Nachhaltigkeit, Räume Zurück

Van Bo Le-Mentzel: "Wir brauchen eine Stadt, die enkeltauglich ist"

Van Bo Le-Mentzel: "Wir brauchen eine Stadt, die enkeltauglich ist"
Foto: © Jan Pries

Van Bo Le-Mentzel macht seit Jahren ein Projekt nach dem anderen  jetzt hat er sich die Stadt vorgeknöpft: Er will Berlin in eine sozial ökologische Metropole verwandeln. Sein Konzept nennt er "Circular City". Was hat er vor?
 

INTERVIEW   Jens Thomas

 

CCB Magazin: Van Bo, Du bist seit Jahren immer und überall. Mal baust du Hartz-4-Möbel, die jeder nachbauen kann, dann stellst du fair produzierte Karma Chucks her. Seit geraumer Zeit errichtest du Tiny-Häuser und regst zum stadtpolitischen Diskurs an. Würdest du dich als unruhigen Menschen beschreiben?

Van Bo Le-Mentzel: Ich würde sagen, dass ich vielseitig interessiert und aktiv bin! Was ich mache, mach ich total gerne. Und vor allem lass ich mich von anderen inspirieren. Meine Ideen trage ich dann in die Gesellschaft. Ich nenne das »Crowducation« — Lernen durch Projekte mit Gleichgesinnten. Das schafft keine Wissenschaft.

CCB Magazin:Gibt es etwas Übergeordnetes, das dich antreibt?

Van Bo Le-Mentzel:Die Lust am Gestalten und die Notwendigkeit, sich in die Gesellschaft einzubringen. Die Frage, die dahintersteht, ist, wie wir eine Gesellschaft organisieren, die enkeltauglich ist. Wie gestalten wir eine Welt, in der auch unsere Kinder und Enkelkinder einmal sagen werden: Hey, das haben unsere Großeltern für uns gemacht! In dieser Gesellschaft muss die Wirtschaft nämlich beim „Wir“ anfangen. Die Ideen, die Lösungen kommen nicht von der Industrie top down, die erfinden wir, als Menschen. Und ich untersuche hierzu mit unterschiedlichen Projekten, wie man mit Hilfe der Crowd zu einer besseren, sozial gerechteren und innovativeren Gesellschaft kommen kann.

Die Frage ist, wie wir eine Gesellschaft organisieren, die enkeltauglich ist: Wie gestalten wir eine Welt, in der auch unsere Kinder und Enkelkinder einmal sagen werden: Hey, das haben unsere Großeltern für uns gemacht!

CCB Magazin:Der Schwerpunkt deiner letzten Arbeit lag auf neuen Wohnformen. Dazu hast dazu die gemeinnützige NGO Tiny Foundation und den Verein Tinyhouse University gegründet und die kleinste Wohnung Deutschlands gebaut, ein Tiny-House mit 6,4 Quadratmetern. Was ist daran sozial gerecht?

Van Bo Le-Mentzel:Das Tiny House nennt sich auch „100-Euro-Wohnung". Sie ist ein Entwurf, um den steigenden Mieten und der Verknappung von Wohnraum in den Städten etwas entgegenzusetzen. Ich will, dass jeder ein Anrecht auf kostengünstiges Wohnen hat. Ich nenne das bedingungsloses Grundwohnen. Und die 100-Euro-Wohnung ist dazu die kleinste Wohneinheit in einem Stadthaus namens Co-Being House.

CCB Magazin:Und da drin sieht's wie aus?

Van Bo Le-Mentzel:Auf der Decke des Badezimmers befindet sich eine Hochebene zum Schlafen, darunter eine Kochnische plus Bad — alles was man braucht und erschwinglich für jeden. Für Familien wäre das natürlich zu klein. Die können gleich mehrere 100-Euro Wohnungen miteinander koppeln. Das Co-Being-House funktioniert hingegen wie ein Mehrgenerationenhaus mit einem Gemeinschaftsraum. Der Grundgedanke dahinter ist, dass viele nach neuen Formen des kollektiven Miteinanders suchen, man will aber nicht gleich an Plenumssitzungen teilnehmen, um über die Hygiene des Bades zu diskutieren. Darum lassen sich die Co-Being-Houses individuell gestalten. Man hat Zugang zur Gemeinschaft, kann sich aber auch zurückziehen. Mir geht es um das Konzept einer zirkulären Stadt, der Circular City.

Sieht so Wohnen 4.0 aus? Bei Van Bo Le-Mentzel ja. Fotos: Le-Mentzel. 
 

CCB Magazin:Was ist mit Circular City gemeint?

