischen Kreisläufen zirkulieren können und somit nie zu wertlosem Müll werden. Dazu werden Produkte abgeleitet von ihrem Nutzungsszenario designt: Landen Bestandteile eines Produkts unweigerlich in der Umwelt, etwa der Abrieb von Schuhsohlen, muss dieser Abrieb dafür geeignet und biologisch abbaubar sein. Bei Produkten, deren Bestandteile nicht in der Umwelt landen, müssen die Materialien und Rohstoffe sortenrein trennbar und recycelbar sein, damit sie sich kontinuierlich weiter nutzen lassen. Neben der Kreislauffähigkeit und Materialgesundheit von Produkten gehören die Nutzung ausschließlich erneuerbarer Energie aus kreislauffähigen Anlagen, der Aufbau von fruchtbaren Böden, die Kreislaufführung von Wasser und das Management von Treibhausgasen zu diesem Ansatz.

Wir müssen politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen ändern. Nur so ist es Veranstaltenden möglich, klima- und ressourcenpositive Events zu planen und umzusetzen

CCB Magazin: Das Labor Tempelhof ist ein Gemeinschaftsprojekt der Initiatoren Cradle to Cradle NGO, KKT GmbH – Kikis Kleiner Tourneeservice, Loft Concerts GmbH und Side By Side Eventsupport GmbH. Wie schafft man es, Veranstaltungen so zu organisieren, dass möglichst alle Materialien wiederverwertbar sind?

Katrin Wipper: Im Zuge des Projekts wurden zunächst mit allen involvierten Gewerken Gespräche über die bei der Veranstaltung eingesetzten Materialien geführt. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es nur schwer umsetzbar, 100 Prozent Wiederverwertbarkeit zu gewährleisten, da viele Materialien nicht im direkten Einfluss- und Wirkungsbereich der Veranstaltenden liegen. Zum Beispiel bei der temporären Miete von Bauten und Zelten. Zudem sind manche Kreisläufe am Ende der Nutzungsphase nicht geschlossen – es ist bei vielen Produkten noch kein funktionierendes Trenn- oder Recyclingsystem gewährleistet. Das sind Learnings aus diesem Projekt, an denen wir konstant arbeiten, um uns zu verbessern.

Jonna Clasen: Auch über die Produktebene hinaus haben wir versucht, möglichst viele Stoffströme zu schließen. Gut gelungen ist das beim Sanitärkonzept. Hier hatten wir unter anderem Komposttoiletten im Einsatz, in denen Kot und Urin getrennt gesammelt wurden. Der Kot wurde im Rahmen des Projekts ZirkulierBar in Eberswalde zu Humus kompostiert, aus dem Urin wurde das darin enthaltene Phosphor zurückgewonnen und zu Flüssigdünger verarbeitet. In den eingesetzten Mobiltoiletten wurde statt der üblichen umweltschädlichen Reinigungschemie ein biologisch abbaubares Mittel eingesetzt. Diese Toiletten wurden nach Waßmannsdorf zur Entleerung umgeleitet, die einzige Kläranlage in Berlin, in der schon heute aus Klärschlammasche Phosphor zurückgewonnen und daraus Dünger hergestellt wird. Insgesamt konnten wir so aus mehr als 80 Prozent aller Toiletten Nährstoffe zurück in die Kreisläufe führen.

Eine der Projektmanagerinnen von Labor Tempelhof, Jonna Clasen. Foto © Cradle to Cradle NGO

CCB Magazin: Das Projekt besteht aus drei Projektstufen. Welche sind das?

