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Isst mir wurscht?

Isst mir wurscht?
Foto: © Hartmut Kiewert

Harmut Kiewert hat ein Thema: das Mensch-Tier-Verhältnis in der heutigen Zeit. Der Künstler beleuchtet es von vielen Seiten und macht mit seiner Kunst ein klares Statement. Er isst, lebt und malt vegan – das ist seine Lebensphilosophie. Ein Einblick in einen Künstler mit einer klaren Botschaft und Vision.
 

Text Boris Messing    

 

Es gibt drei Gründe, weshalb man Veganer wird: der Gesundheit wegen, der Umwelt zuliebe oder für das Tierwohl. Harmut Kiewert, so lässt sich aus seinen Bildern schließen, liegt vor allem an Letzterem. Ein schlafendes Kälblein, das schon halb Salami ist; kleine Ferkel, die an einer Wurst mit Zitzen saugen; ein Schinken, der aussieht wie eine Sachertorte – das sind nur einige der makabren Bilder seiner Reihe „Schlachtplatten“. Mit bissig-boshaftem Humor, der einem (wie kann es anders sein?) im Halse stecken bleibt, thematisiert Hartmut Kiewert die unangenehmen Seiten des Fleischverzehrs. Vom Schlachthof bis zu den Gerippen und Gedärmen zeigt er schonungslos auf, was es bedeutet, Fleisch zu essen. 

Hartmut Kiewert beschäftigt sich in seiner Kunst seit fast zwei Jahrzehnten mit dem Mensch-Tier-Verhältnis. Der Künstler belässt es dabei nicht nur bei Bildern und Symbolik. Er ist Veganer und malt ausschließlich vegan. Pinsel, Farbe, Leinwand – keine seiner Materialien beinhalten tierische Produkte; auf seiner Homepage erklärt er im Detail seine Maltechnik und was er dafür benutzt. Inspiriert ist Kiewert von unterschiedlichen Stilrichtungen. Bilder von Manet, Goya oder Francis Bacon kommen einem in den Sinn. Seine Werke erinnern stilistisch an den Realismus und frühen Impressionismus – mit Ironie und einem bisweilen surrealen Touch.



 

Kiewert zeigt in seinen Bildern nicht nur die hässliche Seite des Mensch-Tier-Verhältnisses auf. Er imaginiert auch eine andere, idyllische Welt, beispielsweise in seiner neusten Bilderreihe „Animal Utopia“. Friedlich sitzen sie zusammen - Schweine, Kühe, Hühner, Menschen - und genießen ihre Gegenwart. Die Zuchttiere sind den Mastanlagen und Schlachthöfen entkommen, die Industrieanlagen zu Ruinen zerfallen, die Straßen von Autos befreit und von der Tierwelt erobert. Es ist eine Utopie, in der es kein Leiden und keine Ungleichheiten gibt. Um diese Ungleichheiten geht es Kiewert oft. Er wolle, sagt er, mit seinen Bildern nicht nur die „Grausamkeit der Tierindustrie“ aufzeigen, sondern versuche auch eine „positive Gegenerzählung“ zu entwickeln, bei der Menschen und Tiere in Harmonie zusammenleben. Er bezeichnet diese Utopie als „Überwindung des Anthropozentrismus“.

Fleisch galt jahrhundertelang als Zeichen des Wohlstands. Wer mehr Fleisch auf dem Teller hatte, dem ging es besser. Fleisch war ein Luxusgut, ein Lebenselixier. Und so ist es auch noch heute in vielen Teilen der Welt. Dass Fleisch in Deutschland und Europa so billig geworden ist, hat natürlich etwas mit der Massentierhaltung zu tun, die Kiewert anprangert. Die immer wieder publik gemachten, grausamen Haltungsbedingungen der Tiere werden nur allzu leicht ausgeblendet, wenn man in sein Steak beißt, an die Belastungen der Umwelt und des Klimas wird sowieso nicht gedacht. Zu abstrakt, zu weit weg - und verdammt, das Schnitzel schmeckt einfach gut. Trotzdem sollte man sich hin und wieder auch die anderen Zahlen auf der Zunge zergehen lassen; die, freilich, schmecken nicht so gut. Allein 2019 lebten und starben 763 Millionen Tiere in Massentierhaltung. Im Jahr 2020 lag der Fleischkonsum pro Kopf in Deutschland bei 57,3 Kilogramm (zum Vergleich: im Jahr 2000 waren es noch 61,5 Kilogramm). Und auch wenn der Fleischkonsum tendenziell seit ein paar Jahren zurückgeht, im Großen und Ganzen bleibt er ziemlich hoch. 57 Kilogramm, das sind umgerechnet ein 160-Gramm-Steak – jeden Tag!



