Digitalisierung, Nachhaltigkeit Zurück

Tilman Santarius: „Es ist Unfug, alles durchzudigitalisieren“

Tilman Santarius: „Es ist Unfug, alles durchzudigitalisieren“
Foto: © Felix Noak

Tilman Santarius ist Professor für Digitalisierung und Sozial-Ökologische Transformation an der Technischen Universität Berlin (TU). Er forscht seit Jahren zum Thema Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Wir wollten von ihm wissen, wie sich ökologische, soziale und digitale Nachhaltigkeit bedingen und welche Rolle den Kreativschaffenden dabei zukommt.
 

INTERVIEW JENS THOMAS
 


CCB Magazin: Herr Santarius, wir haben eine neue Bundesregierung. Die Schwerpunkte Nachhaltigkeit und Digitalisierung stehen ganz oben auf der Agenda. In welchen Bereich setzen Sie mehr Hoffnung, in die Digitalisierung oder in die Nachhaltigkeit?   

Tilman Santarius: Was die neue Koalition daraus macht, werden wir sehen. Generell erhoffe ich mir mehr beim Thema Nachhaltigkeit. So wie wir bislang gelebt haben, kann es nicht weitergehen, das sagen alle wissenschaftlichen Berichte und mittlerweile auch der gesunde Menschenverstand. Die Digitalisierung ist dagegen kein Muss. Das ist etwas, das wir uns als Gesellschaft leisten können, weil es vieles einfacher macht. Ob wir in Zukunft auf diesem Planeten aber überlebensfähig sind, das hängt nicht von der Digitalisierung ab. Das entscheiden wir als Menschen, über unseren Lebensstil.

CCB Magazin: Auffällig ist, dass die Themen Digitalisierung und Nachhaltigkeit parteiübergreifend mit einem Wachstumsglauben verknüpft sind. Ist das nicht ein Widerspruch?

Tilman Santarius: Absolut. Dass wir runter vom Gas müssen und nicht einfach weiter so wachsen können, hört man derzeit von kaum einer Partei, nicht einmal von den Grünen. Wollen wir aber das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens erreichen, brauchen wir ein anderes Wirtschaftsmodell. Und die Digitalisierung befeuert hier geradezu den Irrglauben, dass man immer weiterwachsen kann. Der Fokus darf aber nicht auf Effizienzsteigerung liegen. Wir brauchen eine klügere und reduzierte Inanspruchnahme von Ressourcen.

CCB Magazin: Und das heißt?

Tilman Santarius: Stefan Lange und ich sprechen in unserem Buch „Smarte grüne Welt?“ von der „sanften Digitalisierung“, das meint: Es ist Unfug, alles durchzudigitalisieren. Es braucht nicht überall künstliche Intelligenz. An vielen Stellen müssen wir das Tempo rausnehmen: sanfte, kluge, selektive Digitalisierung in den Bereichen, wo es Sinn macht und wo es der Gesellschaft etwas bringt. Der weltweite Stromverbrauch ist jetzt schon zu zehn Prozent auf das Internet zurückzuführen. Und beim Stromproblem bleibt es nicht. Auf die weltweit zehn Milliarden Smartphones, die seit Einführung des ersten iPhones 2007 produziert wurden, fallen beispielsweise rund 260.000 Tonnen Aluminium an. Das Gute ist: Das Internet und die Digitalisierung ermöglichen eine stärkere Vernetzung und dadurch effizientere Arbeitsprozesse und Kooperationen. Die Produktion von Waren könnte künftig viel näher an den Verbraucher*innen angesiedelt werden, dadurch können Transportwege wegfallen und der Ausstoß klimaschädlicher Gase lässt sich senken. Aber das geschieht nicht automatisch. Ziel muss es jetzt sein, durch aktive politische Maßnahmen die Digitalisierung für das Klima nutzbar zu machen.

Die Digitalisierung ist kein Muss, die Nachhaltigkeit schon. Ob wir in Zukunft auf diesem Planeten überlebensfähig sind, hängt nicht von der Digitalisierung ab. Das entscheiden wir – über unseren Lebensstil

CCB Magazin: Jetzt machen Sie’s mal konkret. Wie gelingt das?