Van Bo Le-Mentzel:Circular City bedeutet, dass du von deinem Wohnort aus möglichst alle lebenswichtigen Orte erreichen kannst: Büros, Schulen, Unis, Krankenhäuser, Kleingärten, Werkstätten, Fabriken usw. Und zwar fußläufig. Der Fehler moderner Städteplanung ist, dass verschiedene Formen der Nutzung — ob Gewerbe-, Wohn- oder Kleingartengebiete — voneinander getrennt werden. Das erhöht den CO2-Abdruck, weil man ständig pendeln muss. Und selbst wenn von heute auf morgen alle Gebäude energetisch saniert würden, würden wir immer noch zu viele Treibhausgase emittieren, da wir oft so lange Wege zurücklegen. Der Verkehr ist heute für ca. 20 Prozent aller Treibhausgase verantwortlich, selbst die Fahrradreifen verursachen Feinstaub! Darum müssen wir nicht nur unsere Mobilität massiv zurückfahren. Wir müssen unsere Umgebung so anpassen, dass wir alles fußläufig erreichen können.

Der Fehler moderner Städteplanung ist, dass verschiedene Formen der Nutzung — ob Gewerbe-, Wohn- oder Kleingartengebiete — voneinander getrennt werden. Das erhöht nicht nur den CO2-Abdruck, weil man ständig pendeln muss. Wir haben auch nicht das vor Ort, was wir brauchen. Genau das will die Circular City ändern

CCB Magazin:Ehrlich gesagt klingt das nicht nur utopisch, es klingt nach einem einzigen Gequetsche, wenn alles vor Ort sein soll. Warum gibt es solche Co-Being-Houses noch nicht?

Van Bo Le-Mentzel:In Wolfsburg in einem Studentenheim und in Basel habe ich bereits erste Prototypen der Co-Being-Houses entwerfen können. Und wer weiß, vielleicht werden sie irgendwann Wirklichkeit. Das Konzept der Circular City ist dagegen noch nicht erprobt. Ich habe die Mustergrundrisse aber mal am Berliner Flughafen Tegel durchgespielt, da das Konzept hier sehr gut funktionieren würde. Hier ist nach der Schließung des Flughafens Industrie für E-Mobility geplant. Die jetzigen Pläne sehen vor, dass große Hallen für die Herstellung von Elektromotoren auf die eine Seite gebaut werden und Wohngebiete auf die andere. Das halte ich für einen großen Fehler. Jeder Block sollte vielmehr ein eigenes Ballungszentrum werden — eine Circular City für sich, wo all das zu finden ist, was die Bewohner des Viertels zum Leben brauchen.

CCB Magazin:Viele wollen sich aber gar nicht verkleinern. Und wenn sich jeder irgendwo mit einem Tiny-House hinstellen kann, werden sich Orte verdichten, die dann weniger schön zum Wohnen sind. Geht das Konzept nicht an der Realität und den Grundbedürfnissen der Menschen vorbei?

Van Bo Le-Mentzel:Überhaupt nicht! Es orientiert sich geradezu an den Bedürfnissen der Menschen vor Ort. Man muss natürlich alles aufeinander abstimmen. So ließe sich der ungenutzte Raum beispielsweise über Blockchains und Künstliche Intelligenz neu organisieren. Ein Algorithmus würde wissen, ob eine Fläche in einem bestimmten Zeitraum frei ist — für Tiny Houses zum Beispiel. Und eine ein Meter dicke Erdschicht zwischen der unteren und oberen Ebene würde ermöglichen, dass Clubs, Wohnungen aber auch die Industrie fußläufig zu erreichen sind — ohne Lärmbelästigung. Die untere Ebene des Gewerbes und der Industrie wäre für jeden zugänglich. Die zweite Ebene, die der Gärten und Wohnungen, wäre nur für die Nachbarschaft bestimmt. Beide Ebenen sind stadtweit miteinander verbunden, dadurch sind sie zirkulär. Eine neue autofreie und zirkuläre Stadt würde entstehen, die es vorher nie gegeben hat.

Das Salzburger Modell. So könnte die neue Stadt aussehen. Modell: Le-Mentzel. 
 

CCB Magazin:Am Auto halten aber die meisten fest. Allein zwischen 1990 und 2020 hat sich der Autoverkehr bundesweit um 26 Prozent erhöht. Und die Politik bekommt nicht mal ein Tempo-Limit hin.

