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Jeannine Koch: "Wir müssen den Arbeitskräften das bieten, was sie erwarten"

Jeannine Koch: "Wir müssen den Arbeitskräften das bieten, was sie erwarten"
Foto: © Dominik Butzmann

In diesem Jahr fand erstmals das People & Culture Festival statt, organisiert von medianet berlinbrandenburg. Im Mittelpunkt standen der Fachkräftemangel der Medien- und Kreativsektoren und das Thema Recruiting. Wir werfen einen Blick zurück und fragen medianet-Vorstandsvorsitzende Jeannine Koch: Wie verändern sich die Märkte? 

 

Interview Jens Thomas 

 

CCB Magazin:  1.300 Teilnehmer*innen, 73 Speaker, 3.200 Minuten Programm auf 6 Bühnen. Jeannine, wie lautet dein Fazit? 

Jeannine Koch: Mein Fazit fällt ausgesprochen positiv aus. Die Zahlen sprechen ja für sich. Viel wichtiger ist mir aber, welches Resümee die Teilnehmer*innen, Speaker*innen, Ausstellenden und Partner*innen gezogen haben. Und auch hier habe ich im Grunde nur Gutes gehört. 

CCB Magazin: Im Fokus des People & Culture Festivals stand der Fachkräftebedarf der Medien-, Digital- und Kreativwirtschaft. Wie lässt sich dieser beziffern?   

Jeannine Koch: Es gibt zahlreiche Studien, die damit im Zusammenhang stehen. Im Oktober wurde z.B. die bundesweite Studie des Weiterbildungsverbunds „Media Collective“ vom Erich-Pommer Institut zum Fachkräfte- und Weiterbildungsbedarf in der Bewegtbildbranche vorgestellt. Drei Viertel der Unternehmen sagten, dass sie einen spürbaren Fachkräftebedarf wahrnehmen. Leider ist uns aus dieser Studie auch bekannt, dass viele Branchen-Fachkräfte dorthin abgewandert sind, wo die Arbeitsbedingungen besser sind und dass es außerdem an gut ausgebildetem Nachwuchs fehlt. In der Studie gaben nämlich nur 29 Prozent der befragten Unternehmen an, Ausbildungsplätze anzubieten. Sechs von zehn Unternehmen sagten, dass sie einfach zu wenige Bewerbungen erhalten – und 85 Prozent der Bewerber*innen seien gar nicht geeignet. Die Zahlen lesen sich in anderen Teilbranchen kaum anders, denn es handelt sich in vielen Punkten um horizontale Probleme, also Herausforderungen, die alle gleichermaßen betreffen.

Viele Branchen-Fachkräfte wandern dorthin ab, wo die Arbeitsbedingungen besser sind. Eine Umfrage des Landesmusikrates Berlin ergab beispielsweise, dass 29 Prozent der Musikschaffenden durch die Corona-Krise keine berufliche Perspektive mehr sehen, einen Berufswechsel planen oder ihn bereits vollzogen haben

CCB Magazin: Jahrelang grassierte in der Kultur- und Kreativwirtschaft die These vom Ausverkauf eigener Arbeitskraft, Stichwort Selbstausbeutung. Haben wir diese Phase hinter uns? Erleben wir einen Paradigmenwechsel, indem sich Kreativschaffende plötzlich die Arbeitsplätze aussuchen können? 

Jeannine Koch: Ich würde sagen: Wir befinden uns mittlerweile in einem Arbeitnehmer*innen- und nicht mehr Arbeitgeber*innenmarkt. Ich gehörte ja selbst einst zur sogenannten „Generation Praktika“, die viel arbeitete und wenig verdiente. Seitdem haben sich - zum Glück - einige Dinge geändert. So herrscht heute ein größeres Bewusstsein für die Belange der Angestellten. Dies war auch eines der vielen Themen in den Panels und Keynotes beim People & Culture Festival. Auch die Politik sorgt mit dem seit 1. Oktober geltenden neuen Mindestlohn für Verbesserungen. Zugleich gibt es immer noch die Unsicherheit, wie etwa die Kreativ- und Veranstaltungswirtschaft mit Blick auf mögliche Corona-Einschränkungen durch den Winter kommen soll. Ohnehin ist die Musik- und Veranstaltungsbranche durch die Corona-Jahre erheblich geschwächt: So ergab eine Umfrage des Landesmusikrates Berlin, dass mittlerweile 29 Prozent der Musikschaffenden durch die Corona-Krise keine berufliche Perspektive mehr sehen, einen Berufswechsel planen oder ihn bereits vollzogen haben. Und gerade kleine und mittelgroße Pop-Acts bekommen die Konzerte nicht mehr voll. Der Fachkräftebedarf tut zudem sein Übriges, dass Unternehmen ihr Potenzial oft nicht voll ausschöpfen können. Ich bin dennoch frohen Mutes, dass es weitere Verbesserungen am Markt geben wird. Denn wir haben es hier mit Branchenzweigen zu tun, die eigentlich wahnsinnig spannend, innovativ und zukunftsträchtig sind und die eine große wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung für unsere Region haben. 

Foto: Matthias Wehkofsky

CCB Magazin: Ein Schwerpunkt lag in diesem Jahr auf dem Thema Recruiting, was hat es damit auf sich? 