Jonna Clasen: Die Konzerte und die umgesetzten Maßnahmen waren die erste Projektstufe. In der EU haben wir uns politisch das Ziel einer Kreislaufwirtschaft vorgenommen. Und Labor Tempelhof zeigt, dass wir dringend politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen ändern müssen, wenn wir es mit diesem Ziel ernst meinen. Nur dann ist es für Veranstaltende künftig auch einfacher, wirklich klima- und ressourcenpositive Events zu planen und umzusetzen. Deshalb wurde im Rahmen des Projekts ein Report mit Handlungsempfehlungen für die Politik verfasst und wir arbeiten an einem Guidebook für die Veranstaltungsbranche, in dem wir die messbaren Ergebnisse der Konzerte vorstellen und schildern, wo besonders große Hebel für Kreislauffähigkeit liegen und wie diese bewegt werden können. Im kommenden Jahr folgen eine Eventreihe sowie eine viermonatige Ausstellung in Berlin zum Projekt. Und die letzte Projektstufe ist die Wirkung, die wir durch das Labor erzielen konnten: Wir wollen schauen, wen wir damit inspirieren können, welche künftigen Veranstaltungen sich C2C zum Maßstab nehmen und was wir in der Politik bewegen konnten. Der Green Culture Desk, der Veranstaltende in Sachen nachhaltige Entwicklung beraten soll, ist ja ein erklärtes Ziel der Bundesregierung im Koalitionsvertrag. Da können wir uns beispielsweise viele Synergien vorstellen.

Wo C2C noch nicht skaliert werden konnte, lag das nicht an fehlender Innovation oder Technologie, sondern an fehlender Zeit oder an falschen oder fehlenden Rahmenbedingungen

CCB Magazin: Ihr habt bereits angesprochen, dass eine hundertprozentige Wiederverwertbarkeit zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht möglich ist. Für die Planung und Durchführung einer Veranstaltung fallen durchschnittlich 37 kg CO₂ pro Teilnehmer an. Wo liegen die größten Probleme? Wie löst man sie?

Jonna Clasen: Bei der Betrachtung von Nachhaltigkeit wird oft vergessen, dass Klima- und Ressourcenprobleme zusammenhängen. Die Probleme entstehen nicht erst auf einem Festivalgelände, sondern bereits in der Lieferkette aller Produkte, die für eine Veranstaltung benötigt werden. Für ein konventionell hergestelltes weißes T-Shirt werden in der Produktion unterschiedlichen Studien zufolge mehr als 2.000 Liter Wasser verbraucht. Bei einem gefärbten oder bedruckten T-Shirt, und das ist zum Beispiel bei Merchandise der Fall, ist es ein Vielfaches. Wir konnten bei den Labor Tempelhof-Konzerten den Wasserverbrauch nach derzeitigem Stand der Berechnungen um etwa 50 Prozent reduzieren. Und der Großteil dieser Reduktion ist auf die Lieferketten der C2C- und C2C-inspirierten Produkte und Prozesse zurückzuführen, wie beispielsweise der Anteil von C2C-zertifizierten T-Shirts im Merch der beiden Bands. Auch das überwiegend pflanzliche Speisenangebot benötigt in der Herstellung deutlich weniger Wasser als ein fleischlastiges Angebot.

Katrin Wipper: Die größten CO₂-Emittenten bei einer Veranstaltung sind Mobilität, insbesondere die Anreise der Fans, Energie und Ernährung. Gemeinsam machen sie rund 90 Prozent der gesamten CO₂-Emissionen eines Events aus. Konkret bedeutet das, ein gut kommuniziertes Mobilitätskonzept umzusetzen, das Anreize für eine klimafreundliche Anreise setzt. Beim Labor Tempelhof wurde dies durch die Inkludierung der kostenfreien ÖPNV-Anreise im Konzertticket aller Fans und die Bereitstellung eines kostenlosen und betreuten Fahrradparkplatzes vor Ort umgesetzt. Revolutionär war die Tatsache, dass diese großen Open-Air-Veranstaltungen fast zu 100 Prozent über Feststrom, der natürlich Ökostrom war, abgedeckt werden konnten, was einen massiven logistischen und finanziellen Mehraufwand in der Produktion bedeutete. Das Essensangebot für die Besuchenden vor Ort bestand zu 60 Prozent aus vegetarischen Gerichten, das Catering im Backstage war zu 100 Prozent vegan und vegetarisch.

