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Immer mehr Festivals wollen sich nachhaltig aufstellen. Die höchste Norm der Zertifizierung stellt die ISO-Norm 20121 (Nachhaltiges Eventmanagement) dar. Was verbirgt sich dahinter? Was muss ich als Veranstalter dafür leisten und für wen ist die Norm geeignet? Ein Gespräch dazu mit Paolo-Daniele Murgia, der seit Jahren in der Eventwirtschaft als Nachhaltigkeits-/ISO-Berater und Auditor arbeitet.
CCB Magazin: Hallo Daniele, Du bist ISO-Berater und Auditor, arbeitest seit Jahren bei der Beratungsagentur 2bdifferent und begleitest Festivals auf dem Weg hin zu mehr Nachhaltigkeit. Was genau ist die ISO-Norm 20121?
Paolo-Daniele Murgia:Die ISO 20121 ist ein internationaler Standard und die höchste Norm für nachhaltiges Eventmanagement. Sie wurde 2012 von der Internationalen Organisation für Normung als freiwilliger Standard eingeführt und kam erstmals zu den damaligen Olympischen Spielen in London zum Einsatz – das war ein echter Erfolg, da beispielsweise die Versorgungskosten durch ein verbessertes Abfallmanagement und eine optimierte Energienutzung um 15 Prozent gesenkt werden konnten. Insgesamt basiert die ISO-Norm 20121 auf den drei Säulen der Nachhaltigkeit: auf der ökologischen, sozialen und ökonomischen Dimension. Sie ist ein ganzheitlicher und allumfassender Ansatz zum Nachhaltigkeitsmanagement, der wirklich keine Bereiche auslässt.
CCB Magazin:Welche Bereiche erfasst die ISO-Norm 20121 alles?
Paolo-Daniele Murgia:Die ISO-Zertifizierung geht vom Top-Management aus, das bedeutet, dass sie die Geschäftsführung genauso miteinschließt wie die operativen Ebenen eines Unternehmens bis hin zu einzelnen Tätigkeitsfeldern. Zertifizieren lassen können sich sämtliche Gewerke entlang der Wertschöpfungskette einer Veranstaltung – von den Zulieferern über die Agenturen bis hin zu den Locations und Event-Fachbereichen von Konzernen. Im Zentrum steht die Entwicklung einer ganzheitlichen schlüssigen Nachhaltigkeitsstrategie, die die Dokumentation, Prozesstreue und kontinuierliche Weiterentwicklung in allen Geschäftsbereichen vorsieht.
Die ISO 20121 ist ein internationaler Standard und die höchste Norm für nachhaltiges Eventmanagement. Sie basiert auf den drei Säulen der Nachhaltigkeit - ökologisch, sozial und ökonomisch - und ist ein ganzheitlicher und allumfassender Ansatz zum Nachhaltigkeitsmanagement
CCB Magazin:Kannst Du mal ein Beispiel geben? Ich bin Festivalorganisator XY, will mich zertifizieren und von euch beraten lassen. Wie gehen wir vor?
Paolo-Daniele Murgia:Im ersten Schritt musst du dich zunächst zwischen einer Zertifizierung für dein Festival oder deinem gesamten Geschäftsbetrieb entscheiden, bei letzterem geht es um eine sogenannte Systemzertifizierung. Im 2bdifferent-Beratungsprozess starten wir mit dem Basischeck und einer CO2-Bilanzierung für deinen Geschäftsbetrieb: Wo stehst du aktuell und was kannst du alles im Sinne der Nachhaltigkeit verändern? Wir gehen dazu die gesamte Organisation und die einzelnen operativen Bereiche mit dir durch: Gibt es ein Leitbild und ein öffentliches Bekenntnis der Geschäftsführung? Gibt es Nachhaltigkeitsziele und Nachhaltigkeitsrichtlinien, die auf alle operativen Ebenen des Festivalmanagements runter gebrochen werden können? Und wenn es Nachhaltigkeitsziele gibt, zahlen diese auf die 17 Nachhaltigkeitsziele der UN ein? Gibt es zudem ein nachhaltiges Beschaffungsmanagement, inklusive eines Lieferanten-Kodexes? Aus dem Basischeck und der CO2-Bilanzierung entsteht dann ein Feedbackbericht, der alle Geschäftsbereiche bewertet – daraus entwickeln wir entsprechende Maßnahmen und legen Prozesse, Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten fest.