Jeannine Koch: Wenn der Arbeitsmarkt zu wenige Fachkräfte hergibt, muss ich sie mir ggf. selbst ausbilden oder entsprechende Programme für Querein- und Umsteiger*innen anbieten - das meint Recruiting, und hier stehen die Kreativsektoren vor ganz neuen Herausforderungen. Die UFA mit ihrer UFA Academy beispielsweise, in der man in nur zwei Jahren Berufe im Film- und TV-Bereich erlernen kann, und das Erich-Pommer-Institut mit Media Collective sind gute Beispiele, wie es gehen kann. Beim Thema Recruiting muss heute einfach ganz anders vorgegangen werden als noch vor Jahren. Durch die vielen neuen Jobprofile, die beispielsweise in der Games-Branche, in neuen Medientechnologien und weiteren Bereichen entstehen, muss evaluiert werden, mit welchen Inhalten und Strukturen eine erfolgreiche Umschulung oder Weiterbildung gelingen könnte: Welche Qualifikationen brauchen die Arbeitskräfte vorher schon? Welche Kompetenzen können wir ihnen mit an die Hand geben? Beim Recruiting geht es vermehrt darum, den potenziellen neuen Arbeitskräften das zu bieten, was sie heutzutage von einem modernen Unternehmen erwarten: eine angemessene Bezahlung und Work-Life-Balance, flexible Arbeitszeit- und Arbeitsortlösungen usw.

Der Fachkräftebedarf in den Kreativsektoren wirbelt den Arbeitsmarkt kräftig durcheinander. Die Pandemie hat New Work zu einem Booster verholfen. Besonders die Generation Z fordert ein besseres Verhältnis zwischen Arbeit und Privatleben

CCB Magazin: Das Panel von Niels Pfläging von BetaCodex Network diskutierte das Thema "Leadership, Organisationsgestaltung und Erfolg am Arbeitsmarkt: Warum fast alle Unternehmen die eigentliche Transformation noch vor sich haben". Was haben die Unternehmen noch vor sich? 

Jeannine Koch: Niels Pfläging ist ein wirklich leidenschaftlicher Vordenker, was moderne Führung betrifft, und er hat in diesem Zusammenhang Denk- und Organisationsansätze vorgestellt, die in unsere künftige Arbeitswelt passen. Auch, wenn viele Unternehmen ihre „digitale Transformation“ sicherlich noch nicht abgeschlossen haben, spielt die von Niels gemeinte Transformation auf folgende Fragen an: Wie führe ich ein Unternehmen vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels? Welche Potenziale bieten die gesellschaftlichen Veränderungen? Braucht es ein Mehr an Demokratie in Arbeit und Organisationen? Wer den Vortrag verpasst hat: Auf unserem medianet-YouTube-Kanal kann man sich ihn und viele weitere Programmpunkte des Festivals nachträglich anschauen.

Foto: Christian Weber

CCB Magazin: Ein weiterer Schwerpunkt lag auf Vertrauen und einem neuen Matching von Arbeitgeber*innen und -nehmer*innen. Welches Vertrauen ist in den letzten Jahren verlorengegangen? Und wie baut man es wieder auf? 

Jeannine Koch: Der Fachkräftebedarf, der ja schon seit einigen Jahren besteht, wirbelt den Arbeitsmarkt kräftig durcheinander. Und die Pandemie hat New Work zu einem weiteren Booster verholfen. Besonders die Generation Z fordert ein besseres Verhältnis zwischen Arbeit und Privatleben und somit eine Arbeitswelt, wie es die Unternehmensverantwortlichen der Boomer-Generation über Jahrzehnte nicht kannten – und das Vertrauen bedarf. Janina Mütze hat zu diesem Thema die Eröffnungs-Keynote gehalten. Dass Vertrauen die Basis für New Work und für die Grundlage jeder Zusammenarbeit ist, hat auch Karsten Kossatz von independesk eindrucksvoll geschildert. Beachtet werden muss auch, dass diese Anforderungen mit dem rechtlichen Rahmen im Einklang stehen müssen. Da geht es um gesetzliche Vorgaben, bspw. zu mobilem Arbeiten im Ausland, zu einer möglichen Pflicht der Arbeitszeiterfassung im Homeoffice etc. Mit Dr. Alexandra Henkel hat eine Fachanwältin für Arbeitsrecht spannende Einblicke zu diesem Thema gegeben, bei dem noch eine große Unsicherheit herrscht.

CCB Magazin: Abschließende Frage: Wie bleibt Berlin auch in Zukunft ein Fachkräftemagnet? 

Jeannine Koch: Das geht nur, wenn Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft an einem Strang ziehen – und zwar so schnell es geht, denn der demografische Wandel, der den deutschen Unternehmen im Jahr 2030 rund 5 Millionen weniger Arbeitskräfte beschert, sitzt uns schon im Nacken. Wir als Netzwerkverein spüren, dass alle gewillt sind, sich dem Thema intensiv anzunehmen. Das People & Culture Festival hat das ausdrücklich gezeigt: Die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe hat das Festival maßgeblich gefördert, zahlreiche Unternehmen haben sich beteiligt. Und mit über 1.300 Teilnehmer*innen hat die Gesellschaft eindeutig ihr Interesse und den hohen Bedarf kundgetan. Das lässt uns positiv in die Zukunft schauen – wohlwissend, dass uns der Fachkräftebedarf noch eine Weile begleiten wird.

Foto: Christian Weber

Rubrik: Wissen & Analyse

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