Nachhaltigkeit, Finanzierung Zurück

Schluss mit Larifari

Schluss mit Larifari
Foto: © Kristoffer Schwetje

Markus Sauerhammer ist im Berliner Vorstand des Social Entrepreneurship Netzwerks Deutschland (SEND). Vor vier Jahren haben wir ihn gefragt: Was hat die Regierung in Sachen Sozialunternehmertum getan? Jetzt haben wir eine neue Koalition. Zeit für eine neue Bilanz.
 

INTERVIEW JENS THOMAS
 


CCB Magazin: Hallo Markus, wir haben vor genau vier Jahren ein Interview zum gleichen Thema geführt: Wie unterstützt die Regierung Sozialunternehmen? Wenn du eine Bilanz ziehst: Was wurde in den vergangenen Jahren in punkto Sozialunternehmertum erreicht und was nicht?

Markus Sauerhammer: Die deutsche Politik hatte soziale Innovationen bislang verschlafen. Im Hinblick auf die Notwendigkeit von Veränderungen würde ich die letzte Legislaturperiode jedoch als das Schaffen einer gemeinsamen Arbeitsbasis sowie den Start erster Maßnahmen sehen: Alle Fraktionen, mit Ausnahme der AfD, hatten einen eigenen Antrag in den Bundestag eingebracht, um das Sozialunternehmertum in Deutschland zu stärken. Das Wirtschaftsministerium hatte zum ersten Mal ein zielgruppenspezifisches Förderprogramm für Social-Entrepreneurs auf den Weg gebracht. Neun Ministerien hatten überdies ein resortübergreifendes Konzept für soziale Innovationen entwickelt und gemeinsam mit der Bundesregierung und rund 30.000 Bürger*innen hat der Sektor über den Hackathon WirVsVirus, Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen der Corona-Pandemie losgetreten.

CCB Magazin: Für alle, denen der Begriff Social-Entrepreneurship zu abstrakt ist - was genau versteht man darunter?

Markus Sauerhammer: Sozialunternehmen fokussieren sich auf die Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen. Das können soziale, aber auch ökologische Probleme sein. Das Finanzierungs- oder Geschäftsmodell bei Sozialunternehmen ist ein Mittel zum Zweck und nicht Zweck der Organisation. Es steht also nicht das Geld verdienen im Mittelpunkt, sondern die Lösung eines bestimmten Problems. Das ist der wichtigste Unterschied zu einem klassischen Unternehmen. 

CCB Magazin: Im damaligen Koalitionsvertrag wurde das Thema Social-Entrepreneurship erstmals explizit genannt. Auch von „sozialen Innovationen“ war mehrfach die Rede. Du warst, wenn ich das sagen darf, Feuer und Flamme. Wie beeindruckt bist du vom neuen Koalitionsvertrag?

Markus Sauerhammer: Sieht man sich den neuen Koalitionsvertrag an, erkennt man, dass die Politik von vagen Beschreibungen zu konkreten Maßnahmen übergegangen ist. Der jetzige Koalitionsvertrag ist viel konkreter was die Unterstützung von Sozialunternehmen anbelangt als noch vor vier Jahren. Wir kommen endlich ins Handeln, es ist kein Larifari mehr. Das betrifft zum Beispiel neue Finanzierungswege für Sozialunternehmen. Allerdings fehlen unter anderem noch landesweite Innovationshubs für soziale Herausforderungen, ähnlich den bereits existierenden Digitalisierungshubs.

CCB Magazin: Du kommst ins Schwärmen.

Markus Sauerhammer: Ein bisschen ja, eher ins Hoffen. Die genannten Aktivitäten und eine Reihe weiterer Entwicklungen auf EU-, Bundes- und Landesebene sind nun die Basis für eine gute und parteiübergreifende Verankerung von sozialen Innovationen und Social Entrepreneurship - auch hier hat die Ampel größte Schnittmengen, das lässt sich im Koalitionsvertrag nachlesen. Wenn die neue Regierung konsequent handelt, kann das ein echter Aufbruch sein.

CCB Magazin: Im letzten Koalitionsvertrag hat das Soziale gegenüber dem Ökologischen überwogen, nun ist es umgekehrt. Ist das nun gut oder schlecht?