Neben dem Tierwohl spielt in Kiewerts Kunst auch die Belastung der Umwelt durch die Massentierhaltung eine Rolle. Auch hier gibt es belastbare Zahlen. Laut Bundesumweltamt trägt die Landwirtschaft in Deutschland maßgeblich zur Emission von klimaschädlichen Gasen bei. Das betrifft namentlich Methan und Lachgas-Emissionen als Folge der Stickstoffdüngung. Im Jahr 2020 war die deutsche Landwirtschaft schätzungsweise für insgesamt 60,4 Millionen Tonnen Kohlendioxid-Äquivalente verantwortlich, was 8,2 Prozent der Treibhausgas-Emissionen in diesem Jahr entspricht. Die Belastungen der Umwelt betreffen aber nicht nur das Klima. Massentierhaltung verbraucht viele Ressourcen, vor allem Wasser, und nimmt Landfläche in Anspruch, die man anders nutzen könnte. Für die Mast von Schwein, Rind und Geflügel braucht es viel Anbaufläche für Futter, insbesondere für die Rinderzucht. Mehr als die Hälfte der landwirtschaftlich genutzten Fläche wird in Deutschland für Futter für die Nutztiere gebraucht.

Kiewert selbst ist nicht von heute auf morgen zum Veganer geworden. Der 1980 in Koblenz geborene Künstler empfand es schon als Kind schlimm, „dass Menschen Tiere essen“. Ihm sei stets verklickert worden, Fleisch zu essen sei „normal, natürlich, notwendig“. Das ist natürlich Unsinn. Unzählige Studien haben belegt, dass zu viel Fleischkonsum abträglich für die Gesundheit ist. Wer sich ein Bild über diese Studien machen will, der kann sie zusammengefasst nachlesen im Standardwerk „Vegan-Klischee Ade!“ des Ernährungswissenschaftlers Niko Rittenau. Entscheidender Wendepunkt in Kiewerts eigenem Leben war die BSE-Krise im Jahr 2000. Er entschied sich zuerst, vegetarisch zu ernähren und verfolgt seit 2008 eine konsequente vegane Lebensweise, die sich nicht nur auf die Ernährung beschränkt, sondern den Konsum ausschließlicher veganer Produkte miteinbezieht.



Mit seiner Kunst trifft er einen Zahn der Zeit. Obwohl Veganismus in Deutschland noch immer eine Randerscheinung ist, denken immer mehr Menschen über ihr Verhältnis zu Tier und Umwelt nach. Kiewert merkt das auch an einer zunehmenden Rezeption seiner Kunst. Er hat regelmäßige Ausstellungen und Galerien in Essen, Frankfurt a.M., Berlin und Marburg. In Berlin stellte er unter anderem in der „Galerie für nachhaltige Kunst“ von Tom Albrecht aus.

Kiewert schließt nicht aus, sich auch anderen gesellschaftspolitischen Themen zuzuwenden. Während seines Kunststudiums an der Hochschule Burg Giebichenstein in Halle engagierte er sich in verschiedenen Bewegungen wie der Umwelt- oder Anti-Atombewegung. Zudem befasste er sich intensiv mit kritischer Gesellschaftstheorie und Anarchismus. Die Idee, sich künstlerisch mit dem Mensch-Tier-Verhältnis zu befassen sei eine „bewusste Entscheidung“ gewesen, um es, wie er sagt, „mit den Mitteln der Malerei neu zu verhandeln“. Brotlos ist seine Kunst in jedem Fall nicht - dafür ohne Fleisch.


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