Die zweite im Bunde: Labor-Tempelhof-Projektmanagerin Katrin Wippert. Foto © Nadine Kunath

CCB Magazin: Und wo kommt das C2C-Konzept an Grenzen? Was lässt sich nicht C2C-basiert umsetzen?

Katrin Wipper: Cradle to Cradles größter Hebel setzt direkt bei den Herstellenden von Produkten und Veranstaltungsdienstleistern an: direkt dort, wo Materialien und Herstellungsprozesse beeinflusst werden können. Ist das fertige Produkt eines Event-Dienstleisters, beispielsweise einer Firma, die Bühnen-Elemente für Konzerte vermietet, erst einmal hergestellt, ist es für Veranstaltende schwer, im Nachgang Einfluss auf die verwendeten Materialien zu nehmen.

Jonna Clasen: Deshalb war es ja so wichtig, mit den Gewerken ins Gespräch zu gehen, um dort Awareness für das Thema zu schaffen und einen Wandel in Wirtschaft und Politik anzustoßen. Denn theoretisch lassen sich alle Aspekte einer Veranstaltung nach C2C umsetzen. Wo C2C noch nicht skaliert werden konnte lag das nicht an fehlender Innovation oder Technologie, sondern an fehlender Zeit oder an falschen oder fehlenden Rahmenbedingungen.

CCB Magazin: Veranstaltungen kosten viel Geld. Spart man durch die Umstellung auf C2C ein oder zahlt man am Ende drauf?

Jonna Clasen: Das kommt darauf an, welche Kosten man betrachtet. Wenn Folgekosten für Umwelt- und Gesundheitsschäden durch konventionelle Produkte mit eingerechnet werden, dann ist eine C2C-Lösung heute schon wirtschaftlicher. Viele umwelt- oder gesundheitsschädliche Produkte oder Prozesse werden heute aber subventioniert oder steuerlich begünstigt. Solange das der Fall ist, braucht es Projekte wie das Labor Tempelhof, die diesen Fehler im System deutlich machen, darüber sprechen und einfach den Mut haben, die Dinge ganz anders zu machen.

Katrin Wipper: Der Teufel liegt oft im Detail. Bei den vorliegenden Konzerten entstanden teils immense Mehrkosten durch die Umstellung auf möglichst klima- und ressourcenschonende Konzerte. Das wird sich aber im Laufe der nächsten Jahre ändern: Der Einsatz von Feststrom bei den Konzerten, im Gegensatz zu Diesel-Generatoren bei herkömmlichen Shows, war teurer. Ändern sich die Preise für fest verlegten Ökostrom und Kraftstoffe künftig und werden diese mit den realen Kosten für die Umwelt bepreist, wird sich das Verhältnis umkehren. Wir befinden uns momentan also auf dem Weg.

Oben: Die Ärzte auf dem C2C-Konzert. Foto © Joerg Steinmetz. Unten: Diskussionen und Aktionen auf dem Festival. Foto © Cradle to Cradle NGO


CCB Magazin: Warum gibt es bislang so gut wie keine C2C-basierten Konzerte und Veranstaltungen?

Katrin Wipper: Es gibt durchaus Festivals, die auf Kreislauffähigkeit setzen, wie beispielsweise das DGTL Festival in Amsterdam. Die Veranstaltenden haben den Vorteil, dass sie bereits konstante Gegebenheiten - Veranstaltungsfläche, Event-Team, etc. – etabliert haben und sich stetig von Jahr zu Jahr verbessern und auf ihren Erfahrungen aufbauen können. Das ist bei Konzerten mit wechselnden Locations und Teams teilweise schwieriger. Erfreulicherweise bewegt sich die Branche aber in die richtige Richtung, so hat beispielsweise das Wacken Open Air dieses Jahr verkündet, bis 2030 mit Cradle to Cradle kreislauffähig sein zu wollen und beim ADE (Amsterdam Dance Event) haben sich gerade 46 europäische Festivals – unter anderem Roskilde, Boomtown, EXIT Fest – zusammengeschlossen, um künftig nachhaltiger und kreislauffähiger zu agieren und das gesammelte Wissen untereinander zu teilen.

