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C2C: Das Blaue vom Himmel oder das Grün der Zukunft?

C2C: Das Blaue vom Himmel oder das Grün der Zukunft?
Foto: © CCB Magazin

Cradle to Cradle, das Prinzip, sämtliche Rohstoffe nach dem Gebrauch zu kompostieren oder technisch in die Kreisläufe zurückzuführen, gilt seit Jahren als verheißungsvolle Alternative zur herkömmlichen Produktion. Aber macht das immer Sinn? Ein Streitgespräch.

Ja. Cradle to Cradle ist die Zukunft. Wenn wir Wirtschaft und Gesellschaft umgestalten wollen, müssen wir sämtliche Ressourcen in Kreisläufen führen – technisch und biologisch

VON Nora Sophie Griefahn     undTim Janßen

 

Nora Sophie Griefahn und Tim Janßen von der C2C NGO, einem Berliner Verein zur Unterstützung von Cradle-to-Cradle-Prozessen in der Gesellschaft. Beide sind Mitbegründer*innen des C2C-Kongresses. Foto © C2C NGO

Artensterben, Ressourcenknappheit, Klimawandel: Wir Menschen haben zahlreiche große Schäden verursacht. Die Strategie dagegen ist seit Jahrzehnten dieselbe: Wir versuchen, unseren negativen Fußabdruck zu reduzieren. Dennoch stehen wir nach gut 40 Jahren Klima- und Umweltpolitik da-vor, Kipppunkte im Erdklimasystem zu erreichen – oder haben diese schon längst überschritten. Gleichzeitig wächst die Weltbevölkerung und mehr Menschen benötigen künftig Energie, Güter und Nahrung. Der bisherige Weg der Reduktion und des Verzichts allein ist daher auf globaler Ebene keine geeignete Strategie, um der Klima- und Ressourcenkrise langfristig zu begegnen und kommenden Generationen eine lebenswerte Zukunft zu sichern. Denn in unserem heutigen linearen System würde das nur bedeuten, dass Ressourcen etwas langsamer zur Neige gehen und etwas weniger CO2 in die Atmosphäre gelangt. Weniger schlecht sein reicht aber nicht aus.

Stattdessen müssen wir Menschen die von uns selbst geschaffenen Systeme so verändern, dass irreversible Schäden nicht nur vermieden werden, sondern im Idealfall natürliche Systeme wieder aufgebaut werden. Darum brauchen wir Cradle to Cradle. Das heißt, dass sämtliche Produkte für ihr spezifisches Nutzungsszenario so designed und entwickelt werden müssen, dass sie in biologischen und technischen Kreisläufen zirkulieren können. Materialien, die bei der Nutzung eines Produkts unweigerlich durch Abrieb oder Verschleiß in die Umwelt gelangen, sind biologisch abbaubar. Bei Produkten, die keinem Verschleiß unterliegen, sind alle Materialien so verbaut, dass sie sortenrein trennbar und damit wirklich recycelbar sind. Die Produktion findet ausschließlich mit erneuerbaren Energien aus kreislauffähigen Anlagen statt und Boden, Wasser und Luft werden geschützt – oder noch besser: gereinigt und aufgebaut. Und entlang aller Wertschöpfungsketten herrschen menschenwürdige Arbeitsbedingungen.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: C2C ist für uns kein Aufruf zu hemmungsloser Vergeudung. Es ist nicht zielführend, ein biologisch abbaubares T-Shirt nach einem Mal tragen in den Wald zu werfen. Doch die Frage, ob jemand zwei oder 20 Jeans benötigt oder nicht, ist eine kulturelle. Und wenn alle Bestandteile dieser Jeans in Kreisläufen zirkulieren können, dann stellt auch der Konsum von 20 Jeans – so überflüssig er manchen erscheinen mag – für unser Habitat keine Gefahr mehr dar. Und C2C ist heute in allen Branchen anwendbar. In manchen, wie Textil und Bau, ist der Ansatz bereits in großen Unternehmen angekommen. In hochtechnologischen Branchen wie der Autoindustrie oder in der IT gibt es dagegen erst wenige Produkte, die C2C entsprechen. Aber eine zirkuläre C2C-Wirtschaft ist möglich, wie zahlreiche Produkte und Geschäftsmodelle zeigen, die bereits nach diesem Ansatz entwickelt wurden. Wir müssen nun dringend Rahmenbedingungen setzen und Technologien und Prozesse umsetzen, die diese Entwicklung fördern. Nur so geht die Welt von morgen.

Nein, das Cradle-to-Cradle-Konzept verspricht an vielen Stellen etwas, was es nicht halten kann. Vieles lässt sich gar nicht in die Kreisläufe zurückführen. Oft ist das auch nicht sinnvoll

VON Axel Fischer 
 

Axel Fischer, Chemiker und Pressesprecher der INGEDE, einer internationalen Forschungsgemeinschaft. Seit 1989 fungiert die INGEDE als Interessenvertretung für Unternehmen der Papierindustrie, um den Einsatz von Altpapier zur Herstellung neuer grafischer Papiere zu fördern. Foto © privat