Tilman Santarius: Auf nationaler Ebene brauchen wir erstmal ein Homeoffice-Gesetz, um flexibleres Arbeiten und einen Rückgang des Verkehrs zu ermöglichen. So hat das Berliner Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung errechnet, dass schon ein Homeoffice-Tag in Deutschland 1,6 Millionen Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr einsparen kann. Zweitens brauchen wir EU-Designrichtlinien für Produkte der Informations- und Kommunikationstechnologie, also für Smartphones, Laptops, Handys, aber auch für die Rechenzentren. Da muss drinstehen, dass bestimmte Energiestandards eingehalten werden müssen – hier muss auf möglichst wenig Datengenerierung geachtet werden. Drittens müssen die Geräte nachhaltig hergestellt werden. Sie müssen reparierfähig, langlebiger und fair hergestellt sein. Es geht also zusätzlich um die Hardwaresuffizienz. Dazu gehören auch längere Garantiepflichten für Produkte, Rücknahmeverpflichtungen und ein „Right to Repair“ von den Anbietern, um den Mehrkonsum zu verringern, aber auch – ganz wichtig – eine zusätzliche Softwaresuffizenz: Die Unternehmen müssen regelmäßig kostenfreie Updates bereitstellen, um die Lebensdauer von Produkten und Angeboten maximal auszudehnen. Und viertens sollte die Politik das alles mit allgemeinen Rahmenbedingungen flankieren, etwa steigenden Ökosteuern oder beispielsweise einer Reform des Monopolrechts, damit die digitalen Lösungen von morgen nicht von Google, Facebook und Amazon stammen.

CCB Magazin: Viele der nachhaltigen Lösungen kommen aus der Kultur- und Kreativwirtschaft. In welchem Wechselverhältnis stehen hier Digitalisierung und Nachhaltigkeit? Bedingt sich beides oder schließt es sich am Ende aus?

Tilman Santarius:Dazu muss man sich die einzelnen Branchen anschauen. Nehmen wir den Veranstaltungsbereich. Hier fallen, was den Nachhaltigkeits-Impact betrifft, die Hin- und Rückfahrt der Teilnehmer*innen am meisten ins Gewicht. Daran kann man erst mal wenig ändern, es sei denn, man sagt sämtliche Konzerte ab, was keiner wollen kann. Man kann aber fragen, wie viele Events in Präsenz es bei der Fülle an Veranstaltungen braucht. Die Corona-Krise hat eindringlich gezeigt, wie die Einschränkung des Verkehrs durch Zoom-Meetings dem Klima zugutekommt. Auf dem Peak der Corona-Krise hatten wir 26 Prozent weniger Emissionen in Deutschland, hauptsächlich durch den Rückgang des Verkehrs, der um 50 bis 80 Prozent einbrach. Es gab zwar auch einen 120-prozentigen Anstieg an Videokonferenzen. Die verursachen unterm Strich aber deutlich weniger Emissionen als Flugzeuge oder andere Formen der Mobilität: Schon einmal zoomen statt der Bahnfahrt von München nach Hamburg spart 90 Prozent der Treibhausgase ein. Ein anderes Beispiel ist der Literaturbetrieb. Hier glauben viele, dass das Umstellen von Papier auf digital an sich nachhaltiger ist. Das ist ein Irrglaube. Der Bau und Betrieb von Kindles oder iPads verbraucht so viel Energie und Rohstoffe, dass sich das erst nach rund 50 heruntergeladenen Büchern rentiert. On top zur Online-Lektüre kommen die Bücherverkäufe, die seit Jahren kaum zurückgehen – es ist also nicht so, dass digitale Publikationen Printerzeugnisse einfach ersetzen. Und das Hauptproblem bleibt das Streaming. Auch hier meint man, dass durch den Wegfall physischer Produkte – etwa durch die CD, deren Verkaufszahlen zwischen 2001 und 2020 um 80 Prozent eingebrochen sind – ökologisch etwas gewonnen ist. Wir streamen aber immer mehr. Das Streaming von Filmen ist eine der energieintensivsten digitalen Dienstleistungen überhaupt. Es macht jetzt schon 60 bis 70 Prozent der globalen Datenströme aus.

Kulturakteure sind und bleiben die Impulsgeber. Sie müssen nur schauen, dass sie zum Schluss nicht unter die Räder kommen. Und die ökologisch-soziale Transformation schaffen wir nur, wenn alle mitziehen

CCB Magazin:Welche Lösungen sehen Sie hier?

Tilman Santarius: Wir müssen die kleinen nachhaltigen Anbieter bevorteilen und im Netz auffindbarer machen. Wir arbeiten derzeit zum Beispiel an einem neuen Green Assumption Assistant, der auf der Plattform Ecosia erstellt wird und alternative, nachhaltige Produkte vorschlägt.