Für die Gesetze auf EU- und Bundesebene herrscht enormer Änderungs- und Ergänzungsbedarf, um den richtigen Rahmen für eine echte Kreislaufwirtschaft nach C2C zu schaffen

CCB Magazin: Das C2C-Konzept wird auch kritisiert. Ein Kritikpunkt lautet, dass es nicht vom Mehrkonsum abrücke, sondern davon ausgehe, dass durch ewige Kreisläufe nach wie vor viel produziert und konsumiert werden könne – das verbraucht nach wie vor viel Energie, die oft aus nicht-nachhaltigen Quellen stammt. Jacob Sylvester Bilabel vom Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit schlägt darum den Umstieg auf Wasserstoff aus erneuerbaren Quellen vor, der bei der Rückverstromung emissionsfrei bleibt. Wäre das die Lösung?

Jonna Clasen: Zu Cradle to Cradle gehört ja auch die ausschließliche Nutzung von erneuerbaren Energien. Und zwar aus kreislauffähigen Anlagen, denn durch die heute übliche Bauweise von Photovoltaikanlagen und Rotorblättern von Windkraftanlagen erzeugen wir ein riesiges Sondermüllproblem in der Zukunft. Wasserstoff aus regenerativen Quellen kann ein Teil der Lösung sein – je nachdem, von welcher Region in der Welt wir sprechen. In Ländern des Globalen Süden beispielsweise sind die Überschüsse aus Solarenergie hoch, da kann es sinnvoll sein, Wasserstoff daraus zu erzeugen. In anderen Regionen sind die Kosten dafür im Vergleich zur Effizienz der Technologie extrem hoch. Es ist weder wahrscheinlich noch sinnvoll, dass künftig überall auf der Welt der Energiebedarf aus erneuerbaren Quellen auf nur eine Art und Weise gedeckt wird. Solche Einheitslösungen vernachlässigen regionale Gegebenheiten und die unterschiedliche Verfügbarkeit, Effektivität und Effizienz von Ressourcen – ob endlich oder regenerativ.

CCB Magazin: Welche Entscheidungen braucht es auf politischer Ebene, damit C2C-Konzerte und Veranstaltungen Standard werden?

Jonna Clasen: Eine ganze Menge. Wir haben uns für den Report genau angeschaut, welche Gesetze auf EU- und Bundesebene im Rahmen des Circular Economy Action Plans in den nächsten Jahren diskutiert werden. Und in jedem einzelnen Gesetz gibt es enormen Änderungs- und Ergänzungsbedarf. Das fängt an bei der Abschaffung von Subventionen und Steuerbegünstigungen für umweltschädliche Produkte und Prozesse, wie die Befreiung von der Energiesteuer bei der Herstellung von Virgin Plastic aus Rohöl. Wir müssen damit beginnen, positiv zu definieren, welche Materialien und Stoffe künftig in Gebäuden und Konstruktionen, in Textilien oder in Konsumgütern und deren Verpackungen eingesetzt werden sollen, damit diese kreislauffähig und gesund für Mensch und Umwelt sind. Wir brauchen eine Landwirtschaftspolitik, die einen regenerativen Umgang mit Wasser und Boden fördert und nicht weiterhin Quantität statt Qualität subventioniert. Bei den Labor Tempelhof-Konzerten waren pro Tag 60.000 Menschen vor Ort. Die müssen essen, trinken, auf Toilette gehen und kaufen Dinge in Form von Merch ein, wie in einer mittelgroßen Stadt. Wenn wir den richtigen Rahmen für eine echte Kreislaufwirtschaft nach C2C schaffen, dann stellen wir damit auch sicher, dass klima- und ressourcenpositive Veranstaltungen künftig zum neuen Normal werden.

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