CCB Magazin: Eine der Hauptemittenten des CO2-Ausstoßes auf Festivals ist die Mobilität, namentlich die An- und Abreise der Gäste – sie macht bis zu 80 Prozent des gesamten CO2-Ausstoßes auf Festivals aus. Muss ich als Veranstalter ein Mindestmaß an CO2-Einsparungen oder ähnliches nachweisen?
Paolo-Daniele Murgia:Nein, für die ISO-Zertifizierung 20121 gibt es keine festgeschrieben Prozentzahl, die du nachweisen oder erreichen musst. Aber du musst Maßnahmen aufzeigen und darlegen, wie du die Emissionen deines Festivals mittel- bis langfristig senken willst. Die ISO 20121 fordert von dir keine konkreten Maßnahmen – du wirst also nicht verpflichtet, wasserstoffbetriebene Generatoren anstelle von Dieselgeneratoren einzusetzen oder Trenn-/Trockentoiletten statt Chemietoiletten zu verwenden. Die ISO-Norm 20121 setzt insgesamt an einem nachhaltigen Optimum an.
CCB Magazin:Und das heißt?
Paolo-Daniele Murgia:Es wird abgewogen, was ökologisch, ökonomisch und sozial am sinnvollsten ist. So wird es im Bereich der Organisation manchmal keinen Sinn machen, nur auf Solarenergie zu setzen, wenn die Beschaffenheit des Gebäudes dafür nicht ausreicht. Oder eine energetische Sanierung ist nicht finanzierbar, dann schauen wir, wo und wie man sich sonst noch verbessern kann. Auch im Festivalbereich schauen wir, was die meisten Erfolge verspricht: Wie wird Müll vermieden? Wie schaffen wir es, dass die Artists nicht mit dem Flugzeug, sondern mit der Bahn oder anderen alternativen Verkehrsmitteln zur Veranstaltung kommen? Und wie inklusiv und barrierefrei ist deine Veranstaltung bereits?
CCB Magazin:Ok, und ab wann erhalte ich dann das ISO-Zertifikat?
Paolo-Daniele Murgia:Die Zertifizierung erhältst du in zwei Schritten: Zunächst wird in der Stufe 1 in einem internen und externen Audit die Systemreife geprüft. Dazu werden die Norm-Anforderungen in deinem Geschäftsbetrieb entsprechend dokumentiert, prozessiert, umgesetzt und weiterentwickelt. In Stufe 2 wird über ein zweites internes und externes Audit-Verfahren überprüft, ob du die Systemdokumentation bei deinem Festival wie geplant umgesetzt hast – das überprüft dann ein externer Gutachter beim Festival vor Ort, und erst dann erhältst du die Zertifizierung. Die wird in den folgenden drei Jahren einmal pro Jahr in weiteren Audits überprüft. Hier kann es natürlich passieren, dass dir bei grober Nichteinhaltung der Normvorgaben die Zertifizierung auch wieder entzogen wird.
CCB Magazin:Das klingt nach viel Aufwand. Haben Festivalbetreiber überhaupt Lust auf so etwas? Wie viel Zeit muss ich veranschlagen und was kostet mich die Zertifizierung am Ende?
Paolo-Daniele Murgia:Gleich vorneweg: Die ISO 20212 ist kein Monster. Sie ist eines der schlüssigsten Nachhaltigkeits-Managementsysteme, vergleichbar mit dem Managementsystem EMAS – im Gegensatz zu EMAS, das nur die ökologische Dimension der Nachhaltigkeit erfasst, geht es bei der ISO 20121 aber um die ganzheitliche ökologische, soziale und ökonomische Transformation entlang der Wertschöpfungskette. Aber ja: Die Umsetzung kostet Zeit und Geld. Die entsprechende Dokumentation und das Handbuch können gerne mal um die 50 bis 60 Seiten umfassen. Und der Prozess der Zertifizierung dauert Monate, da reicht es auch nicht, wenn die Geschäftsführung mal eben einen x-beliebigen Mitarbeiter dafür abstellt, um nebenher ein bisschen ISO zu machen. Nein: Es braucht Verantwortlichkeiten und die Führungsebene muss den Prozess begleiten. Und die Kosten hängen am Ende vom Umfang und der Festivalgröße ab: Die reine Zertifizierung, ohne die Beratungsleistung von 2bdifferent, würde vorneweg schon mal um die 7.000 Euro kosten.
CCB Magazin:Welche Festivals haben eine solche Zertifizierung bereits? Und gibt es Festivals, die sich besonders oder gar nicht dafür eignen?