CCB Magazin: Aber man kommt doch gegen die großen Konzerne und Plattformen nicht an. Plattformen wie Google, Amazon oder Facebook funktionieren deshalb so gut, weil alles so effizient, bequem und einfach ist. Ist das Problem zum Schluss nicht eines der sozialen Nachhaltigkeit? Geht es nicht um die Gerechtigkeitsfrage?

Tilman Santarius: Es geht um beides: um ein ökologisches und soziales Problem. Die großen Plattformen missachten nicht nur ökologische Standards. Sie sind auch in sozialer Hinsicht nicht-nachhaltig. Dass Künstler auf Spotify kaum etwas verdienen, ist bekannt. Einen höheren Ertrag würden sie erst erzielen, wenn sich die Klickraten um ein Tausendfaches erhöhen – das ist wiederum hochgradig unökologisch. Der Datenkapitalismus basiert heute auf der Mehrung von Daten, die sich nicht erschöpfen, ganz im Gegensatz zum alten Industriekapitalismus, dessen Grundlage der Verschleiß physischer Produkte – Öl, Kohle, Stahl – war.

CCB Magazin: Die Autoren Thomas Ramge und Viktor MayerSchönberger fordern in ihrem Buch „Das Digital“ eine neue „progressive Daten-Sharing-Pflicht“. Datengiganten wie Google sollen demnach ihre Daten mit Wettbewerbern teilen, wenn sie einen bestimmten Marktanteil erreichen, beispielsweise zehn Prozent. Ist das die Lösung?

Tilman Santarius: In sozialer Hinsicht ja. Datensharing kann eine Möglichkeit sein, um die Marktmacht der Wenigen zu brechen. Ich begrüße es auch, dass derzeit auf EU-Ebene der Digital Markets Act verhandelt wird, um die Macht von digitalen Großkonzernen zu beschneiden. Auf der anderen Seite: Nicht jede Form der Dezentralisierung von Daten ist aus ökologischer Sicht nachhaltig. Nehmen wir das Beispiel Blockhain und Bitcoin. Es ist eine völlig irrsinnige Vorstellung einiger eingeschworener Blockchain-Fans, mit der breiten Anwendung der Blockchain-Technologie ließe sich eine nachhaltige Ökonomie realisieren. Bitcoin liefert dafür ein Extrembeispiel: Eine einzige Berechnung eines Bitcoin-Blocks ist etwa 10.000 Mal so energieintensiv ist wie eine Kreditkarten-Transaktion. Es wäre der Ruin des Planeten, wenn die gesamte Wirtschaft auf Bitcoin-ähnlichen Blockchain-Anwendungen basieren würde. Ein anderes Beispiel ist die Anwendung der Künstlichen Intelligenz: KI-basierte Systeme können durch Mustererkennung bei Anlagensteuerungsdaten dabei helfen, dezentral verteilte Energiesystemkomponenten – Energieerzeuger, Verbraucher, Speicher – in Smart Grids besser zu koordinieren und die Netzauslastung zu optimieren. Die beste KI-basierte Optimierung des Energiesystems bringt aber wenig, wenn nicht auch der Ausbau von erneuerbaren Energien rasch vorangetrieben wird. Das Ökologische mit dem Sozialen zu verbinden bleibt eine Herkulesaufgabe.

CCB Magazin: Herr Santarius, wenn wir das Interview in zehn Jahren führen würden: Hat die Bundesregierung das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Abkommens erreicht? Und welchen Beitrag können Kulturakteure für eine nachhaltige und digitale Gesellschaft leisten?

Tilman Santarius: Das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen erfordert langfristig eine mutige Politik und hängt daher nicht nur von der neuen Bundesregierung ab – die allerdings ganz dringend die Weichen anders stellen muss, wenn das überhaupt noch gelingen soll. Kulturakteure sind und bleiben die Impulsgeber. Sie haben manchmal bahnbrechende Ideen. Sie müssen nur schauen, dass sie zum Schluss nicht unter die Räder kommen. Und die ökologisch-soziale Transformation schaffen wir nur, wenn alle mitziehen. Die Politik setzt dabei die Leitplanken. Und für die Nutzer gilt: Vorsicht bei datenintensiven Anwendungen, allen voran beim Video-Streaming. Wer in der Straßenbahn Video streamt, hat einen so hohen Energieverbrauch, dass der Vorteil gegenüber dem Auto schwindet. Aber wer weiß, vielleicht haben wir in zehn Jahren autofreie Innenstädte. Das wäre dann die gute Nachricht.


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