Markus Sauerhammer:Beides. Während man damals den Fokus auf markttaugliche, technologische Innovationen gelegt hat, werden jetzt soziale und ökologische Innovationen konsequent mitgedacht. Das Innovationsverständnis und die damit verbundenen Maßnahmen forcieren einen insgesamt ganzheitlicheren Ansatz. Sie liefern die Basis für eine sozial-ökologische Transformation in Wirtschaft und Gesellschaft. In meinen Augen ein gutes politisches Fundament für eine Gestaltung der aktuellen Umbruchphase unter Wahrung unseres gesellschaftlichen Zusammenhalts sowie der Berücksichtigung unserer planetaren Grenzen. Natürlich hätten wir uns an einigen Stellen mehr gewünscht, aber ich habe inzwischen gelernt, dass politische und gesellschaftliche Veränderungsprozesse Zeit brauchen.

CCB Magazin:Auffällig ist, dass Digitalisierung, Innovationen und Nachhaltigkeit in ein neues Dreieck gegossen werden – die Ökologiefrage wird mit einem Fortschritts- und Wachstumsglaube verbunden. Ist das nicht ein Irrweg?

Markus Sauerhammer: Nicht unbedingt. Ich bin überzeugt, dass wir Unternehmen mit einer Lösung ökologischer und sozialer Herausforderungen endlich gleichwertig unterstützen müssen. Dazu gibt es drei wirkmächtige Hebel, die im Koalitionsvertrag verankert wurden und über die in der breiten Öffentlichkeit bisher wenig diskutiert wird. Auf der einen Seite soll der Wirtschaftsbericht um einen Wohlstandbericht erweitert werden. Das heißt, was Fortschritt und Wachstum betrifft, erfassen wir hier erstmals auch soziale und ökologische Kriterien. Weg von einem reinen Wachstumsdenken hin zu einer neuen Wohlstandsorientierung, die verstärkt danach fragt, wie es den Menschen und der Umwelt geht und nicht nur auf die nackten Zahlen schaut. Zweitens möchte die neue Regierung auf eine wirkungsorientierte Haushaltsführung umstellen und ökologische und soziale Kriterien stärker in das Beschaffungswesen der öffentlichen Hand integrieren. Bislang hat Hamburg als einziges Bundesland einen wirkungsorientierten Haushalt. Bisher ist es so: Wenn die Politik beispielsweise Maßnahmen zur Integration ergreift, dann schaut sie, wer macht das günstigste Angebot, um die Gelder zu vergeben. Sie achtet nicht darauf, was die wirkungsvollste Maßnahme wäre. Langfristig spart der Staat durch eine qualifiziertere Investition in Maßnahmen, die vielleicht teurer, aber effektiver sind. Und drittens muss es für Sozialunternehmen einfacher werden, damit wirkungsorientierte Geschäftsmodelle mit großen etablierten Unternehmen konkurrieren können, damit die sozial-ökologische Transformation gelingen kann.

CCB Magazin: Viele Forscher gehen davon aus, dass wir die Ökologiefrage langfristig nur mit Reduktion und Verzicht lösen. Ist es nicht ein Irrtum zu glauben, eine ganze Wirtschaft könne einfach so nachhaltiger werden?

Markus Sauerhammer: Jein. Wir müssen Ressourcen sparen, zugleich sollten wir uns fragen, was wir brauchen, um glücklich zu sein, und hier sollten soziale und ökologische Innovationen ansetzen: Wollen wir weiter erlauben, dass Produkte, die unseren Planeten schaden, auf den Markt kommen? Wer auf Kosten von Umwelt und Menschen seine Gewinne macht, hat durch die aktuellen politischen Rahmenbedingungen einen Vorteil gegenüber denen, die diese Aspekte konsequent in ihrem Geschäftsmodell berücksichtigen. Dieses Verhältnis müssen wir umdrehen. Und dazu brauchen wir nicht unbedingt Verzicht, sondern eine Verschiebung der Maßstäbe, eine Art neue Aufklärung unter sozialen und ökologischen Vorzeichen. Dann werden wir schnell merken, dass es eigentlich gar nicht um Reduktion oder Verzicht geht. Es geht um einen Zugewinn von Lebensqualität, den wir unter ökonomischen Vorzeichen sicherstellen müssen.

Sind gut drauf: Das Team von Social Entrepreneureship Netzwerk Deutschland e.V.  Foto © Frederike Coring / Copyright Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland
 

CCB Magazin: Gegenwärtig haben wir eine Entwicklung, wonach große globale Konzerne auf der einen Seite Profite maximieren, wogegen keine nationale Ökonomie ankommt. Auf der anderen Seite mühen sich all die kleinen Mikrounternehmen ab, um irgendwie nachhaltiger zu werden. Ein Fokus im Koalitionsvertrag liegt auf der Schaffung einer neuen Rechtsform für Unternehmen in Verantwortungseigentum. Ziel ist es, dass Gewinne und Vermögen nicht mehr für individuelle Zwecke entnommen werden, sondern ins Unternehmen zu reinvestieren sind, damit sie langfristig bestehen bleiben können – und nicht, notgedrungen, mit Gewinnen spekulieren, um zu überleben. Wie sehr begrüßt du diesen Vorstoß?