Paolo-Daniele Murgia:Es gibt bislang erst ein Festival aus dem Kulturbereich, das die reine ISO-Zertifizierung nach 20121 hat: das lollapalooza aus Berlin. Einige andere sind auf dem Weg dorthin. Und die ISO-Zertifizierung 20121 eignet sich grundsätzlich für alle Festivals, sie kam bislang aber vor allem bei Großveranstaltungen wie den G7 2019, den bereits erwähnten Olympischen Spielen und der UEFA EM 2016 oder der Formel E 2019 zum Einsatz. Den kleinen Festivals fehlt es bislang oft an Zeit und Geld, dabei sind sie es, die oft wertegetrieben sind und schon vieles richtig machen. Die, die eine ISO-Zertifizierung in Betracht ziehen sollten, sind die kommerziell ausgerichteten Major-Festivals, die Unmengen an Müll produzieren, einen hohen Energieverbrauch und eine emissionsintensive Besucher-Mobilität haben. Ganz abgesehen von fragwürdigen Sponsoren und Partnerverträgen, die noch obendrauf kommen können.
Den kleinen Festivals fehlt es bislang oft an Zeit und Geld für eine ISO-Zertifizierung, dabei sind sie es, die oft wertegetrieben sind und schon vieles richtig machen. Die, die eine ISO-Zertifizierung in Betracht ziehen sollten, sind die kommerziell ausgerichteten Major-Festivals, die Unmengen an Müll produzieren, einen hohen Energieverbrauch und eine emissionsintensive Besucher-Mobilität haben
CCB Magazin:Du bist selbstständiger Nachhaltigkeits-Berater und Auditor zur ISO-Norm 20121 bei 2bdifferent, der führenden Beratungsagentur für Nachhaltigkeit in der deutschen Eventwirtschaft. Was genau macht 2bdifferent? Wie viele Festivals habt ihr schon beraten und wer sind eure Kunden?
Paolo-Daniele Murgia:2bdifferent ist eine Beratungsagentur mit Schwerpunkt auf erfolgreiche Nachhaltigkeitsstrategien im Eventbereich. Wir beraten allerdings nicht nur zur ISO 20121, sondern zur grundsätzlichen nachhaltigen Transformation – zu unseren Kunden gehört die auftraggebende Seite, dazu oft große Konzerne, aber auch viele Dienstleister und Agenturen der Eventwirtschaft sowie Festivals wie das Wurzelfestival, 3000Grad Festival oder das Summer Breeze Festival. Auch den Deutschen Filmpreis haben wir beraten – dieser wurde auch nach ISO 20121 zertifiziert.
CCB Magazin:Wie bist du eigentlich dazu gekommen, Berater und Auditor für die ISO-Norm 20121 zu werden?
Paolo-Daniele Murgia:Oh, das ist eine längere Geschichte. Ich bin gelernter Veranstaltungs-Kaufmann und habe nach der Ausbildung zehn Jahre als Event-Manager bei einem Pharma-Konzern und anschließend als Bereichsleiter für das Eventmanagement und den Werbemitteleinkauf gearbeitet. In der Zeit habe ich mich zum Nachhaltigkeitsberater weitergebildet und bin heute Berater und Auditor für die ISO-Norm. Zudem bin ich als DJ und Producer seit über 25 Jahren aktiv – ich bin also stark mit der Festivalbranche verbandelt.
CCB Magazin:Daniele, die gesamte Festivalbranche ist derzeit im Umbruch. So gab es bereits Versuche wie über das Labor Tempelhof, um möglichst alle Materialien in biologische und technische Kreisläufe zurückzuführen. Auch gibt es ab nächstem Jahr den Blauen Engel für Veranstaltungen. Worauf steuert die Festivalbranche zu? Und welche Rolle bleibt dann noch für die ISO-Norm 20121?
Paolo-Daniele Murgia:Der Eventbranche bleibt gar nichts anderes übrig, als sich nachhaltig zu transformieren – und ich würde die unterschiedlichen Aktivitäten nicht in Konkurrenz zueinander sehen. Jeder Veranstalter, jedes Unternehmen sollte für sich selbst entscheiden, welche Zertifizierung am Ende am meisten Sinn macht. Die gesamte Entwicklung zeigt doch: Es bewegt sich was. Wir haben jetzt Jahrzehnte lang über unsere Verhältnisse gelebt, gefeiert und die Regler aufgedreht, jetzt müssen wir uns auch einmal besinnen und achtsam werden – Feiern und Tanzen fühlt sich dann auch noch viel besser an. It’s all about Mindset... Net babble, mache!
Rubrik: Wissen & Analyse
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