Das Prinzip Cradle to Cradle (C2C) klingt vielversprechend. Das Konzept mag ein guter Ansatz für Modeartikel, Fernseher oder Fahrräder sein – hier können die Artikel entweder technisch oder biologisch in den Kreislauf zurückgeführt werden. Für Papier und Druck gilt das nicht. Hier verspricht das Konzept an vielen Stellen buchstäblich das Grüne vom Himmel. Schlimmstes Beispiel ist für mich die C2C-Zertifizierung von Steinfolie. Das ist eine Mischung aus Gesteinsmehl und Plastik, für die die Bezeichnung „Papier“ gar nicht zutrifft, weil es nicht eine einzige Faser enthält. Das ist nicht einmal mit Bauschutt zu entsorgen, das kann man nur noch verbrennen, daran ist gar nichts nachhaltig. Und für andere Druckerzeugnisse gilt: Als zusätzliche Eigenschaft mag C2C noch o.k. sein, wenn ein Produkt ansonsten einem richtigen Umweltzeichen wie dem Blauen Engel oder dem EU Ecolabel entspricht. C2C darf aber kein Alibi für fehlende Rezyklier-barkeit sein, was es derzeit wird. Denn welche Druckerei vergräbt ihre Makulatur hinter dem Haus? Wer kompostiert seine alten Bücher? In Europa wurden im vergangenen Jahr 72 Prozent des Papiers recycelt. Diese sogenannte Recyclingquote bezieht sich auf den gesamten Papier-, Pappe- und Kartonverbrauch. In Deutschland sind das sogar 78 Prozent. Dafür muss sich ein Druckprodukt qualifizieren: Es muss optimal recycelbar sein, nicht kompostierbar oder essbar.

Bleiben wir beim Beispiel der Druckerzeugnisse, hier gibt es deutliche Widersprüche. Der Papierkreislauf braucht ein gesundes Nebeneinander von neuem und recyceltem Papier. Deshalb darf man aber das Recycling nicht verdammen. Derzeit kommt genügend Frischfaser in den Kreislauf. Was viel wichtiger ist: Wir müssen mehr sammeln, mehr recyceln und dafür sorgen, dass Druckprodukte auch recycelbar bleiben, damit man daraus wieder weißes Papier machen kann. Das gewährleistet das C2C-Prinzip nicht. Druckfarben sollten „deinkbar“ sein, sich also beim Recycling von den Fasern ablösen und aus der Fasersuppe entfernen lassen. Und das sind viele Cradle-to-Cradle-zertifizierte Druckfarben gerade nicht. Das Gegenteil ist der Fall: Bisher wurde eine Reihe von Druckfarben, die nicht deinkbar sind und sich deshalb nicht für Druckprodukte mit einem Blauen Engel eignen, für Cradle to Cradle angemeldet, um wenigstens irgendein Umweltzeichen zu haben. Damit ist das Ganze auch kein Gewinn für die Umwelt, eher das Gegenteil. Das ganze Verfahren ist aus meiner Sicht zu intransparent und teuer, viel teurer als ein richtiges, also ISO-konformes Umweltzeichen. Im Gegensatz zum Blauen Engel gibt es bei C2C keine öffentliche Diskussion der Kriterien – es ist ein privates, kommerzielles Zeichen, ein Geschäftsmodell. Um nicht zu sagen Greenwashing. Leider springen aktuell einige Marktteilnehmer teils aus Unkenntnis, teils aus Verzweiflung auf diesen Zug auf.


Zum Hintergrund: Um was geht es?
Cradle to Cradle, abgekürzt C2C und übersetzt „von der Wiege zur Wiege“, wurde Ende der 1990er Jahre von dem deutschen Chemiker Michael Braungart und dem US-amerikanischen Architekten William McDonough begründet. Ziel ist, dass alle Materialien technisch oder biologisch wiederverwertbar werden. Entweder sollen Produkte so beschaffen sein, dass sie sich technisch in sortenreine Ausgangsstoffe zerlegen lassen – hier handelt es sich unter anderem um Elektronikartikel, Fußböden oder Fahrräder. Beispiele sind der 2010 von Philips hergestellte Flachbildfernseher Econova oder die Kaffeemaschine Senseo Viva Eco, die zu 100 Prozent recycelfähig ist. Oder die Produkte lassen sich nach ihrem Gebrauch biologisch wiederverwerten, wenn etwa T-Shirts wie das der Marke Trigema kompostierbar sind.

Wie sieht die Faktenlage aus?
Wie viel Prozent aller Produkte in Deutschland biologisch wiederverwertbar sind, dazu gibt es keine belastbaren Zahlen. Gesagt werden kann: Trotz hoher Sammel- und Recyclingquoten liegt der Einsatz von recycelbarem Material in Deutschland bei derzeit nur elf Prozent. Nur rund 10 Prozent des Kleidermülls wird beispielsweise recycelt. Auch sind Kunststoffverpackungen in Deutschland laut einer WWF-Studie von 2021 zu rund 90 Prozent aus Neukunststoff gefertigt. Über die Hälfte wird nach Gebrauch verbrannt. Laut der Studie ließen sich über neue kreislauffähige Verfahren bis 2040 aber mehr als 20 Millionen Tonnen Kunststoff einsparen – das würde mehr als dem sechsfachen Jahresverbrauch an Kunststoffverpackungen in Deutschland entsprechen. 68 Millionen Tonnen Treibhausgase könnten eingespart werden.

Die Kritik
Kritisiert wird, dass das Konzept nicht vom Mehrkonsum abrückt, sondern davon ausgeht, dass durch ewige Kreisläufe nach wie vor viel konsumiert werden könne. Auch wird die mögliche Umsetzbarkeit bemängelt: Voraussetzung für ein auf C2C basierendes System wäre der komplette Umbau der Industrie. Und wie man vom Kapitalismus, der Wachstum braucht, zu einer Kreislaufwirtschaft gelangt, die nur noch das verbraucht, was recycelt werden kann, ist bislang ungeklärt. Auch stellt sich die Frage, ob das Verfahren immer sinnvoll ist. 


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Rubrik: Wissen & Analyse

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