Van Bo Le-Mentzel:Das ist bedauerlich, ja, dass es aber geht, zeigt der skandinavische Städteplaner Jan Gehl, der vor Jahren den Times Square in New York einfach autofrei gemacht hat. Nach Gehl darf sich Stadtplanung nicht nach der Vielzahl der Autos ausrichten. Sie muss an die Bedürfnisse des Menschen angepasst sein. In Barcelona konnte man beispielsweise durch die so genannten Superblocks den ruhenden Verkehr halbieren. Irgendwann werden wir in Städten wie Paris oder Manhattan kein eigenes Auto mehr brauchen, wenn die Menschen an den Orten wohnen können, wo sie arbeiten oder durch ein neues Homeoffice-Gesetz mobil arbeiten. Und aus ökologischer Sicht haben wir auch gar keine andere Wahl. Die CO2-Bilanz unseres Verkehrs lässt sich nicht durch ein Mehr von Autos reduzieren, auch dann nicht, wenn es alle Teslas sind. Batterien verbrauchen auch endliche Ressourcen aus der Erde.

CCB Magazin:Wie löst die Circular City aber das Problem, dass immer mehr Menschen in die Städte ziehen? 1950 lebte nicht einmal ein Drittel der Weltbevölkerung in Städten. Seit 2007 ist es mehr als die Hälfte. Nach Berechnungen der UN werden es 2050 zwei Drittel sein. Nicht nur der Wohnraum wird sich weiter verengen. Die urbanen Räume sind auch für 75 Prozent des Energieverbrauchs verantwortlich, sprich: die Klimafrage entscheidet sich in den Städten.  Müssten die Leute nicht raus aus den Städten aufs Land ziehen, um dort die brachliegenden Flächen zu nutzen?

Van Bo Le-Mentzel:Beides ist möglich, leider funktioniert das nur bislang mit dem ländlichen Raum nicht. Es sind einfach zu wenig Menschen pro Quadratkilometer, zu wenig, um eine wirtschaftliche Grundlage sowohl für den Betrieb einer Kneipe als auch einer Klinik zu gewährleisten. Die wunderschöne Prignitz hat zum Beispiel gerade mal knapp 40 Menschen pro Quadratkilometer. Mein Plädoyer ist: Wir müssen die Ursachen für das Pendeln bekämpfen. Keine Schlafstädte mehr an Stadträndern errichten, die wie Trabanten um die Stadt kreisen. Wir müssen die Zersiedelung stoppen und unversiegelte Gebiete und Naturschutzgebiete ausweiten. Und lasst uns lieber kompakte selbstständige Kleinstädte in der Größe von Wittenberg auf 20.000 Einwohnerinnen pro Quadratkilometer nachverdichten und mit einem unantastbaren grünen Gürtel ausstatten. Wir könnten theoretisch das gesamte Bundesland unter Naturschutz stellen und die Bevölkerung auf die sieben größten Städte in der Größenordnung von NRW verteilen, das wäre besser, als den Megacity-Trend einzelner weniger Städte weiter anzuheizen.

CCB Magazin:Van Bo, wie wohnst du eigentlich?

Van Bo Le-Mentzel:Ich selbst wohne mit meiner Frau und unseren zwei Kindern in einer Zweizimmerwohnung in Kreuzberg. Als die Kinder kamen, kam natürlich die Frage auf, ob wir umziehen. Ich dachte mir, nein! Ich will hier leben. Ich mag die Gegend, hier wohnen meine Freunde und die Miete ist erschwinglich. Seitdem nutzen wir die Räume effektiver. Ich habe einfach neue Zwischenräume in der Wohnung eingezogen, und das Café unten in der Straße nutze ich als mein Büro. Hier empfange ich Gäste, dort steht auch mein Drucker, das habe ich alles mit dem Inhaber geklärt. Und wenn ich mal Ruhe brauche, lege ich mich in mein Tiny House. Es funktioniert.


Kennst du schon? Unser neues Magazin zum Thema Nachhaltigkeit und Kultur

 

Du willst das neue CCB Magazin kostenlos bestellen? [Hier gehts lang]

 

Rubrik: Specials

rss

Schon gelesen?

schließen
schließen

Cookie-Richtlinie

Wir verwenden Cookies, um dir ein optimales Website-Erlebnis zu bieten. Durch Klicken auf „Alle akzeptieren“ stimmst du dem zu. Unter „Ablehnen oder Einstellungen“ kannst du die Einstellungen ändern oder die Verarbeitungen ablehnen. Du kannst die Cookie-Einstellungen jederzeit im Footer erneut aufrufen.
Datenschutzerklärung | Impressum

Cookie-Richtlinie

Wir verwenden Cookies, um dir ein optimales Website-Erlebnis zu bieten. Durch Klicken auf „Alle akzeptieren“ stimmst du dem zu. Unter „Ablehnen oder Einstellungen“ kannst du die Einstellungen ändern oder die Verarbeitungen ablehnen. Du kannst die Cookie-Einstellungen jederzeit im Footer erneut aufrufen.
Datenschutzerklärung | Impressum