Markus Sauerhammer: Das begrüße ich sehr! In meinen Augen ist das Schaffen einer eigenen Rechtsform, in der die Sinn-/Zweckorientierung fest in der Unternehmens-DNA verankert werden kann, ein zentraler Baustein für die Gestaltung unserer aktuellen Umbruchphase. Über den Vorschlag könnte so langfristig ein neuer Mix aus GmbH und Stiftung entstehen, der sicherstellt, dass sich Unternehmen selbst nach einem Führungswechsel weiterhin „selbst gehören“; denn das ist ja bislang das Problem: Man muss sich gewissermaßen zwischen Gemeinnützigkeit und Wirtschaftlichkeit entscheiden. Und eine gemeinnützige Stiftungskonstruktionen, die sicherstellt, dass das Vermögen dem Unternehmenszweck dient, können sich oft nur große Unternehmen leisten, weil die Umstellung schnell mal einen mittleren fünfstelligen oder gar sechsstelligen Betrag kostet.

CCB Magazin: Die CDU-Politikerin Diana Kinnert warnt vor neuen möglichen „Missbrauchsszenarien“, wonach einfach an anderen Stellen Schindluder betrieben werde, etwa bei der Erbschaftssteuer. Auch sei nicht sichergestellt, dass wirklich in nachhaltige Unternehmensführung investiert wird.

Markus Sauerhammer: Diese Probleme sehe ich nicht, solange der Vorschlag der Stiftung Verantwortungseigentum im weiteren Prozess nicht aufgeweicht wird. Es ist ja auch nur eine Option, es ist kein Muss. Es darf natürlich auch nicht bei diesem Vorstoß bleiben. Wir brauchen genauso dringend alternative Rechtsformmodelle, gerade durch die Netzwerk- und Lock-in-Effekte der Digitalisierung und der damit verbundenen Markt- und Machtkonzentration einzelner Player, die über die Gründungs- und Innovationsförderung gleichwertig unterstützt werden. Bislang hat sich die Politik primär bei der Regulierung und Förderung auf klassische Modelle mit einer Ausrichtung auf Sharholdervalue-Maximierung und das damit verbundene „The Winner takes all“-Prinzip fokussiert. Sie hat die Potenziale alternativer Modelle konsequent ignoriert. Der Beitrag „Was wäre, wenn Facebook seinen Nutzern gehören würde?“ zeigt nur zu gut, wie es gegenwärtig läuft. Hier wird neben dem Modell der Stiftung Verantwortungseigentum übrigens auch das Potenzial digital-globaler Genossenschaften thematisiert. Auch hierfür setzen wir uns mit der Initiative #GenoDigitalJetzt ein. Und wir haben uns natürlich gefreut, dass die Ampel-Regierung endlich auch diesen Punkt angehen möchte!

CCB Magazin: Mal ganz blöd gefragt, warum brauchen wir überhaupt Sozialunternehmen, um gesellschaftliche Probleme zu lösen? Ist das nicht die eigentliche Aufgabe des Staats?

Markus Sauerhammer: Die Welt ist nicht schwarz-weiß! Der Staat muss die Rahmenbedingungen setzen. Er muss die Wirtschaftskräfte stärken, die sozialverantwortlich und ökologisch handeln. Es ist nicht ungewöhnlich, dass in wirtschaftlichen und sozialen Umbruchphasen Bewegungen entstehen, die gesellschaftliche Probleme adressieren. Nach der industriellen Revolution formten sich beispielsweise Genossenschaften, Gewerkschaften und Wohlfahrtsorganisationen, um den Manchester-Kapitalismus zu zähmen. Auch die Vorläufer unserer Sozialversicherungen wurden oft aus der Gesellschaft heraus über Gesellenvereine angeschoben und später systemisch implementiert und verstetigt. Das waren alles Antworten auf die Herausforderungen der industriellen Revolution und haben den Rahmen unserer Sozialen Marktwirtschaft und unseres Sozialstaates geprägt. Heute befinden wir uns wieder in einer solchen Umbruchphase mit anderen, neuen Herausforderungen – und neuen Akteuren, die diese wirksam lösen und endlich die passende Unterstützung benötigen. Darum habe ich SEND mitgegründet und darum brauchen wir eine Politik, die die richtigen Maßstäbe setzt.

CCB Magazin: Markus, ich danke dir für das Gespräch.
 


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